Читать книгу Heureka! - Rainer Nickel - Страница 11

MARKT DER MÖGLICHKEITEN

Оглавление

Auf einem Markt der philosophischen Möglichkeiten werden verschiedene Persönlichkeiten mir ihren besonderen Überzeugungen und Lebensformen zum Verkauf angeboten. Der Satiriker Lukian aus Samosata am Euphrat (etwa 120–180 n. Chr.) hat diesen Markt erfunden: In loser chronologischer Reihenfolge warten Pythagoras, Diogenes, Aristipp, Demokrit, Heraklit, Sokrates und Chrysipp auf einen Käufer. Außerdem sind noch ein Epikureer, ein Peripatetiker und ein Skeptiker im Angebot. Zuerst wird Pythagoras den kauflustigen Marktbesuchern vorgeführt. Aufgefordert von Zeus und Hermes, den olympischen Organisatoren des Marktes, beschreibt er seine besonderen Fähigkeiten und Überzeugungen, um einen Interessenten für sich und seine Lehren zu gewinnen.

Die Philosophen werden übrigens – wie in einem Bewerbungsgespräch – aufgefordert, mehrere Fragen zu beantworten.

Fragen zur Feststellung der Qualifikation eines Philosophen auf dem Markt:

1 Was weißt oder kannst du am besten?

2 Woher kommst du?

3 Wo bist du ausgebildet worden?

4 Was hast du gelernt?

5 Was verstehst du besonders gut?

6 Was ist der Kern deiner Weisheit?

7 Was sind deine Eigenschaften?

8 Was hältst du für besonders wichtig?

9 Wie lebst du?

10 Wer ist dein Vorbild?

11 Was kannst du jemandem beibringen?

12 Wie bringst du jemanden auf den richtigen Weg?

13 Wozu kann man dich gebrauchen?

14 Wofür bist du nützlich?

Die erzielten Verkaufserlöse sind unterschiedlich hoch. Den höchsten Preis zahlt man für einen vornehmen Peripatetiker, den niedrigsten für einen äußerlich völlig verwahrlosten Kyniker. Das äußere Erscheinungsbild ist offensichtlich ein wichtiger Anhaltspunkt für die Höhe des Preises. Demokrit und Heraklit finden übrigens überhaupt keinen Käufer, weil sie mit ihrem ständigen Lachen und Weinen jedem auf die Nerven fallen.

Das Bild, das der Satiriker Lukian von den Philosophen zeichnet, ist selbstverständlich nicht mit den Maßstäben einer seriösen Geschichtsschreibung zu messen. So trägt das Porträt des Sokrates betont platonische Züge, indem er den Athener als Verfechter der Ideenlehre auftreten lässt und mit seinen angeblich päderastischen Neigungen lächerlich macht.

Nachdem der Epikureer und der Stoiker verkauft sind, wird zum Schluss noch der Skeptiker Pyrrhon erfolgreich angeboten, der vor allem mit seiner Forderung nach einer generellen Zurückhaltung des Urteils (Epoché) karikiert wird.

Insgesamt bietet Lukians Dialog einen zwar extrem knappen, aber in vielen Punkten zutreffenden Abriss philosophischer Lehrmeinungen und kann daher als ein Wegweiser in die griechische Philosophiegeschichte benutzt werden. Denn Lukian wollte seine zeitgenössischen Leser nicht nur unterhalten, sondern auch über Möglichkeiten philosophischer Reflexion und über entsprechende Lebensformen mit ihren Stärken und Schwächen informieren. Er lässt deutlich erkennen, dass alle Philosophen, die er auf den Markt bringt, in einem wesentlichen Punkt ganz einig sind: Sie leben ihre Lehre. Theorie und Praxis sind deckungsgleich.

Obwohl Lukian nicht auf bestimmte Personen zu zielen behauptet, haben schon viele zeitgenössische Leser seine Anspielungen so verstanden; denn fast alle Philosophen werden namentlich genannt. Folglich erklärt Lukian in einer Schrift mit dem Titel Der Fischer und die Wiederauferstehenden, er habe nicht die prominenten Repräsentanten der einzelnen Philosophenschulen, sondern nur die vielen Möchtegern-Philosophen in deren Dunstkreis angreifen wollen. Diese Ausrede ist allerdings zu fadenscheinig; denn Lukian charakterisiert seine Gestalten mit zahlreichen und gut bezeugten biografischen Einzelheiten, die auf bestimmte Personen zutreffen.

Lukian kann an einem einzigen Tag nur eine kleine Auswahl interessanter Personen auf dem Markt versteigern lassen. Darum ist es zweckmäßig, den Satiriker zu überbieten und einen zweiten Markttag zu erfinden, der Gelegenheit schafft, weitere bedeutende Philosophen vorzustellen, von denen Lukian selbst einige in seinen Werken erwähnt und treffend skizziert hat: Anaxagoras etwa, den Gegner des Zeus und Schützling des Perikles, Empedokles, das nicht angenommene und nur halbverbrannte Opfer des Vulkans Ätna, Thales, einen der Sieben Weisen, der in der Unterwelt mit dem Gesetzgeber Solon diskutiert, oder Xenophanes, das berühmte Beispiel für Langlebige (Makrobioi) .

Die fiktive Fortsetzung des Markttreibens am folgenden Tag ist also durchaus legitim. Denn am Ende des ersten Tages locken die Götter Zeus und Hermes die Marktbesucher tatsächlich mit der Aussicht auf eine Fortsetzung der Versteigerung. Es sind dann zwar nur ganz gewöhnliche Leute, Arbeiter und Händler im Angebot. Aber warum sollte der Satiriker nicht außer Thales, der mit seinem klugen Geschäftssinn, seiner Risikobereitschaft und seiner wirtschaftlichen Weitsicht jeden Kaufmann übertrifft, noch einige erfolgsorientierte, geschäftstüchtige, machtbewusste und daher gewinnbringende Sophisten und andere prominente Intellektuelle auf den Markt werfen dürfen? Der zweite Tag hat also noch einige Highlights zu bieten.

Die Vorstellung der Philosophen wird durch zahlreiche Exkurse erweitert, die zusätzliche Informationen bieten, erhellende Ausblicke eröffnen, zur weiteren Klärung und Vertiefung beitragen und Verbindungslinien zwischen den einzelnen Persönlichkeiten sichtbar machen. Die Exkurse erschließen Hintergründe und historische Rahmenbedingungen; sie enthalten Kommentare und Analysen. Sie dienen dem Verständnis philosophischer Grundbegriffe und machen auf aktuelle Bezüge aufmerksam.

Heureka!

Подняться наверх