Читать книгу Der mündige Trinker - Peter Sadowski - Страница 9
1.2.1 Modellannahmen über die Störungsentwicklung
ОглавлениеDas Behandlungskonzept der Fachklinik für Abhängigkeitsrehabilitation in der Johanna-Odebrecht-Stiftung (Sadowski & Kirchner, 2001) geht von zwei grundsätzlichen Annahmen im Zusammenhang mit der Entstehung der Störung aus: Zum einen wird der fortgeschrittene Zustand der Störungsentwicklung, der in der stationären Entwöhnungsbehandlung gesehen wird, in Zusammenhang gebracht mit Aspekten einer gestörten Selbststeuerung (Konsum trotz nachteiliger Folgen; ICD10, Dilling, Mombour, & Schmidt, 1991; ICD-10 GM 2004, DMDI und DSM IV, Saß, Wittchen, Zaudig & Houben, 2003).
Hinter dieser Annahme steht ein Menschenbild, nach dem es nicht erstrebenswert ist, sich fortdauernd zu schädigen; es wird davon ausgegangen, dass ein jeder grundsätzlich Interesse am körperlichen, psychischen und sozialen Wohlbefinden hat. Selbst wenn man sich eine solche Auffassung nur unter Bedenken zu Eigen machen wollte, wäre man zu einer solchen Haltung verpflichtet, solange man als Therapeut Leistungen für gesetzliche Kostenträger erbringt. Aus der Garantie des Grundgesetzes auf Achtung der Würde des Menschen und auf das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit ergibt sich diese Verpflichtung zwingend.
Aus dieser Annahme über die Störungsentwicklung folgt zwangsläufig, dass Patienten ein Angebot zur verbesserten Selbststeuerung zu machen ist.
Die zweite Annahme zur Störungsentwicklung ist, dass zur gestörten Selbststeuerung etwas hinzugetreten ist, was mit der erwarteten Wirkung des Suchtmittels Alkohol zu tun hat. Vereinfacht könnte man sagen, dass die erwartete Wirkung des Alkohols eine Funktion erfüllt hat. Die Funktion hatte sich entfaltet in Auseinandersetzung mit Lebenssituationen und der inneren Repräsentation (über Gedanken bzw. Gefühle) von Lebenssituationen oder in beidem. Der Wunsch nach der erwarteten Wirkung des Alkohols kann sowohl angestoßen worden sein über soziale Bedingungen als auch in Auseinandersetzung mit biologisch-physiologischen Aspekten.
Der Interventionspunkt aus der Sicht der Therapie wird aber immer die Verarbeitung der situativen Bedingungen bzw. der biologischen Gegebenheiten sein.
Kanfer, Reinecker und Schmelzer (2000) unterscheiden zwischen Alpha-, Beta-, und Gamma-Variablen, die auf das Erleben und Verhalten vom Menschen bestimmenden Einfluss ausüben. Im Zusammenhang mit dieser Arbeit werden die Beta-Variablen der Selbstmanagement-Therapie genauso angesehen wie die psychischen Bedingungen innerhalb eines bio-psycho-sozialen Krankheitsmodelles.
Wenn also aus der Sicht eines Patienten eine soziale Bedingung, wie z.B. Arbeitslosigkeit, eine bestimmende Rolle bei der Entwicklung seines Alkoholkonsums gespielt hat, wird man aus psychotherapeutischer Sicht die innere Repräsentation dieser sozialen Bedingungen, (das Erleben) also eine intrapsychische Variable, als vermittelnde Variable zwischen der sozialen Bedingung und dem Konsum von Alkohol festzumachen versuchen.
Ähnlich wird bei biologischen Bedingungen argumentiert: Wenn z.B. bei einem Individuum eine Imbalance zwischen bestimmten Neurotransmittern bestimmte Stimmungslagen fördern sollte, könnte möglicherweise eine Verordnung von z.B. Serotonin-(Noradrenalin)-Wiederaufnahme-Hemmern oder anderen Medikamenten eine Linderung nach sich ziehen. Möglicherweise hat dieses Individuum im Sinne einer Eigenmedikation auf diese biologische Bedingung mit dem Konsum von Alkohol Einfluss nehmen wollen.
Nach der psychotherapeutischen Logik der Selbstmanagement-Therapie wären die Folgen der biologischen Bedingung (der Imbalance von Neurotransmittern), also die unerwünschten Stimmungslagen, zuerst zu identifizieren. Dann wären zum Alkoholkonsum alternative Reaktionen zu entwickeln (z.B. Umbewerten, Aushalten, Beeinflussen der Stimmungslagen ohne den Konsum von zustandsverändernden Stoffen).
Die Option auf eine Medikation bleibt dabei grundsätzlich erhalten, wird aber als letzte Möglichkeit gesehen, wenn der Einfluss des Individuums zur anderweitigen Bewältigung der unerwünschten Stimmungslagen nicht ausreicht.