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3 Die Ursprünge: Gemeindetheologie 1935

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Erfolgreich im Sinne realer, wenn auch ambivalenter Praxisrelevanz wurde die Gemeindetheologie im katholischen Bereich erst nach dem II. Vatikanischen Konzil, das übrigens selbst auf diesem Feld ausgesprochen zurückhaltend geblieben war, mit seiner Volk-Gottes-Theologie und seiner Betonung des gemeinsamen Priestertums aller Gläubigen aber zumindest partiell konvergent zu Intentionen der Gemeindetheologie ist. Die Ursprünge der Gemeindetheologie liegen aber auch im katholischen Bereich deutlich früher.

In seinem 1979 erschienenen Buch „Wie wird unsere Pfarrei eine Gemeinde?“ hatte Ferdinand Klostermann die Bildung „lebendiger Zellen“ innerhalb der Pfarrei gefordert. Der Zusammenschluss dieser „lebendigen Zellen“ sollte dann die „Lebendige Gemeinde“ bilden. Diese Forderung findet sich praktisch wortgleich bereits in den „Richtlinien für die Katholische Aktion“, die der Wiener Kardinal Theodor Innitzer (1875-1955) 1934 ausgegeben hatte. Dort heißt es:

Um die Gesamtheit der Gläubigen zu erreichen, soll in jeder Pfarre die Zellenarbeit durchgeführt werden. Sie besteht darin, daß in planmäßiger Auswahl der Laienapostel die ganze Pfarre durchorganisiert wird. Durch diese Laienapostel ergibt sich die lebendige Verbindung zu allen Familien und Gliedern der Pfarre. Die einzelnen Laienapostel, die den Kern einer Zelle bilden, sind durch ständige Schulung und Anregung in eifriger Tätigkeit zu erhalten.217

Zeitlich befinden wir uns zu Beginn des Österreichischen Ständestaates.218 Das ist mehr als eine zeitliche Koinzidenz. Den Beteiligten ist der Zusammenhang durchaus bewusst. Der Wiener Prälat Dr. Karl Rudolf (1886-1964), erster Leiter des 1931 geschaffenen „Wiener Seelsorge-Instituts“, reflektiert im „Jahrbuch der katholischen Aktion Österreichs“ des Jahres 1935 ausdrücklich auf diese Zusammenhänge von staatlichen und kirchlichen Entwicklungen, innerhalb derer insbesondere die IV. Wiener Seelsorgertagung vom 2. bis 4. Januar 1935 eine zentrale Rolle gespielt hatte. Die von Dollfuß am 1. Mai verkündete neue Verfassung stelle, so Rudolf,

den durchaus ernsten Versuch dar, mitten im Herzen des entchristlichten, um nicht zu sagen entgotteten Abendlandes auf der Grundlage der in der Enzyklika Quadragesimo anno gegebenen kirchlichen Lehrweisungen einen christlichen Staat, eine wesentlich christliche Volksgemeinschaft aufzubauen. Dieses … säkulare Wagnis kann nur gelingen, wenn sich im österreichischen Volke lebendigstes, blutvolles Christentum findet, das den Paragrafen der Verfassung das entsprechende wahrhaft christliche Leben als wesentliches Aufbauelement zur Verfügung stellt.219

Die Organisationsform dieses „lebendigsten, blutvollen Christentums“ aber sollten nicht die traditionellen katholischen Vereine, sondern die „Katholische Aktion“ sein, deren zentrales Organisationselement aber war die Gemeinde. Oder wie es auf der bereits erwähnten IV. Wiener Seelsorgertagung im Januar 1935 hieß: „Das Königreich Christi im kleinen … ist die Pfarrgemeinde.“ Und der jugendbewegte Referent fährt fort:

Ja, wir bauen am glücklichen Land der Pfarrgemeinde und des Vaterlandes! Damit ist die große einheitliche zeitgegebene Linie unserer Jugendbewegung gezeichnet in den Worten: Ein Führer! Ein Zeichen! Ein Reich! Oder: Christus – unser oberster Führer! Sein Zeichen – unser Zeichen! Sein Führer- und Königreich – die Pfarrgemeinde!220

Pius XI. hatte in seiner ersten Enzyklika Ubi arcano 1922 die „Katholische Aktion“ als durchaus neue Organisationsidee der katholischen Kirche propagiert und empfohlen. Es ging darum, die Laien und ihren Einsatz für die Kirche in neuer Weise zu aktivieren. Dieser Ansatz enthielt eine charakteristische Doppelbotschaft. Einerseits wurde der Status der Laien aufgewertet, denn ihre Tätigkeiten wurden als relevant für die Existenz von Kirche, vor allem für das Ziel von deren „Aktivierung“ und „Verlebendigung“ angesichts drohender Säkularisierungstendenzen erkannt und anerkannt. Andererseits wurde jede Laienaktivität strikt unter hierarchische Leitung gestellt und als untergeordnete „Mitarbeit“ am Apostolat der Kirche, die im eigentlichen Sinne der Klerus und nur er repräsentierte, charakterisiert und damit begrenzt.

