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GRIECHISCHE PHILOSOPHIE: PRODUKT EINES AFFEKTS?

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Gorgias aus Leontinoi veranschaulicht die ganz besondere Bedeutung der Philosophie mit einem Vergleich aus Homers Odyssee:

Diejenigen, die sich in den allgemeinen Fächern abmühen, aber die Philosophie vernachlässigen, gleichen den Freiern der Penelope, die sich mit ihren Mägden zufriedengaben, weil ihnen Penelope selbst unerreichbar blieb (VS 82 B 28).

Dieser Vergleich soll zeigen, dass die Philosophie nicht nur eine Sonderstellung vor allen anderen Wissenschaften hat, sondern auch von einem Affekt getragen ist, der etwas weit Entferntes und vielleicht Unerreichbares zu gewinnen drängt, und zwar die Antwort auf grundsätzliche Fragen, die sich dem Menschen immer wieder stellen. Selbstverständlich wird auch ein Philosoph die Frau des Odysseus nicht für sich gewinnen. Aber er gibt sich wenigstens nicht wie die Freier der Penelope mit einfachen Lösungen zufrieden. Er will die Dinge nicht hinnehmen, wie sie zu sein scheinen, sondern er will wissen, wie sie in Wirklichkeit sind . Diese Absicht ist allen hier vorgestellten Philosophen gemeinsam.

In seiner Schrift Über das Wesen der Götter (De natura deorum 1, 11) erklärt der römische Staatsmann und Rechtsanwalt Marcus Tullius Cicero (106–43 v. Chr.), einer der besten Kenner der griechischen Philosophie, das skeptische Fragen zur spezifisch philosophischen Methode, wie sie bereits von Sokrates praktiziert wurde: Die Philosophie sah ihre Aufgabe darin, gegen alles zu argumentieren und keine Sache endgültig zu entscheiden. Cicero betont, diese Methode habe ihre Bedeutung bis in seine Zeit behalten. Damit sagt er zugleich, dass das philosophische Fragen nie aufhört, weil die Antworten nie endgültig sind.

Plinius (62–114 n. Chr.), der Zeitgenosse des römischen Kaisers Trajan, erzählt in einem seiner Briefe (7, 27) von einem Spukhaus in Athen, in dem niemand wohnen will. Dennoch hofft sein Eigentümer, einen Käufer zu finden. Da kommt tatsächlich der griechische Philosoph Athenodoros nach Athen und interessiert sich für das Haus. Er stellt aber Nachforschungen an, weil er sich über den niedrigen Preis wundert. Und jetzt wird der philosophische Affekt wirksam: Obwohl er die Wahrheit erfährt, zieht er in das Spukhaus ein. Denn er will den Dingen auf den Grund gehen. Als es Abend wird, lässt er sich Schreibzeug und eine Lampe bringen und bereitet sich wachen Sinnes darauf vor, die Vorgänge zu klären und alles, was geschieht, schriftlich festzuhalten. Die Geschichte geht gut aus, weil das Gespenst den Philosophen nicht das Fürchten lehrt, sondern dazu bringt, den im Garten verscharrten Körper des unruhigen Geistes ordnungsgemäß bestatten zu lassen.

Dieser Vorgang ist ein Beispiel für das Funktionieren philosophischer Vernunft: Athenodoros forscht nicht nach der Ursache des Spuks, weil er das Haus gekauft hat, sondern er kauft das Haus, um die Ursache herauszufinden. Das genau ist der philosophische Affekt.

Ganz ähnlich handelt der homerische Odysseus. Er will unbedingt den betörenden Gesang der Sirenen hören, obwohl alle Welt weiß, dass diese verführerischen Wesen alle, die sich ihnen nähern, erbarmungslos vernichten. Was tut Odysseus? Er lässt sich fest an den Mastbaum seines Schiffes binden und befiehlt seinen Gefährten, sich die Ohren zu verstopfen. So kann er selbst zwar die unwiderstehlichen Sirenenklänge hören, aber seine Gefährten, die ja nichts hören, nicht dazu bringen, ihn loszubinden und zu den Sirenen zu lassen, was seinen Tod bedeutet hätte. Die philosophische Vernunft des Odysseus ist zwar das gefährliche Risiko des Experiments eingegangen, hat aber – wenn auch unter Qualen – ihr Erkenntnisziel erreicht.

Es steht außer Frage, dass der Mut zum Risiko, das man eingeht, um den Dingen auf den Grund zu gehen und sich nicht mit den Mägden der Penelope zu begnügen, nur ein Merkmal der Philosophie ist – aber das wichtigste.

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