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4. Schriftverkehr zwischen Verteidiger und Mandant
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Der Schriftverkehr zwischen dem Verteidiger und seinem Mandanten unterliegt – abgesehen von Verfahren, die eine Straftat nach § 129a StGB auch in Verbindung mit § 129b Abs. 1 StGB zum Gegenstand haben, §§ 148 Abs. 2, 148a – keiner Kontrolle. Voraussetzung dafür ist, dass das Mandatsverhältnis besteht und das Schriftstück als „Verteidigerpost“ gekennzeichnet ist. Zum Schriftverkehr gehören auch Telegramme und Pakete, etwa mit umfangreichen Aktenauszügen. Die Kontrolle der Vollzugsanstalt beschränkt sich darauf, ob zwischen Absender und Adressaten ein Verteidigungsverhältnis besteht. Das Öffnen von als Verteidigerpost gekennzeichneten Schreiben ist, auch wenn es nur der Prüfung des Bestehens des Verteidigungsverhältnisses oder zur Prüfung auf verbotene Gegenstände dienen soll, absolut unzulässig.[1] Dies gilt auch für das Öffnen des Schriftstücks im Beisein des Beschuldigten, selbst wenn dieser seine Zustimmung erteilt. Denn der Verteidiger hat ein eigenes Recht auf ungehinderten Schriftverkehr mit seinem Mandanten, über das dieser nicht einseitig verfügen kann.[2] Hat die Anstalt Zweifel an der Verteidigereigenschaft, muss sie das Schriftstück ungeöffnet an den Absender zurückschicken mit dem Hinweis, die Verteidigereigenschaft sei ungeklärt. Im Hinblick auf diese eindeutige Rechtslage sollte der Verteidiger ein Öffnen von als Verteidigerpost gekennzeichneten Schreiben durch die JVA nicht hinnehmen. Eine Dienstaufsichtsbeschwerde und eine Strafanzeige wegen Verdachts der Verletzung von § 202 StGB – gleich welches Ergebnis sie haben – werden dafür sorgen, dass künftig rechtmäßig verfahren wird.
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Probleme bereitet allerdings die Frage, welche Schriftstücke, d.h. welche Schriftstücke mit welchem Inhalt, als „Verteidigerpost“ gekennzeichnet werden dürfen. Zweifellos gehören hierzu alle Schriftstücke, die in dem Strafverfahren selbst anfallen, also etwa Kopien von Schreiben an Staatsanwaltschaft oder Gericht, Schreiben von diesen selbst, Aktenauszüge und Informationen über das Verfahren zwischen Verteidiger und Mandant, darüber hinaus aber auch Schreiben Dritter, die einen direkten Bezug zur Verteidigung aufweisen, z.B. Briefe von Belastungszeugen, die zur Beurteilung von deren Glaubwürdigkeit von Bedeutung sein können.[3]
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Das BVerfG ist in seinem Beschluss vom 13.10.2009 zu § 115 OWiG der hier schon in den Vorauflagen[4] und Teilen der Literatur[5] vertretenen Auffassung, dass von dem Verteidigerprivileg auch Schriftsätze aus anderen Verfahren umfasst sind, wenn diese mit dem Strafverfahren in unmittelbaren Zusammenhang stehen, entgegengetreten und hat dieser Ansicht unter direkter Bezugnahme auf die Autoren, die eine weitergehende Auffassung vertreten, eine eindeutige Absage erteilt.[6] Die hier vertretene Auffassung würde, so das BVerfG, zu einem nahezu unkontrollierten Schriftverkehr führen, die Zuordnung zur eigentlichen Verteidigungsvorbereitung wäre nicht mehr eingrenzbar und würde ins Uferlose führen. Nach der Entscheidung unterliegen nur solche Schreiben dem Verteidigerprivileg, die unmittelbar der Verteidigung dienen, die also unmittelbar das Strafverfahren betreffen. Die Entscheidung des BVerfG ist mehr als problematisch und führt zu ganz erheblichen praktischen Problemen.
