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Die Geburt

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„Was macht das Kind, Myrna?“

Myrna lächelte:„Es tritt, boxt und schlägt Purzelbäume in meinem Bauch, Onkel Julius.“Ihr Gesicht zog sich kurz zusammen.„Ich bin froh, wenn es jetzt kommt.“

„Es sind aber doch noch vier Wochen, oder habe ich mich verrechnet?“

„Nein, aber so langsam wird es mühsam.“

„Das geht vorbei,“lächelte der ältere Mann und verabschiedete sich.

Myrna ging weiter zum Laden. Joe war alleine im Laden und lächelte sie an, und in dem Lächeln lag mehr, als nur die geschäftsmäßige Freundlichkeit eines Händlers. Myrna wußte das und wollte es auch, aber tief in ihr drin hielt sie etwas zurück.

Isaiah Jenkins hatte das Spiel im Laden aus einiger Entfernung beobachtet. Er mußte mit Myrna reden, aber in seinem Inneren kämpfte es.

Als er nach Hause kam, suchte er seine Tochter:„Myrna?“

„In der Küche, Dad.“

„Ißt Du wieder für zwei?“lächelte er.

„Schon möglich,“gab sie zur Antwort und schaute auf ihren Bauch,„aber heute sind wir dran, den Sheriff zu beköstigen.“

„Ja, richtig,“fiel es Isaiah wieder ein. Und die Schule war gleich aus. Myrna, die sowieso im letzten Jahr war, ging im Moment nicht, weil das alle für das Beste hielten. Ansonsten behandelte jeder sie wie eine ganz normale junge Mutter – fast jeder.

„Ich muß mit Dir reden,“sagte der Vater und setzte sich an den Küchentisch.„Du kannst dabei ruhig weitermachen.“

Sie setzte sich trotzdem, behielt den Herd aber im Auge.

„Ja.“

Isaiah suchte nach einem Anfang:„Du weißt, daß Du in Richmond geboren und erst mit fünf Jahren hierher gekommen bist?“

„Ich kann mich noch an unser Haus in Richmond erinnern,“bestätigte Myrna.

„Richmond war die Hauptstadt der Conföderierten,“tastete sich ihr Vater näher heran.

„Das weiß ich.“Was wollte ihr Vater?

„Ich wollte nur, daß Du weißt,“begann er vorsichtig,„daß ich nichts gegen Joe Adams einzuwenden habe, wenn Du Dich so entscheiden solltest.“

Das war es also! Myrna suchte nach einer Antwort.

„Ich weiß, daß Joe etwas für mich empfindet, Pa,“fing sie an,„aber nicht die Furcht vor Dir oder Mum hält mich zurück. Es ist … etwas anderes.“

Isaiah konnte sich den Grund denken, ohne zu fragen.

„Paß auf das Essen auf,“meinte er deshalb, und Myrna wandte sich dem Herd zu. Er küßte seine Tochter auf die Wange.

„Ich wünsche Dir, daß das irgendwann bald vorbei ist,“sagte er und ging erleichtert.

Langes Ohr betrat das Büro des Bürgermeisters. Clayton erwartete ihn schon.

„Was hat mein Bruder herausgefunden?“fragte er.

„Der Stamm der Osagen hat vor wenigen Tagen drei Krieger ausgestoßen,“fing Langes Ohr an.„Sie mußten alles zurücklassen, auch ihre Squaws und Kinder.“

Clayton pfiff durch die Zähne:„Das wären natürlich drei Verdächtige. Gibt es noch weitere Hinweise?“

„Die drei Ausgestoßenen stahlen bei den Cheyennes drei Pferde, von denen eins einen Trittfehler hat.“

„Und?“

„Gun sagt, daß die Spuren dazu passen.“

„Wer?“

„Deputy Mayweather. Wegen seines Vornamens nennt ihn jeder nur Gun.“

Clayton begriff. Wenigstens hatten sie nun eine Spur.

„Häuptling Fünf Bären ist sofort los, die Ehrlosen zu jagen. Auch die anderen Stämme haben Kundschafter ausgeschickt.“

„Hoffentlich finden Sie die Kerle.“

„Sie haben schlechte Pferde, keine Nahrung oder Waffen. So kommt man nicht weit,“lächelte Langes Ohr.

„Kann mein Bruder die Verbindung zwischen Fünf Bären und der Stadt halten?“

„Mein Bruder wird immer informiert sein.“

„Besser Mary-Rose.“

„Howgh,“sagte Langes Ohr und ging.

Clayton atmete tief durch. Das hätte schief gehen können. So alt war der Friede zwischen der Stadt und den vier Stämmen noch nicht. Auch deshalb hatte er Langes Ohr geschickt. Der Rest war bei Mary-Rose besser aufgehoben. Das hatte sie zu Genüge bewiesen.

Beth Ferguson nahm die Post entgegen und quittierte das Einschreiben. Mit der Ad-resse verband sie nichts. Was konnte das wohl sein?

„Richard?“

„Ja, Liebes,“antwortete ihr Mann aus seinem Arbeitszimmer.

„Hier ist ein Einschreiben aus,“sie las die Absenderadresse,„Clearwater, Colorado. Vom Bürgermeister.“

Richard Ferguson kam ins Wohnzimmer und nahm den Brief.

„Dort kenne ich nur den Laden eines Mr. Grand,“meinte er.„Der bestellt manchmal bei mir. Was kann das sein?“

Er öffnete den Brief und las.

„Oh, mein Gott,“waren seine einzigen Worte, bevor seine Frau ihm den Brief aus den Händen nahm, las, ihn fallen ließ und das Gesicht schluchzend in den Händen vergrub. Richard nahm Beth in seine Arme.

Mary-Rose schloß die Türen des Gefängnisses ab. Drinnen saßen die drei Mörder von Tante Hermine. Die Hinrichtung nach dem wohl sicheren Urteil würde Gun überwachen. Es selbst zu machen, hatte ihr Vater ihr verboten. Eine gute Ausrede, um sich zu drücken.

Julius Granger-Ford saß zu Hause in seinem Sessel und grübelte. Wahrscheinlich hätte er es nicht Grübeln sondern Nachdenken genannt, aber seine Gedanken kreisten immer nur um ein Thema, und er fand keinen Weg heraus.

Am nächsten Morgen fand er sich in seinem Sessel wieder, war offensichtlich in Gedanken eingeschlafen und hatte schlecht geträumt. Er wusch sich und wechselte die Kleider. Der Wäschesack mußte zur Wäscherei. Er lud ihn in den Wagen, spannte das braune Pferd davor und fuhr in die Stadt.

Nach der Wäscherei fuhr er zur Bank und gab Beddowes einige Orders. Den Saloon sparte er sich heute und fuhr zum Pastor.

Mary-Rose traf Gun im Saloon, am Tag nach der Hinrichtung. Gun hatte sie dorthin gebeten. Bei ihrem Eintreffen machte er ein Gesicht, das Mary-Rose nicht so ganz deuten konnte.

„Was ist los, Gun?“fragte sie.„Sie sehen aus, als wenn …“Ihr fiel auch kein passender Vergleich ein.

„Es ist auch schwierig, Sheriff,“versteckte Gun sich hinter Höflichkeit.

„Sie wollen weiterziehen,“erriet Mary-Rose in einem Anfall von Hellsichtigkeit.

Gun schaute an ihr herunter.

„Kein Kamelhaarmantel,“stellte er fest.

„Wieso?“

„Die Tracht der biblischen Propheten,“erklärte er.

„Ich habe also richtig geraten,“stellte Mary-Rose fest.

„Ich eigne mich nicht für die Seßhaftigkeit.“Die nüchterne Feststellung überzeugte Mary-Rose.„Auch wenn ich mich – im Fall des Falles – mit Sicherheit hier niederließe.“

„Ich verliere also meinen Deputy,“seufzte Mary-Rose, und in nächsten Augenblick verfinsterte sich ihr Gesicht.„Verd…, Gun! Sie waren Spitze!“

„Hattest Du gehofft…?“fragte er vorsichtig.

„Wahrscheinlich,“gab sie, maulend wie eine Dreizehnjährige, zu.

„Diese Stadt sollte …“

„Wird sie aber nicht!“Mary-Rose war mehr als frustriert.

„Du solltest …“

„Kann ich aber nicht,“antwortete sie sehr leise.„Ich könnte nicht mehr in den Spiegel schauen.“

Gun nickte nur und fragte:„Einen Doppelten zum Abschied?“

Mary-Rose nickte nur. Der Whisky kam.

„Auf Dich und auf Clearwater,“hob Gun sein Glas.

„Und auf den besten Deputy der Welt,“hob Mary-Rose ihres, kippte es hinunter und unterdrückte den Hustenreiz. Gun war beeindruckt, zeigte es aber nicht. Der Sheriff von Clearwater verdiente es, daß man derlei als normal ansah.

Mary-Rose und Gun gaben sich die Hände.

„Viel Glück, Gun.“

„Dir auch, Sheriff.“

Dann ging Gun, und Mary-Rose widerstand der Versuchung, einen zweiten Whisky zu bestellen, wo sich schon der erste bei ihrem fast leeren Magen gerade als Fehler erwies. Jacqueline schien das geahnt zu haben, denn sie kam jetzt mit ein paar Sandwiches, die Mary-Rose gierig verschlang.

„Danke,“sagte sie nur und wartete noch ein paar Minuten. Niemand sollte den Sheriff schwanken sehen.

Jacqueline sah ihr nach, und Tränen standen in ihren Augen.

Marge hörte, wie Mary-Rose nach Hause kam, grußlos in ihrem Zimmer verschwand und die Tür krachend hinter sich zuschlug.

Auch Arthur und Julius kamen aus dem Arbeitszimmer. Marge klopfte an.

„Heraus,“tönte es aus dem Zimmer. Marge öffnete die Tür trotzdem. Mary-Rose lag mit Mantel und Hut auf ihrem Bett und weinte ins Kopfkissen. Marge setzte sich neben sie.

