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Оглавление«Mama, was für eine Überraschung!», sagte Elin, als sie Charlotte die Türe ihres Hauses in Riehen öffnete. «Willkommen in meiner versnobten Villa.» Das Wort «versnobt» betonte sie.
«Elin, Liebes», säuselte Charlotte. «Versnobt habe ich noch nie gesagt. Aber es ist eine Villa, und ich bin hier.» Charlotte wechselte in einen sachlichen Tonfall: «Ich muss dringend mit dir reden.»
«Ist in Basel das Haus ‹Zem Syydebändel› abgebrannt, ein neues Virus im Anmarsch oder ein Absatz deiner High-Heels abgebrochen?»
«Mir ist nicht nach Scherzen zumute», sagte Charlotte trocken.
«Kaffee?»
«Wasser, bitte. Diese Hitze ist unerträglich.» Sie fächerte sich mit den Händen Luft ins Gesicht.
«Möchtest du in unseren Pool?»
«Mon dieu, Elin, wie dekadent!» Charlotte lachte kurz. «Das war ein Scherz.»
«Dann bist du also doch zu Scherzen aufgelegt», sagte Elin, füllte aus dem in den Kühlschrank integrierten Wasserspender ein Glas Wasser und reichte es ihrer Mutter.
«Nicht, wirklich, Elin. Ist alles in Ordnung bei euch? Wie geht es Eric? Wie geht es meinen lieben Enkeln Sören und Sven?»
«Alles bestens. Die Buben sollten bald nach Hause kommen. Also Mama, was ist so dringend, über das wir nicht am Telefon hätten reden können?»
«Wie du weisst, kommt Arvid Bengt Ivarsson in die Schweiz. Zusammen mit seinem Sohn, seiner Schwiegertochter und seinen Enkeln.»
«Ich freue mich. Das ist schön.»
«Sehr schön.»
«Ist das nun zynisch …»
«Nein. Es ist mir ernst. Aber ich muss vorher noch etwas herausfinden. Und dazu brauche ich deine Hilfe.»
«Schiess los!»
Charlotte nippte an ihrem Glas, nahm aus ihrer Handtasche ein Taschentuch, tupfte die Lippen vorsichtig trocken, sodass der bordeauxrote Lippenstift nicht verschmiert wurde, fischte ein neues Taschentuch aus der Packung und tupfte die Schweissperlen von ihrer Stirn. «Diese Hitze», seufzte sie. «Der Buschauffeur entschuldigte sich. Er meinte, die Klimaanlage sei bei diesen Temperaturen überfordert.»
«Du bist mit dem Bus gekommen?»
«Natürlich, Liebes, natürlich.»
«Warum hast du kein Taxi genommen?»
«Elin, ich bitte dich.»
«Wenn du zum Abendessen bleibst, wird dich Eric sicher nach Hause fahren.»
«Ihr seid gütig.»
«Also, Mama, worum geht es?», hakte Elin etwas forscher nach.
Charlotte räusperte sich, sah ihrer Tochter in die Augen und sagte: «Ich brauche einen Saal. Einen grossen Saal mit guter Beleuchtung.»
Elin blickte etwas irritiert und fragte: «Planst du eine Party? Brauchst du einen DJ? Discokugeln?» Sie hob die Hände und wippte hin und her.
«Nein.»
«Bon. Du willst Arvid Bengt und seiner Familie einen Empfang bereiten. Roter Teppich, Catering, Blumenmeer?»
«Ich merke, diese mörderische Hitze bekommt dir nicht gut», meinte Charlotte schnippisch.
«Excusé, Maman. Worum geht es dann?»
«Um Kunst.»
«Du planst eine neue Ausstellung für Selma? Wunderbar. Die Wolfsbilder kommen sicher sehr gut an. Meiner Meinung nach sind das Selmas beste Werke. Vielleicht nicht die künstlerisch wertvollsten, aber sicher die populärsten.»
«Deine Einschätzung ist nicht einmal so verkehrt, Liebes. Aber nein, es geht nicht um eine Vernissage. Es geht mehr … sagen wir mal, es geht um ein Experiment.»
«So richtig wissenschaftlich?»
«Könnte man sagen.»
«Ich bin dabei.»
«Könntest du also einen Saal organisieren?»
Elin überlegte kurz. Dann sagte sie: «Ich könnte den Riehener Gemeindepräsidenten fragen, ob wir den Bürgersaal im Gemeindehaus benutzen dürfen. Der hat grosse Fenster und auch eine gute Beleuchtung.»
«Kennst du denn den Gemeindepräsidenten?»
