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Eheprobleme
ОглавлениеFrühstück bei den Alders. Sie besprachen den Tag, und – wie üblich – redeten die vier Brüder alle gleichzeitig, bzw. drei redeten gleichzeitig, während Doug, schon sonst kein großer Redner, sich in allen Tonarten ausschwieg.
„Ich hab‘ gehört, Du hast das Schlafzimmer der Robinsons schalldicht gekriegt, Ron,“sagte er endlich.
„War nicht leicht, aber Marge wollte es unbedingt,“erklärte Ron.„Warum?“
„Hey, Du hast einen Strohhalm im Haar,“fiel Mike jetzt auf.
„Hab‘ in der Scheune geschlafen,“brummte Doug.
„Und warum?“fragte Jack mit der ihm eigenen Feinfühligkeit.„Hattest wohl ’n Schäferstündchen, was?“
Feodora gab sich alle Mühe, diesmal nicht zu erröten, wurde aber gleich sabotiert.
„Ganz im Gegenteil, ihr Männer, liebe Brüder,“bellte Doug.„Ich hab‘ in der Scheune geschlafen, weil ihr alle sehr viel lauter wart, als es die Robinsons je gewesen sein können!“
Stille! Feodora fühlte, wie sie knallrot wurde, und sah mit Genugtuung, daß ihren Schwägerinnen das gleiche passierte.
„Ts, ts,“machte sie, indem sie Augusta und Valerie direkt anblickte.
„Und die lauteste von allen war komischerweise Feodora!“
„Ts, ts,“machten jetzt Augusta und Valerie.
„Nicht, daß die anderen viel leiser gewesen wären,“knatschte Doug lauthals weiter,„und wenn die einen gerade fertig waren, fingen die nächsten an.“Er stand auf und warf seine Serviette auf den Tisch.„Ich bin in der Stadt.“Er stapfte zur Tür, drehte sich nochmal um:„Und tut Euch keinen Zwang an, weil ich nämlich demnächst immer im Heu schlafen werde.“
Das Knallen der Tür verlieh seinen Worten einen gewissen Nachdruck.
Die Zurückgebliebenen blickten bestürzt vor sich auf den Tisch. Jack führte mit dem Löffel eine ziemlich komplizierte Operation auf dem Boden seiner Kaffeetasse durch.
„Würde mir wahrscheinlich genauso gehen,“meinte Mike und erntete zustimmendes Nicken und Gemurmel.
Jack richtete sich auf:„Es muß was passieren.“
„Könntest Du das Zimmer nicht auch schalldicht machen, Schatz?“fragte Feodora.
„Die Decke trägt das Gewicht nicht,“schüttelte Ron den Kopf.
„Außerdem ist das nicht das Problem,“stellte Augusta fest.„Doug braucht jemanden, um selber laut zu werden.“
„Eben,“sekundierte Valerie.„Aber wen?“
Für eine Viertelstunde war es am Frühstückstisch absolut still. Dann brachen alle auf in den Tag.
Augusta wollte eben die Tür ihres Klassenraumes öffnen, als Doreen herauskam und ihr einen Brief reichte.
„Von meiner Mum,“sagte sie nur.
Augusta öffnete den Brief und las ihn.
„Sag, Deiner Mum: Ja,“beschied sie Doreen. Doreen nickte und ging zurück ins Klassenzimmer. Ihre Lehrerin atmete tief durch und folgte ihr.
Arthur Robinson saß neben seiner Tochter in der Bank und wunderte sich einmal mehr über zweierlei. Die schöne Handschrift seiner Tochter, während sie in aller Eile mitschrieb, während seine eigene Sauklaue außer ihm wohl keiner lesen konnte, und wie interessant Mike unterrichten konnte. Die Kinder waren von der ersten bis zur letzten Minute gefesselt. Mike hatte einen kleinen Ball, den er immer dem Kind zuwarf, das antworten sollte. Arthur fühlte dabei häufig neben sich eine Hand zucken und lächelte. Der Ball würde wohl noch eine Weile heil bleiben.
Als die Uhr zwölf schlug, hatte Augusta ihren Unterricht beendet, hinterließ ihrer Schwägerin einen Zettel, daß sie sie später abholen würde, stieg in den hübschen Einspänner und fuhr los.
Vor dem Haus von Doreens Eltern hielt sie an und stieg aus. Doreens Mutter öffnete ihr die Tür und ließ sie hinein. Ihr Gesicht sah aus, … ja, es sah aus wie Valeries Gesicht, wenn sie es nach einem Heulkrampf notdürftig wieder hergerichtet hatte.
„Ich danke Ihnen sehr, daß sie gekommen sind,“begrüßte Calista Summer ihren Gast.
„Ihr Brief war sehr drängend,“antwortete Augusta.
„Bitte setzen sie sich doch.“
Augusta setzte sich, während ihre Gastgeberin den Kaffee servierte. Danach schlürften sie beide an ihren Tassen, bis Calista wieder das Wort ergriff.
„Ich weiß nicht, wo ich anfangen soll,“gestand sie.
„Am besten mit dem unmittelbaren Grund für Ihren Brief,“riet Augusta ruhiger, als sie innerlich war.
„Das war ein heftiger Streit zwischen meinem Mann und mir,“eröffnete Calista.
„Worüber?“
„Das fällt mir schon schwerer,“lächelte Calista tapfer, aber in ihren Augen sammelte sich das Wasser. Augusta wartete einfach.
„Wie Sie sich sicher denken können, Mrs. Alder,“versteckte Calista sich hinter Formalismen,„hat es etwas mit Ihren … ähm …“Sie verstummte.
„…professionellen Erfahrungen zu tun,“half Augusta ihr.
„Äh … richtig,“bestätigte Calista erleichtert.