„Was ist denn, Liebes?“fragte sie, und Mary-Rose blickte auf, lehnte sich an die Schulter ihrer Mutter, offensichtlich froh, wieder Kind sein zu dürfen.

„Gun kratzt die Kurve,“heulte sie,„und jetzt hängt die ganze Stadt wieder an mir.“

Marge verstand und wollte ihren Mann und Julius gerade aus dem Zimmer winken, da schrie Mary-Rose:„Und nur, weil ihr Euch nie auf einen Sheriff einigen könnt!“

Arthur und Julius entschieden sich für den strategischen Rückzug inklusive Schließen der Zimmertüre.

„Liebes,“versuchte Marge ihre Tochter zu trösten,„Gun ist mindestens so alt wie Onkel Mike.“

„Ist doch egal,“gab Mary-Rose mehr als halb zu.„Er hat mich wie eine Erwachsene behandelt.“

Sie heulte weiter, und Marge fiel nichts Sinnvolleres ein, als sie im Arm zu halten, bis sie den Whisky roch. Mary-Rose bemerkte, daß ihre Mutter schnüffelte.

„Gun und ich haben zum Abschied noch einen gehoben,“erklärte sie,„aber nur einen."

„Ich weiß, Liebes,“ließ Marge die Sache auf sich beruhen.

Mary-Rose sah auf:„Mum?“

„Ja, Liebes?“

„Tut das immer so weh?“

„Das ist bei jedem anders.“

„Und ich flenne hier wie ein kleines Kind,“ärgerte sich Mary-Rose.

„Ganz im Gegenteil, mein Schatz,“widersprach Marge, und meinte das vollkommen ernst.„Es ist nichts Kindisches darin, zu lieben und zu trauern.“Mary-Rose blickte auf.„Kindisch wäre gewesen, ihm eine Kugel hinterher zu jagen.“

Mary-Rose lächelte:„Daran hab‘ ich für eine Sekunde auch gedacht.“Marge machte ein entsetztes Gesicht.„Nur um ihn zu erschrecken, meine ich.“Marge sah wieder dieses Lächeln. Ihre Tochter versuchte, mit ihrem Schmerz durch Scherz fertigzuwerden, und die Mutter war einfach nur das nächste Ziel.

„Aber Onkel Barney hat schon genug Löcher neben der Tür,“beendete Mary-Rose ihren Gedanken, und Marge mußte gegen ihren Willen lachen.

Julius und Arthur saßen wieder im Arbeitszimmer.

„Recht hat sie,“sagte Julius,„auch wenn ihr Schmerz nichts damit zu tun hat.“

Der Pastor lächelte gequält:„Bei ihr passiert alles so früh.“

„Das Beste, was ihr jetzt passieren kann,“begann Julius,„ist, daß es auch für die nächste Zeit – zumindest bis nach dem Viehtrieb – keinen Sheriff gibt.“

Arthur machte große Augen, dann verstand er:„Arbeit gegen den Schmerz.“

Julius nickte:„Sie muß einfach sehen, daß sie mit der Stadt alleine fertig wird, auch wenn’s 'mal schwierig wird.“

„Mir graut davor,“gab der Pastor zu.

„Es gibt im Moment sowieso keinen konsensfähigen Kandidaten,“erinnerte ihn Julius.„Gun war zu eng mit Mike Alder befreundet.“

Arthur nickte nur.

Nacht über Clearwater. Die Sterne leuchteten und der Mond war gerade voll. Draußen vor der Stadt heulte ein Coyote, ein anderer antwortete ihm.

Clayton saß noch in seinem Büro. Er wollte die Sachen für die Eisenbahn fertig bekommen. An der Tür klopfte es. Er faßte seinen Revolver auf dem Tisch.

„Wer da?“

„Beddowes, Mr. Clayton.“

Clayton entspannte sich und rief:„Herein.“

Die Tür öffnete sich, und der Bankier trat ein.

„Verzeihung,“sagte er,„aber ich sah noch Licht.“

„Ich sitze über den Sachen für die Eisenbahn,“antwortete Clayton.

„Dann trifft es sich gut, daß ich Ihnen dies hier vorbeibringe,“meinte Beddowes und übergab Clayton ein Telegramm. Clayton überflog es und machte große Augen.

„Woher?“fragte er.

„Der Schmuck von Mrs. Granger-Ford,“antwortete Beddowes.

„Und dabei war sie immer eine Gegnerin der Eisenbahn,“grinste der Bürgermeister breit.

Wieder einmal war die Bürgerschaft versammelt. Den Punkt „Sheriff“ hatte Clayton schon von der Tagesordnung gestrichen, weil der einzige Kandidat vor wenigen Tagen abgereist war.

Mary-Rose saß im Publikum neben Myrna Jenkins, und auch Ethel Merman war anwesend. Obwohl nicht stimmberechtig bildeten die drei ein stumme Mahnwache für …, ja wofür eigentlich? Einen Sheriff konnte die Versammlung nicht mehr wählen.

Clayton sorgte mit dem Hämmerchen für Ruhe und übergab das Wort an Beddowes.

„Liebe Mitbürger,“begann der,„wir sind heute hier, um das weitere Vorgehen bezüglich der neuzubauenden Eisenbahnstrecke zu besprechen.“Er räusperte sich, trank einen Schluck Wasser.„Zunächst die Fakten bis dato: Wir halten eine Mehrheit von 51 % an der neuen Gesellschaft. Außerdem sollten in den nächsten Tagen noch einige Orders bestätigt werden, die unseren Anteil auf 54 % anheben werden. Wir beherrschen damit die Gesellschaft.“Er räusperte sich noch einmal.„Damit stehen aber einige Entscheidungen an. Wir müssen unseren Kandidaten für den Vorstand der Gesellschaft wählen und entscheiden, wer Clearwaters Aktienmacht in der Gesellschaft vertritt. Außerdem fehlt auch noch die endgültige Entscheidung über den Bahnhof.“

Jack Alder stand auf:„Ich schlage unseren lieben Mitbürger, Mr. Julius Granger-Ford als Kandidaten vor. Er hat bewiesen, daß er mit Geld umgehen kann und die Interessen der Stadt und ihrer Bürger wahrt.“

„Wenn Sie mir noch mehr Sahne um den Mund schmieren, können sie mich auch gleich rasieren, Jack,“antwortete der Vorgeschlagene.

Ein anderer stand auf:„Allerdings hat Julius bisher nicht mit Durchsetzungsvermögen geglänzt.“

Betretenes Schweigen.

„Ich bin noch hier.“

Diese einfache Feststellung erzeugte zustimmendes Gemurmel.

Der Bürgermeister erhob sich:„Irgendwelche weiteren Vorschläge? … Nein? Dann schreiten wir zur Abstimmung!“

Der Ausgang der Abstimmung war vorhersehbar. Der Gewählte bedankte sich für das Vertrauen.

Die Frage der Wahrnehmung der Stimmrechte versprach mehr Konfliktpotential. Für eine Viertelstunde war keine Einzelstimme mehr zu vernehmen, bis ein Schuß ertönte.

„Bitte, Mr. Clayton,“sagte Mary-Rose, während sie ihren Colt wieder wegsteckte.

„Danke, Sheriff.“

„Und benehmt Euch,“wetterte Ethel.

Danach ging es erst einmal etwas ruhiger zu.

In Grunde gab es auch nur zwei Alternativen: Jeder für sich selbst oder ein Beauftragter für alle. Die Entscheidung für Variante 2 dauerte eine Stunde, dann ging es um dessen Person.

„Ich schlage Langes Ohr vor,“rief einer.

„Warum?“fragte ein anderer.

„Er hatte als Erster die Idee!“Zustimmendes Gemurmel.

„Wie wär’s mit Mr. Beddowes?“

„Oder Ron Alder?“

„Oder dem Bürgermeister?“

Die Kandidatenliste wurde immer länger. Irgendwer schlug Ethel vor, wonach das zustimmende Gemurmel am stärksten war.

„Vielleicht wählen wir besser zwei Leute,“schlug der Pastor vor.„Die würden sich gegenseitig helfen und auch kontrollieren.“

„Das Vier-Augen-Prinzip,“nickte Mike Alder.

„Bei soviel Geld,“stimmte Grand zu.

„Wen schlagen Sie vor?“fragte einer.

„Unser altes Schlitzohr von Bürgermeister …,“antwortete Arthur. Gelächter und ein Bürgermeister, der sich nach allen Seiten verbeugte:„Danke, danke, danke.“

„ … und Fünf Bären, den Häuptling der Osagen.“Arthur wußte, daß er damit ein Risiko einging, und wartete gespannt auf Protest. Es kam keiner.

Der Richter stand auf:„Wer ist dafür, die beiden zu unseren Vertretern zu machen?“

Alle Hände gingen hoch. Großes Feuer dankte der Versammlung und übergab wieder an Clayton.

Nach einigen kleineren Punkten fragte der Bürgermeister schließlich:„Hat sonst noch jemand irgendeine Frage oder einen Antrag?“

Einer der Farmer stand auf, ein Puritaner, der so gut wie alle Neuerungen ablehnte.

„Es geht um Mary-Rose, die hier den Sheriff spielt,“fing er an, und alle anderen sahen ihr Abendessen in den Töpfen verschmoren.

„Mmmh, riecht das gut,“stellte Mary-Rose genießerisch fest, als sie mit ihrem Vater nach Hause kam.

„Und?“fragte Marge.„Wie war’s?“

„Dad hat 'nen Antrag gestellt,“grinste Mary-Rose,„und – oh Wunder – er ging sogar durch.“

„Selten genug,“stimmte ihre Mutter zu.„Noch etwas?“

„Ach, ja,“schien es Mary-Rose erst jetzt einzufallen,„es wurde doch noch über den Sheriff abgestimmt.“

„Wie bitte?“Marge machte große Augen. Das Gesicht ihres Mannes hätte sie warnen sollen, so aber fragte sie nur freudig:„Und? Wer ist es geworden?“

„Eine Person, die ihre Eignung für das Amt schon unter Beweis gestellt hat und von ihrer Herkunft her als neutral angesehen werden kann,“antwortete Arthur trocken.