Dieses Konzept wurde deutlich als (anti-liberales) Nachfolgekonzept zur im deutschsprachigen Bereich dominierenden Organisation des Katholizismus in katholischen Vereinen verstanden.221 Freilich: Lange änderte sich, übrigens auch in Österreich, erst einmal praktisch nichts. Im November 1927 musste Pius XI. die österreichischen Bischöfe, die zu ihrer jährlichen Herbstkonferenz in Wien zusammengekommen waren, mit Nachdruck an seinen Wunsch nach Errichtung einer „Katholischen Aktion“ erinnern und jetzt erst kam man auch dem päpstlichen Wunsch zumindest offiziell nach. Am 15. Dezember 1927 proklamierte der Wiener Kardinal Friedrich Gustav Piffl im Festsaal des Wiener Priesterseminars feierlich die „Katholische Aktion“ der Erzdiözese Wien – nicht ohne freilich gleich hinzuzufügen, dass eigentlich nichts wirklich Neues geschaffen werden müsse, denn alle Elemente der „Katholischen Aktion“ existierten doch bereits seit längerem auch so schon. Das war natürlich weniger als die halbe Wahrheit.

Das zeigte sich, als im Herbst 1932 Innitzer Nachfolger von Kardinal Piffl wurde. Höhepunkt seines ersten Bischofsjahrs war der „Allgemeine Deutsche Katholikentag“, der vom 7. bis 12. September 1933 in Wien stattfand, allerdings wegen Reiseschikanen nur von sehr wenigen Deutschen besucht werden konnte und so de facto ein österreichischer Katholikentag wurde.222 Im Zuge der Nachbereitungen dieses erlebnisintensiven religiösen Großereignisses wies Innitzer einen Kreis jüngerer Kleriker um Karl Rudolf und Leopold Schmid, viele geprägt vom „Bund Neuland“, an, „sich durch eine Anzahl geistig führender Laien zu ergänzen und möglichst konkrete Vorschläge zu erstatten für den Neuaufbau einer Katholischen Erzdiözese aus dem Geist und der Kraft des Katholikentages“223.

Im Rahmen des von Karl Rudolf geleiteten „Wiener Seelsorge-Instituts“ bildete sich daraufhin eine spezielle Arbeitsgemeinschaft „Katholische Aktion und Pfarrgemeinde“. Jetzt erst setzte sich die eigentlich für die „Katholische Aktion“ konstitutive Idee durch, sie nicht als reine Zusammenfassung katholischer Vereine, sondern als völlig neue Bewegung zu verstehen und zu errichten. Das zielte auf nichts weniger denn einen wirklichen Systemwechsel in der pastoralen Basisorganisation. Bis dorthin hatte sich katholisches Laienleben auch in Österreich vor allem in den nach 1848 gegründeten Vereinen abgespielt, die „Pfarre“ war gerade in Folge des Josephinismus vor allem ein „Amt“, an das man sich bei Bedarf, und möglichst nur dann, wandte wie an ein anderes Amt. Zumindest konzeptionell wurde die pastorale Basisorganisation nun radikal auf das Projekt einer explizit gemeinschaftsbezogenen „Pfarrgemeinde“ umgestellt.

„Nur die Organisationsidee der Pfarrgemeinde allein ist ein wirklich Ganzes, ein ideelles, natürliches und übernatürliches, territoriales und einheitliches Ganzes“224 – so der bereits zitierte Referent zur Jugendpastoral P. Ferdinand Bruckner O.Cist auf der IV. Wiener Seelsorgertagung. Dieses Projekt zielt dabei auf nichts weniger denn auf umfassende, ja totale Erfassung der Gläubigen:

Der Zeitgeist ist nun heute einmal aufs Totale, aufs Ganze gerichtet und tut am liebsten dort mit, wo totale Ideen in totalen Formen Gewähr für entscheidende allgemeine Neugestaltung bieten. Diesem Zeitgeist stehen die partikularen Vereinsformen und -ideen auf die Dauer unebenbürtig gegenüber … Deshalb die verantwortungsschwere, aber vom innersten Erlebnis getragene Frage: Gibt es im katholischen Bereich eine Organisationsidee, auf der eine großzügige einheitliche, vom Wesen her total wirkende, und doch mannigfaltige Gemeinschaftsbildung (der Jugend) möglich wäre? Wenn ja, dann ist es nur die Organisationsidee der Pfarrgemeinde!225

Im „Wesen der Pfarrgemeinde liegt die geistig religiöse, personale und territoriale Totalität; wenigstens theoretisch und grundsätzlich, wenn auch im Leben nie ganz verwirklicht.“226