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Danach müssen nunmehr alle Schriftsätze aus anderen Verfahren über die Postkontrolle geschickt werden. Dies führt zu einer erheblichen Verzögerung bei der „Auslieferung“ des Schriftstücks an den Mandanten. Zudem erhalten die Ermittlungsbehörden Kenntnis vom Inhalt der Schriftsätze, möglicherweise sogar erst von der Existenz von anderen Rechtsstreitigkeiten, z.B. beabsichtigten Scheidung, Wohnungs- und Arbeitsplatzkündigung, Schadensersatzforderungen etc. Dies kann Auswirkungen auf die Annahme von Haftgründen, insbes. der Fluchtgefahr haben. Selbst wenn derartige Schriftsätze nicht als Verteidigerpost, sondern als „Anwaltspost“ deklariert werden, verhindert dies nicht die Briefkontrolle, sondern signalisiert nur, dass es sich um „offizielle“ Schreiben und nicht um Privatpost handelt.
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Darüber hinaus besteht oftmals eine in der Praxis kaum auflösbare Verquickung von etwa parallel laufenden Zivilverfahren und der Verteidigungsstrategie. Dies führt zu unlösbaren Konflikten. In dem häufigen Fall, dass der Anwalt eines anderen Verfahrens dem Verteidiger einen Schriftsatzentwurf zukommen lässt mit der Bitte, den Inhalt mit dem Mandanten auf die Kompatibilität mit der Verteidigungsstrategie zu erörtern, ist es nahezu unvermeidlich, den entsprechenden Schriftsatzentwurf an den Mandanten zu übersenden. Und in dem dazu gehörenden Verteidigerschriftsatz wird kaum auszuloten sein, was noch Erörterung des Schriftsatzes ist und was unmittelbar die Verteidigungsvorbereitung betrifft. Eine Besprechung des Schriftsatzes und die Verteidigungsüberlegungen stehen in einem untrennbaren Zusammenhang (z.B. Schriftsatz mit Antrag auf Entzug des Sorgerechts wegen sexuellen Missbrauchs des Kindes, der Gegenstand des Ermittlungsverfahrens ist). Es hat den Anschein, als sei dem BVerfG diese praktisch höchst relevante Fallgestaltung aus dem Blick geraten.
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Der Auslegung des BVerfG kann deshalb nicht gefolgt werden. Sie widerspricht zudem dem Umstand, dass nicht nur Verteidiger, sondern auch sonstig tätige Anwälte als Organe der Rechtspflege zu privilegieren sind und mit einem entsprechenden Vertrauensvorschuss ausgestattet sind (siehe dazu Rn. 119, 121). Darüber hinaus gilt auch hier, dass Beschränkungen in der Untersuchungshaft nur zulässig sind, wenn dies im konkreten Einzelfall die Zwecke der Untersuchungshaft selbst oder die Sicherheit und Ordnung der Anstalt erfordern. Ein solches Erfordernis ist durch den Schriftwechsel zwischen Anwalt und Mandant aber kaum denkbar.[7]
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Dem Verteidiger, der nicht Gefahr laufen will, wegen einer Ordnungswidrigkeit nach § 115 OWiG belangt zu werden, wird dennoch nichts anderes übrig bleiben, als die Übersendung von Schriftsätzen aus anderen Verfahren, auch wenn sie Bezug zur Verteidigung haben, gesondert und nicht als „Verteidigerpost“ gekennzeichnet, zu versenden. Dabei wird er ggf. unter Hinweis auf die Verteidigungsrelevanz darauf dringen und gesondert beantragen müssen, dass auch solche Post ohne Kenntnisnahme des Inhalts befördert wird.[8]
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Um die bestehenden Probleme zu beseitigen, kann der Verteidiger auch versuchen, eine Stellungnahme in den anderen Verfahren bis zum Abschluss des Strafverfahrens hinauszuzögern. Insbesondere in Zivilverfahren sollte bei untrennbarem Zusammenhang zwischen Zivil- und Strafverfahren ein Antrag auf Verfahrensaussetzung bis zum rechtskräftigen Abschluss des Strafverfahrens gestellt werden. Dies muss damit begründet werden, dass der Beschuldigte im Zivilverfahren wegen der bestehenden Wahrheitspflicht (§ 138 Abs. 1 ZPO) gezwungen werden kann, Erklärungen abzugeben, die im Strafverfahren gegen ihn verwandt werden können.[9]
Die Probleme der Überschreitung der zulässigen, dem Verteidigerprivileg unterfallenden Kommunikationsinhalte ist deswegen von nicht nur nebensächlicher Bedeutung, weil in mehreren Fällen im Laufe der Hauptverhandlung die Existenz eines anderen Verfahrens, das in keinem Zusammenhang mit dem Strafverfahren stand, bekannt wurde und der Mandant erklärt hat, er habe dies alles über seinen Verteidiger abgewickelt. Nicht selten muss sich dann der Verteidiger gegenüber Gericht und Staatsanwaltschaft gegen den Vorwurf zur Wehr setzen, er habe das andere Verfahren unter missbräuchlicher Ausnutzung des Verteidigerpostprivilegs bzw. des unüberwachten Verteidigergesprächs geführt.
