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Eine äußerst strenge Lebensweise

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Am Abend des 15. August 1944 schritt Rita von der Euclid Avenue in Cleveland in die Dunkelheit des Klosters St. Paul von der Ewigen Anbetung hinein. Innen wurde sie angewiesen, sich vor der riesigen Holztüre zur Klausur niederzuknien. Dann öffnete sich das Portal zu ihrem neuen Leben. Dort, auf dem dämmrigen Flur, der durch einige paar Glühbirnen beleuchtet war, standen sich Mutter Mary Agnes, Mutter Mary Clare und die anderen Ordensschwestern in zwei Reihen gegenüber. Die Schleier verdeckten die einzelnen Nonnen. Als Rita sich wieder erhoben hatte, wandten sich die Schwestern dem Innenbereich des Klosters zu und geleiteten sie singend zur Kapelle. Diese Zeremonie mit ihrer Feierlichkeit erschien Rita überirdisch und erfüllte sie mit Staunen. Sie war begeistert. Schon bald sollte sie zu einer Gefangenen der göttlichen Liebe werden, zu einer Franziskanerin vom Allerheiligsten Altarsakrament.

Der französische Orden der Armen Klarissen wurde 1854 von Pater Bonaventure Heurlaut und Joséphine Bouilleveaux (der späteren Mutter Marie de St. Claire) gegründet. Pater Bonaventure, ein eifriger Priester, stellte sich einen religiösen Orden vor, der sich der Anbetung Jesu Christi im Allerheiligsten Altarsakrament widmen sollte. (Gemäß der katholischen Glaubenslehre ist die konsekrierte Hostie, das Sakrament der Eucharistie, das auch „Allerheiligstes Altarsakrament“ oder einfach „Allerheiligstes“ genannt wird, kein Symbol, sondern tatsächlich Leib, Blut, Seele und Gottheit Christi). Pater Bonaventure fehlte jedoch noch eine weibliche Superiorin. Als er die älteste Tochter des Bürgermeisters von Maizières, Joséphine Bouilleveaux, kennenlernte, hatte er seine Gründerin gefunden.

Bouilleveaux war bekannt für ihren starken Willen. Wie auch Pater Bonaventure hörte sie Stimmen und empfing Botschaften von Gott. Gemeinsam gründeten sie am 8. Dezember 1854 in einer Pariser Wohnung den Orden der Schwestern der Unbefleckten Empfängnis. Der Orden verdankt seinen Namen dem Dogma der Unbefleckten Empfängnis, das genau am selben Tag von Papst Pius IX. verkündet worden war. Dieses Dogma legt fest, dass die Jungfrau Maria von der Empfängnis an von jedem Makel und von jeder Sünde bewahrt blieb. Zur Ehre der Jungfrau Maria nannte sich Bouilleveaux jetzt Schwester Marie de St. Claire und weihte sich und alle ihre zukünftigen Töchter der Gottesmutter. Sie bestimmte, dass fortan jede Nonne des Ordens den Namen Maria annehmen sollte.

Schließlich zogen die Schwestern nach Troyes in Frankreich um. Unter dem Patronat des Ortsbischofs errichteten sie dort ein festes Kloster und bezeichneten sich nun als Franziskanerinnen vom Allerheiligsten Altarsakrament. In der Tradition des hl. Franziskus und der hl. Klara von Assisi pflegte der Orden einen starken Glauben und ein kindliches Vertrauen auf Gott in allen Dingen.

Unter der Oberin Mutter Marie de St. Claire bestand die Mission des Ordens in der immerwährenden Danksagung und Anbetung des Allerheiligsten Altarsakraments, um für die Undankbarkeit der Menschheit Gott gegenüber Wiedergutmachung zu leisten. Ein Schritt, der noch eine besonders große Bedeutung für Mutter Angelica bekommen sollte, war die Erhebung des Ordens zu einem Päpstlichen Institut durch Papst Pius IX. am 15. September 1868. Seit dieser Zeit war dieser religiöse Orden nur noch dem Heiligen Stuhl in Rom unterstellt.

Vom Mutterhaus in Frankreich aus wurde von Mutter Marie vom Kreuz ein neues Kloster in Polen und später in Wien in Österreich aufgebaut. Mutter Marie vom Kreuz starb 1906, kurz nachdem sie an der Feier teilgenommen hatte, bei der eine österreichische Nonne namens Schwester Maria Agnes die ewigen Gelübde abgelegt hatte. 1921 überquerte diese Nonne den Ozean und begründete den ersten amerikanischen Zweig des Ordens in Cleveland in Ohio.

Es war dieselbe Nonne, nunmehr Mutter Mary Agnes genannt, die in der Kapelle in Cleveland, deren Decke aus Mahagonibalken gefertigt war, im Sommer 1944 Ritas Versprechen, den Franziskanerinnen beizutreten, entgegennahm.

