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Kindheitserinnerungen

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Nein, seine Eltern hatten es nicht leicht gehabt bei all dem Unsinn, den er immer wieder verzapft hatte. Wenn er dann von seiner Mutter Dresche bekam, war es wohl berechtigt, auch wenn es ihr danach jedes Mal wieder leid tat. Doch wenn Vater Heinz in seinem Alkoholrausch sich an dem Jungen austobte, dann musste Mutter Marlen ihn schon in Schutz nehmen. Aber es waren nicht alleine die Prügel, die Ole geschmerzten, viel mehr tat es weh, wenn Vater Heinz dabei jedes Mal darauf hinwies, dass Ole nicht sein Kind sei, und dass seine Erzeuger nicht die besten gewesen sein konnten, und er wohl sehr schlechte Erbanlagen mit bekommen habe. Ole konnte es anfangs nicht verstehen, bis er irgendwann vom Marlen aufgeklärt wurde, mit dem Hinweis, dass es für sie keinen Unterschied gäbe, ob er wie Elke aus ihrem Bauch oder aus dem Bauch von jemandem anderes gekommen sei. Aber Streiche konnten auch zu einer gefährlichen strafbaren Handlung werden, wenn man sie im Entferntesten politisch interpretierte. Doch so lange Heinz Kosche in Radow über die Einhaltung der roten Bekehrung zu wachen hatte, gab es keine Mitteilung über derartige Entgleisungen.

Aber alles in allem hatte Ole eine glückliche Kindheit gehabt in dem kleinen Dörfchen Radow, deren Bewohner sich weder in der DDR noch in der wechselvollen Zeit davor politisch besonders hervor getan hatten. Man kannte sich wie in einer großen Familie und keiner machte dem anderen etwas vor. Es änderte sich auch nichts, als das Schloss nach dem Krieg zum Waisenhaus wurde und die vielen elternlosen Kinder hier aufwuchsen. Sie wurden so selbstverständlich in die Dorfgemeinschaft integriert, als wären sie hier geboren.

Oles Erinnerungen wurden lebendig, als er daran dachte, wie häufig er einst mit seiner Schwester Elke im Gras gelegen, den Vogelflug beobachtet und davon geträumt hatte, wie die da oben die Freiheit zu genießen und über alle Grenzen hinweg in die Welt zu fliegen. Auch sein großer Freund Felix, dem eine Granate am Kriegsende noch einen Fuß abgerissen hatte, träumte mit, wenn sie in der Abenddämmerung auf der Bank hinter dem Kutscherhaus saßen. Sie träumten von Amerika, dort, wo die Sonne unter ging. Doch sie konnten nur träumen, denn ihnen war klar, dass diese Sehnsucht wohl nie gestillt würde, so lange sie die DDR gefangen hielt, so lange sie dort eingesperrt waren.

Die Tatsache, dass Ole schon frühzeitig wusste, dass Heinz und Marlen nicht seine leiblichen Eltern waren, sensibilisierte unterschwellig seinen Familiensinn, er wollte diese Familie. Hätten bei Kriegsende die Kosches ihn nicht als Säugling behalten, so wäre irgendein kaltes Waisenhaus sein Zuhause geworden. Das war es wohl auch, weshalb er seinen Vater Heinz trotz allem mochte, weshalb er seine Mutter Marlen liebte, und weshalb er seine Schwester Elke vergötterte, eben seine Familie. Ole liebte sein Paradies, die Menschen und die Tiere. Er mochte die im Kutscherhaus, seine Freunde im Dorf und die im Waisenhaus. Und alle mochten Ole, mochten seine Art, seine Freundlichkeit und akzeptierten seine unaufdringliche Dominanz.

Das alles hatte er damals zurück gelassen, als er seine Heimat verließ, und die Kommunisten hatten sich fortan in ihrer Ohnmacht gegen ihn und den freien Westen gerächt, indem jeglichen Kontakt zu seinen Lieben unterbrachen. Alle seine Briefe wurden abgefangen, und er hatte immer geglaubt, die Radower hätten sich gegen ihn verschworen. Im Laufe von fast drei Jahrzehnten hatte er alles nach und nach verdrängt. Er hatte gearbeitet und sich ein erhebliches Vermögen geschaffen, doch das Heimweh war, besonders in stillen Stunden, sein ständiger Begleiter. Die Angst in ein tiefes Loch zu fallen, in dem dann auch seine Erinnerungen begraben lagen, falls er zurückkehrte, war so groß, dass diesen Schritt noch nicht getan hatte.

Das schillernde Leben des O.K.

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