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Verteidigerpost unterliegt nicht der Beschlagnahme, was zwingend aus § 97 Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. § 53 Abs. 1 Nr. 3 folgt. Dabei kommt es nicht darauf an, ob das Verteidigungsverhältnis durch eine schriftliche Vollmacht nachgewiesen ist. Die mündliche Bevollmächtigung reicht aus.[10] Unter Verstoß gegen das Beschlagnahmeverbot erlangte Schriftstücke, etwa anlässlich einer Zellendurchsuchung bei dem Mandanten sichergestellte Schreiben, unterliegen einem Verwertungsverbot.[11] Um schon prophylaktisch einer solchen – wenn auch nur vorläufigen – Beschlagnahme anlässlich einer Zellendurchsuchung vorzubeugen, empfiehlt es sich, an den inhaftierten Mandanten gerichtete Schriftstücke nicht nur auf dem Briefumschlag bzw. im Adressfeld der ersten Seite als „Verteidigerpost“ zu titulieren, sondern jede einzelne Seite des Schriftstücks inklusive etwaiger Anlagen entsprechend zu kennzeichnen.[12] Darüber hinaus sollte der Mandant beraten werden, sämtliche im Zusammenhang mit der Verteidigung stehenden Schriftstücke in einem gesonderten Ordner mit der Aufschrift „Verteidigungsunterlagen“ zu verwahren.[13]
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Auch sonstige Aufzeichnungen des Untersuchungsgefangenen, die dieser sich zu Verteidigungszwecken angefertigt hat, sind von der Beschlagnahme ausgenommen. Dies gilt unabhängig davon, ob sie ausdrücklich als „Verteidigerpost“ oder als Verteidigungsunterlagen gekennzeichnet sind. Entscheidend ist allein die inhaltliche Betrachtungsweise.[14]
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Die Beschlagnahmefreiheit von Schriftstücken des Verteidigers endet jedoch bei Teilnahmeverdacht des Verteidigers oder wenn er selbst Beschuldigter in einem Ermittlungsverfahren ist. Ein auf gewichtige Anhaltspunkte gestützter Verdacht soll ausreichend sein, die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens gegen den Verteidiger ist nicht erforderlich[15], erst recht nicht ein vorläufiges Ruhen der Verteidigerrechte nach § 138c Abs. 3.[16] Nach der Auffassung von G. Schäfer entfällt die Beschlagnahmefreiheit jedoch erst dann, wenn das Ruhen der Verteidigerrechte nach § 138c Abs. 3 angeordnet ist. Da § 148 keinerlei Beschränkungen des freien Verteidigerverkehrs enthalte, stelle diese Norm eine abschließende und spezielle Regelung dar, so dass § 97 Abs. 2 S. 3 erst mit der Entscheidung nach § 138c Abs. 3 Anwendung finden könne.[17]
Das Beschlagnahmeverbot des § 97 Abs. 1 gilt nicht, wenn der Verteidiger als Zeugnisverweigerungsberechtigter i.S.d. § 53 Abs. 1 Nr. 2 selbst Beschuldigter einer Straftat ist. Ein solches Beschlagnahmeverbot soll auch nicht aus § 148 folgen, da Straftaten, die bei Gelegenheiten der Verteidigung des Beschuldigten vom Verteidiger begangen werden, nicht dem Schutzbereich des § 148 unterfallen.[18]
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Abschließend sei darauf hingewiesen, dass das Verteidigerpostprivileg auch dann gilt, wenn sich der Mandant in anderer Sache in Untersuchungshaft befindet bzw. die Korrespondenz in einer weiteren Strafsache geführt wird, in der die Untersuchungshaft nicht angeordnet ist.