„Und ich nehme an, es hat nichts mit meinen Erfahrungen als Lehrerin zu tun,“umschrieb Augusta vorsichtig.
Wieder stille Tränen von ihrem Gegenüber. Augusta wartete weiter, aber es half nichts.
„Er ist ein häufiger Gast im Saloon,“stellte sie schlichtweg fest.
Calista nickte. Sie nahm eine Photographie vom Sideboard. Offensichtlich ihr Hochzeitsphoto.
„Das ist Rupert,“sagte sie, und Augustas Herz setzte für einen Moment buchstäblich aus. Den kannte sie! Augusta hatte ihr Gesicht zwar schnell wieder im Griff, aber Calista mußte etwas gesehen haben.
„Genau … deshalb … bat … ich … Sie …“Sie kam nicht weiter. Die Tränen erstickten alles.
Augusta gingen hundert Dinge gleichzeitig durch den Kopf. Am liebsten wäre sie geflüchtet, brachte es aber nicht fertig. Ihr Mann sollte einmal den Satz „Wir Alders laufen nicht mehr weg!“ geprägt haben. Nun gut, sie war eine Alder.
„Wie oft ist er dort?“fragte sie. Entweder wollte Mrs. Summer wirklich Hilfe, oder sie schmiß sie jetzt 'raus.
„Dreimal die Woche,“schluchzte Calista.„Das ist es ja. Zwölf Dollar im Monat!“Wieder Tränen.„Dazu die Demütigung!“
Augusta pfiff leise durch die Zähne. Zwölf Dollar im Monat konnten einer Durchschnittsfamilie das Genick brechen.
„Wir stehen kurz vor der Pleite, weil ich … weil ich,“suchte Calista nach Worten, faßte dann einen Entschluß,„ … die Beine nicht auseinanderkriege.“
Von ihren ehemaligen Kolleginnen wäre Augusta wohl nicht geschockt gewesen, hier war sie es. Trotzdem nahm sie ihre Gastgeberin ersteinmal in den Arm, ließ sie sich ausweinen.
„Aber Sie haben doch Kinder,“bemerkte Augusta nach einer Weile.
„Und die sind auch nicht adoptiert,“lachte Calista bitter.
„Aber wieso …?“Augusta war jetzt etwas verwirrt.
„Ich … ich… konnte einfach nicht mehr.“Wieder Tränen.
„Was lief schief?“
„Ich weiß nicht,“schniefte Calista,„jedenfalls nicht so richtig. Nach der Geburt meines Sohnes fiel es mir einfach immer schwerer.“
„Verzeihen Sie mir,“bat Augusta,„aber ich muß diese Frage stellen.“
„Ich hätte Sie ja sonst kaum hergebeten,“lächelte Calista schwach.„Ich hatte eher Angst, Sie würden nicht kommen.“
„Ich bin kurz davor, wegzulaufen,“gab Augusta ehrlich zu,„vor mir selbst.“
Das entlockte Calista ein breiteres Lächeln. Sie entspannte sich etwas.
„War Ihr Mann grob oder lieblos, oder …?“Ihr fiel nicht mehr ein.
„Nein,“antwortete Calista halb empört, halb beschämt.„Rupert war immer sanft und liebevoll, ein guter Ehemann.“
Augusta hörte einfach zu.
„Mein Mädchenname ist Winter,“fuhr Calista fort,„und Rupert zog mich immer damit auf, daß er mich schon auftauen würde.“Die letzten Worte wären beinahe in Tränen erstickt worden.„Wie Recht er hatte!“
„Fiel es ihnen vorher leichter, sich … hinzugeben?“
„Hingegeben habe ich mich eigentlich nie,“antwortete Calista.„Ich wollte es vielleicht, aber mich mit Freuden den Freuden hinzugeben, habe ich nie geschafft.“
„Das klingt so nach …,“Augusta war vorsichtig. Sie wußte, daß sie sich auf dünnes Eis begab.
„ … Arbeit?“begriff Calista und lachte bitter.„Von dieser Seite betrachtet, haben Sie Recht. Es war jedesmal eine Riesenanstrengung, Rupert überhaupt 'ranzulassen. Nichts von Freude oder Entspannung.“Wieder Tränen.„Und wenn es so aussah, dann war es nur gespielt.“Bitteres Lachen.„Zumindest die ersten Jahre hat er‘s nicht 'mal gemerkt.“
„Das kenne ich irgendwoher,“bemerkte Augusta trocken und erschrak. Sie hatte es eigentlich zurückhalten wollen. Calistas Gesicht war ein einziges Fragezeichen. Augusta kämpfte mit sich selbst. Der Drang, wegzulaufen, wurde immer stärker. Calista erwartete eine Antwort, verdiente sie sogar, aber Augusta hatte Angst vor der Reaktion.
„Sehen Sie,“begann sie vorsichtig,„genauso habe ich es jahrelang gemacht, in … meinem …“
„ … früheren Leben?“vollendete Calista den Satz, plötzlich wohl verstehend.
„Haben Sie sich die Lust verboten, wenn sie sich zeigte?“fragte Augusta vorsichtig.
Calista nickte nur.
„War es wie die Erfüllung einer lästigen Pflicht?“
Sie nickte wieder. In ihren Augen sah Augusta Verstehen.
