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2.3 Die relative Positionierung des Synodenbeschlusses

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Dem pastoraltheologischen Kommentator des Synodenbeschlusses bleibt nun aber trotz der pastoralen Irrelevanz des Textes noch ein Drittes: die Rekonstruktion der relativen Lage des Synodenbeschlusses innerhalb der innerkatholischen Diskursgeschichte zu „Ehe und Familie“. Anders gesagt: Wo stand man damals 1975, was wagte man, was nicht auf der Synode?

Schon der erste Satz des Synodenbeschlusses markiert ein unübersehbares Modernitäts- und Reformbewusstsein:

Das Zweite Vatikanische Konzil hat in der Pastoralkonstitution „Die Kirche in der Welt von heute“ die lange Zeit in Gesellschaft und Kirche vorherrschende Betonung der Ehe als Institution zur Erzeugung und Erziehung der Nachkommenschaft durch eine Orientierung am Leitbild der partnerschaftlichen Ehe ergänzt (GS 47ff). (0.1.)

Die Synode spielt damit auf die berühmte konziliare Umorientierung, besser Überschreitung der klassischen katholischen „Ehezwecklehre“ an, auf jenen „neue[n] Standpunkt“, der sich in Gaudium et spes bereits, so Hans-Joachim Sander, „im Begriff ‚Gemeinschaft der Liebe‘ für die Ehe (GS 48,1)“135 zeige: „Eheleute dienen keinem übergeordneten Zweck, sondern sind ein Ort der Liebe“136.

Die Ehe werde – so Sander im Kontext seiner Interpretation von Gaudium et spes als Zeugnis eines fundamentalen „Ortswechsels“ katholischer Selbstreflexion der Kirche von identitätsorientierter Selbstbezüglichkeit zu ortsorientierter Aufgabenbezogenheit – „zu einem exemplarischen Fall für die pastorale Ortsbestimmung von GS“. Sander räumt ein, dass die „konkrete(.) Repräsentanz dieses Standpunkts durch Eingriffe relativiert“137 werde, ein Muster, das bekanntlich gerade in der nach-vatikanischen Lehrentwicklung nicht nur hier gegriffen hat.138

Im Synodentext sind deutliche Spuren dieses konziliaren Ortswechsels zu finden, so etwa in der selbstverständlichen konzeptionellen Verwendung der Kategorie „Partnerschaftlichkeit“ als Leitbild der Ehe. Damit wird die von Pius XII. (Casti connubii) und noch im LThK des Jahres 1959 vertretene Lehre, dass der Mann „als Haupt der Familie das Vorrecht der Leitung, die Frau als Herz der Familie den Vorrang der Liebe“139 habe, zu Gunsten eines nicht mehr geschlechterrollenfixierten Modells revidiert.140 Auch die spätestens ab dem ersten Drittel des 19. Jahrhunderts im Zuge der „zweiten Konfessionalisierung“ gerade in Deutschland dramatisierte („Kölner Wirren“) und daher von Katholiken und Katholikinnen wenn irgend möglich zu vermeidende konfessionsverschiedene Ehe wird im Synodenbeschluss zwar noch nicht zur „konfessionsverbindenden Ehe“141 späterer Jahre, aber man fordert Anerkennung und Angenommensein in „beiden Gemeinden“ für solche Ehen und stellt fest, dass sie „in besonderer Weise der spirituellen Förderung und Vertiefung“ (2.4.3.) bedürften.

Gegen die 1975 kirchenrechtlich noch gültige Diskriminierung nicht-ehelicher Kinder kämpft man gar mit einem eigenen Votum (4.1.3.), diese Gleichstellung hatte das LThK von 1931 noch als „aus übertriebenem Mitleid u[nd] aus Verfälschung sittlicher Begriffe entstandenen“142 Irrweg gegeißelt. Die „gesellschaftliche(.) und kirchliche(.) Diskriminierung“ der „nichteheliche[n] Mutterschaft“ wird ebenso notiert wie bedauert. Zwar wird sie immer noch als „Fehltritt“ und „Versagen“143 (3.3.1.1.) (ab)qualifiziert, „Hilfen für ungewollt Schwangere“ werden aber immerhin als „drängende Aufgabe“ (3.3.0.) gesehen.

