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Dialektik

Welche Kunst, welches Verfahren oder welche Beschäftigung führt uns dort hinauf wohin es zu wandern gilt? Der Ort wohin es zu gelangen gilt möge uns als ausgemacht und vielfach nachgewiesen feststehen, nämlich zum Guten und zum ersten Urgrund; wie denn die Erörterungen in denen dies nachgewiesen wurde, selbst schon eine Art von Führung dorthin waren. Aber welch ein Mensch muß der sein, der dort hinaufgeführt werden soll? Vielleicht einer, der alles, oder wie es heißt ‘das meiste gesehen hat’, der ‘bei der ersten Geburt’ ‘in den Keim eines künftigen Philosophen oder Musikers oder Erotikers’ eingesenkt wurde? So soll man also den Philosophen von Anlage und den Musiker und den Erotiker hinaufführen. Und welches ist die Weise der Hinaufführung? Ist sie für all diese gleich oder für jeden eine besondere? Ein doppelter Weg ist es den sie alle zurücklegen müssen, seien sie beim Aufstieg, oder oben angelangt. Der erste geht aus von dem Niederen, der zweite ist für die, welche bereits im Geistigen angelangt dort sozusagen Fußes Spur gesetzt haben und nun wandern müssen, bis sie zum äußersten Ende dieses Ortes kommen, was dann das Ziel dieser Wanderung ist, wenn man auf den Gipfel der geistigen Welt gelangt ist. Doch bleibe dieser zunächst, zuvor sei versucht von der Emporführung zu sprechen.

Zuerst sind die genannten Menschenarten zu scheiden, wobei wir mit dem Musiker, dem Musikalischen beginnen und der Beschreibung seiner Art. Er ist anzusehen als leicht erregbar und erschüttert durch das Schöne; doch gerät er schwer von sich aus in solche Erregung, wohl aber durch zufällige Anstöße gleichsam, für die ist er empfänglich, so wie ein Ängstlicher gegen Geräusche, ist er für die Töne und das Schöne in ihnen empfänglich, er verabscheut im Gesang und in den Rhythmen alles Unharmonische und Uneinheitliche und ist auf das Rhythmische und Wohlfigurierte aus. Von diesen wahrnehmbaren Tönen also und Rhythmen und Figuren ausgehend muß man ihn folgendermaßen führen: man muß den Stoff der Gegenstände, an denen die Analogien und Proportionen erscheinen, ausscheiden und ihn zu der Schönheit führen welche über ihnen ruht, man muß ihn lehren daß wovon er erschüttert war jenes war, die geistige Harmonie und das Schöne in ihr, und überhaupt das Schöne, nicht nur etwas Schönes; man muß philosophische Gedanken in ihm anregen, und von da aus ihn zu der Überzeugung von dem bringen was er in sich trägt ohne es zu wissen. Was das aber für Gedanken sind, davon später.

[2]Der Erotiker (in welchen übrigens der Musiker sich auch wandeln kann; dann kann er auf dieser Stufe verharren oder durch sie hindurchgehen) besitzt eine besondere Art von Gedächtnis für die Schönheit. Aber er kann keine abgetrennte (transzendente) Schönheit erfassen, sondern nur die Einwirkung des sichtbaren Schönen erschüttert ihn. Ihn muß man lehren nicht nur an einen Körper ausgeliefert sich erschüttern zu lassen, man muß ihn durch Unterweisung zu allen Körpern hinleiten, indem man ihm das in ihnen allen Selbige zeigt, muß ihn darauf hinweisen, daß dies ein von den Körpern Verschiedenes ist und anderswoher stammt, und daß es in anderen als körperlichen Dingen in höherem Grade vorhanden ist; man weist ihm etwa schöne Betätigungen und schöne Sitten und Gesetze auf, denn damit ist seine Gewöhnung an das wahrhaft Reizvolle schon bei den unkörperlichen Dingen angelangt, und zeigt, daß das Schöne auch in den Künsten und Wissenschaften und Tugenden ist; diese muß man dann auf eine Einheit zurückführen und ihn lehren, wie sie in den Menschen kommen; von den Tugenden muß er dann aufsteigen zum Geist, zum Seienden, und dort dann den oberen Weg wandeln.