„Anders ausgedrückt?“fragte Marge, noch immer keinen Verdacht schöpfend.

„Ich kriege fünfzehn Dollar im Monat für den Job und freie Munition,“eröffnete Mary-Rose ihrer Mutter möglichst tonlos die neue Lage und zog vorsichtshalber den Kopf ein.

„Was!?“Erst jetzt bemerkte Marge den Stern an der Brust ihrer Tochter. Bis jetzt hatte sie, auch wenn sie jeder ‚Sheriff‘ nannte, keinen getragen.

„Hanson meinte, man solle dem Ochsen, der da drischt, nicht das Maul verbinden,“kommentierte ihr Mann genauso trocken weiter.

Marge setzte sich und stützte den Kopf mit beiden Händen:„Na, großartig.“

„Stimmt,“grinste Mary-Rose, indem sie ihre Mutter absichtlich mißverstand,„und ich habe Munition für das Gewehr.“Sie hielt triumphierend die Schachtel hoch, holte das Gewehr aus ihrem Zimmer und ging mit ein paar Dosen hinters Haus.

„Hättest Du das nicht verhindern können, Arthur?“fragte Marge.

„Und von den anderen gelyncht werden?“antwortete ihr Mann mit einer Gegenfrage.„Der Antrag ging glatt durch. Nur ich habe mich enthalten, da befangen.“

Marge strich sich über ihren Bauch, der so langsam zu wachsen anfing.

„Hoffentlich kommst Du mehr nach Deinem Vater,“sagte sie zu dem Ungeborenen.

Arthur lächelte sie an und nahm sie in dem Arm, während Mary-Rose draußen knallte.

Jacqueline hob die Hand, um anzuklopfen, zuckte aber dann doch zurück. Was mochte sie hinter dieser Tür erwarten? Egal! Irgendetwas mußte sie tun. Sie klopfte laut.

Nach einer Weile wurde die Tür geöffnet.

„Guten Abend, Mrs. Merman,“sagte Jacqueline.

„Guten Abend, Miss Dylan,“antwortete Ethel überrascht.„Aber kommen Sie doch herein.“

„Danke,“sagte Jacqueline und trat in das Haus. Erst als die Tür zufiel, entspannte sie sich ein wenig. Irgendwie hatte sie Angst vor den Augen der Stadt.

„Leider bin ich nicht auf Besuch vorbereitet,“entschuldigte sich Ethel, als sie Jacqueline in die Stube führte.„Ich hatte mir nur gerade einen Tee gemacht.“

„Tee ist großartig,“wehrte die Jüngere weitere Entschuldigungen ab und setzte sich.„Ich bin sowieso nicht auf ein gemütliches Plauderstündchen gekommen.

„Das kann ich mir denken,“lächelte Ethel und setzte sich ebenfalls.„Also, was kann ich für Sie tun?“

„Ich trage mich seit dem Tod von Mrs. Granger-Ford,“versteckte Jacqueline sich hinter Formalismus,„mit dem Gedanken, meine Beziehung zu Mr. Granger-Ford zu formalisieren. So sagt man das doch?“

„Man kann es so sagen,“lächelte Ethel,„aber ich finde es zu kalt für eine solche Beziehung.“Sie legte der Jüngeren die Hand auf den Arm.„Wie kann ich Dir helfen, Kind?“

„Julius ist ein sehr netter Mann,“begann Jacqueline,„auch wenn unsere Beziehung mehr geschäftlicher Natur war.“

„Ich weiß,“nickte Ethel.

„Und ich weiß, daß ich nur so,“Jacqueline schnippte mit den Fingern,„zu machen brauche, und ich bin die Gattin des reichsten Mannes in ganz Clearwater.“

„Wahrscheinlich sogar in ganz Colorado,“kommentierte Ethel, und Jacqueline hielt den Atem an, fing sich aber wieder.

„Ich weiß, das klingt jetzt komisch, für eine Frau meines Gewerbes,“kam sie nun auf den Punkt,„aber klingt der Austausch Ehe und … ähem … ehelicher Verkehr gegen Kinder und gesichertes Leben nicht zu sehr nach Geschäft?“

Ethel sagte eine Weile garnichts. Eigentlich wäre der Pastor hierfür der richtige Ansprechpartner gewesen, aber Jacqueline war hier.

„So, wie Du es ausdrückst,“beantwortete sie die vielen gestellten Fragen,„klingt es sicherlich nach Geschäft.“Sie atmete tief durch. Das hier war schwieriger als bei Augusta.„Und wenn Du ihm die eheliche Pflicht nur als Pflicht tust, wirst Du sie auch vermutlich nicht mit voller Hingabe leisten, … und er wird das merken.“Eine längere Pause, die Jacqueline nicht zu unterbrechen wagte.

„Andererseits,“fuhr Ethel fort,„bin ich immer dafür, wenn Frauen Deines Gewerbes dieses aufgeben und ehrbar werden, wie auch immer.“Wieder eine Pause.„Und Julius hat schon weitaus schlechtere Geschäfte gemacht.“

Jacqueline mußte kichern, und auch Ethel lächelte.

„Wie alt bist Du jetzt?“

„Einunddreißig.“

„Dann solltest Du Dir wirklich Gedanken machen, wie es weiter geht,“meinte Ethel,„wobei ich felsenfest davon überzeugt bin, daß Julius Dich gerne um sich hätte.“

„Das weiß ich.“

„Außerdem wirst Du das, was Du bisher mitbekommen hast, als seine Ehefrau hundertmal stärker spüren,“warnte Ethel.„Ich weiß nicht, wie lange Julius braucht, um zu erkennen, daß Du ihn wirklich liebst. Ich weiß nicht, was er sich von seiner Ehe-frau wünscht, abgesehen von dem Offensichtlichen.“

Jacqueline lächelte schicklich.

„Vielleicht möchte er ja einfach nur mich.“

„Möglicherweise ist er realistischer und gesünder als wir beide vermuten.“

„Was also tun?“

Ethel dachte eine Weile nach.

„Rede mit ihm,“riet sie dann.„Sei warmherzig und liebevoll und vergiß die Vergangenheit. Vor allem Deine.“

„Danke,“sagte Jacqueline nur und erhob sich. Ihr Besuch hatte lange genug gedauert.

Ethel brachte ihren Gast zur Tür und sandte ein Stoßgebet gen Himmel, als sie die Tür hinter Jacqueline geschlossen hatte.

Samstag Vormittag in Clearwater. Mary-Rose hatte keine Schule, war aber trotzdem schon auf den Beinen. Eine merkwürdige Unruhe hatte Sie gepackt. Sie bemerkte wie Jacqueline den Saloon verließ und Joe den Laden aufmachte. Grand überließ ihm mehr und mehr das Tagesgeschäft. Onkel Isaiah spannte das Pferd vor den kleinen Wagen. Offensichtlich sollte Myrna damit fahren. Mary-Rose schlug sich mit der flachen Hand vor die Stirn. Natürlich! Heute war der 28. Mai, noch vier Tage bis zum Geburtstermin. Und heute kam die Postkutsche aus Osten. Der Tag versprach, inter-essant zu werden.

Myrna bestieg nur mit Mühe den Wagen und nahm die Zügel. Sie wollte das alleine schaffen, wußte aber, daß ihr Bauch ziemlich dick geworden war. Hoffentlich kam das Baby bald.

Als sie gerade losfahren wollte, kam die Postkutsche. Sie wartete und setzte sich dahinter. Vor Grands Laden, der direkt neben der Post war, hielt sie an, und ein Mann und eine Frau stiegen aus. Offensichtlich ein Ehepaar, das hier fremd war.

„Verzeihen Sie,“sprach der Mann Myrna an.„Könnten Sie uns bitte sagen, wo wir den Bürgermeister finden?“

„Ich bringe Sie hin,“bot Myrna an.„Stellst Du die Koffer der Herrschaften unter, Joe?“

„Sicher,“antwortete Adams.„Ich bin den ganzen Tag hier.“

Das Paar stieg zu Myrna in den Wagen und sie fuhr zu Claytons Haus.

„Da wären wir,“verkündete Myrna, als sie anhielt.

Das Paar stieg aus. Der Mann drehte sich noch einmal um.

„Jetzt haben wir uns garnicht vorgestellt,“lächelte er.„Verzeihen Sie bitte. Richard Ferguson, meine Frau Beth.“

Myrna fuhr ohne ein weiteres Wort davon. Das Herz schlug ihr bis zum Hals.

Richard Ferguson war etwas verwirrt über dieses unhöfliche Verhalten, bis Beth fragte:„Hast Du ihren Bauch gesehen?“

„Ja,“antwortete er, plötzlich verstehend,„und sie war noch sehr jung. Sollte Sie am Ende gar …?“

„Toller Einstand,“kommentierte seine Frau erschüttert.

Richard richtete sich auf.

„Daran ist jetzt nichts mehr zu ändern,“stellte er fest.„Gehen wir erst einmal zum Bürgermeister.“

Er klopfte an die Tür.

Mary-Rose ging bei Onkel Julius vorbei, wo einer der stadtbekannten Faulenzer herumlungerte und grinsend zum Haus hinüberschaute.

„Na, Fred?“begrüßte ihn Mary-Rose.„Was ist denn so interessant?“

„Morgen, Sheriff,“begrüßte Fred sie.„Gerade ist Jacqueline da 'reingegangen.“

„Hm,“machte Mary-Rose,„ihr erster Hausbesuch.“

„Stimmt.“

„Könnte interessant werden,“grinste sie.„Halt mich auf dem Laufenden.“

„Gerne.“Es gab sowieso nichts, was Fred lieber getan hätte.

Mary-Rose ging weiter, gab sich den Anschein der Wichtigkeit und war insgeheim froh, daß sie heute so gut wie nichts zu tun hatte.

