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«Geht es wieder?», fragte Katharina.

Selma ass ein Stück Engadiner Nusstorte und spülte mit einem Mineralwasser ohne Kohlensäure und einem Latte Macchiato nach: «Das Zeug ist genau gleich süss und klebrig wie unsere Basler Läckerli», kommentierte Selma.

«Und genauso fein», ergänzte Katharina.

«Ich bin kein Fan der Läckerli. Auch nicht von Nusstorte. Aber in diesem Moment gilt: Hauptsache Zucker.»

«Ist der Schwindel weg?»

«Ja, alles wieder gut.»

Selma und Katharina sassen auf der Sonnenterrasse der Diavolezza. Selma sah, dass der ältere Herr im Liegestuhl, den Katharina vorher begrüsst hatte, immer wieder zu ihnen schaute. Was wollte der Typ?

Selma bemerkte, dass sie selbst gerade am Starren war. Also schaute sie wieder auf die Berge, tupfte mit der Papierserviette ihren Mund sauber und kramte aus ihrem Rucksack eine Lippenpomade. Sie strich ihre Lippen ein und bot Katharina den Stift ebenfalls an. Diese lehnte dankend ab. «Um nochmals auf die Wanderung zurückzukommen», sagte Selma schliesslich. «Das geht nicht.»

«Warum nicht?»

«Da muss es ein Kommunikationsproblem zwischen dir und Jonas Haberer gegeben haben. Ich bin keine Bergsteigerin.»

Katharina machte grosse Augen. In diesem Moment kam die polnische Serviceangestellte zu ihrem Tisch, räumte ab und fragte, ob sie noch etwas bringen solle. Selma bedankte sich. Katharina sagte: «Wir sind zufrieden. Bring doch Carlo noch einen Kaffee. Ich nehme an, das Bier hat er schon gehabt.»

Die Polin bejahte und lächelte zum Mann hinüber. Dieser lächelte zurück und nickte Katharina zu. Dann wandte sich die junge Bergführerin wieder an Selma: «Du bist doch Berg- und Tierfotografin. Haberer erzählte, dass du auch Gletscher- und Lawinenerfahrung hast.»

«Unfreiwillig.» Selma erzählte Katharina kurz die Geschichte, wie sie beim Fotoshooting mit den Freeridern in Engelberg erst in eine Gletscherspalte gefallen und später fast in eine Lawine geraten war: «Das hat nicht das Geringste mit Bergsteigen zu tun. Haberer hat masslos übertrieben. Gibt es keinen Berg, der nicht so gefährlich ist?»

«Doch. Wir könnten auf den Piz Languard wandern. Der liegt gleich oberhalb von Pontresina, ist nur 3262 Meter hoch, und es führt ein Bergweg hinauf.»

«Prima. Das klingt besser.»

«Geht aber nicht. Das Brautpaar will auf den Piz Bernina.»

«Wird das eine Bergführer-Ehe?»

«Nein. Julia ist Juristin, Stefano Ingenieur.»

«So heissen sie also», sagte Selma. «Julia und Stefano. Schön. Auch wenn sie keine Bergführer sind – sie müssen geübte Bergsteiger sein.»

«Julia auf alle Fälle. Wir sind befreundet und haben schon viele Touren gemacht. Stefano ist am Berg unerfahrener.»

«Und warum muss es ausgerechnet der Piz Bernina sein?»

«Weil man den Piz Bernina sowohl von der Schweiz als auch von Italien her erreichen kann.»

«Julia ist also Schweizerin?»

«Ja, nein, also sie ist schon Schweizer Bürgerin, kommt aber ursprünglich aus Deutschland. Sie fühlt sich jedoch als Schweizerin. Deshalb steigt sie von der Schweizer Seite auf.»

«Das ist fast kitschig.»

«Ist doch schön. Julia freut sich extrem.»

Nein, Selma konnte dieser Idee nicht wirklich viel abgewinnen. Würden Marcel und sie einmal heiraten, dann … Sie zuckte zusammen. Was hatte sie da gerade für einen Gedanken? Heiraten?

«Selma, alles okay? Oder wird es dir wieder …»

«Nein, alles gut.» Selma drehte an ihren Fingerringen und sagte: «Ich kann da nicht hinaufsteigen.»

«Dann lässt du dich mit dem Helikopter auf den Berg fliegen. Oder du fotografierst mit einer Drohne.»

«Für die Drohne bräuchtest du einen Profi. Da oben hat es vermutlich viel Wind.»

«Dann also per Helikopter.»

«Das ist doch …» Selma fuhr sich mit beiden Händen durch die Haare und sagte schliesslich: «Das mache ich nicht.»

«Flugangst?»

«Nein. Ich bin genug geflogen in meinem Leben. Ich vermeide das, wenn immer ich kann. Klimaschutz und so, okay?»

«Da hast du recht. Julia will das auch nicht. Die Klimaerwärmung stellt auch uns Bergführer vor neue Herausforderungen. Der Untergrund wird weicher, instabiler. Wir müssen mehr auf Bergstürze achten. Oder auf Einbrüche und Abrisse bei Gletschern. Auch der Biancograt ist deshalb anspruchsvoller geworden. Der Schnee auf dem Firn wird oft matschig und gefährlich, darunter ist blankes Eis. Trotzdem ist und bleibt es eine …» Katharina war plötzlich abgelenkt, winkte strahlend einem Bergsteiger zu. «Da ist er. Mein Freund. Er kommt gerade vom Palü.»