Auch wendet man sich gegen die Verurteilung einer gescheiterten Ehe als „Versagen“ der Ehepartner: „Selbst unter Christen ist solch selbstgerechtes Urteilen weit verbreitet, so sehr es der Weisung des Herren zuwiderläuft (Mt 7,1)“ (3.4.1.3.), stellt die Synode fest. Man bietet „Geschiedenen die Mitarbeit in Familienkreisen und -gruppen der Gemeinde“ (3.4.2.5.) an und fordert, wenn „eine Ehe trotz allen Bemühens gescheitert“ sei, „muß mit allen Mitteln geholfen werden.“ (3.4.2.3.) Auch die „undifferenzierte Verurteilung bestehender vorehelicher sexueller Beziehungen“ wird zurückgewiesen, das werde „den betreffenden Menschen in ihrem Verhalten [nicht] gerecht“. Gleichzeitig weist man aber auch die Ansicht zurück, dass „volle sexuelle Beziehungen vor der Ehe … selbstverständlich oder sogar unbedingt notwendig“ (3.1.3.4.) seien.

Der konziliare Optionswechsel von der moralischen Verurteilung und sozialmoralischen Sanktionierung zur pastoralen Solidarität wird von der Synode also halbwegs konsequent gegangen, freilich am Kern der kirchlichen Familien- und Eheauffassung treu festgehalten, welche die Familie als in der monogamen, unauflöslichen Ehe gegründete Gemeinschaft von Mann und Frau mit ihren leiblichen Kindern sieht, eine „innige Gemeinschaft des Lebens und der Liebe“, vom „Schöpfer begründet und mit eigenen Gesetzen geschützt“, wie es in Gaudium et spes 48 heißt, zudem der einzig legitime Ort voller und grundsätzlich für die Kinderzeugung offener Sexualität.

Die Synode bemüht sich unübersehbar, in dieses klassische Bild katholischer Ehe- und Familienlehre Elemente des Prozesshaften und Graduellen einzubauen. So wenn von einer „Stufenleiter der Zärtlichkeiten“ im „Vorraum der vollen sexuellen Gemeinschaft“ die Rede ist und alle Stufen dieser Leiter „als gut und richtig gelten“ können, „solange sie Ausdruck der Vorläufigkeit sind und nicht intensiver gestaltet werden, als es dem Grad der zwischen den Partnern bestehenden personalen Bindung … entspricht.“ (3.1.3.3.) Man mischt sich auch nicht mehr allzu sehr in die Fragen der konkreten Gestaltung und Praktiken innerehelicher Sexualität ein,144 wenn es auch noch ein Reflex auf genau diese Regulierungen ist, wenn die Synode erklärt, dass „alle jene natürlichen Handlungen als gut und richtig angesehen werden, die der Eigenart der beiden Partner entsprechen und in gegenseitiger Achtung, Rücksichtnahme und Liebe geschehen“ (2.2.1.3.).

Vor allem aber rekurriert der Beschluss an drei ebenso signifikanten wie prekären Stellen auf die Kategorie des Gewissens: bei der Frage der Empfängnisverhütung und der dazu legitimen Methoden, bei den Fragen vorehelicher Sexualität und beim Umgang mit wiederverheirateten Geschiedenen. In der nach Humanae vitae und der „Königsteiner Erklärung“ (1968) ziemlich erhitzten Diskussionslage erklärt die Synode, dass „die Eltern die jeweils verantwortbaren Konsequenzen aus einer sicher nicht leichten Gewissensentscheidung über die Zahl ihrer Kinder“ unter Berücksichtigung aller Fakten ziehen müssten. Und in einer klassischen Kompromissformulierung fährt man fort:

Das Urteil über die Methode der Empfängnisregelung, das in die Entscheidung der Ehegatten gehört, darf nicht willkürlich gefällt werden, sondern muß in die gewissenhafte Prüfung die objektiven Normen miteinbeziehen, die das Lehramt der Kirche vorlegt. Die angewandte Methode darf dabei keinen der beiden Partner seelisch verletzen oder in seiner Liebesfähigkeit beeinträchtigen. (2.2.2.3.)