[3]Wer aber von Anlage ein Philosoph ist, der ist schon bereit und sozusagen geflügelt, er braucht nicht wie jene andern die Abtrennung, er ist in Bewegung auf das Obere hin, und bedarf nur einer Weisung wenn er sich nicht zu helfen weiß. So muß mans ihm weisen und ihn befreien, wie ers denn schon selbst seinem Wesen nach wünscht und eigentlich längst befreit ist. Man gebe ihm also die Mathematik, ihn zu gewöhnen das Unkörperliche zu begreifen und an es zu glauben, er wird sie leicht aufnehmen da er wissensdurstig ist; und seine natürliche Tugendanlage führe man zur Vollendung der Tugenden, nach der Mathematik gebe man ihm die Sätze der Dialektik und mache ihn überhaupt zu einem Dialektiker.

[4]Aber was ist die Dialektik (welche man übrigens auch jenen ersten Gruppen zu übermitteln hat)? Sie ist die Fähigkeit von jedem Ding begrifflich auszusagen, was es jeweils ist, worin es sich von andern unterscheidet und was es mit ihnen gemeinsam hat. Dazu gehört ferner, wo jedes Ding seinen Ort hat, ob es ist das es ist, was zum Seienden zu rechnen ist, was hingegen zum Nichtseienden, vom Sein Verschiedenen; sie erörtert auch das Gute und das Nichtgute, und was unter das Gute fällt was unter das Gegenteil, und was ewig ist und was nicht, alles natürlich aufgrund von Wissenschaft, nicht bloßer Meinung. Indem sie dann aber aufhört mit dem Umherirren im Sinnlichen, siedelt sie sich im Geistigen an und übt dort ihre Forschung, den Trug läßt sie fahren und läßt die Seelen weiden ‘auf der Wahrheit Flur’ wie es heißt, sie wendet die platonische Einteilungskunst an auf die Scheidung der Ideen, wendet sie an auf das wahre Wesen, wendet sie an auf die ersten Seinsarten und flicht das aus ihnen Kommende geistig aneinander, bis sie das ganze geistige Gebiet durchlaufen hat, dann löst sie es wieder auf bis sie zum Urgrund zurückgelangt, dann aber hält sie sich ruhig (sie ist also in soweit dort oben im Zustand der Ruhe), nun ist sie frei von der Geschäftigkeit, sammelt sich zur Einheit und schaut; die sogenannte logische Forschung, die es mit Prämissen und Syllogismen zu tun hat, überläßt sie, wie man es etwa mit der Kunst des Schreibens tut, einer andern Disziplin, sie hält manches davon für eine ‘notwendige Vorstufe ihrer Wissenschaft’, aber sie unterwirft es ihrem Urteil wie alles andere, einiges befindet sie für nützlich, anderes für überflüssig und nur für den Gegenstand einer speziell darauf gerichteten Forschungsweise.

[5]Aber woher entnimmt diese Wissenschaft ihre Prinzipien? Nun, der Geist gibt ihr Prinzipien die evident sind, man muß sie nur mit der Seele erfassen können; dann setzt sie das ihnen Folgende zusammen, verflicht es und scheidet es wieder, bis sie zum vollkommenen Geist gelangt. Denn sie ist, heißt es, ‘das was am Geist und an der Einsicht das reinste ist’. Da sie also die wertvollste Verhaltungsweise in uns ist, muß sie sich notwendig mit dem Seienden und dem Wertvollsten befassen, als Einsicht mit dem Seienden, als Geist mit dem was noch jenseits des Seienden ist.