„Aber warum, verd…?“fuhr Augusta aus der Haut.„Ich hab’s gemacht, weil ich professionell sein mußte, weil ich mir nicht erlauben durfte, die Männer, die bei mir waren, zu lieben, ohne kaputtzugehen.“Jetzt liefen auch bei Augusta die Tränen.„Aber Sie sind die Ehefrau. Das ist der Mann, den sie lieben. Warum, zum T… reagieren sie wie eine gottverd… Nutte, die nur ihren Job macht?“Sie hatte nicht geschrien, war sogar immer leiser geworden und sah Calista jetzt durch einen Tränenvorhang an.„Ich,“sie zeigte mit dem Finger auf sich selbst,„muß jetzt lernen, meine Gefühle zuzulassen, und ich bin froh, daß ich das darf, auch wenn …“Das war jetzt harte Währung, aber die andere hatte sich geöffnet und verdiente Ehrlichkeit.„ … diese Sexplosionen meinen Mann manchmal überfordern.“
Calista atmete schwer, in ihrem Gesicht kämpften Wut, Trauer und sonst einiges, das Augusta nicht ergründen konnte. Sie wäre über einen Angriff nicht verwundert gewesen.
‚Und wenn schon,‘kam ihr der aberwitzige Gedanke.‚Bin eben jetzt eine Alder. Prügeleien gehören wohl dazu.‘
Am Ende sackte Calista einfach nur in sich zusammen. Mindestens eine Viertelstunde saß sie da und sagte garnichts.
Doreen steckte ihren Kopf zur Tür hinein.
„Mum, darf ich …?“
„Geh nur, Doreen,“war Augusta in dem Moment froh, sie ohne Probleme wegschicken zu können,„und nimm Deinen Bruder mit zu einem Freund.“
„Da ist er doch schon bis heute Abend,“antwortete das Mädchen.
„Dann ist es gut.“Augusta gab die Lehrerin, obwohl sie sich fühlte, als hätte sie gerade eine Nacht im Saloon hinter sich gebracht. Doreen verschwand, und Augusta hörte die Tür.
„Danke,“hauchte Calista nur, sammelte Mut für die nächste Frage:„Machen das die … Professionellen etwa genauso?“
Augusta nickte, suchte die richtigen Worte.
„Mehr oder weniger,“sagte sie.„Manche Männer sind natürlich angenehmer als andere, aber am Ende muß man sich in sich zurückziehen, um nicht noch mehr Schaden zu nehmen.“
„Verzeihung,“fand Calista jetzt die Sprache wieder,„aber ich muß das wissen. Wie war es bei … Rupert?“
Augusta spannte schon die Muskeln, um aufzuspringen, aber ihre Beine versagten ihr den Dienst. Sie dachte angestrengt nach.
„Ich denke,“wieder überdeckte die Professionalität das dünne Eis und reagierte auf den flehenden Blick von Calista,„daß er der Typ Mann war, der einfach nur den inneren Druck loswerden mußte.“Calista schien nicht zu verstehen.„Er hätte mehr gekonnt, als er gekauft hat.“Augusta wurde immer leiser.„Es erschien mir immer als eine … Notlösung.“Auch Augustas Gesicht zerfloß jetzt. Ein Teil ihrer selbst betrachtete sie von außerhalb. Dieser Teil war sehr verwundert. Warum passierte das alles? Warum weinte sie jetzt? Fühlte sie wirklich mit dieser Frau, deren Ehemann sie gehabt hatte?
Augusta fand wieder zurück ins hier und jetzt. Calista saß ihr gegenüber, weinte zwar nicht mehr, aber ihr Gesicht offenbarte nur Unsicherheit.
„Sie meinen, er … er … macht das nur, weil er …“
Augusta nickte:„Wahrscheinlich hält er den Druck nicht mehr aus.“Sie atmete tief durch.„Oder er glaubt es zumindest.“Sie suchte mit den Augen eine Bibel und wünschte für einen Augenblick Valerie an ihre Seite. Endlich entdeckte sie eine Bibel im Regal und griff danach. Calista machte große Augen, während Augusta den betreffenden Vers suchte. Nie war Valerie da, wenn man sie brauchte! Endlich fand sie die Stelle und zeigte sie ihrer Gastgeberin.
„Die meisten Männer brauchen den ehelichen Verkehr, um Gott auch nur gehorsam sein zu können.“Calistas Gesicht war ein einziges Fragezeichen, und Augusta legte nach:„Was meinen Sie, wieviele katholische Priester ich in den letzten vier Jahren hatte?“
Die brutale Offenheit schockte Calista, daß konnte man sehen.
„Und, um es ganz klar zu sagen,“fuhr Augusta fort,„seine Lösung war nicht richtig, auch wenn ich einige Male davon profitiert habe.“Nun war es also endlich klar heraus. Augusta fühlte sich erleichtert.„Wahrscheinlich war ich auch nur die Notlösung der Notlösung. Normalerweise bevorzugte er …“Die Worte blieben ihr im Hals stecken.
„Bitte,“flehte Calista.„Ich werde diskret sein.“
„ … Mrs. Granger-Ford,“beendete Augusta den Satz.„Die jetzige, meine ich.“
Calista brach vor Lachen fast zusammen. Irgendwann bemerkte sie Augustas verblüfftes Gesicht und erklärte:„Verzeihung, aber sich Hermine Granger-Ford als Prostituierte vorzustellen, …“Mehr mußte sie nicht sagen. Das Bild, das dazu vor Augustas Augen aufstieg, reichte.
Nach einer halben Stunde hilflosen Gelächters nahm Augusta sich zusammen.
„Soll ich Ihnen einen Rat geben?“
„Natürlich, immer,“lächelte Calista irgendwie erleichtert.
„Stehen Sie bitte auf.“
Calista stellte sich hin. Augusta betrachtete sie von allen Seiten, nickte mehrmals.
„Dachte es mir,“lächelte sie.„Wissen Sie eigentlich, wie ähnlich Sie Mrs. Granger-Ford sind?“Sie mußte wieder einen Lachanfall unterdrücken.„Figur, Haarfarbe, Gesichtsform, alles stimmt.“
„Sie meinen …?“fragte Calista jetzt erstaunt.
„Er hat vielleicht immer nur Sie gesucht.“
Calista nickte. Sie weinte zwar nicht mehr, begriff aber offenbar immer mehr.
