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Bürgerkriege und Bürgerrechte

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Exzentrische Verhaltensweisen innerhalb der Gemeinschaft führten an dem Tag, an dem Schwester Angelica ihre erste Profess ablegte, zu einer Explosion an Gefühlsausbrüchen. Ein Schneesturm brachte am 2. Januar 1947 Schnee und Eis. Ganz Canton war betroffen, sodass sich die Gäste verspäteten und die Ankunft von Bischof James McFadden verzögert wurde.

Mae Francis, Rhoda Wise und andere Gäste beobachteten durch das provisorische Holzgitter im Wohnzimmer der O’Dea-Kapelle, wie sich die Nonnen auf der Klausurseite versammelten. Schwester Angelica kniete mit fromm geneigtem Kopf an einem Betpult.

Die Ruhe wurde allerdings schon bald gestört, als sich die Chorleiterin, Schwester Mary vom Kreuz, mit der Schwester Organistin über die Spielweise stritt. Langsam eskalierten die Stimmen und die beiden Nonnen gerieten aneinander. Die Organistin weigerte sich zu spielen, Mary vom Kreuz drohte ihr, sie in den Schnee hinauszuwerfen, falls sie nicht spielen würde.

Mutter Angelica erzählte mir: „Und ich saß nun da und versuchte, mich für meine Gelübde zu sammeln. Die Leute mussten gedacht haben, dass wir alle verrückt seien.“

Die Nonnen kehrten wieder auf ihre Plätze zurück, die Organistin spielte wieder ihre trauervolle Melodie, und Mary vom Kreuz kniete sich an ein Betpult an ihrem Platz. Wenige Augenblicke später sauste ein Käfer über den Holzfußboden. Mary vom Kreuz stand auf, hob die Kniebank mit beiden Händen hoch und ließ sie zu Boden fallen in dem Versuch, dem Insekt den Garaus zu machen. Wie eine Verrückte schwang sie den Betstuhl wie einen Presslufthammer mehrmals hin und her und schleuderte ihn und sich selbst auf das Krabbeltier. Die Organistin, die diese Vorführung für eine hinterhältige Kritik an ihrem Orgelspiel hielt, schlug dafür umso stärker in die Tasten. Schwester Angelica konnte es einfach nicht fassen, was sie da sah und dann als „Blödsinn“ bezeichnete. Dann kam der Bischof herein.

Der Bischof war klatschnass und schimpfte über sein Auto, das mehrere Häuserblocks entfernt im Schnee stecken geblieben war. Er bat um frische Socken. Mutter Clare schickte Schwester Angelica, um für ihn ein neues Paar zu holen. Als sie wieder auf ihren Platz am offenen Gitter zurückkam, legte der Bischof eine genau passende Dornenkrone auf Angelicas Kopf.

Während der Feier der Profess sollte der Bischof Mutter Angelica den Professring anstecken. Es gelang ihm jedoch nicht, den Ring über das geschwollene Fingergelenk zu schieben. Deshalb tat er nur so, als ob es ginge und sprach dabei die Worte: „Ich vermähle Dich mit Jesus Christus, dem Sohn des höchsten Gottes.“

„Bei alldem, was hier vor sich ging, dachte ich wirklich, dass mich Jesus nicht lieben würde. Verstehen Sie? … Ich meine, das war wirklich eine geistliche Erfahrung!“, erinnerte sich Mutter Angelica sarkastisch. „Aber so arbeitet Gott nun einmal mit mir zusammen. Wenn ich zurückschaue, dann ist mir immer zuerst etwas zugestoßen, bevor etwas Großes geschah.“

Doch trotz dieser grotesken Atmosphäre, die während der Feier in der Kapelle herrschte, nahm Schwester Angelica ihre ersten Gelübde ernst. In einem nach der Ablegung der Gelübde maschinengeschriebenen Brief an ihre Mutter bezeichnete sie sich und Jesus als „Vermählte“ und als „königliches Paar“. Dieses Paar, so schrieb sie, „möchte gerne seine Dankbarkeit gegenüber seiner Freundin und den Angehörigen des königlichen Hofstaates zum Ausdruck bringen“. Weiter unten schrieb sie: „Die Braut hat den Bräutigam gebeten, Dich mit seinem Frieden und seinem Trost zu erfüllen.“ Sie unterzeichnete den Brief mit „Jesus und Angelica.“

Man spürt, wie freimütig und konsequent Angelica über ihre eigenen Gefühle und die des Messias schrieb. In ihrem Brief kam vor allem ihr starker Glaube, nicht mit einem abstrakten Begriff oder einer Idee vermählt zu sein, sondern mit einer Person, zum Ausdruck. Diese tiefe Überzeugung und die Liebe zu ihrem Bräutigam sollten von nun an all ihre Handlungen leiten. Während ihrer Flitterwochen kam sie ihrem „Bräutigam“ noch viel näher, als sie es jemals für möglich gehalten hätte.