Drinnen im Haus versuchte Jacqueline die Schicklichkeit zu wahren, indem sie kerzengerade auf dem Sofa saß, während Julius sich in seinen Lehnstuhl kuschelte. Sie schwiegen beide mehr, als sie redeten, obwohl sie sich soviel zu sagen gehabt hätten. Jacqueline war auf alles vorbereitet. Unter ihrem Kleid, das sich sehr leicht ausziehen ließ, hatte sie die richtige Wäsche, aber das war nicht der Zweck ihres Besuches.

„Julius,“bat sie,„sag etwas!“

„Ich weiß nicht, was ich sagen soll,“bekannte er.„Natürlich …“Er verstummte wieder.

„Ja?“

Julius atmete tief durch:„Ich möchte, daß Du bleibst.“Er machte eine Pause.„Für immer.“

„Aber?“fragte Jacqueline ängstlich.„Julius, bitte! Alles was Du sagst, wird diesen Raum nicht verlassen.“Sie grinste gequält:„Ich bin Diskretion gewohnt.“

Julius lachte kurz und hart.

„Ich habe Angst,“nahm er sich dann zusammen,„daß Du mich nicht lange erträgst.“Er wirkte erleichtert.„Ich kenne mich sehr gut, zu gut.“

Jacqueline entschied, daß es Zeit zum Handeln war, stand auf, ließ das Kleid fallen, setzte sich breitbeinig auf Julius Knie und sah ihm in die Augen.

„Ich weiß,“erklärte sie ihm,„daß Du Nachts Panikattacken und Alpträume hast. Ich hab’s oft genug erlebt und Dich beruhigt, auch wenn Du Dich wahrscheinlich nicht dran erinnerst.“ Sie nahm seinen Kopf in ihre Hände, streichelte ihn zärtlich, spürte seine Reaktion.„Ich kann mir auch vorstellen, daß Du tagsüber nicht immer beherrscht bist, aber ich kenne Schlimmere als Dich, weitaus Schlimmere.“Sie atmete jetzt ebenfalls schwerer.„Du bist lieb und friedlich. Du hast mich immer gut behandelt, mich nie spüren lassen, daß es am Ende eben doch ein … Geschäft war.“

Julius starrte wie gebannt auf ihre üppige Weiblichkeit, und nickte nur stumm.

„Ich bin hier,“fuhr sie fort.„Sprich nur ein Wort, dann ziehe ich das Kleid wieder an und wir gehen zu Reverend Robinson.“

Julius sagte noch immer nichts, aber er zog sie zu sich und kuschelte. Langsam wurde sein Atem wieder normal. Jacqueline wartete einfach.

Draußen vor dem Haus standen jetzt ein paar mehr Leute. Wieso sie da standen, wußte eigentlich keiner von ihnen so genau. Bis auf Fred hätten sie alle noch ein paar Dinge zu erledigen gehabt. Mike Alder zum Beispiel … Ach, da kam ja gerade Mary-Rose. Er zog sie um die nächste Ecke.

„Wollte schon lange mit Dir reden,“fing er an.

„Ja?“

„Es geht um Gun.“

Mary-Roses Gesicht verfinsterte sich.

„Gun ist ein grundguter Kerl,“erklärte Mike,„aber wenn es um Frauen geht, ein Feigling.“

Das Gesicht wurde unlesbar.

„Da haben sich schon Frauen, die deutlich … erwachsener aussahen, die Zähne dran ausgebissen. Gun ist immer geflüchtet.“Er machte eine Pause, auch weil ihm das Thema gegenüber einer Dreizehnjährigen sowieso schwerfiel.„Es war bestimmt nicht Deine Schuld. Er haßt es, festgenagelt zu werden.“

Mary-Rose wußte, daß Onkel Mike ihr nur helfen wollte, aber er hatte eine noch lange nicht verheilte Wunde wieder aufgerissen und bekam auch prompt die Quittung:„Und Du, Onkel Mike? Bist Du auch so ein Feigling?“

Der Schuß saß, auch ohne Colts. Mary-Rose drehte sich um und wollte schon gehen, wendete aber noch einmal den Kopf:„Maximal zwei Stunden gebe ich denen da drinnen noch. Dann kriegt mein Vater Arbeit. Ihr könntet Euch ihnen anschließen.“

Mike Alder, der genau wußte, wovon sie sprach, fragte:„Und danach? Eine Spontanorgie?“Er hatte Latein gesprochen, und Mary-Rose, die Latein viel besser verstand als sprach, lachte laut und nickte.

„Barney wird mich umbringen,“stöhnte er.

„Vielleicht,“grinste Mary-Rose,„aber so schnell ist er nicht.“

Jetzt lachte Mike Alder und ging in Richtung Postamt. Das dauerte nur fünf Minuten. Dort bat er um ein Blatt Papier und Schreibzeug. Nach kurzem Überlegen schrieb er Folgendes:

Hallo, Gun,

habe heute mit Mary-Rose gesprochen, über Dich. Ich weiß, Du liebst dieses Thema nicht, aber als Dein wahrscheinlich bester Freund kann ich hierbei nicht länger zuschauen.

Einsamkeit tut nicht gut, auch Dir nicht. Ich werde nach diesem Brief eine junge Dame bitten, mich zum Pastor zu begleiten. Ich hoffe, sie kommt mit.

Ich kann mich noch an diese üppige Dame in Topeka erinnern, vor zwei Jahren. Witwe eines Musikers, wenn ich mich nicht irre, das Umherziehen also gewohnt. Wahrscheinlich hat es in den letzten zwei Jahren auch noch andere gegeben, und auch hier gäbe es wahrscheinlich mehrere Möglichkeiten außer der einen, die aber noch mindestens drei oder vier Jahre braucht.

Du mußt ja nicht gleich seßhaft werden, aber hör auf, davonzulaufen.

Dein Freund,

Mike Alder

Er steckte den Brief in einen Umschlag, versah diesen mit der letzten bekannten Adresse und gab ihn der gerade abgehenden Postkutsche mit.

Dann ging Mike Alder zu Barneys Saloon, der jetzt um die Mittagszeit wieder aufmachte.

Arthur Robinson gab dem Jungen, der ihm den Zettel brachte, einen Nickel, faltete den Zettel auseinander und las:

Hallo, Dad,

gleich kommen zwei Paare zur Trauung.

Onkel Julius mit Jacqueline und Onkel Mike mit Valerie.

Nur zur Warnung.

Mary-Rose

Er nahm seine Bibel, ein Blatt Papier und das Tintenfaß. Eigentlich wäre ja eine Stelle aus Hosea passend gewesen, aber der Pastor entschied sich gegen kleine Gemeinheiten. Und er hatte nicht mehr viel Zeit.

Mike Alder betrat den Saloon. Außer Valerie waren nur zwei andere Mädchen und George der Barmann, anwesend. Mike bekam weiche Knie. Er zog Valerie in eines der Separées.

„Was ist denn los, Mike?“Valerie war verunsichert, auch weil sie Mikes Gesicht nicht deuten konnte.

Mike suchte nach Worten.

„Jacqueline ist gerade bei Julius,“fing er an.

„Weiß ich,“meinte Valerie genervt.

„Mary-Rose meint, ihr Vater bekäme gleich Arbeit.“Es fiel Mike offensichtlich schwer, zum Punkt zu kommen.

„Gut möglich,“kommentierte Valerie.

„Ich habe mich gefragt,“stotterte Mike herum,„ob wir uns nicht …“

„ … Ihnen anschließen wollen?“begriff Valerie jetzt erschrocken.„Seid ihr eigentlich alle vom wilden Affen gebissen?“Sie war jetzt laut geworden.„Wieso glaubst Du eigentlich, ich wär auch von dieser Krankheit befallen?“

Mike fiel nichts Vernünftiges ein, also schwieg er und schaute sie nur an.

„Ich bin schon seit 11 Jahren in diesem Geschäft,“zeterte Valerie.„Weißt Du wieviel Männer ich hatte?“

Mike nickte nur. Er konnte es sich vorstellen.

„Und die Orgasmen kann ich mir an einer Hand abzählen. Der Rest war gespielt.“

Mike sagte noch immer nichts, aber in seinen Augen stand eine Frage.

„Natürlich wäre es für mich ein gutes Geschäft, die Frau eines der reichsten Rancher diesseits des Mississippi zu werden,“kalkulierte sie,„aber ich hasse alle Männer. Dreckskerle. Ich will nur ihr Geld!“

Mike rutschte unruhig hin und her. Er wußte nicht, was los war, begriff nur, daß es nichts mit ihm zu tun hatte.

„Jedesmal, wenn einer mich berührt, denke ich an das viele Geld, was schon bei Beddowes auf der Bank liegt.“

„Wieviel?“fragte Mike aus einer plötzlichen Eingebung heraus.

„Ist doch scheißegal!“brüllte sie.„Zweitausend Dollar! Zufrieden?“

Mike rechnete, nein, irgendetwas in ihm rechnete schnell. Bei einem bis zwei Dollar pro Nummer und den Kosten für Schminke, Kleidung, Leben im Saloon war es eine Menge Geld. Er pfiff durch die Zähne.

„Siehst Du,“keifte sie weiter,„ich brauch‘ Deine verdammte Kohle nicht.“Tränen standen in ihren Augen.„Ich schaff‘ es auch so, irgendwo die große Dame zu spielen, wo niemand mich kennt. Ich benutze Euch, um mir meine Wünsche zu erfüllen und werde nicht benutzt. Ich brauch‘ keinen tollen Mann, der mich zu Hause auch nur wie eine Nutte behandelt, die er bei seinem Schwiegervater gekauft hat.“Die Worte schossen nur so aus ihr heraus. Mike wußte jetzt, daß sie irgendetwas quälte, folgte seinem Beschützerimpuls und nahm sie in seine Arme. Seltsamerweise wehrte sie sich nicht, sondern fing an, fürchterlich zu weinen. Mindestens ein Vierteldollar Schminke landete auf dem Tisch, der Bank und Mikes Kleidern. Mike hielt sie einfach fest. George steckte leise seinen Kopf durch den Vorhang. Er hatte wohl alles gehört. Ein Blick von Mike, und er verschwand.