Im Anschluss an die Zeremonie führte Schwester Veronica, die Novizenmeisterin, die so leise sprach, als würden Engel ihre Gespräche belauschen, Rita in das im zweiten Stockwerk gelegene Noviziat. Hier sollte Rita, abgeschlossen von der größeren Gemeinschaft, als Postulantin herausfinden, ob das klösterliche Leben für sie das Richtige wäre.

Traditionsgemäß war eine Frau in einem Orden sechs Monate lang Postulantin. Nach dieser Zeit wurde sie Novizin, wurde eingekleidet und bekam einen neuen Namen. Noch später, wenn feststand, dass sie das Leben aushielt, erlaubte man der Schwester, die zeitlichen Gelübde abzulegen. Mit Zustimmung der Nonnen, die ihre ewigen Gelübde bereits feierlich abgelegt hatten, wurden die Gelübde dann drei Jahre lang jedes Jahr durch die Anwärterin erneuert. Dann konnten die Schwestern nach sechs Jahren ihre ewigen Gelübde ablegen. Ein solcher Prozess war anstrengend. Rita hatte damit von Anfang an Probleme.

Der normale Alltag im Kloster St. Paul erlaubte nur wenig Abwechslung. Die Nonnen hielten einen strengen Zeitplan ein, um die täglichen Chorgebete zu verrichten. Diese wurden viermal täglich gesungen, zwei Stunden lang wurde Eucharistische Anbetung gehalten, die gemeinsame hl. Messe wurde gefeiert und auch zusammen der Rosenkranz gebetet. Geistliche Lesung, Freizeit, Haushaltsarbeiten und Mahlzeiten rundeten ihren Tagesablauf ab. Alle Tätigkeiten waren streng geregelt, auch das pflichtgemäße morgendliche Aufstehen um 4.50 Uhr. Sobald die Holzklapper morgens im Gang ertönte, musste die Nonne, wie es in der Ordensregel vorgeschrieben war, ihr Ecce adsum („Siehe, hier bin ich, oh Herr, Deinen heiligen Willen in allen Dingen zu erfüllen!“) rufen, sich bekreuzigen und den Boden dreimal zu Ehren der Heiligen Dreifaltigkeit küssen. Beim Waschen musste man sich auf den Boden knien. Diese und andere Regeln wurden strengstens befolgt. Abweichungen waren nicht erlaubt. Wer den hohen Anforderungen nicht gerecht werden konnte, wurde zum Verlassen des Ordens aufgefordert.

Rita trug ein einfaches schwarzes Kleid und eine Mütze und versuchte, sich dem klösterlichen Leben anzupassen. Zu ihren Anfangsaufgaben gehörte es, Fußböden zu reinigen und Hostien zu backen. Schon in den ersten Wochen im Kloster kam sie zu spät zum Gebet und ließ es sich zur Gewohnheit werden, die älteren Schwestern zu stören, indem sie gegen die Klausurtüren rempelte.

Nichts davon entging dem wachsamen Auge von Mutter Agnes. Mit ihrer deutschen Gründlichkeit begann die Äbtissin, Schwester Rita zurechtzustutzen, indem sie der jungen Postulantin eine Reihe von Demütigungen auferlegte, die ihr den Gehorsam beibringen sollten. Bei jeder zufälligen Begegnung mit der Äbtissin musste Rita sofort jede Tätigkeit einstellen, niederknien und das Skapulier der Mutter Oberin küssen. Doch dabei ließ es Mutter Agnes noch nicht bewenden. In Gegenwart der gesamten Gemeinschaft wies die Äbtissin auf Schwester Ritas Vergehen hin, ganz besonders auf die Flatterhaftigkeit, mit der sie jedes Mal zur Türe hereinkam. Zur Buße musste die beherzte Schwester in der Mitte des Refektoriums, wo die Nonnen aßen, niederknien und ein Gebet aufsagen, das mit den Worten begann: „Ich bin nichts, ich kann nichts, ich bin nichts wert. Ich habe nichts außer meinen Sünden.“

„Apfelmus“, sagte Schwester Rita insgeheim manchmal zu sich, nachdem sie diese Litanei beendet hatte. Diese Buße sollte nun „Montag für Montag für Montag“ wiederholt werden, bis die Nonne das Gesagte als Wahrheit anerkannte. Während diese Prüfungen ihre Gefährtinnen zu Tränen rührten, ließ sich Schwester Rita durch sie weder kleinkriegen noch besonders beeindrucken.

„Mein ganzes Leben stand im Zeichen des Überlebens, und ich glaubte, dass dieser Überlebenskampf jetzt einfach nur an einem anderen Ort stattfand“, erzählte mir Mutter Angelica. „Im Kloster hatte ich viel Sicherheit, und ich musste mich um nichts kümmern.“

Doch nach nur einem Monat Aufenthalt im Kloster erkrankte Rita an einer Lungenentzündung. In den Akten des Klosters steht, dass sie „die Erlaubnis bekam, ins Krankenhaus zu gehen“. Einige Zeit später verließ sie nach einer Halsentzündung die Klausur zum zweiten Mal, um sich die Mandeln entfernen zu lassen. Die schwache Gesundheit der Postulantin wurde für ihre Vorgesetzten allmählich ein Grund zur Besorgnis.

