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Kapitel 4

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Atrappe

Der Reptiliengeschmack kam nicht von ungefähr, war ich doch zuvor einer zu groß geratenen Echse begegnet, die Lust auf Menschenfleisch hatte. Wer sich mit Waranen auskennt, weiß, dass sie ziemlich groß werden können und ganz schön gefräßige Dinger sind. In unserer Welt wurden angeblich in ihren Mägen sogar Kinderleichen entdeckt. Viele bezweifeln zwar, dass das wirklich passiert ist, aber ich bin der Überzeugung, das es stimmt. Man muss sich nur einmal das Maul anschauen und wie weit sie es öffnen können. Und nun stellt euch ein Exemplar von der dreifachen Größe eine Warans unserer Welt vor. Dann habt ihr in etwa eine Vorstellung davon, was für einem Riesending ich begegnet bin, als ich holterdipolter über ihn stolperte. Hmm. Ich bin mal wieder viel zu schnell und rolle alles einmal mehr von hinten auf, anstatt von vorne.

Ich war in einer sehr trockenen und heißen Gegend einer ziemlich trostlosen Welt. Wie ich hierhergekommen bin, wusste ich wie immer nicht. Es war immer so, dass ich einen interessanten Traum hatte, aus der Sicht von jemandem, der sich auch gerne fressen lässt. Und jedes Mal, wenn er dann gefressen wurde, wachte ich in anderer Umgebung auf. Dann war ich nicht selten eine ganze Weile erstmal mit mir selbst beschäftigt und dachte über den ungewöhnlichen Traum nach, bis ich zu dem Schluss kam, dass das nichts brächte. Es waren nur Träume obwohl sie mir unheimlich real vorkamen. Und dass es in jedem Traum um dieses Thema ging, war schon ungewöhnlich. Erst im Anschluss sondierte ich meine neue Lage. Meistens hatte ich die Zeit dazu. Nur in seltenen Fällen musste ich schnelle Entscheidungen treffen. Hier hatte ich sogar sehr, sehr viel Zeit, wie ich bald feststellen sollte. Auf dieser Welt schien weder intelligentes noch irgendeine Art von Leben zu existieren. Das bereitete mir nicht wenig Angst und Bange. Immerhin konnte ich nur in eine neue Welt gelangen, wenn ich im Verdauungstrakt irgendeines gefräßigen Monsters landete. In der näheren Umgebung war nichts, absolut nichts. Es war richtig deprimierend die kahle Einöde mit ihren nur gelegentlich vertrocknet aussehenden Sträuchern oder Bäumchen zu betrachten. Nachdem ich die Umgebung untersucht und nichts und niemanden gefunden hatte, machte ich mich auf einen langen und beschwerlichen Weg, der mir all meine Kräfte verzehrte. Da war mir noch nicht klar, dass diese Welt doch Leben beherbergte. Ich konnte es nur nicht sehen. Ich wanderte mehrere Tage, ohne Verpflegung. Ohne Wasser und Nahrung. Dass ich nichts zum Beißen hatte, war weniger schlimm, als dass ich ständig Durst litt. Mein Mund trocknete aus und meine angeschwollene Zunge fühlte sich pelzig an. Es war der blanke Horror und ich hoffte damals, dass ich – sollte ich überleben – nie wieder in so eine Situation geraten würde. Ich dachte über die Annehmlichkeiten nach, denen ich sonst immer frönte und wie gut es mir bisher ergangen war. Egal in welcher Welt ich gewesen bin, nie hatte ich gelitten. Gewissermaßen. Zumindest nie Hunger und Durst. Ich sehnte mich nach dieser Zeit zurück, obwohl sie gar nicht lange her gewesen war. Ich verlor völlig das Zeitgefühl, die brennende Sonne ging hier einfach nicht unter. Sie näherte sich zwar mehrmals dem Horizont, doch immer wenn ich glaubte, mir würde endlich ein kleines Quäntchen Gnade geschenkt, kletterte sie wieder unbarmherzig den Himmel empor und verbrannte mit ihrer Hitze weiter das Land. Ich versuchte manchmal zu schlafen. Nur wie? Nirgendwo gab es einen richtigen Unterschlupf und das tote Gestrüpp bot keinen Schatten. Einen felsigen Überhang hatte ich nicht entdeckt. So musste ich in der prallen Sonne pennen. Sonnenbrand vorprogrammiert. Warum hatte ich nur keine Sonnenmilch? Oder irgendwas anderes fettiges und cremiges, das meine Haut schützte? Ich überlegte nach zwei Tagen – ich glaube zumindest, dass es zwei Tage waren – ob ich nicht meine Klamotten wegwarf und nackt weiterwanderte. Doch ich verwarf die Idee, ich wollte keine Ganzkörperbräune haben. Ich wurde fast wahnsinnig und verfluchte laut den Himmel als dämliche Scheiß-Schwuchtel und die Sonne als blöde Nutte, die allen die Schwänze lutschte. Kein einziges Wölkchen zeigte sich. Wie auch? In einer Welt ohne Wasser konnten keine Wolken entstehen, auf einen Wetterumschwung konnte ich also nicht hoffen. Ich hasste es, alles und jeden. Die Sonne, den Himmel, die nicht existenten Wolken, den trockenen Boden, die verdorrten Sträucher und Bäume, die Hitze, diese ganze vermaledeite Welt, meinen mittlerweile penetranten Schweißgestank, meinen Sonnenbrand, den Hunger, den Durst, mich selbst, einfach alles.