„Möchtest Du’s mir erzählen?“fragte Mike.

Sie nickte nur, heulte weiter und begann stockend:„Ich war gerade siebzehn. Tochter eines Pflanzers in South Carolina. Unsere Pflanzungen waren groß. Viele Sklaven. Eine der Sklavinnen war meine Mutter.“

Mike machte große Augen. Valeries Haut war komplett hell.

„Natürlich war sie eine Weiße und mit meinem Vater verheiratet, aber sie saß im goldenen Käfig.“

Mike verstand.

„Ich hatte noch einen Bruder und eine Schwester, und wieviele von den Sklaven meine Geschwister waren, weiß ich nicht, nur daß mein Vater sich gerne vergnügte. Als meine Mutter sich einmal die gleiche Freiheit herausnahm, hat mein Vater das arme Schwein vor ihren Augen zerstückelt.“

Mike Alder war sicher kein Waisenknabe, hatte schon einige Hinrichtungen gesehen und eine auch geleitet, aber das war selbst ihm zu hart. Sein Magen wollte sich umdrehen.

„George! Zwei Doppelte!“brüllte er, und es dauerte keine zwanzig Sekunden, bis die auf dem Tisch standen. Er kippte seinen sofort hinunter. Valerie nippte nur an ihrem.

„Der Sohn des Nachbarpflanzers hatte beide Augen auf mich geworfen,“erzählte sie weiter,„aber ich wollte nicht. Dummerweise hatte die Nachbarpflanzung ein Stück Land, daß meinem Vater Zugang zum Fluß verschafft hätte. Wichtig für die Verschiffung.“

Mike konnte sich das Szenario gut vorstellen. Das Wort Kuhhandel hätte Valerie beleidigt.

„Ich wurde also für 100 Morgen Land verkauft.“

‚Weit unter Wert,‘dachte Mike, hielt aber den Mund.

„Ich bekam den Handel mit und weigerte mich strikt, wollte nicht so werden wie meine Mutter.“Sie fing wieder an, zu heulen.„Da meinte mein eigener Vater … mein Vater meinte … mich brechen zu müssen.“Ihre Worte wurden fast unverständlich.„Er hat … er hat mich… Myrna.“

Mike verstand:„Das Schwein!“

„Ich hab‘ mich gewehrt und ihm das Briefmesser ins Gemächt gestochen.“

Mike wurde etwas anders zumute.

„Danach bin noch mit meinen zerrissenen Kleidern auf einem Pferd davon.“

Mike hielt sie einfach fest.

„Das Pferd hab‘ ich später verkauft, mein Kind weggegeben.“

Mike brauchte einige Augenblicke, um diesen Satz zu entschlüsseln. Er wußte nicht, was er tun oder sagen sollte, fühlte sich komplett hilflos.

„Danach habe ich dann in verschiedenen Saloons im Westen gearbeitet. Mal nur getanzt, aber meistens gebumst.“

„Hör‘ mir jetzt 'mal zu,“sagte Mike.„Ich verspreche Dir nicht den perfekten Ehemann. Du kennst mich. Ich rede hier auch nicht über den ganzen Quatsch mit ehrbaren Frauen. Paßt nicht zu mir. Aber …“

„Ja?“antwortete Valerie vielleicht etwas zu schnell.

„ … bei mir gibt es keinen Käfig,“beendete er den Satz so halb,„nur ein geräumiges Farmhaus mit Platz für Kinder und Vertrauen.“

Valerie blickte ihn an. Ihr Gesicht sah fürchterlich aus, aber Mike fand es jetzt noch hübscher.

„Kein Zwang?“fragte sie.

„Ich kann warten,“beantwortete er ihre Fragen.

Valerie blickte wieder nach unten, dann nach oben und wieder nach unten, murmelte etwas sehr unfeines. Mehr als einmal durchzuckte es sie, bis sie Mike wieder ansah:„Habe ich eine Viertelstunde zum Umziehen und Schminken?“

„Ich denke, Julius ist nicht so schnell,“grinste Mike und brachte sie zu ihrem Zimmer. Er selbst blieb draußen. Er hatte sie zwar schon oft nackt gesehen, aber jetzt war es doch irgendwie anders.

Als sie gerade den Saloon verlassen wollten, stellte Barney sich ihnen in den Weg.

„Halt, nicht so schnell,“meinte der Wirt.

Mike stellte sich vor Valerie. Er hätte Barney jetzt einfach 50 Dollar geben können, und die Sache wäre erledigt gewesen, aber das konnte er Valerie nicht antun. Er hatte schon die Hand am Colt, als Barney abwehrte:„Das wage ich nicht. Vor allem wegen Jack und Mary-Rose.“Mike hätte beinahe gelacht.

„Ich habe alles gehört,“fuhr Barney fort.„Haltet Ihr mich wirklich für so ein Arschloch?“

„Nein,“antwortete Valerie.

Barney gab ihr Geld.

„Dein Lohn,“sagte er und trat aus dem Weg.„Viel Glück!“

Die beiden verließen den Saloon und traten draußen in die helle Sonne. Die Hauptstraße kamen Leute herauf, und inmitten der Menge schritten Julius und Jacqueline. Mike und Valerie schlossen sich ihnen an. Mary-Rose sorgte mit ihrer Anwesenheit für die nötige Ordnung.

Nur ein wenig weiter standen Ron Alder und Feodora Blake. Als die Prozession bei ihnen ankam, sahen sie sich in die Augen, nickten beide und schlossen sich an.

Joe Adams schloß den Laden und belud einen Wagen. Aus allen Herdstellen rauchte es kräftig und vor der Kirche erwartete sie nicht nur der Pastor sondern auch eine Abordnung aus allen vier Stämmen.

Clayton führte die Fergusons nach draußen und erfaßte schnell die Sachlage.

„Kommen Sie mit,“lud er das fremde Ehepaar ein.„Da feiern ein paar Leute Hochzeit.“

„Aber wir sind hier doch völlig fremd,“wandte Beth Ferguson ein.

„Egal,“lachte Clayton.„Wenn hier gefeiert wird, feiern alle mit.“

Als er auf die Hauptstraße treten wollte, wäre er beinahe von einem Wagen überrollt worden. Jack Alder mit Frau und Bruder. Clayton sah auf seine Uhr und nickte. Schnelle Pferde, gute Zucht. Clearwater brauchte mehr als nur die Goldmine.

Die Fergusons folgten ihm schicksalsergeben.

Die Kirche war gerammelt voll. Überall standen die Leute, und Mary-Rose hatte echte Schwierigkeiten, an den Spieltisch der kleinen Orgel zu kommen, die sie sich letztes Jahr geleistet hatten. Sie wollte sich, nachdem sie auf einen verweisenden Blick ihres Vaters den Hut abgenommen hatte, gerade setzen, als ihr jemand auf die Schulter tippte. Hinter ihr stand Augusta Alder und machte ein Zeichen, daß sie spielen wollte. Mary-Rose überließ ihr bereitwillig den Spieltisch, auch weil Tante Hermines beide beste Freundinnen es sahen und die Lippen zusammenpreßten. Zu sagen wagten sie nichts. Mary-Rose hatte ihre Colts nicht neben der Tür abgelegt.

Der Pastor hielt die Predigt gnädig kurz. Er hatte ja auch nicht viel Zeit dafür gehabt, und Ron und die Lehrerin kamen unerwartet. Mary-Rose erfuhr einmal mehr, daß ihr Vater im Predigen und im Umgang mit der Bibel ein Genie war. Sie wußte, daß sie ihm da nachschlug. Woher hatte sie dann aber das Talent für ihre Waffen, bzw. warum war es für ihren Vater so schwierig, einen Colt zu reinigen? Unbegreiflich.

Die Eheschwüre wurden gesprochen und die Bräute geküßt. Augusta beendete ihr Spiel und rannte auf ihre neuen Schwägerinnen zu. Vor Feodora hatte sie etwas Scheu, aber die andere nahm sie beide und auch Jacqueline in die Arme.

Von hinten kam Jack Alder auf seine Brüder zu und schlug mit jeder Hand einem von ihnen auf die Schultern:„Hab‘ ich doch noch richtige Männer aus Euch gemacht.“

„Immerhin haben wir uns früher getraut,“schoß Mike zurück

„Ich hab‘ mir nur ein Vorbild an meinem großen Bruder genommen,“grinste Ron.

„Bleibt nur noch ein Problem,“wandte jetzt Mary-Rose ein.„Was machen wir mit Onkel Doug?“Sie rieb sich das Kinn und schlenderte davon.

„Irgendjemand sollte Doug warnen,“meinte Mike.

„Warum?“fragte Julius, und die drei Brüder lachten knochenhart.

Ethel hatte das mitbekommen und sah jetzt, wie Mary-Rose zielstrebig auf Brenda Baiter zusteuerte.

‚Keine schlechte Idee,‘dachte sie,‚und wenn ich nicht aufpasse bin ich hier arbeitslos.‘

Als die Brautpaare endlich den Platz neben der Kirche erreichten, waren dort schon Tische und Bänke aufgebaut. Barney und George schleppten fässerweise Hochprozentiges an, und auf der anderen Seite wurde ein Buffet aufgebaut, dem man ansah, daß Grands Laden gründlich geplündert worden war. Auch Joe Adams half beim Aufbau, bis er die Brautpaare sah. Erschrocken ging er langsam auf die Frischvermählten zu.

„Miss Valerie!“rief er aus.„Sie sind es wirklich.“

Valerie sah ihn erschrocken an, offensichtlich unwissend, wo sie ihn hintun sollte.

„Ich bin’s, der kleine Joe,“half er ihr, und langsam dämmerte es ihr. Elf Jahre waren eine lange Zeit.

