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Sophia Petridis Naxos, Südliche Ägäis, Juni 2018

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Sophia Petridis sortierte die Post, so wie sie es jeden Morgen tat und bildete drei kleine Stapel. Die erste Ablage galt den eingegangenen Rechnungen, die zweite war für Bestellungen gedacht und die letzte Sammlung für alles Sonstige, was heute noch in Papierform verschickt wurde. Das Prozedere hatte sie von ihrem Mann übernommen, der meistens die Post entgegennahm und sie seiner Frau zur weiteren Bearbeitung auf den Schreibtisch legte. Die schriftlichen Aufträge waren in den letzten Jahren zurückgegangen, da die meisten ihrer Kunden ihre Bedarfsanforderungen mittlerweile per Mail verschickten. Diese hatte sie schon in aller Früh erfasst.

Erfreulicherweise waren die Kundeneingänge in den letzten vier Wochen angestiegen. Die Hauptferiensaison stand kurz vor der Tür und die zahlreichen Restaurants hatten schon geöffnet und füllten ihre Spirituosenlager auf. Die lange Durststrecke des Winters war vorbei, der Versand war auf das Sommergeschäft vorbereitet.

Es war heiß an diesem Tag und Sophia hatte die Fenster ihres vollgestopften Büros weit aufgerissen. Aus dem noch kühlen Innenhof ihres kleinen Familienbetriebs strömte eine frische Brise in den Raum und verwirbelte die abgestandene Luft des Vortages. Ihr Arbeitsplatz lag direkt neben der Probierstube, in der fein sortiert nach ansteigendem Alkoholgehalt die Flaschen ihrer aktuellen Produktion zur Verkostung bereitstanden. Ab zehn Uhr musste sie mit ersten Touristen rechnen, die sich den Traditionsbetrieb genauer ansehen wollten. Seitdem sie in vielen Reiseführern erwähnt wurden, war der Besucherstrom stetig gewachsen. Bis auf wenige Ausnahmen nahmen fast alle Gäste eine Flasche ihrer Brände oder Liköre mit zurück in ihre Heimat. Ein willkommenes Mitbringsel, um sich nach dem Urlaub das ein oder andere Erlebnis bei einem kleinen Schnäpschen wieder in Erinnerung zu rufen.

Während der Sommermonate, wenn genügend Urlauber auf der Kykladeninsel ihre Ferien verbrachten, hatten sie täglich geöffnet und Sophia kümmerte sich persönlich um die eintreffenden Besucher.

Der mittlerweile in der vierten Generation bestehende Betrieb liegt mitten in Chalki, einem Dorf, welches sich im Zentrum der Tragéa befindet, jener mit zahlreichen Olivenhainen bepflanzten Hochebene im Herzen von Naxos. Dies ist eine Landschaft, die gerne von Wanderern besucht wird und wegen ihrer zerklüfteten Gegend an Kreta erinnert. Eine Besonderheit dieses Dörfchens sind seine gut erhaltenen, neoklassizistischen Häuser, noch aus Zeiten der venezianischen Herrschaft auf Naxos. Die vielfach liebevoll renovierten Anwesen haben mit den sonst typisch weißgetünchten Gebäuden auf den Kykladen nicht viel gemein. Man kann es als ein reizvolles Dorf bezeichnen, welches sich seine Schönheit erhalten hat und sogar einmal die Hautstadt der Insel war.

Sophia lugte auf ihre Uhr und hoffte, dass heute nicht zu viele Gäste erscheinen würden. Bis auf zwei Angestellte, die sich um das Lager kümmerten, war sie alleine und hatte noch einiges zu erledigen, bevor sie den Laden für Fremde öffnen würde. Für die fröhliche, schwarzhaarige Griechin war der Kontakt zu Menschen aus allen Ländern in den Sommermonaten eine willkommene Abwechslung. Ihre Englischkenntnisse hatte sie dafür schon vor Jahren aufgefrischt und ihr Fachwissen war enorm. Im Herbst und im Winter waren fast nur Einheimische im Ort anzutreffen.

Aufgewachsen in Chalki hatte sie den Herstellungsprozess der einzelnen Spirituosen von Klein auf miterlebt und sich schon als Kind, meist nach der Schule, in der Manufaktur ein paar Drachmen verdient. Hier hatte sie auch ihren späteren Mann kennengelernt. Der Verkaufsschlager des Ladens war seit jeher ein Likör, der aus den Blättern des Zitronat-Zitronenbaums, selten auch als Zedratbaum bezeichnet, hergestellte Kitron. Dieser war nachweislich schon vor zwei Jahrhunderten auf der Insel produziert worden. Im Laufe der Zeit waren weitere Brände dazugekommen, die in den Kneipen und Restaurants der umliegenden Inseln, aber auch im Export ihre Abnehmer fanden. Ab Oktober bis Februar startete jedes Jahr die Ernte der Blätter des Zitronat-Zitronenbaums. Eine nicht ganz einfache Aufgabe, da neben dem starken Wind und dem häufigen Regen zu dieser Jahreszeit auch noch die spitzen Dornen des Baumes eine Ernte erheblich erschwerten.