Was ist dann aber noch die Philosophie? Sie ist das Wertvollste in uns. Ist vielleicht Philosophie und Dialektik dasselbe? Nein, die Dialektik ist der wertvollste Teil der Philosophie. Denn man darf nicht annehmen, daß sie bloßes Werkzeug des Philosophen sei; sie besteht nicht in nackten Lehrsätzen und Regeln, sondern handelt von Gegenständen und hat das Seiende sozusagen zum Stoff; indes tritt sie methodisch an sie heran, denn sie hat die Lehrsätze zugleich mit den Gegenständen. Das Falsche und den Trugschluß erkennt sie nur akzidentiell, wenn jemand anders sie vollzieht, sie beurteilt das Falsche als dem Wahren in ihr Fremdes, indem sie, wenn man es an sie heranbringt, erkennt, daß es wider die Norm des Wahren ist. So weiß sie nichts von logischen Setzungen, das sind ja bloße Buchstaben, sondern sie weiß das Wahre, und damit weiß sie was das ist was man Setzung nennt, kennt überhaupt die Denkbewegungen der Seele, was sie setzt und was sie aufhebt, und ob sie das aufhebt was sie setzt oder ein andres, und ob es sich um Verschiedenes oder Identisches handelt, indem sie wenns ihr entgegentritt, ihren Blick darauf richtet wie es auch die Sinneswahrnehmung tut; seine genaue Einzelbehandlung aber überläßt sie einer andern [6]Disziplin, die darin ihre Befriedigung findet. Die Dialektik ist also der wertvollste Teil der Philosophie; denn die Philosophie enthält auch noch anderes; so betrachtet sie die Natur, wobei sie, so wie die andern Wissenschaften die Arithmetik benutzen, Hilfe von der Dialektik erhält, nur daß sie sie bei der Dialektik mehr aus der Nähe holen kann; von ihr holt sie sich auch Hilfe wenn sie über das sittliche Verhalten Untersuchungen anstellt, indem sie ihrerseits die Verhaltungen hinzufügt und die Übungen aus denen die Verhaltungen hervorgehen.

Übrigens haben die vernunfthaften Verhaltungen das was sie von dort erhalten, auch schon in sich als Eigenes; denn es ist zumeist schon mit ihrem Stoff gegeben; so haben die übrigen Tugenden den jeweiligen Gegenstand ihres Überlegens in dem ihnen besonderen Leiden und Handeln, und die Einsicht ist dann eine Art Gesamtüberschlag, der mehr das Allgemeine der Tugenden betrifft und ob sie ineinander enthalten sind, und ob man jetzt noch warten soll mit Handeln oder ein andermal handeln soll oder ob überhaupt etwas anderes besser ist; die Dialektik, die Weisheit aber ist in noch höherem Grade allgemein und ohne bestimmten Stoff, und bietet so alles der Einsicht zu ihrem Gebrauch dar. Ist es nun möglich daß die niedern Tugenden ohne Dialektik und Weisheit existieren? Nur unvollendet und mangelhaft. Kann man aber weise und Dialektiker allein sein ohne die niederen Tugenden? Das kommt kaum vor; entweder sind sie die Vorstufe, oder sie wachsen zugleich mit jenen heran. So mag er natürliche Tugenden haben, aus welchen durch Eintreten der Weisheit vollkommene werden; dann ist also die Weisheit später als diese natürlichen Tugenden, erst dann bringt sie das sittliche Verhalten zur Vollendung. Kann nun nicht, wenn die natürlichen Tugenden vorhanden sind, sich die Weisheit mit ihnen gemeinsam mehren und gemeinsam vollenden? Nein, die Weisheit ergreift als die frühere diese Tugenden und führt sie zur Vollendung; denn das Auge (die geistige Sehkraft) der natürlichen Tugend ist unvollkommen und ebenso ihre sittliche Haltung; und die Prinzipien, von denen wir sie erhalten, sind in beiden Fällen (auch für die natürliche Tugend) das Entscheidende.

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