Читать книгу Jung bleiben ist Kopfsache - Prof. Dr. med. Bernd Kleine-Gunk - Страница 9
Die Neuronenschützer Östrogen und Progesteron
ОглавлениеBekanntermaßen führen die Wechseljahre zu typischen psychovegetativen Beschwerden wie Hitzewallungen, Schlafstörungen und depressiven Verstimmungen. Diese Beschwerden sind jedoch nur die eine Seite der Medaille. Auf der anderen Seite stehen organische Veränderungen. Östrogene sind Schutzhormone für Knochen und Blutgefäße. Ihr Mangel begünstigt das Auftreten einer Osteoporose oder von Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Insbesondere Studien der letzten Jahre zeigen darüber hinaus: Östrogene schützen auch das weibliche Gehirn. Fehlen sie, so führt das zu einer Häufung von neurodegenerativen Erkrankungen. Von denen sind Frauen in ganz besonderer Weise betroffen. Nach aktuellen Statistiken sind zwei von drei Alzheimer-Patienten Frauen.1 Lange Zeit hat man das damit erklärt, dass Frauen eine höhere Lebenserwartung aufweisen als Männer. Damit haben sie natürlich auch ein größeres Risiko, an altersassoziierten Erkrankungen wie dem Morbus Alzheimer zu erkranken. Aber so einfach ist die Sache offensichtlich nicht. Vergleichen wir tausend 80-jährige Frauen mit tausend 80-jährigen Männern, so ist die Demenzrate in der Frauengruppe deutlich höher. Das Risiko einer 45-jährigen Frau, im weiteren Verlauf ihres Lebens einen Morbus Alzheimer zu entwickeln, beträgt 20 Prozent. Für einen gleichaltrigen Mann sind es lediglich zehn Prozent.
Auch im Zusammenhang mit anderen Erkrankungen sind die Zahlen erschreckend. Für eine Frau über 60 ist das Risiko, an Alzheimer zu erkranken, doppelt so hoch wie das Risiko, einen Brustkrebs zu bekommen.2
Vieles deutet darauf hin, dass es tatsächlich der Östrogenmangel ist, der dafür im Wesentlichen verantwortlich ist. Denn Östrogene sind eine Art »Masterregulator« für das weibliche Gehirn. Ihre neuroprotektiven (nervenzellschützenden) Wirkungen erstrecken sich dabei auf viele Gebiete.3 Das beginnt bereits bei der Durchblutung. Östrogene sind Vasodilatatoren, also Substanzen, welche die Blutgefäße erweitern und damit zu einer besseren Durchblutung führen. Kein anderes Organ in unserem Körper wird derart intensiv durchblutet wie unser Gehirn. Keines hat auch einen derart intensiven Energie- und Nährstoffbedarf. Unser Gehirn macht zwar nur etwa zwei Prozent unseres Körpergewichtes aus, verbraucht aber etwa 20 Prozent der täglich zugeführten Energie. In der Autobranche würde man von einem echten »Spritfresser« sprechen. Der benötigte Treibstoff kommt dabei über die Blutbahn ins Gehirn.
Östrogene fördern darüber hinaus die Ausbildung neuer Verbindungen zwischen den Nervenzellen. Wie entscheidend diese sogenannte Neuroplastizität ist, werde ich im Kapitel »Gegen das Vergessen« (ab >) noch ausführlich beschreiben. Und schließlich sind Östrogene auch so etwas wie ein natürliches Antidepressivum, das Einfluss nimmt auf eine Vielzahl von Neurotransmittern, die Botenstoffe in unserem Gehirn.4
Neuroprotektiv wirkt dabei im Übrigen auch das zweite weibliche Geschlechtshormon, das Progesteron oder Gelbkörperhormon. Es bindet vor allem an die Rezeptoren für Gammaaminobuttersäure (GABA), was einen beruhigenden und schlaffördernden Effekt hat. Progesteron ist so etwas wie das körpereigene Valium. Die gefürchteten Schlafstörungen in den Wechseljahren sind meistens Folge des Progesteronmangels. Während Östrogene hauptsächlich die Nervenzellen selbst schützen, regeneriert Progesteron vor allem die Myelinscheiden, also die schützenden Membranen, welche die Nervenzellen ummanteln. Auch das beugt neurodegenerativen Erkrankungen vor.5