Wesentlich einfacher stellte sich da die Destillation des aus der vorhergegangenen Weinernte gewonnenen Tresters dar, dessen Resultat auf den Kykladen bei keiner Mahlzeit fehlen durfte. Ein Raki, auf Paros auch Souma genannt, gehörte in jeden Haushalt und fast alle Bewohner auf den Inseln, die ihren eigenen Wein anbauten, brachten nach der Pressung ihren Trester zu einer zugelassenen Kazani. Jenen Destillen, die eine Lizenz zur Schnapsherstellung besaßen. Mit einem großen Fest wurde im Kreise der Dorfbewohner die hochprozentige Ausbeute gefeiert, um später stolz den eigenen Schnaps mit nach Hause zu nehmen. Wollte man den Brand etwas veredeln, erfolgte eine zweite Destillation, die als Tsipouro verkauft wurde. Auf Kreta wird diese Variante als Tsikoudia bezeichnet.

Sophia verließ ihr Büro, brachte noch ein paar Gläser in die Probierstube und legte ihre Broschüren auf den Tisch. Da es fast zehn Uhr war, schloss sie die blaue Eingangstür auf, bereit, den ersten neugierigen Touristen die Kunst der Schnapsbrennerei näherzubringen. Inzwischen war das Routine für die Chefin. Die Führungen durch den Betrieb übernahm sie selbst, die Verkostung mit den dazu passenden Geschichten überließ sie ihrem Mann. Heute würde sie allerdings den Umtrunk übernehmen müssen. Ihr Gatte war schon seit Tagen auf einer Auslieferungstour und würde noch zwei weitere Tage bleiben, wie er ihr am gestrigen Abend telefonisch mitgeteilt hatte. Sophia hatte sich gewundert.

Länger als zwei Nächte blieb er selten weg, meistens nur, wenn er Auslieferungen auf dem Festland zu erledigen hatte. Diesmal war er lediglich nach Paros geschippert, ein Klacks und in 45 Minuten mit der Fähre zu schaffen. Daher war es ihr im ersten Moment seltsam vorgekommen. Er wolle ein paar neue Hotels abfahren, hatte er ihr als Begründung genannt und schnell ihre Verwunderung zerstreut. Ab Juli, mit dem Start in die Hauptferienzeit, war an solche Aktionen nicht mehr zu denken. Da wurde sein voller Einsatz im Betrieb erwartet.

Sophia betrachtete sich ein letztes Mal im Spiegel, frisierte ihre schwarze Mähne und korrigierte ihr Make-up. Sie war sehr darauf bedacht, nicht wie ein altes Mütterchen auf ihre Kunden zu wirken. Vielmehr lag ihr der moderne Auftritt einer Geschäftsfrau am Herzen, auch wenn es nur eine kleine Manufaktur war. Sie war stolz auf ihren kleinen Familienbetrieb und das verkörperte sie mit ihrem gesamten Auftreten. Für eine Frau Anfang fünfzig sah sie blendend aus.

Seitdem der Tourismus in Griechenland wieder boomte, kamen Menschen aus der ganzen Welt in das beschauliche Dorf. Ein Grund mehr für sie, einen fortschrittlichen Eindruck bei den Besuchern zu hinterlassen. In ihrem Kopf spielte sie eine Verkostung durch, rief sich ein paar Geschichten ihres Mannes in Erinnerung, da bemerkte sie die fehlenden Preislisten. Diese waren gerade überarbeitet und aus der Druckerei frisch angeliefert worden. Ein Karton stand ungeöffnet auf ihrem Schreibtisch.

Flink lief sie zurück und riss die Verpackung auf, dabei fielen ein paar Dokumente von ihrem Sekretär auf den Fußboden. Sophia bückte sich, um die Papiere zurück auf das Pult zu legen, als sie innehielt. Zwischen den Schriftstücken, die sich wild zerstreut auf dem Boden verteilt hatten, befand sich eine Klarsichthülle mit Versandadressen. Ein hellblauer Briefumschlag war aus der Hülle herausgerutscht und wirkte wie ein Fremdkörper zwischen den übrigen Standardbelegen. Intuitiv griff sie nach dem Umschlag, wollte trotz ihrer Eile wissen, was es mit dem Brief auf sich hatte.

Auf der Vorderseite bemerkte sie einen Adressaufkleber mit dem Namen ihres Mannes. Neugierig fingerte sie das Schriftstück aus dem geöffneten Umschlag. Sie strich den Din-A4-Bogen glatt und überflog mehrfach den Inhalt. Es war eine Einladung, ganz eindeutig. Der Brief musste schon vor einiger Zeit bei ihnen eingetroffen sein. Ein knapper Text in englischer Sprache, darunter ein Foto mit mehreren jungen Leuten drauf. Ihr verunsicherter Blick richtete sich auf einen Kalender, die Einladung war auf diese Woche datiert. Ihr Gehirn rotierte. Warum hatte ihr Mann ihr nichts davon erzählt? Irritiert wählte sie seine Handynummer, doch der Anruf landete auf seiner Mailbox.

Just in diesem Moment betraten die ersten Touristen ihren Betrieb.

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