„Joe?“fragte sie, und hielt die Hände ungefähr in Hüfthöhe.

„Ja,“lachte er, und zum zweiten Mal an diesem Tag zerfloß Valeries Make-Up in Tränen.

„Ich weiß, was damals passiert ist,“meinte Joe,„und falls es Sie tröstet: Sie haben damals gut getroffen. Ihr Vater hat sich nie mehr an einer Frau vergriffen.“

Valerie heulte noch mehr.

„Danke, Joe,“sagte sie nur und verschwand mit ihrer Schwägerin, um ihr Gesicht wieder herzurichten.

Mike Alder reichte Joe eine Zigarre und drückte ihm die Hand.

„Jetzt seid ihr beide frei,“sagte er dazu, während sein Bruder die Zigarrenkiste herumreichte. Auch Langes Ohr nahm eine und gab Joe Feuer. Joe zog an seiner Zigarre und stieß genießerisch den Rauch aus.

„Hey, soll der Sheriff leer ausgehen?“Mary-Rose stand da, mit einer Zigarre im Mund, und Großes Feuer persönlich zündete ihr die an. Das Mädchen zog an der Zigarre und unterdrückte sichtlich den Hustenreiz.

„Könnt‘ mich glatt dran gewöhnen,“grinste Mary-Rose und schlenderte davon. Die Männer schmunzelten.

Marge überblickte die Feier. Ganz Clearwater schien hier versammelt, außerdem einige Fremde. An den Whiskyfässern standen nur wenige Leute, die meisten tranken Bier und Barneys Mädchen sorgten in schicklicher Kleidung zusammen mit anderen für die Versorgung der Tische. Apropos Mädchen: Wo war eigentlich Mary-Rose? Sie sah ihre Tochter im Gespräch mit Doug Alder und … rauchend. Das ging entschieden zu weit! Sie ging los, bewegte die Füße, aber nicht den Körper. Irgendjemand hatte sie an den Hüften hochgehoben. Sie blickte hinter sich. Arthur! Ebenfalls mit Zigarre im Mund.

„Laß sie, Schatz,“riet er zu ihrer Verblüffung.

„Aber, Arthur!“Marge widersprach ihrem Mann selten, aber hier.

„Wenn sie die Zigarre wirklich schafft,“lächelte er wissend,„wird es auf lange Zeit die letzte sein.“

„Aber sie ist erst dreizehn!“protestierte Marge.

„Und der Sheriff,“antwortete ihr Mann.

Marge verstand, was er meinte. Die Diskussion über die Zigarre mußte warten, bis die Robinsons unter sich waren. Sie nickte, und Arthur schlenderte davon, in Richtung Mary-Rose.

Jetzt kam auch Valerie wieder, noch stärker aufgebrezelt als vorher. Das Kleid mußte irgendwo aus dem alten Süden stammen. Offensichtlich war es selbst genäht. Nun ja, meinte Marge, der Traum vom besseren Leben hatte sich für Valerie wohl verwirklicht.

Der Pastor kam endlich bei seiner Tochter und Doug Alder an.

„Na, Du einsamer Wolf,“grüßte er grinsend und erschreckte damit gleichzeitig Mary-Rose.

„Ist die Krankheit ansteckend, Pastor?“fragte Doug zurück.

„Nicht ansteckender als Rauchen,“konnte sich der Pastor den Seitenhieb nicht verkneifen. Mary-Rose zog den Rauch ihrer Zigarre tief ein und stieß ihn genießerisch von sich. Was immer sie in diesem Augenblick verspürte, sie zeigte nur Wohlbehagen. Und eine Selbstbeherrschung, die ihrem Vater imponierte.

„Wir diskutieren hier Kandidatinnen,“meinte sie trocken und wies mit der Zigarre zwischen den Fingern in die Runde.„Sie sind alle hier, Onkel Doug.“Sie lächelte wissend.„Und gleich wird getanzt.“

Dann schlenderte sie davon, und Doug fragte:„Wie hältst Du das bloß aus, Arthur?“

„Frag 'mal Marge,“kam die Antwort und Doug Alder lachte schallend.

„Findest Du nicht, daß Du dafür noch ein bißchen jung bist,“fragte Doc Rivers jetzt Mary-Rose.

„Hat medizinische Gründe,“gab sie zurück und erntete einen sehr fragenden Blick.

„Bei meiner Mutter ist der Blutdruck zur Zeit etwas niedrig,“erklärte sie,„und das ist doch nicht gut in der Schwangerschaft.“

„Aufregung ist aber auch nicht gut fürs Baby,“gab der Arzt lachend zurück.

„Gut,“antworte Mary-Rose.„Ist meine letzte für heute.“

Sie achtete darauf, genau vor Tante Dorothy und Tante Wilma herzugehen und ihnen den Rauch ins Gesicht zu blasen. Die beiden wagten kein Wort, waren überhaupt ziemlich still seit Tante Hermines Tod. Mary-Rose setzte sich zu einigen Honoratioren der Stadt, bis jemand brüllte:„Das Buffet ist eröffnet!“

Am Buffettisch traf sie ihre Mutter.

„Nur Bier,“flüsterte die.

„Och, Mum,“maulte Mary-Rose, ohne das Gesicht zu verziehen, und lud sich den Teller voll.

„Die Zigarre ist genug,“bestand Marge.

„Na, gut,“bestätigte ihre Tochter und setzte sich zu Myrna und den anderen großen Mädchen. Sofort brachte ihr jemand ein Bier, während Myrna sich wie die anderen Mädchen, alle mehrere Jahre älter als Mary-Rose, mit Limonade oder Wasser begnügte.

Für etwa eine Stunde war jetzt alles mit Essen beschäftigt. Die Lautstärke sank deshalb nicht unbedingt. Mary-Rose ließ sich mit ihrem Bier viel Zeit, prostete diesem oder jenem zu, hielt sich zurück, wie Marge zufrieden bemerkte.

Irgendwann kam die kleine Band auf die improvisierte Bühne und fing an, zum Tanz aufzuspielen.

Jeder erwartete zuerst einen Square Dance, aber die Spieler strengten sich an und bekamen einen passablen Walzer zustande, der von den Brautpaaren eröffnet wurde. Allerdings führte Jacqueline Julius, was niemanden wunderte, wenn es überhaupt jemand bemerkte. Clayton forderte Ethel zum Tanz auf, deren Eleganz Augusta beeindruckte. Jack und Mike gaben sich redlich Mühe, aber die Jahre im Sattel hatten ihre Spuren hinterlassen. Alle drei Alder-Frauen beschlossen unabhängig, daß da eine Auffrischung angesagt war.

Dann aber ging es richtig los, und Mary-Rose war fast bei jedem Tanz dabei. Irgendeiner forderte sie immer auf. Darunter auch etliche junge Burschen. Marge beobachtete das, als Ethel, die sich kurz ausruhen mußte, meinte:„Nochmal so jung sein.“

„Wie jung?“fragte Marge irritiert.

„Dreizehn,“lächelte Ethel.„Ohne Pause tanzen können, Bier trinken, rauchen, mit zwei Colts durch die Stadt laufen und Sheriff spielen.“

„Sarkasmus steht Dir nicht,“stellte Marge fest.

„Sei doch froh, daß sie so akzeptiert ist.“

„Aber sie ist noch so jung.“

„Sie schafft neben der Schule einen Job, an dem schon sehr gute Männer gescheitert sind. Die Zigarre hat sie sich redlich verdient.“Ethel sprach mit Nachdruck, und Marge wußte, daß sie Recht hatte.

„Ich weiß, aber …“

„Du siehst immernoch Dein kleines Mädchen, aber das ist sie nicht mehr.“

„Sie ist aber auch noch nicht erwachsen.“

„Nein, da hast Du Recht.“

„Hat man als Mutter eigentlich immer verloren?“

„Weiß nicht. Ich hatte leider keine Kinder.“

In diesen Worten schwang so viel mit, daß Marge die Sache auf sich beruhen ließ. Sie suchte sich einen Zettel und einen Bleistift.

Mary-Rose fühlte nur, wie ihre Mutter ihr einen Zettel in die Hand drückte. Erstaunt las sie:

Feiere, wie Du willst.

Mum

Mary-Rose grinste, gab ihrem Vater den Zettel und fing an, das Fest zu genießen.

Irgendwann ging Joe zur Band und redete mit den Leuten. Dann ging er auf Myrna zu.

„Darf ich bitten?“fragte er höflich.

Myrna errötete, stand auf und ließ sich zur Tanzfläche führen. Die Musik spielte einen sehr langsamen Tanz. Keiner wagte es, Myrna und Joe zu stören.

Am nächsten Morgen ging der Wecker bei Mary-Rose nicht. Marge klopfte, um sie zum Gottesdienst zu wecken. Stöhnen antwortete ihr. Sie klopfte nochmal und rief ihre Tochter.

„Nicht so laut, Mum,“stöhnte es von hinter der Tür. Marge hatte leise geklopft und öffnete jetzt die Tür. Mary-Rose drehte sich auf die andere Seite.

„Du mußt aufstehen,“sagte Marge.„Du spielst heute.“

Mary-Rose drehte sich um, und Marge hätte beinahe laut gelacht. Ihre Tochter sah fürchterlich aus. Der Versuch, sich im Bett hinzusetzen, scheiterte auch beim ersten Mal. Dann hielt sie ihren Kopf mit den Händen. Marge ignorierte das. Sie legte Mary-Rose ein Kleid heraus und stellte den Wasserkrug zur Waschschüssel. Mary-Rose wankte zum Waschtisch, und Marge beschloß, sie in Ruhe zu lassen.

Am Frühstückstisch hatte Mary-Rose zwar die äußeren Spuren des Festes beseitigt, war aber einsilbig und verzog jedes Mal das Gesicht, wenn ihre Eltern etwas sagten. Allerdings sagten beide nichts über ihren Zustand.

„Also, gut,“brach Mary-Rose ihr Schweigen,„wann kommt die Strafpredigt?“

„Die gibt’s nicht,“beschied ihr Vater.