«Klar.»
«Chapeau. Du scheinst in diesem noblen Kaff angekommen zu …»
«Omi!», schrie plötzlich eine Kinderstimme. «Grand-mère!», eine zweite. Dann stürmten die beiden Buben Sven und Sören in die Stube und umarmten Charlotte. Sie war etwas überfordert und versuchte, die beiden auf Distanz zu halten.
«Kommst du auch baden?», fragte Sören.
«Baden? Mon dieu!»
«Bitte, bitte, bitte!»
Tatsächlich war Madame Charlotte Svea Legrand-Hedlund zwanzig Minuten später im kleinen Pool und lieferte sich mit ihren Enkeln eine Wasserschlacht. Sie trug einen Bikini ihrer Tochter, der ihr zwar etwas zu gross war, in dem sie sich aber dennoch wohlfühlte.
Elin sass am Beckenrand, streckte ihre Füsse ins Wasser und staunte über ihre eigene Mutter. So fröhlich hatte sie sie seit Langem nicht gesehen. Lag es an Sören und Sven? Lag es an diesem Kunstexperiment? Oder lag es daran, dass ihre einstige grosse Liebe Arvid Bengt Ivarsson bald zu Besuch kam?
Charlotte blieb fast eine Stunde im Wasser. Erst als ihr Schwiegersohn nach Hause kam und die Bespassung von Sören und Sven übernahm, kletterte sie aus dem Pool.
«Mein Make-up ist ruiniert», bilanzierte sie als erstes.
«Das lässt sich reparieren, Mama», meinte Elin. «Magst du jetzt einen Kaffee?»
«Eine wundervolle Idee», sagte Charlotte. «Ich fühle mich wie zwanzig.»
«Oder eher wie Ende zwanzig?»
«Bitte?»
«Schweden. Mittsommerfest. Arvid Bengt?»
«Mach dich ruhig lustig über mich. Ich zieh mich um, du kochst Kaffee.»
«Und bereite unser Znacht vor. Café complet?»
«Oh, sehr gerne. Esst ihr überhaupt sowas? Kein Filet Mignon heute?»
«Maman!»
Charlotte lächelte. Seit Elin mit ihrer Familie im Villenquartier, wie es Charlotte nannte, in Riehen wohnte, zog sie ihre Tochter gerne damit auf. Elins Mann Eric musste wirklich gut verdienen. Auch wenn er in Charlottes Augen «nur» für eine Versicherung arbeitete. Pharma oder Bank hätte sie bevorzugt. So wie ihr Ehemann, der Bankier Dominic-Michel oder ihr Vater Hjalmar. Aber gut. Über Geld sprach man in der Familie Legrand-Hedlund eh nicht. Man hatte es. Und lebte sparsam. Bei Charlotte hatte es immer Café complet zum Abendessen gegeben. Milchkaffee, Brot, Käse, Joghurt. Manchmal noch Salat oder Obst. Fleisch nur sonntags.
Als Eric seine Schwiegermutter nach dem Abendessen nach Hause fuhr, rutschte Charlotte etwas nervös auf dem Beifahrersitz herum. Er fragte, ob sein Fahrstil nicht in Ordnung sei.
«Nein, ich fühle mich sehr wohl. Ich habe nur vergessen, Elin etwas Wichtiges zu sagen.»
«Ruf sie doch an. Oder ich richte es ihr aus.»
«Das würdest du tun?», fragte Charlotte und tat so, als wäre sie erstaunt.
«Charlotte, ich werde es ihr ganz besonders ans Herz legen.»
«Das weiss ich doch», sagte Charlotte und lächelte. Natürlich hatte sie nicht vergessen, Elin etwas mitzuteilen. Es war Absicht, ihr Anliegen über Eric anzubringen. Sie war sich sicher, dass es Elin dann ernster nehmen würde. Zudem gab es dadurch einen für Elins Eheglück durchaus wichtigen Mitwisser. «Weisst du, ich habe Elin heute um einen Gefallen gebeten. Und ich würde es sehr bevorzugen, wenn Selma nichts davon erfahren würde.»
«Natürlich», sagte Eric kurz.
«Es soll eine Überraschung sein.»
«Natürlich», meinte Eric noch einmal. «Selma liebt Überraschungen.»
«Mais non, tut sie nicht», entgegnete Charlotte. «Das wissen wir beide. Aber sehr nett, dass du das gesagt hast. Ich nehme einmal mehr zur Kenntnis, dass du mich bestens verstehst.»
«Natürlich, meine liebe belle-mère.»