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– II –
Charkow – Aufbrüche und Verhängnisse als kommunistischer Aktivist
(1926–1935)

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Charkiw, die zweitgrößte Stadt der heutigen Ukraine, liegt rund 170 Kilometer östlich von Kiew und nur 30 Kilometer von der heutigen russischen Grenze entfernt. Wegen der unsicheren und ständig wechselnden Machtverhältnisse in Kiew während des Bürgerkriegs, der nach der Oktoberrevolution von 1917 in weiten Teilen Russlands tobte, hatten die Kommunisten im Januar 1918 Charkiw zur Hauptstadt der Sowjetukraine erklärt. Erst 1934 wurde die ukrainische Kapitale wieder nach Kiew, dem historischen Zentrum des Landes, verlegt.

Während der sowjetischen Herrschaft wurde für die Stadt stets die russische Bezeichnung Charkow verwendet. Erst mit der Auflösung des Sowjetstaates und der Entstehung einer unabhängigen Ukraine im Jahre 1991 wird die ukrainische Form Charkiw wieder zum offiziellen Namen. Lew Kopelew gebraucht in seinen Erinnerungen, die ja in der Sowjetzeit handeln, immer den russischen Namen Charkow. Deshalb soll diese Variante auch für diese Biografie beibehalten werden.

Als die Familie Kopelew 1926 wegen der Anstellung des Vaters bei der Verwaltung der ukrainischen Zuckerindustrie von Kiew nach Charkow zog, kam Lew im Herbst in die 7. Klasse, die letzte Stufe des damals siebenjährigen obligatorischen Schulunterrichts. Die Familie wohnte in der Tschernischewskij-Straße 76, Wohnung Nummer 3. Das Haus steht noch heute, hat also die schweren Zerstörungen während des Zweiten Weltkriegs und der deutschen Besatzung überlebt.

Der 14-jährige Lew fühlte sich unter den neuen Mitschülern fremd – was nicht überrascht, denn die Freundschaften und Cliquen in der Schule waren auf dieser Altersstufe bereits etabliert. Als im folgenden Jahr der Abgang von der Schule bevorstand, wusste der Jüngling nicht so recht, welchen Berufsweg er einschlagen sollte. Auf lange Sicht allerdings hatte er keine Zweifel: „Auf jeden Fall ein Führer. Ein Politiker oder Militär.“1 Und nach gründlicheren Kenntnissen und Erfahrungen mit der russischen Revolution und dank seiner nicht geringen Fremdsprachenkenntnisse würde er dann Berufsrevolutionär irgendwo im Westen werden. Denn es war ja klar, dass auch in diesen Ländern in absehbarer Zeit kommunistische Räte-Regime nach sowjetischem Vorbild die Macht übernehmen mussten.

Solch grandiose revolutionäre Träume beeinträchtigten indessen nicht das stets lebhafte Interesse des Halbwüchsigen an der Literatur, das in Kiew vor allem die idealistische Russischlehrerin Lidija Lasarewna in ihm geweckt hatte. „Lange Zeit“, schreibt Kopelew in seinen Erinnerungen, „blieb Jessenin mein Idol. Wie unzählige meiner Zeit- und Altersgenossen schrieb ich süßlich-traurige Verse, in denen ich ihn Serjosha nannte, in allen möglichen und unmöglichen Zusammenhängen … Und natürlich warf ich ihm vor, dass er schwach geworden sei, sich in private Leidenschaften geflüchtet, und den Kampf aufgegeben.“ Der romantische „Dorfpoet“ Sergei Jessenin war im Laufe seines kurzen Lebens vier Mal verheiratet – unter anderen mit der berühmten und deutlich älteren amerikanischen Tänzerin Isadora Duncan – und hatte sich 1925 als 30-Jähriger in einem Hotelzimmer in Leningrad das Leben genommen.2

Lew Kopelew

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