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Der Verteidiger muss den Mandanten gleich zu Beginn des Mandatsverhältnisses von dem Institut der Verteidigerpost unterrichten und ihn darauf hinweisen, dass alle an den Verteidiger gerichtete, das Strafverfahren betreffende Korrespondenz mit dem ausdrücklichen Vermerk „Verteidigerpost“ versehen werden muss, um es einer Kontrolle durch Gericht bzw. Staatsanwaltschaft zu entziehen. Allerdings muss auch ausdrücklich darauf hingewiesen werden, dass der Mandant nicht sonstige Mitteilungen als Verteidigerpost dem Anwalt übersenden darf, der Verteidiger insbes. nicht befugt ist, schriftliche Mitteilungen des Mandanten an Dritte weiterzuleiten. Ansonsten läuft der Verteidiger Gefahr, dass sein Mandant ihm Briefe an Familienangehörige oder Bekannte als Verteidigerpost gekennzeichnet übersendet mit der Bitte, diese weiterzuleiten. Dies wird von Untersuchungsgefangenen deswegen immer wieder versucht, weil die Postkontrolle erhebliche Zeit in Anspruch nimmt und sich die Gefangenen von diesem Weg eine schnellere Beförderung versprechen. Derartige Schriftstücke darf der Verteidiger selbstverständlich nicht weiterleiten. Dies gilt auch dann, wenn die Schriftstücke ausschließlich familiären Inhalt haben und die Weiterleitung aus der Sicht des Verteidigers einzig dem Ziel dient, die familiären Bindungen zu stärken und einer Entfremdung entgegenzuwirken. All dies ändert nichts daran, dass die Weiterleitung derartiger Schriftstücke eine Ordnungswidrigkeit nach § 115 Abs. 1 Nr. 1 OWiG darstellt[19]. Sie sind zu den Akten zu nehmen und dem Mandanten nach Beendigung der Untersuchungshaft zurückzugeben. Eine unmittelbare Rücksendung solcher Schriftstücke an den Mandanten in einem als „Verteidigerpost“ gekennzeichneten Brief oder eine persönliche Rückgabe an ihn beim nächsten Besuch in der JVA sollte der Verteidiger unterlassen, um sich nicht selbst der Gefahr der Verfolgung wegen eines Verstoßes gegen § 115 Abs. 1 Nr. 1 OWiG auszusetzen.[20] Der Mandant sollte stattdessen über diese Vorgehensweise unterrichtet und gebeten werden, den Brief ggf. nochmals zu schreiben und über die Zensur zu schicken. Dabei kommt es auf den Inhalt des Briefes nicht an. Auch harmlose Briefe mit lediglich familiärem Inhalt dürfen vom Verteidiger nicht weitergeleitet werden. Dies muss der Verteidiger dem Mandanten unmissverständlich klarmachen. Er darf sich unter keinen Umständen vom Mandanten doch zur Beförderung überreden lassen. Die Grenze zwischen vermeintlich harmlosem familiären Inhalt und strafrechtlich relevanter illegaler Nachrichtenübermittlung ist fließend und kann vom Verteidiger oftmals gar nicht durchschaut werden. Im Übrigen begäbe sich der Verteidiger in die Hand seines Mandanten und geriete in unangenehme Rechtfertigungspositionen, wenn er sich zum späteren Zeitpunkt einmal weigert, einen Brief weiterzuleiten. Ferner spricht es sich in der JVA sehr schnell herum, dass ein Verteidiger bereit ist, Briefe weiterzuleiten. Alle anderen (neuen) Mandanten werden mit ähnlichen Ansinnen an den Verteidiger herantreten. Der Verteidiger gerät sodann in einen Sog, aus dem er sich nur schwer wieder befreien kann. Der Verteidiger muss daher von Anfang an klarmachen, dass er Briefe des Mandanten an Dritte gleich welchen Inhalts nicht weiterleitet.