Читать книгу Jung bleiben ist Kopfsache - Prof. Dr. med. Bernd Kleine-Gunk - Страница 16
Multitalent Oxytocin
ОглавлениеKommen wir nun nach so viel Muskel-, Macho-, und Männlichkeitshormon noch zu einem Botenstoff, der für ganz andere Werte steht. Es geht um das Oxytocin, das inzwischen auch den schönen Beinamen »Kuschelhormon« trägt. Oxytocin ist bereits seit Langem bekannt. Es wurde allerdings über viele Jahre hinweg im Wesentlichen nur von gynäkologischen Fachärzten verwendet. Zu den wesentlichen Aufgaben des Oxytocins gehören nämlich die Stimulation der Uteruskontraktionen unter der Geburt und die Anregung der Milchsekretion bei stillenden Müttern. Wörtlich übersetzt aus dem Griechischen heißt Oxytocin »rasche Geburt«, und entsprechend wurde es über viele Jahrzehnte hinweg auch eingesetzt. Ging es im Kreißsaal nicht recht voran, wurde die Infusion mit Oxytocin angehängt – und schon stellten sich knackige Wehen ein.
Erst in den 1990er-Jahren wurde dann die »soziale Komponente« des Hormons entdeckt. Beim Stillen wird ja nicht nur Muttermilch an das Baby verfüttert. Es entsteht auch das, was man in der Psychologie inzwischen als »Bonding« bezeichnet, also eine enge emotionale Bindung zwischen Mutter und Kind. Der vermittelnde Botenstoff ist das Oxytocin.
Und das ist nicht nur wichtig, wenn es um die Mutter-Kind-Beziehung geht. Auch bei der Paarbindung spielt es eine entscheidende Rolle. Beim Kuscheln und beim intensiven Körperkontakt wird es genauso ausgeschüttet wie beim Stillen. Geradezu eine Oxytocinexplosion ereignet sich beim Orgasmus. Bonding durch sexuelle Befriedigung.
Die Begeisterung über Oxytocin kannte nach diesen Entdeckungen kein Halten mehr. Weltweit stürzten sich Forschergruppen auf das Thema und brachten immer neue positive Aspekte zutage. Oxytocin fördert nicht nur das Bonding zwischen Menschen mit intensivem Körperkontakt. Es festigt auch soziale Bindungen innerhalb einer Gruppe. Und – wichtig unter dem Aspekt Gesundheit – es ist ein Gegenspieler des Stresshormons Cortisol, senkt den Blutdruck und hilft bei Angststörungen.14 Gäbe es einen Nobelpreis für Hormone – Oxytocin wäre wohl der aussichtsreichste Kandidat, nicht zuletzt für den Friedensnobelpreis. Aber wie das immer so ist, wenn man etwas intensiv erforscht: Irgendwann stößt man auch auf Aspekte, die dann nicht so sehr in das strahlende Gesamtbild passen. So veröffentlichten 2011 niederländische Forscher eine Studie, die in den Medien für einige Aufregung sorgte. Danach stärkt Oxytocin zwar den Zusammenhalt innerhalb der eigenen Gruppe.15 Gleichzeitig fördert es jedoch Aggressionen gegen Menschen, die nicht zu dieser Gruppe gehören. War das Kuschelhormon etwa in seinem Innersten fremdenfeindlich oder gar rassistisch? Die »dunkle Seite des Oxytocins« geisterte plötzlich durch die Presse. Die Vertreter der Political Correctness zeigten sich alarmiert.
Nun habe ich ja bereits mehrfach darauf hingewiesen, dass Hormone komplexe Substanzen sind. Sie anhand von kulturellen Normen und Werten zu klassifizieren, wird ihnen einfach nicht gerecht. Biologie steht letztlich immer im Dienste der Arterhaltung. Und da geht die verstärkte Bindung innerhalb der eigenen Gruppe häufig mit einer gewissen Ablehnung des Fremden und Anderen einher. Und die Liebe zum eigenen Nachwuchs überträgt sich nun einmal nicht unbedingt auf die gesamte Umwelt. Wer einmal erlebt hat, mit welcher Aggression ein Muttertier reagiert, wenn es seine Nachkommen bedroht wähnt, wird diesen Zusammenhang schnell verstehen.