Den Planern dieser pastoralen Umgestaltung war die Größe ihrer Aufgabe klar: „Es gehört zu den schwersten Problemen, das längst verkümmerte Pfarrbewusstsein in den Leuten wieder lebendig zu machen“227, so Franz Schebeck, ein anderer Referent dieser Tagung in seinem Rückblick auf das erste Jahr der neuen Katholischen Aktion unter dem bezeichnenden Titel „Die Pfarrgemeinde als Lebenszentrum der Katholischen Aktion“. Dazu war vieles notwendig: Schebeck wusste, dass es darum ging, „die Pfarrgemeinschaft in ihrer Ursprünglichkeit wieder herzustellen“228, den „Klerus … wieder für den Gedanken der Pfarrgemeinschaft“229 zu gewinnen, das „längst verkümmerte Pfarrbewußtsein in den Leuten wieder lebendig zu machen“230, und dass die „Gewinnung und Schulung der Laienhelfer231 erst noch begonnen werden musste. Er forderte ein „Pfarrheim, zum wenigsten einen Pfarrsaal232, vor allem aber ging es um die „Erfassung der ganzen Pfarre233: „Erst die in diesem Sinne aufgebaute lebendige Pfarrgemeinde wird eine fähige Trägerin und fruchtbare Wirkerin der Katholischen Aktion sein können“234. Hier findet sich an zentraler Stelle bereits, was auch in der nachkonziliaren Gemeindetheologie zum programmatischen Leitwort werden sollte: die „lebendige Pfarrgemeinde“. Schon die Wiener „Weihnachts-Seelsorgertagung“ des Jahres 1933 trug explizit jenes Motto, das bis vor kurzem den zentralen pastoralen Konzeptbegriff für die Basisorganisation der katholischen Kirche hierzulande bildete: „Die lebendige Pfarrgemeinde“235.

Kardinal Innitzer machte sich dieses Programm in seinen erwähnten Richtlinien vom 18. 12. 1934 voll und ganz zu eigen. Innitzer fordert die „Errichtung von Pfarrheimen“, die Einsetzung eines „Pfarrbeirat(s)“, „allgemein zugängliche Pfarrabende“ und die „Schulung der Laienapostel“. Der Pfarrer ist der Führer der Pfarrgemeinde, er beruft die „Führer der Naturstände“. „Als Naturstände sind die Gruppen der Männer, Frauen, der männlichen und weiblichen Jugend anzusehen, und zwar in der Ganzheit aller Pfarrangehörigen“. Die angesprochene „Zellenarbeit“ besteht aber nach Innitzer darin, „dass in planmäßiger Auswahl der Laienapostel die ganze Pfarre durchorganisiert wird.“236

Die zentralen Strukturen dieses Konzepts einer Gemeindetheologie im Rahmen der Katholischen Aktion und innerhalb des autoritären Ständestaates werden markant sichtbar im Vorwort Kardinal Innitzers im „Jahrbuch der katholischen Aktion in Österreich“ des Jahres 1935. Mit Oppositionsbildungen, die auch in der Gemeindetheologie der 70er Jahre zentral wurden, werden spezifische Aufwertungszuschreibungen an die Laien vorgenommen, dies in einem konkret handlungsbezogenen wie in einem dogmatischen Sinne. Die Laien sollen „von bloß Besorgten zu Mitsorgern, von bloß Betreuten zu solchen, die auch betreuen, werden“237, denn schließlich besitze der Christ „als Getaufter und Gefirmter priesterlichen Charakter, … so dass er in seiner Weise berufen sei, in einem rechtverstandenen allgemeinen Priestertum zur Welt, die ihn umgibt, zu stehen und in ihr zu wirken.“238

Doch auch hier findet sich bereits eine charakteristische Dopplung von Aktivierung und Domestizierung. Denn das alles gelte, so Innitzer, nur „in bewusster Bei- und Unterordnung unter die kirchliche Hierarchie“239. „Ein Heer, das zur Schlacht, auf Eroberung auszieht, ohne rechte Zu- und Unterordnung der einzelnen Teile unter der Führung, hat von vorne herein keine Aussicht auf Erfolg, auf Sieg“. Noch „tiefer“ freilich sei „die Unterordnung unter die amtliche Hierarchie … begründet in der Glaubenstatsache, dass Papst und Bischöfe und in ihrem Auftrag die Priester die von Christus unmittelbar zu seiner Vertretung bestellten Hüter und Führer im Reiche Gottes sind.“ Die Arbeit der Laien unterliege daher „in allen Phasen“ der „ordnenden, sichernden und führenden Gewalt“240 des Bischofs und seiner Vertreter. Innitzer lässt kein Missverständnis über das Ziel dieser pastoralen Erneuerung aufkommen:

Es geht um nichts mehr und nichts weniger, als dass die Kirche sich anschickt, ihren Totalitätsanspruch, den sie von Christus ihrem göttlichen Stifter an alle Menschen und an alle menschlichen Verhältnisse hat, wieder und mit allem Nachdruck zu stellen. Christus soll wieder oder endlich das Haupt der gesamten erlösten Menschheit werden.241

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