Читать книгу Der mündige Trinker - Peter Sadowski - Страница 7
1.1 Behandlungsbedürftigkeit und wirtschaftliche Ressourcen
ОглавлениеDem Vorgehen zu Grunde liegen Überlegungen, wie der Nutzen für Patienten unter Berücksichtigung der allgemeinen Situation des Gesundheitswesens und der gegenwärtigen wirtschaftlichen Situation zu optimieren sei. Die Gesundheitssysteme in Deutschland stehen unter dem Druck, Kosten einzusparen. Im europäischen Vergleich wird in Deutschland ein hoher Prozentsatz des Bruttoinlandsproduktes (10,8%) eingesetzt, um durchschnittliche Ergebnisse zu erzielen. Andere Länder, z.B. Finnland, erreichen solche Ergebnisse mit einem Einsatz von weniger als acht Prozent des Bruttoinlandsproduktes (Huber & Langbein, 2004). Im Zuge der Anpassung innereuropäischer Lebensbedingungen ist zu erwarten, dass sich das Gefälle zwischen den einzelnen Ländern verringern wird. Günstige Veränderungen der konjunkturellen Situation würden diesen Prozess höchstens verzögern.
Das Statistische Bundesamt hat im Juli 2004 veröffentlicht, dass der Anteil der Gesundheitskosten am Bruttoinlandsprodukt zwischen 1992 und 2002 von 10,1 % auf 11,1 % gestiegen sei (Statistisches Bundesamt, 2004)2. In dieser Veröffentlichung wurde auch der Druck illustriert, der sich aus der wandelnden Alters-Zusammensetzung der Gesellschaft ergeben wird: Knapp 43 % der Krankheitskosten würden auf die rund 17 % der Bevölkerung entfallen, die über 65 Jahre alt sind; bis zum Jahr 2050 sei eine Verdoppelung des Anteils der über 65Jährigen zu erwartet.
Die volkswirtschaftlichen Kosten von Alkoholabhängigkeit und Alkoholmissbrauch belaufen sich nach Einschätzung des Bundesgesundheitsministeriums zurzeit etwa auf 20,6 Milliarden Euro (Bühringer, 2000).
Auch wenn es erste Hinweise darauf gibt, dass der Konsum von Alkohol nicht weiter kontinuierlich steigt, sind immer noch bedenkliche Zahlen für einen riskanten Konsum oberhalb eines Grenzwertes von 20 g bzw. 30 g reinen Alkohols pro Tag für Frauen bzw. Männer festzustellen.
Die Drogenbeauftragte der Bundesregierung geht in ihren Bericht für das Jahr 2004 von 3,8 Millionen Männern und 1,7 Millionen Frauen aus, die in riskanter Weise Alkohol konsumieren (Die Drogenbeauftragte der Bundesregierung, 2004). Die Zahl der Fälle ist so groß, dass deutschlandweit von etwa 40.000 Todesfällen pro Jahr, als Folge des Alkoholkonsums, gesprochen wird (Bühringer et. al., 2000 spricht gar von 42.000 Personen, deren Tod direkt oder indirekt mit Alkohol in Verbindung steht).
Die Landesstelle zur Bekämpfung der Suchtgefahren in Mecklenburg-Vorpommern veröffentlicht regelmäßig Hinweise, dass die durchschnittliche Belastung der Bevölkerung in diesem Bundesland höher liegt als der bundesweite Durchschnitt.
Im Vergleich mit Deutschland hat Mecklenburg-Vorpommern vor allem in den jüngeren Altersgruppen eine drastisch erhöhte Krankenhaushäufigkeit im Bereich alkoholbezogener Erkrankungen – diese Aussage wiederholt sich jedes Jahr... In der Region Vorpommern lag der Anteil dieser Männer in der Altersgruppe der unter 40jährigen fast dreimal so hoch wie im Bundesdurchschnitt. Ein Indikator für den übermäßigen Alkoholkonsum der Bevölkerung in Mecklenburg-Vorpommern ist die Anzahl der Lebererkrankungen. 2002 waren 57% aller Krankenhausfälle bei den Männern wegen Lebererkrankungen alkoholbedingt (Frauen 36 %) (Landesstelle Mecklenburg-Vorpommern, 2003).
Es ist anzunehmen, dass eine kostengünstige und wirksame Therapie von den Kostenträgern und ihren Versicherten eher nachgefragt werden würde als eine Maßnahme, die im Vergleich einen höheren wirtschaftlichen Einsatz fordert.
Grundsätzlich beruhen die Überlegungen für eine Kombitherapie mit einer stationären und einer ambulanten Behandlungszeit darauf, dass es aus ethischer Sicht geboten ist, über möglichst wenig Lebenszeit der Patienten, durch eine stationäre Aufnahme und die damit verbundene Entkoppelung aus ihren sozialen Bezügen, zu verfügen.
Zum nachhaltigen Fördern von Eigenverantwortung kann sich jeder psychotherapeutische Tätige durch die in Art. 1 der Verfassung Deutschlands verankerte Unantastbarkeit der Würde des Menschen verpflichtet sehen (Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, 1949, zuletzt geändert 2002). Die Verpflichtung gilt auch dann, wenn es für den einen oder anderen Einzelnen bequemer ist, Verantwortung für die eigene Lebensgestaltung zu delegieren, statt sich um eine eigenverantwortliche Bewältigung der eigenen Lebensprobleme zu bemühen. Auch für den Einzelnen selbst bleibt die eigene Würde rechtlich unantastbar.
Aus der Sicht der Wirtschaftlichkeit bietet eine Kombi-Therapie mit stationärer und ambulanter Rehabilitationsphase einen weiteren Vorteil: Aus dem kostenintensiven stationären Setting lassen sich Therapieteile in das kostengünstigere ambulante Setting externalisieren.