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1.3.2 Das Ausüben von Macht im Rahmen der Therapie
ОглавлениеWenn ein Patient in einem Therapievertrag seine Bereitschaft zur Mitarbeit in der stationären Rehabilitation erklärt, unterwirft er sich damit mindestens zwei machtvollen Gegebenheiten:
Auf der Strukturseite übernimmt die Einrichtung es, die Forderungen des Kostenträgers nach „Erfolgsaussicht“ (Vereinbarung Abhängigkeitserkrankungen, 2001) und der „Verpflichtung zur Mitarbeit“ (Sozialgesetzbuch, 2004) zu verwirklichen. Diese Bedingungen sind für den Patienten unvermeidlich, solange er seine Behandlung vom Kostenträger bezahlt haben möchte. Die Einrichtung, also der Leistungserbringer, schafft zusätzlich noch weitere Strukturen, unter die der Patient sich unterwerfen muss (Therapievertrag, Hausregeln, siehe www.der-muendige-trinker.de/zum-buch/zusammenwirken-in-einer-klinik.html), wenn er denn in genau dieser Einrichtung seine Maßnahme zur Rehabilitation durchführen möchte.
Außerdem setzt der Patient sich der Bewertungsmacht der Mitarbeiter in der Einrichtung aus. Die aus der Selbstmanagement-Therapie (Kanfer, Reinecker & Schmelzer, 2000) abgeleiteten Prinzipien für das Vorgehen innerhalb des stationären Settings zielen darauf ab, die Machtausübung durch die Einrichtung und durch die Mitarbeiter der Einrichtung auf das geringstmögliche Niveau zu reduzieren.
Deshalb sind alle Mitarbeiter der Einrichtung gehalten,
für den Patienten jederzeit durchschaubar zu halten, welche Forderungen der Kostenträger und der Einrichtung zu welchen Einschränkungen der Grundrechte führen und
welche Beobachtungen zu welchen Bewertungen über den Patienten bzw. seinen Therapiestand geführt haben.
Aus der Einbindung des Leistungserbringers in rechtliche Verpflichtungen gegenüber den Kostenträgern und aus dem Setting ergeben sich für Mitarbeiter Gelegenheiten zur Ausübung struktureller Macht. Die Macht beginnt mit der Kontrolle der Anwesenheit im Haus oder in therapeutischen Sitzungen und endet noch lange nicht beim Durchführen von Alkoholtests.
Aus der Sicht des Patienten wird er einerseits angeregt, sein Leben eigenverantwortlich zu führen und andererseits wird er einem Regelwerk unterworfen. Die Praxis zeigt, dass das Regelwerk leichter akzeptiert wird, wenn für den Patienten durchschaubar ist, weshalb er sich welchen Einschränkungen unterwirft.
Wenn ein Patient verabredungswidrig außerhalb des Raucherraumes oder außerhalb der dafür vorgesehenen Zonen vor dem Haus geraucht hat, stehen demjeweiligen therapeutischen Mitarbeiter eine Unzahl von Interventionen zur Verfügung: Man kann sich persönlich enttäuscht zeigen, Betroffenheit zeigen über die Unvernunft oder den Verstoß gegen die Hausregeln spärlich kommentieren und sanktionieren usw., usw.
Der Bezugstherapeut kann aber auch in der nächsten Gruppensitzung noch einmal offen legen, dass die Regelungen zum Rauchen auf Setzungen ruhen, auf die das therapeutische Team keinen Einfluss hat.
Der Bezugstherapeut kann sich auch auf eine Diskussion einlassen, ob Forderungen der Kostenträger oder der staatlichen Aufsicht über Krankenhäuser zu diesen Setzungen führen oder ob der Träger der Einrichtung starkes Interesse hat, das Rauchen in der Fachklinik möglichst gering zu halten.
Man kann auch darüber diskutieren, ob die Setzung zum Ziel hat, ein vielleicht geringeres Risiko weiter zu verringern, dass Patienten zu Schaden kommen, weil jemand mit einer Zigarette im Bette einschlafen könnte. Und dass es möglicherweise ein günstiger Nebeneffekt ist, dass die Renovierungsfrequenz der Räume um einige Wochen verlängert werden kann. Die ersparten Mittel kämen der Therapie wieder zugute.