Gegen Ende des Monats September 1944 wurde Rita in das Sprechzimmer gerufen. Da es vorgeschrieben war, bei Besuchen von Gästen immer eine Aufsichtsperson bei sich zu haben, kam Rita in Begleitung von Schwester Veronica. Auf der anderen Seite des geöffneten Gitters saß Onkel Nick Gianfrancesco. In seinen tief eingesunkenen Augen war ein Schimmer von Trauer zu bemerken. Er war gekommen, um Rita mitzuteilen, dass Großmutter Gianfrancesco verstorben war und versuchte als Maes Abgesandter, sie zu überreden, nach Hause zurückzukehren. Doch irgendwie fand er nicht die richtigen Worte. Fast eine Stunde lang, während Rita über den neuen gekürzten schwarzen Schleier sprach, den sie gerade erst erhalten hatte, sowie über die Schönheiten des Klosters, weinte Onkel Nick, als wäre er bei einer Beerdigung. Auf Nick Gianfrancesco musste die ungewohnte Umgebung wie ein Gefängnis gewirkt haben.

„Bist du denn hier glücklich?“, fragte er schluchzend.

„Oh ja, Onkel Nick!“

Beruhigt tupfte er sich die Tränen ab und fuhr wieder zurück nach Canton.

Dort konnte Mae Francis Ritas Entschluss noch immer nicht begreifen und akzeptieren. Die erfahrene Äbtissin, die die Familiensituation ganz richtig einschätzte, schrieb an Mae und lud sie ein, das Kloster anlässlich der Feier der Einkleidung einer anderen Schwester zu besuchen. Die Äbtissin beabsichtigte, der Mutter das klösterliche Leben vorzustellen, um langsam ihre ablehnende Haltung zu ändern.

Im November 1944 gab Mae schließlich ihre Ablehnung auf und fuhr nach Cleveland. Sie durfte zwar Mutter Agnes, aber nicht Rita, sehen. Um Maes Enttäuschung ein wenig abzumildern, bemühte sich die Äbtissin „außergewöhnlich um sie“. Mit Güte und Freundlichkeit versuchte sie, ein Vertrauensverhältnis aufzubauen. Allmählich ließ Maes Widerstand gegenüber Ritas Berufung nach. Bei ihren Aufenthalten im Kloster bewohnte Mae ein Zimmer außerhalb der Klausur. Sie fühlte sich als Teil der Klosterfamilie und fing langsam an, Ritas Entscheidung zu verstehen.

Während ihrer ganzen Postulatszeit vertiefte sich Rita in geistliche Schriften. Sie studierte einfach alles, angefangen von den Lebensbeschreibungen der Heiligen bis hin zu der Regel ihres Ordens. Diese Werke, gepaart mit „einer äußerst strengen Lebensweise“, formten Rita in ihrer neuentdeckten franziskanischen Spiritualität. Sie passte sich an das Leben hinter den Klostermauern an und bemühte sich, den starken Charakter zu unterdrücken, mit dem sie sich bei ihren Arbeitskollegen und Freunden in Canton so beliebt gemacht hatte. Doch nun kamen Risse zum Vorschein.

Am 28. Dezember, dem Fest der Unschuldigen Kinder, gingen die älteren Schwestern nach oben in das Noviziat, um mit den Postulantinnen und den Novizinnen zusammenzusein. „Meine Güte, bist du ruhig“, sagte eine der Nonnen zu Schwester Rita. „Ja, und ich muss auch nichts bereuen“, gab Rita schlagfertig zurück und spielte auf die im Kloster üblichen Selbstbeschuldigungen an.

Es war für sie eine Herausforderung, die barsche Seite ihrer Persönlichkeit im Zaum zu halten. Dazu kam ein gesundheitliches Problem, das ihr seit Anfang Dezember zusetzte. Dies verstärkte nur noch Schwester Ritas Wunderlichkeit. Durch das ständige Knien während der täglichen Gebetszeiten, bei den Bußübungen und bei diversen Arbeiten sammelte sich Flüssigkeit in Ritas Knien, die anschwollen. Später beschrieb Mutter Angelica sie als „zwei aufgeblähte, mit Wasser gefüllte Pampelmusen“. Sie konnte zwar einigermaßen gehen, doch das Hinknien wurde unmöglich – und Knien war zu dieser Zeit ein wesentlicher Bestandteil des kontemplativen Lebens.

Eine Konferenz der Professschwestern, bei dem über Schwester Ritas Aufnahme in das Noviziat abgestimmt werden sollte, war für Februar 1945 vorgesehen. Doch ihre schlimmen Knie und andere Gesundheitsprobleme machten eine Verschiebung der Abstimmung nötig.

„Damals bedeutete Gesundheit einfach alles“, bemerkte Mutter Angelica. „Wenn man gesund war, war man auch berufen.“

Für den Augenblick war Schwester Ritas Berufung ernstlich gefährdet.

Mutter Angelica

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