„Das heißt aber auch,“wurde Augusta jetzt deutlich,„daß Sie Rupert eigentlich so leicht zurückbekommen können,“sie schnippte mit den Fingern,„wenn Sie es wollen.“Sie zögerte noch einmal, gab sich einen Ruck.„Im Saloon gibt es nämlich im Moment keine, die es auch nur ansatzweise mit Ihnen aufnehmen könnte.“
Calista brachte ein schiefes Lächeln zustande, daß sofort einem besorgten Gesicht wich.
„Wenn ich doch nur so könnte, wie ich wollte.“Keine Klage, keine Frage. Irgendetwas zwischen Feststellung und Hilflosigkeit.
„Was hält Sie denn zurück?“fragte Augusta jetzt direkt.
Calista ließ sich Zeit mit der Antwort.
„Immer, wenn wir …“
Augusta nickte nur.
„ … stieg in mir das Bild meiner Mutter auf.“
„Warum?“
Calista atmete tief durch:„Ich bin das letzte von vier Kindern. Zwei Schwestern und ein Bruder, in dieser Reihenfolge.“
Augusta:„Ist das von Bedeutung?“
Calista überhörte die Frage, sprach einfach weiter:„Meine Mutter vertrat immer die Ansicht, daß der eheliche Verkehr nur der Zeugung von Kindern dienen dürfe.“Sie machte eine Pause.„Auch gegenüber mir.“
„War sie der Überzeugung, eine Frau hätte ihrem Mann Söhne zu schenken?“
Calista nickte:„Und ich war wohl ein Unfall. Jedenfalls ließ sie mich das spüren.“
„Und Ihr Vater?“
„Hat wohl irgendwann resigniert.“Calista schluchzte.„Er war keine Hilfe.“Das Heulen ging wieder los.„Und ich hatte so gehofft, mit Rupert würde das Leben anders werden.“
Augusta nahm sie wieder in den Arm, hielt ihre Hand und wünschte sich jetzt Ethel Merman herbei. Sie dachte dabei an Wilma Perkins und Dorothy Montgomery: Wieviele davon gab es noch, um Himmels willen?
„Ganz egal, was Ihre Mutter gesagt hat,“hörte sie sich jetzt sagen,„in der Bibel steht, daß Gott uns liebt.“Sie atmete tief durch.„Und daß wir einander lieben dürfen.“Augusta dachte an ihren Vater und seine Lehren, war zum ersten Mal dankbar, daß er ihr eine Grundlage gelegt hatte, auch wenn er jetzt wahrscheinlich schockiert gewesen wäre.„Die Bibel beschreibt die Ehe als ‚ein Fleisch sein‘,“lächelte sie,„und Untreue ist der einzige Grund zur Scheidung.“
Calista blickte auf.
„Sie haben jedes Recht, Ihren Mann 'rauszuschmeißen,“fuhr Augusta fort,„aber es wird Ihnen mit jedem anderen Mann genauso ergehen.“
Calista erkannte die schmerzhafte Wahrheit dieser Worte.
„Wollen Sie, daß sich etwas ändert?“
„Ich … ich will, daß sich alles ändert,“brach es aus Calista hervor.
„Dann lasse ich Ihnen jetzt Zeit zum Gebet, während ich ein paar Dinge besorge.“Augusta stand auf, bemerkte den flehenden Blick.
„Keine Angst,“lächelte sie,„Mrs. Granger-Ford ist Diskretion genauso gewohnt wie ich. Und ich werde keine Namen nennen.“
Calista zwang sich zu einem Lächeln, während Augusta zur Tür strebte.
Das Schminkzeug im Laden war noch das kleinste Problem. Valeries Bedarf war Joe bestens bekannt. Augusta packte alles in ihren Einkaufskorb und verließ den Laden in Richtung Jacqueline.
Dort mußte sie allerdings einige Male klopfen, bis sich die Tür einen Spalt breit öffnete.
„Ach, Du bist es,“sagte Jacqueline und ließ Augusta herein.
Drinnen machte Augusta große Augen. Die Vorhänge waren zugezogen, vor den Lampen rote Papierschirme, und Jacqueline hätte in ihrem Aufzug auch genausogut arbeiten gehen können.
„Wie siehst Du denn aus?“fragte Augusta.
„Könnte ich auch fragen, Frau Lehrerin,“schoß Jacqueline lächelnd zurück.„So hochkorrekt habe ich Dich jedenfalls selten gesehen.“
„Na, ja,“grinste Augusta verlegen.
„Und ich muß etwas möglicherweise Heikles mit meinem Ehemann besprechen,“gab Jacqueline zu. Augusta lächelte verständnisvoll.
„Ich bin gerade beim Kochen,“verriet Jacqueline.„Sag 'mal, weißt Du … ?“
„Ich brauch‘ Deine diskrete Hilfe,“unterbrach Augusta sie.
„Meine diskrete Hilfe?“fragte Jacqueline verwundert.
„Ja, ich brauch‘ ein paar von Deinen Fummeln.“
„Aber die passen Dir doch garnicht.“
„Nicht für mich, Du …,“Augusta zwang sich zur Ruhe,„sondern für jemanden, dem sie passen.“
„Und wen?“fragte Jacqueline mißtrauisch.
„Ich habe Diskretion versprochen,“grinste Augusta um Verständnis bittend.
„Hm.“Jacqueline verschränkte die Arme.
„Bitte, Jackie,“bat Augusta,„ich bin dabei, eine Ehe zu retten.“
„Eher ungewöhnlich für eine von uns,“lächelte Jacqueline jetzt milde.
„Weißt, Du, wie Valerie mich nennt?“
„Nein, wie denn?“
„Mitschlampe.“
Jacqueline lachte so hell, wie ihre dunkle Stimme es zuließ.