Conrad kam mit seinen Gästen zu Selmas und Katharinas Tisch. Er hatte wie Katharina blonde Locken. Dazu blaue Augen, einen blonden Dreitagebart und markante Wangenknochen. Ein Bergler wie aus dem Bilderbuch, dachte Selma. Er war allerdings nicht allzu gross. Er erschien Selma sogar etwas kleiner als Katharina, die fast so gross war wie sie.

«Allegra», sagte Selma und kam sich gleich ziemlich doof vor. Deshalb schickte sie ein «Hei» hinterher. «Ich bin Selma.»

«Conrad, freut mich.» Er gab Katharina einen Kuss und winkte danach dem älteren Herrn auf dem Liegestuhl zu, der immer noch oder schon wieder zu ihnen hinüberstarrte. Danach ging Conrad mit seinen Gästen an einen anderen Tisch, kam aber kurz darauf wieder zurück. «Na, alles vorbesprochen?», fragte er und schaute zu Selma. «Katharina schrieb mir gestern, dass sie mit der Bergfotografin heute hier hinaufkäme.»

«Leider war der Ausflug ein Flop», entgegnete Selma. «Ich bin Fotografin, keine Bergsteigerin, deshalb muss ich passen.»

«Keinerlei Bergerfahrung?»

«Doch, schon. Aber nicht so, wie es hier erwartet wird.»

«Du siehst sportlich aus. Bist du auch ehrgeizig?»

«Na ja, ich …»

«Conrad will sagen», mischte sich Katharina ein, «dass du mit Training durchaus in der Lage wärst, den Piz Bernina zu bezwingen. Mit mir als deiner Bergführerin. Ich klettere dir jeden Schritt vor.»

«Klettern? Klettern muss man auch noch? Ich dachte, wir gehen über diesen Schneegrat.»

«Es gibt einige Kletterpassagen», sagte Conrad. «Aber die sind zu schaffen.» Er neigte sich zu Selma und Katharina und sagte leise: «Meine beiden Gäste sind auch keine grossen Bergsteiger. Die Tour war viel zu anstrengend für sie. Und klettern können sie eigentlich überhaupt nicht.»

«Siehst du», sagte Selma. «Ich will euch Profis nicht quälen.»

Katharina schaute Selma lange an und sagte dann: «Julia wird enttäuscht sein.»

«Oh, ja», bestätigte Conrad. «Seit deiner Wolfsreportage ist sie ein Riesenfan von dir.»

«Die Wolfsreportage, aha.»

«Ja, das junge Wolfspaar, das in Engelberg ein Rudel, eine Familie, gründen wollte. Julia will dich unbedingt dabei haben.»

«Kannst es dir noch überlegen», sagte Katharina schliesslich. «Bis zur Hochzeit dauert es noch zwei Monate. Wenn du jetzt mit dem Training beginnst, würden wir es hinbekommen.»

«Klar», pflichtete Conrad seiner Freundin bei. «Für den Mount Everest ist die Vorbereitungszeit zu kurz. Aber auf den Piz Bernina bringen wir dich.»

Selma war irritiert. Aber auch angestachelt. Das Abenteuer reizte sie. War das eine schicksalshafte Begegnung mit Katharina und Conrad? Warum sollte sie mit ihren Kenntnissen als Natur- und Tierfotografin nicht auch Alpinistin werden und sich zusätzliche Kenntnisse aneignen? «Mein Vater war ein begeisterter Berggänger», erzählte sie jetzt. «Er war sogar im Schweizer Alpen-Club.»

«Na siehste», sagte Conrad. «Dann bist du sicher auch viel gewandert. Und ich wette, ihr habt anspruchsvolle Touren gemacht.»

«Sehr zum Leidwesen meiner Mutter», sagte Selma und grinste. «Als Jugendliche habe ich sogar einen Kletterkurs besucht.»

«Jetzt hast du keine Ausrede mehr», meinte Katharina.

Selma fröstelte. Sie rieb sich die Arme und sagte: «Ich überlege es mir, okay?»

«Du schaffst das», sagte Katharina und legte ihre Hand auf Selmas Unterarm: «Du hast kalt. Wollen wir hinunter ins Tal?»

«Gerne.»

Selma stand auf. Ihr Blick fiel zufälligerweise auf den älteren Herrn im Liegestuhl. Er schaute sie erneut an und lächelte. Dabei wurde sein weisser Schnurrbart auseinandergezogen, das Lächeln wirkte dadurch besonders breit und freundlich. Selma lächelte zurück.

Auf einmal änderten sich die Gesichtszüge des Mannes. Er starrte Selma nun mit ernster Miene an. Aber er schaute ihr nicht etwa in die Augen, sondern auf die rechte Wange. Selma verdeckte mit der Hand rasch ihr Grübchen. Dann setzte sich der Mann im Liegestuhl auf. Er hob seinen Arm und wollte etwas sagen.

Doch Katharina kam ihm zuvor: «Auf Wiedersehen. Du solltest auch bald nach Hause, du weisst schon …» Sie deutete mit dem Arm Schläge an und lachte.

Selma sah, dass der Mann zu lächeln versuchte. Doch es wollte ihm nicht gelingen. Stattdessen schaute er wie versteinert Selma an. Seine Augen sahen plötzlich ganz traurig aus. Und Selma schien es, als würde er durch sie hindurchsehen.

Gipfelkuss

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