Читать книгу Das schillernde Leben des O.K. - Reimer Loop - Страница 11
Nur ein Mitläufer
ОглавлениеDer Dorfschulmeisters Heinz Kosche war schon als junger Mann vor der Machtübernahme ein Anhänger der neuen, starken politischen Bewegung. Ein überzeugter Nazi wurde er 1933, als er zum Reichsparteitag nach Nürnberg reiste und entflammt zurück nach Hause kam. Endlich war da einer, der nach dem Wirrwarr der vergangenen Jahre alles im Griff zu haben schien, einer der das sagte, was alle dachten, und der das internationale Judentum für alles verantwortlich machte. Er vermittelte dem Volk ein Feindbild, er vermittelte ihnen nach der Schmach des Krieges wieder den Stolz, Deutscher zu sein und eroberte ihre Herzen, denn Schuld waren nur die anderen. Und die Menschenmassen, die dem Führer enthusiastisch und voller Ergebenheit zujubelten, mussten einfach jeden mitreißen, der eigentlich noch zögerte.
‚Deutschland erwache’ war für Heinz Kosche als preußischer Beamter fortan auch das Zauberwort. Die Erfolge der ersten Jahre gaben seiner Einstellung Recht und die menschenverachtenden Negativgerüchte war jüdische Hetzpropaganda, soweit sie überhaupt zu ihnen aufs Land drangen. Plausibel hingegen waren die gut aufbereiteten Losungen. Als das Ende nahte, als die Hiobsbotschaften sich überschlugen, als Tod und Trauer den Alltag bestimmten, als das Gemunkel über Massenvernichtungslager nicht verstummte, da klammerte sich Heinz noch an das Versprechen seines geliebten Führers, an den Endsieg mit der Wunderwaffe. Heinz Kosche war ein Mitläufer, einer von vielen, die zwar niemandem direkt etwas zuleibe getan hatten, aber sich bedingungslos im Netzt der massiven Propaganda verfangen hatten.
Perspektivlos stand er bei Kriegsende plötzlich vor einem existenziellen Scherbenhaufen. Er wurde entnazifiziert, wieder Lehrer, ein innerlich nicht überzeugter Kommunist und begann deshalb zu trinken. Er plapperte die Sprüche der neuen Obrigkeit und bat die Leute in Radow es ihm gleich zu tun, denn es wäre sicherlich vorteilhafter, wenn das Dorf gut da stünde. Man würde sie dann auch eher in Frieden lassen. Seine Frau Marlen unterstützte ihn, auch wenn ihre kritische Einstellung und die Torheiten der Kinder nicht selten einen politischen Drahtseilakt von ihm erforderten. Als Ole schließlich in den Westen türmte, schien es auch für Heinz Kosche zunächst keine Zukunft mehr zu geben, denn er hatte in seinem Suff Ole auf der Straße im Dunkeln nachgerufen: „Den Bengel bringe ich um.“ Einige im Dorf hatten sein Geschrei gehört, und das Gerücht ging um, er habe dem Jungen tatsächlich etwas angetan. Doch irgendwann wurde bekannt, dass in jener Nacht auch jemand auf der Flucht erschossen worden war. Aber das Gerücht jedoch wollte nicht verstummen, dass der Junge von Heinz beseitigt worden sei. Um ihn zu entlasten beteuerten Marlen und er gemeinsam, dass der Junge schwer erziehbar gewesen war, nicht kollektivfähig, und er für den Sozialismus nur nachteilig sein konnte, da sei sein Tod auf der Flucht doch das Beste für alle.
Ohne dass Heinz Kosche die Wahrheit erfuhr, wurde er fortan mit seinem schlechten Gewissen von der Stasi erpresst und zum informellen Mitglied, was bedeutete, dass er alle auszuspionieren hatte. Doch seine Berichte, die er verbotenerweise mit einem Durchschlag ausführte, waren alle so verfasst, dass sie niemanden ernsthaft belasten konnten. Heinz begann noch mehr zu trinken bis es schließlich zu dem tödlichen Unfall kam.
„Du hast mir überhaupt noch nicht erzählt, wie es dir in der ganzen Zeit ergangen ist, Ole. Wieso haben denn alle geglaubt, du seihst tot?“
„Die haben mich im Wasser nur angeschossen und verbreiteten wohl, ich sei tot. Aber darüber reden wir nachher noch mal“, lenkte Ole ab, denn er sprach, warum auch immer, äußerst ungern darüber. Außerdem spürte er wieder seine rastlose Unruhe.
„Ich bin heute Abend zum Essen verabredet. Es würde mich freuen, wenn du mich begleitest. Unterwegs können wir ja noch weiter reden und du kannst auch bei mir schlafen, wenn es später werden sollte, denn hier wartet doch ohnehin niemand auf dich.“
Felix zögerte einen Augenblick und überlegte.
„Meinst du wirklich? – Gut, warum nicht? In einem richtigen Hotel habe ich auch noch nie geschlafen. Ja, das machen wir.“ Felix zögerte, „und was kostet das?“
„Das kostet dich nichts. Ich lade dich ein. Du kannst bei mir schlafen“, antwortete Ole schmunzelnd. Felix freute sich, trank hastig seinen Kaffee aus und verschwand, um in seiner abgewetzten Aktentasche einen Schlafanzug, Zahnbürste, Rasierzeug, Handtuch und einige Toilettenutensilien zu verstauen, die ihm wichtig erschienen, wenn er in einem Hotel übernachten würde. Vorsichtshalber schrieb er noch einen Zettel ‚Bin mit einem alten Freund über Nacht unterwegs’, und stand marschbereit vor Ole, noch ehe der seinen Kaffee ausgetrunken hatte.