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Traditionen und Zwistigkeiten in der jüdischen Familie

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Die Kopelews sind jüdischer Herkunft. Lews Vater und Mutter stammen aus jüdischen Familien. Zu diesen jüdischen Wurzeln hat er sich immer offen bekannt, obwohl er sich nie als gläubiger Jude verstand und aus seiner Distanz zu den jüdischen Traditionen und zum Zionismus kein Hehl machte. Lews Mutter, Sofja Borisowna, war eine geborene Kaganow. Der Familienname Kopelew ist offenbar eine russifizierte Ableitung des ab dem späten Mittelalter in Deutschland und Polen verbreiteten jiddischen Namens Kopel oder Kopl, der wiederum auf den Namen des alttestamentarischen Patriarchen Jaakow, den Vater der zwölf Stämme Israels, zurückgehen soll.8

Lews Vater war auf den jüdischen Namen Salman (Salomon) getauft, er nannte sich später aber Sinowij, möglicherweise um sich und seine Familie vor antisemitischen Diskriminierungen und Gewalttaten, die im Zarenreich und später unter Stalin immer wieder aufwallten, zu schützen. Lew war noch, wie er in einem Brief an Heinrich Böll einmal schreibt, nach seiner Geburt vom Rabbiner auf den Namen Lew Salmanowitsch, also auf den ursprünglichen Namen des Vaters, getauft.9 So wurde es auch auf seinem russischen Geburtsschein eingetragen. Sein Name wird deshalb in den späteren Gerichtsdokumenten im Zusammenhang mit seiner Verhaftung und Verurteilung zu langjähriger Lagerhaft praktisch durchweg mit Lew Salmanowitsch Kopelew aufgeführt.

Außerhalb des amtlichen Bereichs war Kopelew indessen immer als Lew Sinowjewitsch bekannt. Wenn jemand ihn öffentlich nach dem Vater mit Lew Salmanowitsch titulierte, dann steckte dahinter mit einiger Sicherheit eine bewusste antisemitische Bosheit – wie etwa in einer Polemik, die ein sowjetischer Autor namens Stanislaw Roschnowskij noch im Dezember 1988 in der sowjetischen Zeitung „Sowjetskaja Rossija“ gegen den schon jahrelang im deutschen Exil lebenden Kopelew veröffentlichte.10


Lew mit den Eltern, Kiew 1913/14

Richtig religiös war in der jüdischen Familie Kopelew nur die Großmutter väterlicherseits. Sie sprach nur ukrainisch und jiddisch und wachte, wenn sie zu den Festtagen auf Besuch kam, streng darauf, dass die koscheren jüdischen Bräuche genau eingehalten wurden. Die beiden Großväter nahmen es mit diesen Essensvorschriften viel weniger genau. Der Großvater väterlicherseits „aß, wenn er allein zu uns kam, seelenruhig Schinken und alles übrige“, heißt es in Kopelews Erinnerungen.11

Die Mutter hingegen war „mehr abergläubisch als fromm“. Sie und ihre Schwiegermutter waren nicht gut aufeinander zu sprechen. Nach einem Familientreffen sei es deshalb zwischen den Eltern regelmäßig zum Streit gekommen, dann schimpften sie Jiddisch aufeinander ein, damit die beiden Kinder, mit denen nur Russisch gesprochen wurde, das nicht verstehen sollten. Die Mutter habe dabei „gehässig und mit böser Ironie“ über ihre Schwiegermutter gesprochen, beschreibt Kopelew solche turbulenten Auseinandersetzungen und fährt dann fort: „Der Vater wurde wütend, schnauzte sie an und gab ihr eine Ohrfeige, dann schrie sie hysterisch ‚Mörder!‘ und verfluchte sein ganzes Geschlecht, Vater verließ das Haus und knallte die Tür hinter sich zu.“12

Zwischen Lews Eltern gab es offenbar häufiger derartige Streitigkeiten. Sofja Borisowna war eine schwierige Frau und mit ihren Nerven stand es nicht zum Besten, das geht aus einigen Bemerkungen ihres Sohnes hervor, aber auch aus einem späten Brief ihres Mannes kurz vor ihrem Tod im Mai 1954. Einerseits versicherte sie stolz, dass ihre Familie aus einem alten Rabbinergeschlecht abstamme, gleichzeitig äußerte sie sich aber auch spöttisch über sogenannte „Dorfjuden“ und rümpfte die Nase über diesen oder jenen Bekannten mit seinem „widerlich jiddischen Akzent“. Den deutschen und russischen Kindermädchen und Hausbewohnern gegenüber erklärte sie, dass es Juden und Jidden gebe. Die Ersteren repräsentierten die große jüdische Kultur, während diejenigen, „die auf dem Schwarzmarkt die fettesten Geschäfte machten und die Kommissare bei der Tscheka (der bolschewistischen Geheimpolizei), Jidden seien“.13

Wenn sich die Eltern stritten, warf Lews Mutter ihrem Mann Sinowij Jakowlewitsch regelmäßig vor, dass sich seine Schwestern Ronja und Lisa hätten christlich taufen lassen, sein jüngster Bruder Mischka zum Banditen geworden und obendrauf mit einer Schikse, einer Nichtjüdin, verheiratet sei. Über die dramatischen und tragischen Lebensläufe seines Onkels Mischka und seiner Lieblingstante Ronja sowie über die Ermordung seiner Großeltern in Kiew hat Lew Kopelew im Memoirenband „Tröste meine Trauer“ ausführlicher berichtet.14 Die Großeltern mütterlicherseits, die Lew nur selten gesehen hat, waren bereits 1921 gestorben.

Lew Kopelew

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