Ähnlich beim vorehelichen Sex:

Es ist offensichtlich, daß der wahllose Geschlechtsverkehr mit beliebigen Partnern anders zu bewerten ist als intime Beziehungen zwischen Verlobten oder fest Versprochenen, die einander lieben und zu einer Dauerbindung entschlossen sind, sich aber aus als schwerwiegend empfundenen Gründen an der Eheschließung noch gehindert sehen. Dennoch können diese Beziehungen nicht als der sittlichen Norm entsprechend angesehen werden. Hier zu einer verantwortbaren Entscheidung zu verhelfen, ist vordringliche Aufgabe der Gewissensbildung. (3.1.3.4.)

Die ausgesprochen ausführliche Behandlung des Problems des kirchlichen Umgangs mit wiederverheirateten Geschiedenen – der Text verlässt hier den Gestus des „einen Sprechers“ und wechselt in ein offen kontroversielles und nicht entschiedenes Pro und Kontra – mündet in eine Bitte an die

Deutsche Bischofskonferenz, die dringend notwendige Klärung weiter zu betreiben und baldmöglichst ein Votum in dieser Frage an den Papst weiterzuleiten. Unabhängig davon bittet die Synode den Papst, eine pastoral befriedigende Lösung herbeizuführen. Dabei sollen die Anliegen der Anträge aufgegriffen werden, in denen pastorale Hilfen für die Gewissensentscheidung der wiederverheirateten geschiedenen Katholiken wie der sie beratenden Priester enthalten sind. (3.5.3.1.)

Damit endet übrigens der eigentliche Text des Synodenbeschlusses, es folgen „Voten, Anordnungen, Empfehlungen“.

Während diese Konfliktkonstellation zwischen „Gewissensfreiheit“ und „objektiver Norm“ bis heute anhält, sind einige weniger bedeutende Positionen des Synodenbeschlusses deutlich vom Kontext der 1970er Jahre geprägt, so die Zurückhaltung gegenüber dem „Zerrüttungsprinzip“ (3.4.2.3.) im bürgerlichen Scheidungsverfahren, das in Deutschland kurz nach der Synode (1976) rechtlich das „Schuldprinzip“ ablöste. Ähnliches gilt von der eher vorsichtigen Bejahung der damals noch heftig umstrittenen schulischen Sexualerziehung (3.1.1.2.1).

Das aber bedeutet: Der Synodenbeschluss repräsentiert bis heute normativ so ziemlich die Avantgarde kirchlicher Familien- und Ehelehre, insofern er eine gewisse Gradualität in die moralische Betrachtung sexueller Praktiken einführt, zudem die Kategorie des Gewissens in der individuellen moralischen Abwägung stark macht und drittens die konziliare Option „Pastoral vor Moral“ im Umgang mit jenen, die den normativen Vorgaben nicht entsprechen, einfordert. Das ist nicht wenig und der Kommentar von Franz Böckle145 belegt, wie viel Mühen und Anstrengungen es kostete, dies zu erreichen. Lebensformen, wie sie damals tatsächlich noch sehr marginalisiert nur existierten, heute aber in gesellschaftlicher Normalität existieren, etwa „Living Apart Together“146, homosexuelle Lebenspartnerschaften oder „Patchwork-Familien“147, kommen so naturgemäß nicht oder nur als negative Abweichung vom Ideal in den Blick.

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