Die therapeutischen Mitarbeiter sollten es als ihre Aufgabe ansehen, in jeder Patientengeneration immer wieder die Gründe für die einschränkenden Settingbedingungen transparent zu machen. Die Praxis lehrt, dass die Häufigkeit solcher Informationsveranstaltungen stark abhängig ist von der Zusammensetzung der Bezugsgruppen; in manchen Zeiten ist eine solche Information alle 14 Tage nötig, in anderen Zeiten kann man sich vier Monate Zeit lassen, bevor über die grundsätzlichen Settingbedingungen wieder an herausragender Stelle informiert werden muss (siehe auch „Informationsvermittlung im Plenum bzw. Großgruppe“ Kapitel 6.6.9). Dabei ist immer wieder deutlich zu machen, dass die Settingbedingungen zuerst den Zweck haben, Therapie zu ermöglichen (Argument: Wir wollen die wirtschaftlichen Ressourcen der Einrichtung so einsetzen, dass möglichst viele Patienten möglichst viel Therapie machen können – wir wollen möglichst wenig Zeit und Geld für Kontrollen aufwenden. Das ist nur möglich, wenn sich jeder einzelne Patient bemüht, sich an die Settingbedingungen zu halten).
Idealerweise ist für den einzelnen Patienten deutlich, dass ein Mindestmaß an Kontrollen (und somit ein Ausüben von Macht) nötig ist, um den Betrieb aufrechtzuerhalten; auf keinen Fall haben die Mitarbeiter der Einrichtung ein besonderes Interesse an der Ausübung von Macht gegenüber dem einzelnen Patienten. Wenn die Anwesenheit bei Veranstaltungen erhoben wird, würden diese Daten zuerst als Information für den zuständigen Bezugstherapeuten dienen. Und der Bezugstherapeut würde die Information bewerten: Vielleicht hat er vergessen, dass sein Patient zu einem auswärtigen Zahnarzt-Termin angemeldet war oder er entscheidet, im Zimmer nachzuschauen, ob der Patient überraschend bettlägerig krank geworden ist. Alle Einschränkungen, auch die in den Hausregeln beschriebenen, denen der Patient sich in der Behandlung unterwirft, sollten lediglich helfen, Therapie zu organisieren. Weitere pädagogische oder therapeutische Erwartungen seien mit den Einschränkungen durch die Settingbedingungen nicht verbunden (siehe auch Hausregeln, www.der-muendige-trinker.de/zum-buch/zusammenwirken-in-einer-klinik.html).
Die Argumentation in Zusammenhang mit Alkoholtests läuft ganz ähnlich: Mit Hilfe dieser Kontrollen sei auf keinen Fall beabsichtigt, Abstinenz zu erzwingen. Man wisse ja, dass nicht einmal wesentlich schärfere Kontrollen, wie z.B. in Haftanstalten, zuverlässig einen Suchtmittelkonsum unterbinden könnten. Wenn die Einrichtung von Patienten die Durchführung von Alkoholtests fordert, hätte diese Settingbedingung eher die Funktion, die Aufmerksamkeit des einzelnen Patienten auf die Abstinenzbedingung des Therapievertrages zu lenken, insbesondere in Phasen schwankender Abstinenzentscheidung. Damit diese Aufmerksamkeit nicht nur zu Zeiten der Rückkunft in die Einrichtung (nach Ausgang oder nach Realitätstraining) hoch ist, wären Alkoholtests grundsätzlich zu jeder Tages- und Nachtzeit möglich.
Wenn in der Einrichtung relativ liberale Ausgangsregeln praktiziert werden (siehe Hausregeln, www.der-muendige-trinker.de/zum-buch/zusammenwirken-in-einer-klinik.html) und darüber hinaus einigermaßen großzügig Ausnahmen von diesen Ausgangsregeln verwirklicht werden, ist die Kontrolle der Anwesenheit besonders schwierig. Mit einer Mischung aus Kontrollen durch Mitarbeiter der Klinik, sozialer Kontrolle innerhalb der Patientenschaft und Appellen an die Eigenverantwortung ist auch dieser Bereich zu managen.