Mary-Rose machte große Augen.

„Wer feiern kann wie eine Erwachsene, muß auch wie eine Erwachsene mit den Folgen fertig werden,“erklärte ihr ihre Mutter.

„Hab‘ ich ein Glück,“stöhnte Mary-Rose, goß sich zitterig noch einen Kaffee ein und bekam von ihrer Mutter einen Krug mit Wasser und ein Glas vorgesetzt. Nach dem Frühstück ging sie etwas an die frische Luft.

Arthur und Marge lächelten sich an. Das war besser als jede Strafpredigt.

Clayton traf das Ehepaar Ferguson vor dem Saloon. Sie gingen zu Fuß zur Kirche. In der Kirche setzten sie sich weit nach hinten in die Ecke. Die Fergusons wollten nicht von jedem gesehen werden. Möglicherweise wollten sie auch schnell flüchten können. Clayton wußte es nicht. Sie waren weder die ersten noch die letzten. Jenkins saßen schon weiter vorne. Die Alders, jetzt zu siebt, kamen fast als letzte. Nach ihnen betrat nur Mary-Rose die Kirche, hängte ihre Colts an den Haken und setzte sich an den Spieltisch der Orgel. Clayton, der gesehen hatte, in welchem Zustand sie das Fest verlassen hatte, fand ihre Haltung bewundernswert, auch wenn sich der eine oder andere falsche Ton einschlich. Und der Reverend hatte nicht die einfachsten Lieder ausgesucht.

Nach dem Gottesdienst verschwand Mary-Rose fast sofort, während Myrna an Ausgang zögerte, als sie die Fergusons sah. Auch Clayton wußte nicht, wie er die beiden Gruppen einander vorstellen sollte, und die Fergusons waren erst recht hilflos. Ein paar Minuten standen die Jenkins und die Fergusons einige Yards voneinander entfernt, ohne etwas zu sagen, bis es Isaiah Jenkins offensichtlich zu dumm wurde. Er ging auf Richard Ferguson zu und hielt die Hand hin.

„Isaiah Jenkins,“stellte er sich vor.

„Richard Ferguson,“antwortete der Angesprochene und ergriff die Hand.

Jetzt kam auch Elvira nach vorne. Am Ende stand nur Myrna unbeweglich da. Ihre Nervosität schien sich auf das Baby zu übertragen, denn man sah die kleinen Ausbeulungen sogar unter ihrem Umstandskleid. Am Ende faßte Beth Ferguson sich ein Herz und ging auf sie zu.

„Du bist Myrna, nicht?“

Myrna nickte nur. Alle schwiegen verlegen. Myrna suchte jemanden mit ihren Augen, und plötzlich wußte Elvira auch, wen.

„Wo ist Mary-Rose?“fragte sie Marge.

„Wahrscheinlich zurück ins Bett,“grinste die.

„Hat sie denn …?“fragte Augusta Alder.

„Sie ist auf ihren eigenen Beinen nach Hause und ins Bett gekommen,“lachte Marge.

„Sie hat sogar den Abort und ihren Nachttopf gefunden,“ergänzte ihr Mann und fast alle lachten.

„Mary-Rose ist unsere Tochter,“erklärte Marge den Fergusons.

„Und gleichzeitig unser Sheriff,“ergänzte Clayton lachend.

„Doch nicht etwa das Mädchen mit den beiden Colts gestern auf dem Fest?“fragte Richard Ferguson.

„Genau die,“brummte Isaiah.

„Ich hatte angenommen, das wäre eine Verkleidung,“erklärte Beth Ferguson.

Marge verzog das Gesicht:„Leider nein. Die Colts sind echt.“

„Und heute Morgen?“

„Eine Konzession an meine Stellung,“grinste der Pastor.„Hält in der Regel bis kurz vorm Mittagessen.“

„Sie ist dreizehn,“lachte Clayton,„und jeder, der sie ‚Mädchen‘ nennt, macht mit ihren Colts Bekanntschaft.“

„Ist vor drei Monaten ‚Frau‘ geworden, wie sie es ausdrückt,“flüsterte Augusta verschwörerisch, und die versammelte Meute lachte.

„Und wenn sie nur einen Schluck Alkohol mehr getrunken hätte …,“fing Rivers an.

„ … hätten wir alle eingegriffen, um die Stadt zu retten,“vollendete Ethel den Satz und erntete weiteres Gelächter.

Die Fergusons waren etwas verwirrt.

„Aber warum hat ein dreizehnjähriges Mädchen – pardon eine dreizehnjährige Frau – zwei geladene Colts?“fragte Beth Ferguson.

„Ist in Grunde meine Schuld,“erklärte ihr der Bürgermeister,„weil’s meine Idee war.“

„Aber,“warf Richard Ferguson jetzt verwirrt ein,„warum?“

Urplötzlich kehrte Stille ein. Richard Ferguson begriff, daß er die falsche Frage gestellt hatte, und auch die Lösung dämmerte ihm.

Die Stille dauerte an. Keiner wagte es, dem fremden Ehepaar zu erklären, warum Mary-Rose zwei Army-Colts ihr Eigen nannte. Der Pastor blickte aufmunternd vom einen zur anderen, aber auch der sonst nicht auf den Mund gefallene Mike Alder wollte sich diesen wohl nicht verbrennen.

„Nur nicht alle auf einmal,“knurrte Robinson und nahm die Fergusons beiseite. Er war nicht nur der Pastor, sondern es war auch seine Tochter, die deren Sohn – wenn auch aus gutem Grund, aber eben mit seinem Colt – erschossen hatte. Er brachte die Sache kurz und schmerzlos hinter sich. Beide Fergusons nickten nur ernst und kamen dann zurück.

„Kommen Sie doch mit zum Essen,“lud Elvira sie ein.

Die Fergusons waren offensichtlich unschlüssig.

„Und Sie auch, Bürgermeister,“sagte Elvira deshalb.

„Gute Idee,“antwortete der.„Wir nehmen an.“

Die Sechs verließen den Kirchhof. Jack Alder blickte ihnen nach.

„Wird 'ne harte Nuß für Mary-Rose,“stimmte ihm Mike zu.

„Starker Tobak,“nickte Jack.

„Sie wird ihn rauchen,“meinte Feodora.

Marge sagte nichts, aber ihr Gesicht sprach Bände.

Am Mittagstisch herrschte immernoch eine gespannte Atmosphäre, und hätte Clayton nicht ab und zu ein lobendes Wort über Elviras Küche verloren, wäre es ein schweigendes Mahl geworden.

Nach dem Essen setzten sich die Männer auf eine Zigarre in den Garten.

Richard Ferguson sah den Falben auf der Weide hinter dem Haus.

„Ein schönes Pferd,“bemerkte er, nur um das Schweigen zu brechen.

„Es gehört Myrna,“antwortete Isaiah in einem Anfall von Diplomatie.

„Aha.“Richard ging hin. Das Pferd kam und ließ sich streicheln. Gedankenverloren stand Richard da, murmelte etwas Unverständliches. Isaiah ging hin, lehnte sich über die Fence. Clayton blieb sitzen.

„Gehörte es …?“fragte Richard und deutete auf das Pferd.

Isaiah nickte nur.

„Gab es noch mehr?“

„Ein Revolver, ein Henry-Gewehr, der Sattel und ein paar Kleinigkeiten,“Isaiah gab sich Mühe, nicht kurz angebunden zu klingen. Richards Anteilnahme schien echt.

„Bargeld?“

„Nur ein paar Dollar. Der Richter hat noch den ausstehenden Lohn vom Viehtrieb eingetrieben.“

„Aha.“

Wieder Schweigen. Jeder der Männer hing seinen Gedanken nach.

„Ich weiß nicht, was ich sagen soll,“seufzte Richard.

Isaiah drehte sich um:„Es ist gut, daß Sie hier sind, auch wenn Myrna noch eine Weile brauchen wird.“

„Ich fühle mich so hilflos.“

Isaiah grinste.

„Ich auch,“sagte er,„oder meinen Sie, die letzten neun Monate waren einfach für mich?“

„Sicher nicht,“beeilte Richard sich, zu sagen.

„Aber Sie sind hier, und niemand, auch Myrna nicht, verurteilt sie.“

Richard machte große Augen.

„Sie fühlt sich ohne Mary-Rose und ihre Colts nur sehr unsicher.“

Richard verstand.

„Das wird auch noch eine schwierige Begegnung,“meinte Richard.

Isaiah hatte dazu so seine eigenen Gedanken, hielt aber den Mund.

Jetzt kamen auch die beiden Ehefrauen heraus, aber ohne Myrna.

„Myrna backt noch schnell einen Kuchen,“erklärte Beth.„Wir haben lange miteinander geredet.“

„Könnt ihr Männer den Tisch hier draußen aufstellen und ein paar Stühle?“fragte Elvira, und die drei Männer machten sich ans Werk. Durch das Küchenfenster konnte man derweil Myrna sehen, wie sie buk. Ihr Vater wollte gerade die Küchenstühle nach draußen holen, als Myrna vor Schmerzen das Gesicht verzog.

„Was ist?“fragte ihr Vater besorgt.

Myrna schob den Kuchen in den Ofen und lächelte tapfer:„Hier zieht sich alles zusammen.“Sie zeigte auf ihren Bauch.

Isaiah Jenkins war nun mit Sicherheit kein medizinisches Genie, aber hier war die Lage offensichtlich.

„Elvira,“brüllte er,„es geht los!“

Seine Frau brauchte nur einen Augenblick, um zu begreifen.

„Ich hole Dr. Rivers,“sagte Clayton und machte sich auf den Weg.

Sie brachten Myrna in ihr Zimmer, während Beth Ferguson geistesgegenwärtig einen Wecker für den Kuchen stellte.

„Wo ist Mary-Rose?“wimmerte Myrna nach der nächsten Wehe.„Warum mußte sie sich ausgerechnet gestern zusaufen?“

„Sobald das Baby entwöhnt ist, holst Du das nach,“brummte ihr Vater abwesend und nahm Richard mit vor die Tür.

