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Kapitel 1 Wie wirklich ist
die Wirklichkeit?

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Wie kann es da draußen ein mechanisches Universum geben, wenn sich das Universum jedes Mal verändert, wenn wir unsere Betrachtungsweise ändern?

Fred Alan Wolf, Quantenphysiker

Seit vielen Jahren begleite ich Menschen in unterschiedlichsten Lebenssituationen. Manche von ihnen befinden sich in einer Lebenskrise, in der sie ein Strudel von heftigen Emotionen umtreibt. Oft stellen sie sich selbst und ihr bisheriges Leben infrage. Doch auch in diesen Phasen spüren sie die grundlegende Verunsicherung und die Gefühle, die damit einhergehen, meistens nicht rund um die Uhr. Wenn sie zur Arbeit gehen und in die gewohnten Tätigkeiten des Alltags eintauchen, sind sie plötzlich gelassen und kompetent. Wie weggeblasen sind alle Fragen und Unsicherheiten, die sie noch morgens vor der Arbeit bewegt haben. Doch abends, bei einem Gespräch mit einer guten Freundin, drängen die Fragen und die Gefühle wieder mit Macht an die Oberfläche. Ist das nicht erstaunlich, wie schnell selbst heftige Gefühle verschwinden und wieder auftauchen können?

Wie oft habe ich selbst bereits erfahren, dass sich im Laufe eines ganz gewöhnlichen Tages meine Befindlichkeit ändert? Wenn ich unter der Lupe der Achtsamkeit mein Leben betrachte, bin ich geradezu überrascht, wie oft und wie schnell sich innere Zustände abwechseln. Manchmal wache ich morgens mit einem verstörenden Traum auf, der mich benebelt und etwas ängstlich beim Frühstück sitzen lässt. Innerlich habe ich das Gefühl, noch nicht wirklich wach zu sein. Traumfetzen ziehen wie kurze Filmsequenzen durch mich hindurch und färben meine Stimmung ein. Doch bereits wenige Augenblicke später, wenn ich an den Schreibtisch gehe und mich auf die Arbeit konzentriere, treten diese Gefühle weit zurück und ich fühle mich klar, wach und handlungsbereit. Besonders wenn ich Menschen begleite oder Gruppen leite, erlebe ich immer wieder, dass fast augenblicklich alles verschwindet, was mich innerlich als Person in diesem Augenblick beschäftigt hat. In den Vordergrund rückt eine Präsenz, die eine große Klarheit und ein tiefes Einfühlungsvermögen ermöglicht, und in der ich viele innere Ressourcen ganz leicht abrufen kann. Alles, was mich persönlich ausmacht, hat hier keine Relevanz. Bin ich hier ein anderer Mensch?

Und dann gibt es da noch die Momente der Stille. Wenn ich mich nach innen fallen lasse, entsteht wieder eine ganz andere Art von Wachheit – eine innere Präsenz –, in der alles, was mich an der Oberfläche meines Menschseins bewegt, sich auflösen kann. Alltägliche Gedanken und Gefühle, aber auch alle Strukturen wie Zeit und Raum und selbst das Erleben einer klaren Ich-Identität mit einem Körper verflüchtigen sich, und für einen Augenblick lang gibt es nur ein zeitloses, offenes SEIN – Dasein pur. Vielleicht dauern diese SEINSmomente nur ein paar Augenblicke, vielleicht auch mehrere Minuten. Was spielt das für eine Rolle in einem Raum jenseits der Zeit?

Doch fast unmerklich tauchen wieder Gedanken und Gefühle auf und färben den inneren weiten Horizont ein, als ob sich ein Schleier darüberlegt. Und ehe ich mich versehe, beschäftigt mich eine bevorstehende Aufgabe. Plötzlich finde ich mich in Gedanken wieder, wie ich die Situation regeln kann, und mit diesen Gedanken geht eine gewisse Anspannung einher. Vorbei ist der Zustand einer friedlichen Stille jenseits aller Aufgaben und Verpflichtungen und auch jenseits allen Tuns. Oder doch nicht? Manchmal kann ich ihn trotz der Aktivität auf der Oberfläche noch weiterhin unterschwellig spüren.

Das kann sich aber sehr schnell ändern, wenn im weiteren Tagesverlauf etwas auftaucht, das meine ganze Aufmerksamkeit braucht, wie zum Beispiel ein Konflikt. Vielleicht flattert eine unangenehme E-Mail auf meinen Schreibtisch oder die Kinder verhalten sich ganz anders, als ich mir das vorstelle. Wie schnell kann sich hier ein Ärger oder eine Hilflosigkeit einstellen? Wo ist jetzt dieser friedliche konfliktfreie Raum hingekommen, der mich noch vor Kurzem so erfüllt hat?

Zwischen Zeit und Ewigkeit

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