„Und jetzt bittest Du die dritte Mitschlampe, Dir zu helfen, eine Nichtschlampe so schlampenmäßig herzurichten, daß ihr Ehemann die Finger von den anderen Mitschlampen läßt?“fragte Jacqueline grinsend.
„Genau so,“bestätigte Augusta mit einem breitem Grinsen.
„Und wieso fragt sie ausgerechnet Dich?“
Augusta rieb sich das Kinn.
„Stimmt,“lächelte sie,„Du wärst eigentlich die richtige Beraterin gewesen. Ich hatte ihn nur zweimal.“
„Uuups,“ließ Jacqueline die Sache auf sich beruhen.„Komm mit.“
Sie führte ihre ehemalige Kollegin in ihr Schlafzimmer, öffnete einen Schrank und legte mehrere wunderschöne Sets und dazu passende Kleider heraus.
„Hier, kann sie geschenkt haben.“Auf Augustas fragenden Blick, setzte sie hinzu:„Julius mag die Farben nicht. Zu kalt.“
Augusta besah sich die Stücke genauer. Blau, violett, grün und türkis, was wunderbar zu Calistas Augen paßte. Jacqueline öffnete einen anderen Schrank.
„Und hier sind die passenden Schuhe.“
„Du bist ein Engel!“
„Nö,“grinste die Gelobte,„nur 'ne Hure, die reich geheiratet hat.“
Jetzt mußte Augusta lachen, packte auch diese Sachen in ihren großen Korb und deckte ein Tuch darüber.
„Kennst Du Dich mit Braten …?“fiel Jacqueline ein, als sie schon an der Tür waren, aber Augusta hörte sie schon nicht mehr.
Augusta legte die Strecke zum Summer-Haus in Rekordzeit zurück. Jacqueline Tipps fürs Kochen zu geben, war hoffnungslos, und sie wollte nicht die Schuldige sein, wenn der geplante Betörungsversuch schiefging.
Calista öffnete die Tür, ließ Augusta ein.
„Was haben Sie da?“
„Die Lösung ihrer Probleme, wenn Sie sich endlich von ihrer Mutter lösen.“
„Ich bin hier,“lächelte Calista tapfer.
„Ein guter Anfang.“Augusta breitete den Inhalt des Korbes aus dem Tisch auf. Calista atmete scharf ein, sagte aber nichts.
„Ich finde, Türkis paßt ganz wunderbar zu Ihren Augen.
Calista lächelte unsicher und faßte das Kostüm mit den Fingerspitzen an. Langsam und vorsichtig betastete sie es.
„Nur Stoff,“war ihre Feststellung. Augusta verdrehte kurz die Augen.
„Was denn sonst?“fragte sie.„Irgendeine dämonische Materie?“
„Sie haben Recht,“lächelte Calista überrascht.„Es passiert alles im Kopf.“Die Erkenntnis hatte sie offenbar so überwältigt, daß sie einige Minuten kein Glied rührte. Dann zog sie die Vorhänge zu, verschloß die Haustüre und fing an, sich langsam und methodisch auszuziehen. Stück für Stück ihrer Kleidung wurde sauber und ordentlich gefalten über einen Stuhl gelegt. Sie ließ sich Zeit damit.
‚Das richtige Ausziehen muß sie erst noch lernen,‘schoß es Augusta durch den Kopf. Sie rief sich zur Ordnung. Calista sollte nicht im Saloon arbeiten.
Als sie völlig nackt dastand, schaute Calista sich im Spiegel im Hausflur an und nickte. Offenbar merkte sie erst jetzt, was sie einem Mann – ihrem Mann – zu bieten hatte. Dann nahm sie zuerst die Strümpfe und zog sie an. Das ging offensichtlich leicht. Danach überlegte Calista einen Augenblick, nahm dann zögernd die langen Handschuhe. Schließlich blieb nur noch das Corsagenkostüm übrig. Sie nahm es, öffnete langsam die Häkchen. Ihre Hände zitterten. Augusta ließ sie machen, wartete ruhig ab. Schließlich stieg Calista ins Kostüm und hakte es mit Hilfe des Spiegels alleine zu. Augusta war beeindruckt. Im Saloon hatten sie sich immer gegenseitig helfen müssen. Calista atmete tief durch.
„Es ist so … so ungewohnt,“stellte sie fest, obwohl sie auch unter ihrem Alltagskleid ein Korsett getragen hatte.„Und in diesem … diesem Aufzug hat Mrs. Granger-Ford … gearbeitet?“
Augusta nickte:„Ziehen Sie auch die Schuhe an.“
Calista tat es, besah sich dann noch einmal im Spiegel, drehte sich um die eigene Achse und wäre beinahe gestolpert.
„Die Schuhe sind so anders.“
„Weiß ich,“lächelte Augusta und stöckelte ihr etwas vor.„Sehen sie, so geht das.“
Calista war eine folgsame Schülerin. Schon nach wenigen Minuten hatte sie den Bogen 'raus. Dann half Augusta ihr mit dem passenden Kleid, zeigte ihr, wie sie es schnell loswurde. Auch das brauchte nicht viel Übung.
Augusta bugsierte ihre Schülerin ins Schlafzimmer an den Frisiertisch. Dort kamen zunächst die Haare an die Reihe und nach den Haaren das Gesicht. Einige passende Schmuckstücke waren auch schnell gefunden. Dann schrieb Calista ein paar Zeilen, während Augusta Sachen für Doreen und ihren Bruder zusammenpackte. Zum Schluß steckte Augusta Calista noch eine Blume ins Haar.