Diese Illustration ausnahmsweise „bös“ polemisch und unter Missachtung des Ringens um Political Correctness:
Es kann vorkommen, dass Patienten Zweifel an der Notwendigkeit bekunden, sich bei jedem Verlassen des Klinikgeländes im Stationszimmer abzumelden und sich nach Rückkehr wieder anzumelden und dabei einen Alkoholtest durchzuführen.
Sollte es mal brennen, wird gerne argumentiert, würden die Mitarbeiter der Einrichtung der Feuerwehr gerne Informationen geben können, ob unbedingt noch ein Patient aus dem Dachgeschoss zu retten wäre. Hier sei schließlich keine griechische Fähre, bei der im Fall eines Untergangs auch 14 Tage nach dem Unglück nicht klar wäre, wie viele Passagiere auf dem Schiff gewesen seien. Und wenn ein Patient unbedingt erproben möchte, ob er sich traut, alleine auf dem Marktplatz ein Eis zu bestellen und zu verzehren, könnte er sich auch abmelden; damit würde er auch dazu beitragen zu verhindern, dass im Falle einer fehlenden Abmeldung wegen seiner „Laxheit“ ein Feuerwehrmann nicht sein Leben riskieren müsste.
Wenn ein Patient im Rahmen des Realitätstrainings eine zusätzliche auswärtige Übernachtung wünscht, kann man als Mitarbeiter der Einrichtung ohne weiteres darauf hinweisen, dass die Kostenträger außerordentlich hohe Anforderungen stellen an Heimfahrten vor Ablauf einer bestimmten Zahl von Behandlungswochen oder zusätzliche Befreiungen von der Therapie.
Wenn ein Patient eine verkürzte Behandlungszeit wünscht und argumentiert, er sei im psychotherapeutischen Prozess besonders schnell fortgeschritten, wird der Bezugstherapeut Fakten einfordern, die diese Bewertung belegen (Woran können wir sehen, dass die Fortschritte so sind, wie sie Ihnen erscheinen?). Und es wird der Bezugstherapeut in bester verhaltenstherapeutischer Tradition seine eigene Einschätzung mit Operationalisierungen belegen.
In der hier beschriebenen Vorgehensweise ist der intendierte therapeutische Prozess (siehe Kapitel 6.4 „Der therapeutische Prozess wird verdeutlicht“) einschließlich der Operationalisierungen für alle Beteiligten transparent; deshalb ist die Abhängigkeit des Patienten von der Bewertungsmacht der Therapeuten in diesem Fall nicht sehr groß.
Wenn ein Patient in der dritten Behandlungswoche erklärt, er wollte nach Ende der vierten Behandlungswoche wegen seiner guten Erfolge vorzeitig die Behandlung beenden, ist relativ leicht zu prüfen, ob zum Zeitpunkt des Gesprächs z.B. ein Plausibles Modell zur Entwicklung und Bewältigung der Störung vorgelegt und bearbeitet worden ist und ob daraus individuelle Teiltherapieziele abgeleitet worden sind.
Wenn der Prozess bis zum Benennen von individuellen Teiltherapiezielen fortgeschritten ist, können sich bei dem Patienten und den Therapeuten durch aus unterschiedliche Bewertungen ergeben.
Wenn es z.B. zu den individuellen Teiltherapiezielen des Patienten gehörte, selbstsicherer zu werden, kann der bis dahin erreichte Erfolg von Patienten und von Bezugstherapeuten unterschiedlich bewertet werden.
In diesem Fall sind dann die Systeme zur Fehlerminimierung transparent zu halten, die eingesetzt werden.
Der Patient kann die eigene Einschätzung vergleichen mit der Einschätzung der anderen Mitglieder seiner Bezugsgruppe und der Therapeut kann seine Einschätzung mit der Einschätzung der anderen Mitglieder des therapeutischen Teams vergleichen. Das Ergebnis dieser beiden Prozesse zur Fehlerminimierung sollte dann in die gemeinsam zu erarbeitende Bewertung einfließen, ob das individuelle Therapieziel Verbesserung der Selbstsicherheit in ausreichendem Maße während der stationären Rehabilitationsphase angestrebt wurde.
Der Patient ist durch das Offenlegen der Ergebnisse aus den beiden Fehlerminimierungs-Prozessen weniger abhängig von der Bewertungsmacht seines Bezugstherapeuten.