Angelica litt unter einer Reihe von unbedeutenden Krankheiten – Kopfschmerzen, eingewachsenen Fußnägeln und Ähnlichem. Obwohl es sich um banale Unpässlichkeiten handelte, reichten sie doch aus, um sie mürrisch werden zu lassen, wenn Mutter Clare sie dann zur Anbetung für drei Uhr morgens einteilte. Angelica kam widerwillig zur festgesetzten Zeit, „war jedoch nicht gerade glücklich, dort zu sein“. Sie teilte ihren Unmut auch Jesus mit: „Ich habe all diese schmerzhaften Dinge und obendrein noch die Anbetung. Glaubst du etwa, ich bin ein Pferd?“

„Nein, du bist meine Braut“, glaubte sie, Seine Antwort in der Stille zu hören.

„Mein Gott, ich habe das nie wieder zu Ihm gesagt, das können Sie mir glauben!“

Obwohl Mae Francis Rita regelmäßig besuchte, fehlte ihr doch die Tochter zu Hause sehr. Dafür hatte Rita Verständnis. Aus einigen undatierten Briefen aus dieser Zeit geht hervor, dass sich Angelica andauernd Sorgen um ihre Mutter machte. In einem dieser Briefe bat sie Mae inständig: „Fühl‘ Dich nicht einsam, mein Liebes. Ich liebe Dich so sehr. Nur Menschen, die niemanden haben, der sie liebt, können einsam sein. Du dagegen hast Jesus und mich und die Schwestern.“

In einem anderen Brief nahm Schwester Angelica die Rolle der Lehrerin ein und gab Mae geistlichen Rat:

Liebste Mutter,

Es vergeht kein Tag, an dem ich nicht Jesus für eine solch liebende und aufopfernde Mutter Dank sage. Mag auch manchmal Dunkelheit über Dich hereinbrechen, dann geschieht dies doch nur, damit Du nur einmal das ewige Licht umso mehr genießen kannst… Hör nicht auf zu lieben, denn das gefällt Jesus, es ist das einzig Wichtige…

In Liebe,

Schwester Angelica

Nach dem Eintreffen der neuen Postulantinnen waren sie nunmehr dreizehn Schwestern in dem überfüllten Kloster. Um die beengte Wohnsituation zu beheben, sollten neue Gebäude und eine schöne Kapelle angebaut werden.

Die Bautätigkeit brachte Rückschläge mit sich. Bei den Ausschachtarbeiten im März 1950 zerstörte die Baukolonne eine Abwasserleitung, durch die die Hausabwässer entsorgt wurden. Außerdem verrechnete man sich bei der Größe der neuen Gebäude. Im Hof wurde dadurch eine Gruppe von Bäumen unnötigerweise gefällt. Wenn sie auf die vorlaute sechsundzwanzigjährige Nonne gehört hätten, als diese gelegentlich die Blaupausen der Pläne überprüfte, hätten sie diese Fehler vermeiden können. Schwester Angelica schaute häufig bei den Arbeitern vorbei und war dafür bekannt, dass sie sich mit ihnen auf fachliche Dispute einließ. Ab Mai gab es dann niemanden mehr, mit dem sie sich hätte auseinandersetzen können. Durch einen von der Gewerkschaft ausgerufenen Streik blieben die Bauleute zu Hause. Der Bau kam zum Stillstand. Aus den Kalendereinträgen der Gemeinschaft ist zwar die Enttäuschung der Nonnen über die Verzögerung ihrer Pläne zu entnehmen, doch da gab es bereits ein anderes Projekt, das ihre Stimmung hob.

Das Kloster St. Klara veranstaltete im August sein erstes Treffen zwischen Schwarzen und Weißen. Bischof McFadden zelebrierte auf dem Rasen vor dem Kloster die Messe. Es waren drei Busladungen schwarzer und weißer Pilger aus Cleveland gekommen. Frau Dr. Norma Marcere, eine schwarze Freundin von Mae Francis, organisierte die Veranstaltung, die wahrscheinlich wenig Anklang bei den meisten Nonnen der Gemeinschaft fand. Dennoch betrachteten die Schwestern dieses Treffen als einen Erfolg.