„Und jetzt viel Glück,“wünschte sie der immernoch etwas unsicheren Calista.„Ich habe Ihnen alles gesagt, was ich weiß.“
Calista lächelte:„Danke.“
„Danken Sie mir, wenn’s geklappt hat.“
Augusta verschwand genau in dem Moment durch die Hintertür, in dem Rupert Summer die Vordertür mit seinem Schlüssel öffnete. Calista schlug das Herz bis zum Hals. Sie trat auf ihren Mann zu, umarmte ihn, und zum ersten Mal in dreizehn Jahren Ehe öffnete sie Ihre Lippen, um seine Zunge einzulassen.
Als Julius seine Haustür hinter sich schloß, begrüßte ihn ein lautes „Mist!“ aus der Küche. Er schaute um die Ecke, als seine Frau auch schon ankam und ihn zärtlich begrüßte. Den Grund für ihre harten Worte konnte er riechen. Jacqueline, die sein Schnüffeln bemerkt hatte, trat zerknirscht zurück und gab den Blick auf den verkohlten Braten frei.
„Ich tauge wohl nicht zur Hausfrau,“meinte sie mit dem traurigsten Gesicht, das er an ihr kannte.„Und dabei wollte ich heute Abend alles perfekt machen. Du solltest nach Hause kommen, und …“
Julius holte ein Tranchiermesser, entfernte die verbrannten Schichten vom Braten, probierte ein Stück des Restes.
„Mmmh,“war sein einziger Kommentar. Jacqueline kuschelte sich an ihn.
„Du bist so lieb.“
Er trug den Braten ins Esszimmer, wo schon Kerzen brannten, eine Flasche Wein auf den Öffner wartete, der Tisch festlich gedeckt war. Dann führte er seine Frau ins Wohnzimmer, setzte sich in seinen Sessel und seine Frau auf seinen Schoß, zog sie an sich.
„Wenn ich eine Köchin oder Putzfrau hätte haben wollen,“begann er,„dann hätte ich eine eingestellt.“
Jacqueline verzog das Gesicht:„Ich will aber nicht, …“
„ …, daß sie über Dich sagen:‚Sie hat’s nicht mehr nötig.‘“
„Auch, aber ich möchte noch weniger, daß Du …“
„Daß ich denke, Du hättest mich des Geldes wegen geheiratet?“Er atmete tief durch.„Jetzt hör mir 'mal zu.“Sie war ganz Ohr.„Früher kam ich nach Hause, es war perfekt gekocht, aber es hat mir nichts geschmeckt. Die Bettwäsche wurde alle zwei Tage gewechselt, und ich habe trotzdem selbst im Hochsommer vor Kälte fast nicht schlafen können. Meine Hemden waren perfekt gebügelt und gestärkt, und ich habe mich nie in meiner Haut wohlgefühlt. Sie war die perfekte Haushälterin.“Er ließ alle Luft entweichen.„Aber eben nicht mehr. Nie Kerzen auf dem Tisch, nie sich hübsch machen für mich und keinen … Du weißt schon.“Sie verzichtete auf einen drastischen Kommentar, ließ ihn weiterreden.„Jede Nacht mit Dir war warm, von Anfang an. Beim Frühstück war der Toast angekokelt und der Kaffee, na ja.“Er verzog das Gesicht.„Aber es hat mir trotzdem geschmeckt, damals im Saloon.“Er blickte ihr direkt in die Augen.„Und jetzt machst Du mein Dasein zu einem Leben.“
Mit einer einzigen fließenden Bewegung stand er auf, trug sie ins Eßzimmer. Jacqueline war immer wieder erstaunt, wie leicht es dieser schmächtige Mann schaffte, sie durch die Gegend zu tragen. Er setzte sie ab, zog ihren Stuhl zurück, war immer der perfekte Gentleman und kniff sie beim Setzen in den Po.
Julius aß mit einem Appetit, daß seine Frau sich fragte, wo er diese Mengen ließ. Vom Wein tranken sie nur mäßig. Nach dem Essen war immernoch die Hälfte der Flasche übrig, und Jacqueline stand auf und trat von hinten an ihren Mann heran, umarmte ihn. Julius entspannte sich.
„Weißt Du, Schatz,“fing sie an,„ich habe ja schon in einigen Städten gearbeitet.“
„Und?“fragte er, neugierig auf den Grund dieses heiklen Themas, das sie sonst nicht anschnitt.
„Weißt Du, was in den größeren Städten das Schlimmste war?“
„Die Männer?“
„Auch,“wehrte sie ab.„In Kleinstädten sind die Männer meist besser erzogen und nicht so roh wie Fabrikarbeiter oder Matrosen.“Sie machte eine Pause.„Das eigentlich Schlimmste war die Zeit zwischen den Männern, wenn ich abends von meinem Fenster auf die Straße gesehen habe.“Sie machte eine längere Pause.„Unten auf der Straße flanierten die Ehepaare. Die wohlhabenden auf dem Weg ins Theater oder die Oper, die ärmeren auf dem Weg in den Zirkus oder einfach nur auf einem Abendspaziergang, aber immer gemeinsam, während ich wußte, daß auch der nächste Mann wieder gehen würde.“
Julius stand auf, küßte seine Frau.
„Du möchtest, daß wir mehr gemeinsam unternehmen?“
Sie nickte.
Er machte ein betretenes Gesicht:„Ich fürchte, daß ich da sehr wenig Erfahrung habe. Entschuldige bitte, ich habe so etwas nie gelernt, und meine Eltern waren mir auch kein Vorbild, wie Du weißt.“Sie sah, daß er sich schämte.„Mit Du-weißt-schon-wem …“
‚Nicht 'mal ihren Namen nimmt er noch den Mund,‘fiel Jacqueline auf.
„… wäre ich nie auf den Gedanken gekommen, etwas zu unternehmen, was uns beiden hätte Freude machen können.“Er breitete die Hände aus.„Es gab einfach nichts.“Sein Blick wurde grimmig.„Und ich hätte ihr auch nichts gegönnt.“
Sie wischte ihm mit der Hand übers Gesicht.