Wenn z.B. die Einschätzung des Patienten, er habe sich während des Realitätstrainings um eine Steigerung seiner Selbstsicherheit bemüht, indem er konfliktträchtige Themen innerhalb der Familie angesprochen hätte und wenn diese Ergebnisse innerhalb des Realitätstrainings vom Patienten und dem Bezugstherapeuten jeweils gemeinsam geplant worden waren, wird es wenig Einwände gegen die Einschätzung des Patienten geben, dass er ein definiertes Therapieziel angestrebt hat und dass er auf seinem Weg zur Bewältigung seiner Störung bereits einige Erfolge gesammelt hat.
Wenn der Therapeut in einem solchen Fall nicht darauf hinweisen kann, dass aus dem Plausiblen Modell noch einige wichtigere Ziele anzustreben seien, sollte er in Abstimmung mit dem verantwortlichen Arzt den Entlassmodus „vorzeitig regulär“ für diesen Patienten festlegen und dem Wunsch des Patienten nach Behandlungsverkürzung entsprechen.
Wenn allerdings der Patient mit dem Verkürzungswunsch ein Plausibles Modell vorgelegt hat, das in den Fehlerminimierungs-Prozessen als unzulänglich bewertet wird, sollten diese Ergebnisse gemeinsam mit dem Patienten gesichtet werden. Die Zusammenschau der Bewertungen (Patient: gutes Plausibles Modell; Mitpatienten: schwaches Plausibles Modell; Bezugstherapeut: schwaches Plausibles Modell; Kleinteam bzw. Reha-Team: schwaches Plausibles Modell) führt dann zu der Entscheidung des Bezugstherapeuten, einer vorzeitig regulären Entlassung nicht zuzustimmen.
Das Sichten und das Besprechen der Ergebnisse von Fehlerminimierungs-Prozessen kann den Bezugstherapeuten nicht aus seiner Verantwortung zur eigenen Bewertung entlassen; er kann die Entscheidung nicht an die Gremien „Patientenschaft“ oder „Reha-Team“ delegieren. Er kann aber für den betroffenen Patienten transparent machen, auf welcher Grundlage er zu seiner Bewertung zum Therapiestand des Patienten kommt. Die Ausübung von Bewertungsmacht gegenüber dem Patienten wird auf diese Weise möglichst gering gehalten.
Der motivationale Status eines jeden Patienten wird in der Regel auch von Bedingungen bestimmt, die außerhalb seiner Entscheidung liegen. Manchmal scheinen diese Bedingungen derart bedeutsam zu sein, dass aus der Sicht von Mitarbeitern der Einrichtung die Vermutung begründet ist, der Patient wollte primär in Aussicht stehende Nachteile abwenden; möglicherweise würde er die Einrichtung in diesem Sinne funktionalisieren.
Aus der Tatsache der Anwesenheit des Patienten in der Einrichtung wird manchmal die Berechtigung abzuleiten versucht, mit detektivischem Ehrgeiz die extrinsischen Motivationsanteile zu sichten und dem Patienten möglicherweise nachzuweisen, dass er die Behandlung eigentlich gar nicht wolle.
Eine solche Vorgehensweise bedeutet ebenfalls Ausübung von Macht; insbesondere wenn sie die Willenserklärungen des Patienten nicht gebührend würdigt (Antrag auf Behandlung, Freiwilligkeitserklärung, Beschreibung der Motivation im Sozialbericht, Beschreibung der Motivation im ärztlichen Gutachten, Vorgespräch, Antritt der Therapie, Unterschrift unter den Therapievertrag usw.).
Deshalb ist eine solche Vorgehensweise grundsätzlich zu vermeiden; stattdessen wird in der beschriebenen Vorgehensweise nahezu ausschließlich mit der Implikation gearbeitet, der Patient hätte sich aus eigenem Antrieb für die Aufnahme der stationären Behandlung entschieden.
Wenn ein Patient in der Vorgeschichte in einem Gerichtsverfahren Rechenschaft über ein bestimmtes Verhalten abgelegt hatte und das Gericht in einem Urteil einer Haftstrafe ausgesprochen hatte und von der Vollstreckung dieser Strafe nur unter der Auflage abgesehen hatte, dass der Verurteilte sich einer Entwöhnungsbehandlung unterzieht, liegt die Vermutung schon mal nahe, dass für diesen Patienten das Durchlaufen des psychotherapeutischen Prozesses nicht allererste Priorität haben könnte.