„Mary-Rose wird nicht kommen, oder?“meinte Richard.

„Vielleicht,“stöhnte sein Gastgeber.„Immerhin hat sie Ihren Sohn erschossen. Holen muß ich sie trotzdem, zumindest versuchen.“

„Schnell,“drängte Richard,„Schreibzeug!“

Isaiah, auch im Schreiben keine Leuchte, mußte erst suchen. Normalerweise überließ er Elvira die Post. Endlich fand er ein Blatt Papier und einen Bleistift. Richard warf ein paar Zeilen auf’s Papier, leserlich, wie er fand. Für Schönschrift war auch später noch Zeit.

Isaiah nahm das Papier und machte sich auf den Weg, während die beiden Frauen Myrna halfen.

Als Isaiah kurze Zeit später bei den Robinsons eintraf, saß Mary-Rose in einem Lehnstuhl im Garten und schlief, den Hut im Gesicht, den Gurt umgeschnallt. Isaiah berührte sie an der Schulter und … blickte in die Mündung eines Army-Colts. Erst danach wurde der Hut aus dem Gesicht geschoben.

„Ach, Du bist das, Onkel Isaiah.“Sie steckte den Revolver wieder weg.

„Myrna möchte, daß Du kommst,“sagte Isaiah.„Das Baby kommt.“

Mary-Rose wollte schon aufspringen, ließ sich aber dann doch wieder zurückfallen.

„Mein Kopf,“stöhnte sie.

Isaiah, der wußte, daß das nur Show war, fuhr sie an:„Wer saufen kann, wie eine Erwachsene, kann dann auch erwachsen handeln!“

„Hab‘ ich heute Morgen schon 'mal gehört.“

„Ich habe allerdings eher das Gefühl, daß der Sheriff von Clearwater sich vor ihrer Verantwortung drückt.“Diese Worte taten ihm selbst weh. Trotzdem.

„Diese … Leute sind noch bei Euch, oder?“bestätigte Mary-Rose.

„Ja,“sagte Isaiah,„und früher oder später wirst Du Dich ihnen stellen müssen.“

„Lieber später,“drehte Mary-Rose das Gesicht weg.

„Myrna braucht Dich!“drängte Isaiah.

„Dann soll sie diese Leute wegschicken!“sträubte sich das Mädchen.

Isaiah nahm Richards Zeilen hervor und begann laut zu lesen:

Liebe Miss Robinson,

ich kann mir denken, daß Sie große Vorbehalte gegen ein Treffen mit mir und meiner Frau Beth haben. Dies ist uns auch nur verständlich. Ich darf ihnen aber versichern, daß von unserer Seite keinerlei Vorbehalte existieren. Auch wenn sie damals noch nicht Sheriff von Clearwater waren, war Ihr Handeln aus unserer Sicht absolut richtig. Unser Sohn hätte wohl auch ohne Ihren Schuß am Galgen gehangen, so aber konnten wenigstens die Leben Ihrer Freundin und unseres Enkels gerettet werden. Dafür danken wir Ihnen und bitten Sie, Ihrer Freundin jetzt ohne Rücksicht auf unsere Personen beizustehen. Wenn es Ihr Wunsch ist, werden wir uns für die Dauer Ihrer Anwesenheit zurückziehen.

Ihr ergebener Diener,

Richard Ferguson

Mary-Rose wandte sich um:„Ist das sein Ernst?“

„Ich habe keinen Grund, daran zu zweifeln,“bestätigte Isaiah.„Er sieht das Treffen zwar als schwierig, will es aber unbedingt.“

Der Sheriff schwieg.

„Sie drücken sich nicht,“erhöhte Isaiah jetzt den Druck.

„Na, gut.“Mary-Rose gab wieder die maulende Dreizehnjährige, stand aber auf und ging los. Isaiah folgte ihr.

Marge hatte hinter dem Küchenfenster alles gehört. Sie nahm sich vor, später bei den Jenkins vorbeizuschauen.

Als sie am Haus ankamen, war der Arzt schon bei Myrna und untersuchte sie. Mary-Rose ignorierte die Fergusons und kümmerte sich zuerst um Myrna. Mantel und Hut wanderten an den Haken, und sie kontrollierte, ob ihre Colts geladen waren.

„Meinst Du, ich fühl‘ mich jetzt sicherer?“fragte Myrna lächelnd.

„Hat zumindest bisher immer funktioniert,“grinste ihre Freundin zurück,„und Du weißt, was Miss äh Mrs. Alder uns über Empirie erzählt hat.“

„Geladene Colts als Beruhigung für werdende Mütter?“lachte Rivers.„Wie läuft die Untersuchung?“

„Bei dieser werdenden Mutter,“Mary-Rose deutete auf Myrna,„beträgt die Erfolgsquote 100%. Weitere Probantinnen waren nicht zu bekommen.“

„Immerhin.“Rivers wandte sich wieder seiner Patientin zu, während Richard Ferguson sich krampfhaft das Lachen verbiß. Das Mädchen – pardon: die junge Frau - hatte ja ein Mundwerk.

„Und jetzt alle Männer außer dem Doc 'raus hier,“befahl Mary-Rose.„Anordnung des Sheriffs.“

Myrna mußte lachen:„Mary-Rose! Bitte!“

„Wirkt der Whisky noch nach?“fragte der Arzt lakonisch.

„Wollen Sie’s ausprobieren?“kam die Rückfrage. Der Arzt maß Myrnas Puls.

„Hat die eine Schnauze!“grinste Richard draußen.

„Sie sollten sie 'mal erleben, wenn sie richtig in Fahrt ist,“erklärte Isaiah.„Dann kennt sie weder Freund noch Feind.“

Drinnen ging die Geburt weiter. Mary-Rose hatte sich die Hände gewaschen und half, so gut sie konnte. Meistens hielt sie aber nur Myrnas Hand.

„Pressen!“befahl Elvira, und Myrna preßte, fiel dann zurück.

„Nochmal!“

Myrna gab sich alle Mühe, schrie laut vor Schmerzen.

„Kopf ist draußen,“kommentierte Mary-Rose trocken und stauchte ihre Freundin kräftig zusammen. Ein zufriedenes Grinsen begleitete die ersten Schreie des neuen Erdenbürgers. Beth Ferguson schüttelte den Kopf. Myrna weinte, und Rivers gab Mary-Rose die Schere.

„Schneid‘ die Schnur durch.“

Mary-Rose nahm die Schere. Ihre Hand zitterte leicht. Dann riß sie sich zusammen und schnitt die Nabelschnur sauber durch. Danach legte sie ihrer Freundin höchstpersönlich das Baby in den Arm.

„Ist ein Junge.“

Myrna nickte nur und legte den Kleinen an die Brust. Er fing sofort an, zu trinken. Dann durften die Männer wieder herein. Alle bewunderten das hilflose Bündel in Myrnas Armen.

„Wie soll er denn nun heißen?“fragte Elvira.

Myrna blickte Mary-Rose an. Die nickte.

„Jeremiah,”sagte Myrna,„denn die Klagelieder sind vorbei.“

„Außerdem folgt Jeremiah auf Isaiah,“ergänzte Mary-Rose,„und er heißt Jenkins.“

Isaiah Jenkins standen die Tränen in den Augen, und keiner sagte ein Wort. Mary-Rose ging in den Garten, zog beide Colts und schoß abwechselnd Salut. Nach dem dritten Schuß antworteten die Kirchenglocken und dann die Gewehre ganz Clearwaters.

Richard und Beth Ferguson sahen sich an. In diesem Moment rappelte der Wecker, und Beth stürzte in die Küche, um den Kuchen aus dem Ofen zu holen.

Als der Salut geschossen war, kam Mary-Rose zurück ins Haus. Elvira hatte unterdessen Kaffeewasser aufgesetzt und kurze Zeit später waren alle um den Tisch versammelt. Isaiah holte seine letzte Flasche Bourbon hervor, aber Mary-Rose wehrte ab.

„Heute nicht, Onkel Isaiah,“sagte sie.

„Wirkt die Ladung von gestern noch nach?“fragte ihr Vater, der jetzt um die Ecke kam.

„Vielleicht,“grinste seine Tochter.

Ethel hatte sich ihr von hinten genähert, legte ihr die Hände auf die Schultern und sagte:„So langsam können wir Dich also zur zivilisierten Gesellschaft rechnen.“

„Nein,“antwortete Mary-Rose,„nur zu der von Clearwater.“

Marge saß bei Doc Rivers und ließ sich untersuchen. Der Arzt ließ sich Zeit.

„Alles in Ordnung,“sagte er dann.

„Wirklich?“fragte Marge. Zwei Fehlgeburten hatten ihre Spuren hinterlassen.

„Ja, wirklich,“bestätigte Rivers.„Wahrscheinlich profitieren sie von Mary-Rose.“

„Warum?“Marge war verblüfft.

„Ihr Blutdruck war immer zu niedrig,“erklärte der Arzt.

„Und sie meinen …?“

„Gut möglich, daß das eine Schwangerschaft verhindert hat, weil der Körper sich schützen wollte.“

„Und Mary-Rose …?“

„ … hat in letzter Zeit Ihren Blutdruck nach oben getrieben. Hat vielleicht geholfen.“

Marge seufzte:„Muß ich meiner Tochter am Ende noch dankbar sein für ihre Eskapaden?“

„Nein,“sagte Rivers,„aber einen etwas entspannteren Umgang mit dem Thema würde ich im Interesse des Kindes schon empfehlen.“

„Sie sind nicht der Erste, der mir das sagt.“

„Wir sind in einer Demokratie,“lächelte Rivers,„und die Mehrheit entscheidet.“

Marge verdrehte die Augen.

„Sie hören sich schon fast so an wie Mary-Rose.“

„Hatte gestern 'ne Überdosis.“

Marge mußte laut lachen.

Clearwater

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