„Vergiß Sie,“befahl sie scherzhaft,„und zwar endgültig.“
„Du machst mich vergessen,“lächelte er.„Was möchtest Du denn gerne unternehmen?“
„Könnten wir heute Abend gemeinsam zum Pokern gehen?“Unsicherheit lag in Ihrer Stimme.„Oder meinst Du, Mike hat was dagegen?“
„Hältst Du denn den Saloon schon wieder aus?“fragte er besorgt.
„Mit Dir,“antwortete sie und nickte.
„Nun,“dozierte er wie vom Katheter,„haben Dreizehn und Einunddreißig die gleichen Ziffern. Ich sehe also keine Probleme.“Er lächelte.„Deshalb dieser ganze Aufwand?“
„Vielleicht habe ich etwas zuviel Angst gehabt,“gestand sie.
„Aber wovor denn?“
„Ich komme nicht aus so einer gebildeten Familie wie Du.“
„Und?“
„Ich hab‘ Angst davor, Dich zu blamieren.“
Julius nahm seine Frau in den Arm.
„Bildung ist nichts ohne Herz,“sagte er.„Bildung kannst Du Dir erwerben, durch Arbeit, und doch kein Leben haben.“
„Du meinst, ich bin vorzeigbar genug?“
„Jeder, der etwas anderes denkt, lernt mich kennen,“lächelte er.
„Aber Du hast doch nich‘ 'mal eine Waffe, Schatz.“
Julius zuckte mit den Schultern:„Ich ruiniere ihn einfach, mache ihn bettelarm.“Er dachte nach.„Warum bringst Du nicht einfach die Wäsche morgen in die Wäscherei und gehst zu Valerie in den Kurs? Soweit ich weiß, steht der auch Erwachsenen offen.“Er schaute sie verliebt an.„Dann könntest Du ganz sicher sein.“
„Vielleicht hast Du Recht,“gab sie zu,„aber mir kommt das so vor wie …“
„ … Kapitulation?“
Jacqueline nickte.
„Niemand kann alles,“erinnerte Julius sie ohne Vorwurf.„Ich kann zum Beispiel nicht Pokern. Ich verliere regelmäßig.“Er lächelte.„Manchmal nimmt Mary-Rose mich aus wie eine Weihnachtsgans.“
„Bevor oder nachdem der Japaner Dich gerupft hat?“lachte Jacqueline.
„Meist gleichzeitig,“grinste ihr Mann.„Aber ich treffe meine Freunde dort. Ich bin nicht mehr allein, verstehst Du.“
„Bist Du doch sowieso nicht,“erinnerte sie ihn.
Er kuschelte noch stärker, schloß die Augen.
„Das spüre ich jeden Tag,“bekannte er.
„Dann darf ich Dich heute Abend vorm Ausgenommenwerden beschützen?“
„Ja,“antwortete er.„Ich freu‘ mich schon drauf.“
„Aber vorher gibt’s noch was Anderes,“schnurrte sie.
Mary-Rose hatte Tante Ethel auf dem Weg zum Office getroffen, ging mit ihr ein Stück des Wegs. Als die beiden vor dem Haus der Granger-Fords vorbeigingen und die eindeutigen Geräusche aus dem Wohnzimmer hörten, verzogen beide das Gesicht.
„Mist,“kommentierte Mary-Rose.
„Sie sollten sich wirklich etwas leiser vergnügen,“meinte Tante Ethel.
„Das meinte ich nicht,“maulte Mary-Rose.
„Sondern?“fragte Tante Ethel erstaunt.
„Wenn Onkel Julius entspannt ist, spielt er besser Poker,“grinste der Sheriff,„und ich gewinne nicht so hoch.“
Tante Ethel lachte laut auf:„Nachher wär Dir also egal gewesen?“
„Absolut! Aber …“Mary-Rose breitete die Hände aus,„man kann sie nun 'mal nicht anbinden, oder?“
Es gab Momente, da fragte Ethel Merman, knapp 86 Jahre, sich, ob der Sheriff wirklich erst dreizehn Jahre alt war.
„Und weil ich nun 'mal für die öffentliche Ordnung zuständig bin,“schloß Mary-Rose die Debatte,„werde ich Onkel Julius heute Abend einen diskreten Wink geben.“Sie zeigte wieder ihr Honigkuchenpferdgrinsen.„Wenn ich das mache, wirkt es besser.“
Ethel lachte. Sie hatte Recht. Julius würde vor Scham im Boden versinken.
Feodora lenkte den Wagen zurück zur Ranch, nachdem sie Augusta die Zügel aus der Hand genommen hatte. Immer wieder sah sie zu ihrer Schwägerin hinüber, die mit einem versonnenen Blick dasaß, in Gedanken offensichtlich meilenweit entfernt, wenn das reichte.
„Was hast Du?“fragte sie schließlich.
Augusta bemerkte es nicht einmal. Feodora wiederholte die Frage etwas lauter.
„Hattest Du was gesagt?“
Feodora verzichtete auf eine verärgerte Bemerkung und fragte zum dritten Mal.
„Wann, glaubst Du, wird man seine Vergangenheit wirklich los?“fragte Augusta.
„Weiß nicht,“antwortete ihre Schwägerin ehrlich.„Hab‘ allerdings auch nicht so viel davon. Hat’s vielleicht leichter gemacht.“
Augusta wußte, daß Feodora nur ehrlich war. Und besorgt.
„Was ist, wenn die eigene verkorkste Vergangenheit für andere zum Segen wird?“
Feodora legte ihren freien Arm um Augusta, zog sie zu sich.
„Ich frage jetzt nicht, wie sowas möglich ist,“sagte sie,„aber Du solltest vielleicht einfach dafür dankbar sein.“
„Hast Recht,“lächelte Augusta und war sofort wieder meilenweit entfernt.
