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Therapiestrategien
Für das praktische Vorgehen lässt sich keine Handlungsanweisung für jeden einzelnen Fall festlegen; deshalb werden im Sinne von Generalklauseln übergeordnete Prinzipien formuliert, an denen sich die einzelnen Maßnahmen orientieren.
2.1 Übertragen von Verantwortung an Patienten
Die weiter vorne beschriebene Unklarheit über Entstehen und Bewältigung der individuellen Ausprägungen von Abhängigkeit wird vor dem Patienten offen gelegt. Daraus wird die Notwendigkeit abgeleitet, dass jeder einzelne Patient zukünftig für die eigene Entwicklung selbst Verantwortung übernehmen sollte. Außerdem wird verdeutlicht, dass diejenigen intrapersonalen Bedingungen, die die individuelle Abhängigkeitsentwicklung gestützt hatten, nur über einen länger währenden Prozess zu beeinflussen sind. Die Dauer dieses Prozesses übersteigt in der Regel die Dauer der professionellen Behandlung; auch diese Einschätzung wird dem Patienten vermittelt.
Es wird eine längere Zeit dauern, bis der einzelne Patient ein ausgewiesener Experte im Bewältigen seiner individuellen Alkoholabhängigkeit geworden ist. Dieser Sachverhalt wird für Patienten durch den Vergleich zwischen den üblichen Behandlungszeiten und Erfahrungen der Patienten über Zeiträume illustriert, die erforderlich sind, um komplexe Verhaltensweisen zu erarbeiten (Erwerb von Professionalität im Beruf, Unfallhäufigkeit und Fahrpraxis bei Neuerwerbern des Führerscheins, Skatspielen, Regattasegeln und ähnliche Beispiele aus der Lebenspraxis der jeweiligen Patientengruppe). Der Patient wird im Rahmen seiner gesamten Verantwortung für den weiteren Prozess, und auch für einzelne Teile innerhalb dieses Prozesses, zwangsläufig Verantwortung übernehmen.
Ein häufig diskutiertes Thema ist das Ausmaß an Offenheit, das der einzelne Patient in der Maßnahme zur stationären Rehabilitation praktiziert. Es ist schon leicht einsichtig, dass nicht jeder jederzeit alle beschämenden Einzelheiten seiner Vorgeschichte ausbreiten mag.
Es lässt sich leicht aus der Sicht des Lösens komplexer Probleme argumentieren, dass das zu lösende Problem möglichst genau benannt werden sollte, um dem benannten Problem Lösungsmöglichkeiten zuordnen zu können. Je genauer das Problem definiert ist, umso wahrscheinlicher ist es, adäquate Lösungsmöglichkeiten zu generieren. Dieses Prinzip ist dem einzelnen Patienten aus den psycho-edukativen Veranstaltungen Problemlöse-Training bekannt (siehe Kapitel 8.2). Das Werben um Offenheit beim Patienten bezieht sich auf Situationen, in denen getrunken wurde und auf diejenigen Gedanken und Gefühle, die dem Trinken vorausliefen. Und wenn der Patient nur Teile dieser Informationen in die Bezugsgruppe bringt oder mit den Mitpatienten diskutieren mag, sollte er wenigstens in therapeutischen Einzelgesprächen ein größeres Maß an Offenheit praktizieren.
Die Standardillustration für diese Notwendigkeit lautet: Es gibt buchstäblich nur einen einzigen Menschen auf dieser Welt, der die nachteiligen Folgen fehlender Offenheit tragen wird: eben derjenige Patient, der sich nicht zu ausreichender Offenheit durchringen kann.
Deftigeren Naturen, die möglicherweise auch noch zu Spielen wegen der Offenheit einladen, kann man es auch deftiger sagen: Der einzige Mensch, den Sie hier bescheißen können, sind Sie selbst.
Manchmal hat man als Therapeut Glück, dann benutzen Patienten solche Sprüche wie geflügelte Worte und schaffen auf diese Weise in Bezugsgruppen ein Klima großer Offenheit, ohne dass der Therapeut in diese Bedingungen noch zusätzlich viel Zeit in aufwändige Interventionen investieren müsste.6