Dass vom Kloster überhaupt eine solche Veranstaltung zu einer Zeit stattfand, in der die Rassenintegration noch ein Tabu war, verdeutlicht die Geisteshaltung, eine Art „Gegenkultur“ des Klosters und seiner Bewohner. Die Schwestern vom Kloster St. Klara verfolgten die Rassenproblematik mit großem Interesse ungeachtet der Tatsache, dass es in der Stadt nur wenige schwarze Katholiken und in der Gemeinschaft keine einzige schwarze Schwester gab. Schwester Angelica war besonders aufmerksam und interessiert, da sie zusammen mit Schwarzen im selben Wohnviertel gelebt und selbst erfahren hatte, wie man auch Italienern gegenüber voreingenommen war.

Zwischen 1950 und 1953 traten eine Reihe junger Aspirantinnen in das Kloster ein in der Hoffnung, der Schwesterngemeinschaft beitreten zu können. Insbesondere drei von ihnen sollten lebenslange Bande mit Schwester Angelica knüpfen.

Elizabeth Olson oder Schwester Mary Joseph, wie sie als Ordensschwester hieß, besaß eine Gelassenheit und ein ungezwungenes Lächeln, das sie bereits im Jahr 1950 beim Überschreiten der Türschwelle bei den Nonnen beliebt machte. Die versierte Schneiderin deutsch-schweizerischer Herkunft widmete sich ganz der Anfertigung der Ordenstrachten, wenn sie nicht gerade beim Gebet war. Ob bei der Arbeit oder in der Freizeit, in der Kapelle oder außerhalb: Schwester Joseph hatte immer einen staunenden Gesichtsausdruck und weit geöffnete Augen, als wären ihr soeben die Engel mit all ihrer Glorie erschienen.

Im Januar 1951 trat Kathleen Myers aus Louisville, Ohio, in das Kloster St. Klara ein. Dieses hübsche Mädchen mit dem schmalen Kinn und breiten Lächeln, bei dem man ihre schönen Zähne sah, hatte etwas Nervöses an sich. Vor ihrem Eintritt ins Kloster hatte Kathleen das College abgeschlossen und in einer Kunsthandlung als Sekretärin gearbeitet. Wäre sie nicht Nonne geworden, hätte sie sich wahrscheinlich weiter mit der Kunst beschäftigt. Nachdem sie den Schleier genommen hatte, wurde sie die Schreiberin, Zeichnerin und Dichterin der Gemeinschaft und sang die erste Sopranstimme. Im Ordensleben wurde sie als Schwester Mary Raphael bekannt.

Raphael hörte Schwester Angelica schon lange, bevor sie sie erstmals zu Gesicht bekam. Sie arbeitete als Externe, das heißt als Schwester, die Botengänge außerhalb des Klosters machte. Sie brachte die Lebensmittel zu einer Art Drehschalter (ähnlich dem Nachtschalter einer Bank), durch den die Waren ohne menschlichen Kontakt in die Klausur gelangen konnten. Raphael hatte gerade einige Lebensmittel in diesen Kasten gelegt, als eine muntere Stimme herausrief: „Ist Gott nicht gut?“ Die Worte hallten wie ein Echo aus dem Gitter und der dahinterliegenden Metalltrommel. „Sie sind die neue Postulantin, nicht wahr? Ist Gott nicht gut?“ Bald sollte sie die Antwort auf diese Frage bekommen mit Hilfe derjenigen, deren Stimme sie gehört hatte.

Evelyn Shinosky, später Schwester Mary Michael genannt, kehrte zum katholischen Glauben zurück, nachdem ihre Eltern aus der katholischen Kirche ausgetreten waren, um sich einer polnischen Splittergruppe anzuschließen. Sie war klein von Gestalt, beherzt und unkompliziert und eine unermüdliche Arbeiterin. Ihr Kochtalent und ihre Hilfsbereitschaft zeichneten sie in der Gemeinschaft aus. Auch heute noch besitzt Schwester Michael mit ihren großen Augenlidern eine unerschütterliche Anmut. Sie beschrieb die Schwester Angelica, die ihr in den frühen Fünfzigerjahren begegnete, als einzigartig und fleißig: „Sie war ungewöhnlich und kümmerte sich um alles.“

Mutter Angelica

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