Pokerrunde im Saloon. Jeder war überrascht gewesen, daß Jacqueline ihren Mann begleitete, aber die Pokerrunde hatte es nicht gesprengt, im Gegenteil. Jeder war froh, endlich ein Gegengewicht zum Sheriff zu haben. Ieyasu verbündete sich viel zu oft mit ihr, und dann machten sie Jagd auf die „reichen Säcke“.
Irgendwann in der Mitte der Zeit, ging Jacqueline auf einen Wink des Sheriffs, sich die Nase pudern, und Mary-Rose begleitete sie.
„Was ist los?“fragte Jacqueline sehr direkt, als sie unter sich waren.„Du willst Dir wohl kaum die Nase pudern.“
Ruhig, und ohne ein Wort zu sagen, brachte der Sheriff aus einer Tasche ihres Mantels eine Puderdose hervor und fing an, sich die Nase zu pudern. Jacqueline gab sich geschlagen und folgte ihrem Beispiel.
„Als Sheriff bin ich für die öffentliche Ordnung verantwortlich,“fing Mary-Rose jetzt an.
„Und?“Jacqueline konnte sich nicht denken, worauf sie hinaus wollte.
„Was Ihr hinter Eurer Haustür macht, geht mich nichts an,“fuhr der Sheriff fort,„es sei denn, man hört es draußen auf der Straße.“Sie atmete tief durch.„Wie Tante Ethel und ich heute Nachmittag.“
Jacqueline lief puterrot an, wie sie nicht nur im Spiegel sah.
„Euer Schlafzimmer liegt doch nach hinten 'raus,“sagte Mary-Rose nicht mehr ganz so geschäftsmäßig. Offenbar gab es doch einen Unterschied zwischen dreizehn und einunddreißig.„Und Du kannst es doch ein wenig steuern, oder?“
Jacqueline nickte nur.
„Und kein Wort zu Deinem Mann,“beschwor sie Mary-Rose.„Er würde sich zu Tode schämen.“
Jacqueline nickte wieder, und die beiden Frauen kehrten zum Pokertisch zurück.
Als Mary-Rose nach Hause kam, war ihre Mutter schon im Bett, bei ihrem Vater brannte aber noch Licht.
„Mach Schluß, Dad,“empfahl sie.„Es ist schon elf.“
Arthur Morton Robinson betrachtete die fremde Gestalt mit dem Sheriffstern, die da mit der Stimme seiner Tochter sprach. Sie lehnte am Türpfosten, die schmalen Schultern noch nicht breit genug, damit der Hut dabei nicht verrutschte. Der Mantel hing so langsam etwa acht Zoll über dem Boden – sie mußte also vier Zoll gewachsen sein – und war offen, so daß man die beiden Colts sehen konnte. Begann das Hemd da im Brustbereich etwa schon, etwas zu spannen? War es wirklich erst ein knappes Jahr her, daß sein kleines Mädchen ihn zur Bürgerversammlung begleitet hatte? Damals noch ganz Kind. Das Gesicht lag noch im Dunkeln, beschattet vom Hut.
„Ich bin’s wirklich, Dad,“lächelte sie offensichtlich und trat ins Licht der Lampe.„Warum bist Du jetzt noch auf?“
„Ich hatte noch zu arbeiten,“wich ihr Vater aus.
„Vorbereitungen für morgen früh?“Sie erfaßte mit einem Blick die Papiere auf dem Schreibtisch.
„Hausaufgaben,“grinste er.
„Und ein Termin bei Onkel Julius,“stellte sie fest.
„Muß was mit ihm klären,“murmelte er.„Hoffentlich ist er da.“
Mary-Rose erfaßte Stimmlage und Gesichtsausdruck ihres Vaters.
„Hab‘ ich schon,“eröffnete sie ihm,„mit Jacqueline.“
Ihr Vater machte große Augen.
„Du meinst doch die etwas zu lauten ehelichen Freuden, oder?“
Der Pastor nickte.
„Ich hab‘ sie heute Nachmittag zusammen mit Tante Ethel gehört,“erklärte Mary-Rose,„und heute Abend war Jacqueline mit am Pokertisch.“
„Und?“fragte ihr Vater gespannt.
„Hast Du schon 'mal ein – zugegebenermaßen ehemaliges – Freudenmädchen rot werden sehen?“grinste sie.
„Nein,“lächelte er.
„Ich hab‘ mich mit ihr kurz zum Nase pudern zurückgezogen und sie gebeten, das ganze mehr hinten raus zu steuern. Sie will’s tun.“
„Wieso erzählst Du mir das?“
„Damit Du Onkel Julius in Ruhe läßt,“antwortete Mary-Rose.„Er würde sich zu Tode schämen.“
Daran hatte Arthur nicht gedacht. Seine Tochter hatte Recht!
„Und warum hast Du Dich darum gekümmert?“fragte er, nur um etwas zu sagen.
„Weil die öffentliche Ordnung mein Job ist,“antwortete sie schlicht.
Der Pastor blickte wieder diese Gestalt an, die so aussah wie seine dreizehnjährige Tochter. Hatte bei ihren Worten nicht kurz der Sheriffstern aufgeblitzt?‚Warum, oh Herr?‘fragte er nicht zum ersten Mal.‚Warum belastest Du dieses zarte Wesen mit all diesen Dingen?‘Er lächelte.
„Ich laß‘ ihn in Ruhe,“beruhigte er sie, stand auf und streckte sich.„Du hast Recht.“
„Gute Nacht, Dad,“sagte der Sheriff. Auch ihre Stimme hatte sich etwas verändert, war voller, fraulicher geworden. Oder bildete er sich das nur ein? Die Gedanken schwirrten ihm im Kopf umher. Kein Wunder, so spät wie es war. Er ging ins Bett.