Erfahrungsgemäß lassen sich die intrinsischen Motivationsanteile des Patienten eher stärken, wenn man in der Einrichtung mit der Implikation arbeitet, es sei vom Patienten ausgesprochen lebensklug, den Forderungen des Gerichtes zu folgen. Grundsätzlich hätte er ja auch die Freiheit gehabt, der Bewährungsauflage nicht zu folgen und in Haft zu gehen. Der Patient könne ja prüfen, ob eine professionelle Behandlung seiner Alkoholprobleme ohnehin angestanden hätte; durch die Intervention des Gerichtes hätte sich jetzt für den Patienten die Gelegenheit gegeben, sich zu diesem Zeitpunkt für eine Behandlung zu entscheiden.
Mit einer solchen Argumentation wäre gewissermaßen die Beweislast wieder beim Patienten: Er müsste deutlich machen, dass er keine Maßnahme zur Rehabilitation möchte. Diesem Wunsch wäre konsequenterweise dann auch zu entsprechen, wenn er denn formuliert wird. Auf gar keinen Fall sehen Mitarbeiter der therapeutischen Einrichtung es als ihre Aufgabe an, eine gerichtliche Entscheidung zu vollstrecken; das ist Aufgabe der Staatsanwaltschaft.
Wenn Mitarbeiter einer therapeutischen Einrichtung sich professionell damit beschäftigen, Patienten zu vermehrter eigenverantwortlicher Gestaltung ihres Lebens zu ermuntern, besteht die Gefahr, dass Sie einen Patienten vor Haft schützen wollen – dort wären ja die Bedingungen zur eigenverantwortlichen Gestaltung des Lebens außerordentlich gering. Wer die Macht der Argumente in diesem Sinne einsetzt, läuft Gefahr, vom Patienten als Einrichtung zur Haftvermeidung missbraucht zu werden. Diese Position ist unbedingt zu vermeiden.
Weniger eindeutig ist die Situation, wenn betriebliche Beratungsstellen oder Betriebsärzte im Auftrag von Arbeitgebern oder Dienstherren einen Patienten dringend zur Aufnahme einer Behandlung raten.
Manch ein Patient sieht zuerst das Machtgefälle zwischen seinem Arbeitgeber oder Dienstherrn und ihm selbst und erst an zweiter Stelle seine Chance zur Bewältigung oder Klärung eines Alkoholproblems. Aus der Sicht von Mitarbeitern einer Therapieeinrichtung kann es verführerisch sein, stellvertretend die Machtposition des Arbeitgebers oder Dienstherrn beziehungsweise seiner Repräsentanten wie z.B. betriebliche Beratungsstellen bzw. Betriebsarzt zu übernehmen – der Patient würde dann in der Einrichtung schon leichter „führbar“ sein. Aus der Sicht des beschriebenen Vorgehens ist auch diese Position von therapeutischen Mitarbeitern unbedingt zu vermeiden: Es bleibt die Entscheidung des Patienten, sich den Forderungen von außen zu beugen oder es bleiben zu lassen.
Aus der Sicht der Selbstmanagement-Therapie und aus der Sicht des beschriebenen Vorgehens kann es sogar ausgesprochen sinnvoll sein, die vermeintliche Ohnmacht des Patienten gegenüber Arbeitgeber oder Dienstherrn zu verringern, indem man ihn auf die Möglichkeit einer Rechtsberatung aufmerksam macht. Dann ist für den Patienten die Grundlage verbreitert, sich für oder gegen eine Behandlung zu entscheiden.
Die Machtausübung über Zugang zu Informationen ist ebenfalls nach Möglichkeit gering zu halten. In der Praxis wird es vermutlich nicht erreichbar sein, dass Patienten und Therapeuten über alle Belange der Therapie vollständig gleichberechtigt verhandeln; der Informationsvorsprung der therapeutischen Mitarbeiter durch Ausbildung und Erfahrung ist dafür einfach zu groß. Der Therapeut kann nur maßvoll umgehen mit seinem Informationsvorsprung und sich bemühen, dass die subjektive Sicht des Patienten möglichst wenig von Gefühlen der Ohnmacht bestimmt wird.