Halb bewusstlos und dem Delirium nah, stolperte ich entkräftet und unglücklich über einen großen Stein im Boden, dass ich auf die Nase fiel und blutete. Mich wunderte, dass ich überhaupt noch bluten konnte, so ausgetrocknet, wie ich war. Aus Verzweiflung rieb ich mir das Blut mit der Hand ab und schlürfte es mit aufgeplatzten Lippen auf, um zumindest ein wenig Flüssigkeit zu haben. Ich schmeckte es nicht mal. Daneben war ich verärgert über den sich zeitverzögert einstellenden Schmerz, der mich lähmte. Mir die Nase haltend wälzte ich mich da herum und dachte an alles Schlechte, das mir je widerfahren ist und nochmal daran, wie sehr ich diese Scheiße hier hasste. Schmerzvoll stöhnen konnte ich nicht, dazu war mein Hals zu trocken und ich viel zu schwach. Als es wieder besser wurde, trat ich mit der mir verbliebenen Kraft nach dem Stein. Die Sonne hatte mir mein Gehirn weggebrannt. Ich wollte ihn kaputttreten, was mir selbst dann nicht gelungen wäre, wäre ich im Vollbesitz meiner körperlichen Kräfte gewesen. Mehrmals berührte meine Fußsohle schwungvoll das Gestein, bis es plötzlich tatsächlich nachgab! Zuerst glaubte ich, dass ich dafür verantwortlich gewesen sei, bis der Stein sich in die Höhe erhob und sein Äußeres veränderte. Es sah aus, als bröselte die Steinschicht auseinander und verwandelte sich in einen Schuppenpanzer. Dann rollte sich der seltsame Stein auseinander und wurde extrem lang, was beeindruckend zu beobachten war. Ich glaubte mich schon im Land der Träume, als sich aus dem Stein eine Echse entfaltete. Der besagte Waran, der mich wütend anfauchte, weil ich seinen Schönheitsschlaf in der Sonne gestört hatte. Mir war nicht bekannt, dass sich diese Tiere überhaupt in den Boden eingruben. Wahrscheinlich eine Fähigkeit der hiesigen Warane. Das Vieh war gewaltig! Normalerweise – das hatte ich mir vor Ewigkeiten aus einem Buch für Kinder angelesen – wurden die größten Warane ungefähr zweieinhalb bis drei Meter lang. Dieser hier war vom Kopf bis zum Schwanzansatz gute acht lang! Mit dem Schwanz waren es nochmal drei mehr. Ich stellte mir seltsamerweise vor, wie das Tier versuchen könnte, mich damit auszupeitschen und ich in bester Athletik mit kühnen Sprüngen auswich. So als wäre ich ein Superheld, der das Ungeheuer nach der Actioneinlage mit übermenschlicher Kraft schnappen und in die Wallachei schleudern würde. Aus seiner breiten Schnauze züngelte eine lange, schmale Zunge in meine Richtung. Ich wurde kritisch beäugt. Zuerst hielt ich das Tier für eine Einbildung, lachte leicht verrückt und krabbelte zu ihm hin. Ich klopfte ihm mit der Faust gegen seinen Schädel, in der Erwartung, es handele sich um eine sehr gut gestaltete Attrappe. Der gedrungene Körperbau mit geschuppter Haut und den stämmigen Beinen sah beeindruckend echt und lebensnah kreiert aus. Wie gesagt, ich war nicht mehr ganz bei Trost.

Von meiner respektlosen Annäherung noch mehr verärgert, griff

mich das Biest nicht ganz unerwartet an und verursachte mir ein paar leichte Wunden am Arm, indem es einmal schnell zubiss. Hätte ich aufschreien können, hätte ich es getan. Ich hielt mir den verletzten Arm. Zwar waren die Wunden nicht tief, taten aber höllisch weh. Zumindest in den ersten Momenten, dann breitete sich ein interessantes Taubheitsgefühl aus und ich spürte gar nichts mehr. Ja, wirklich gut gemacht. Sogar künstliches Gift hatten die Macher dieser Tier-Attrappe verwendet. Hatten die Dinger überhaupt giftige Zähne? Ich glaubte nicht. Während ich weiter über die Authentizität der gedacht künstlichen Kreatur staunte, bemerkte ich etwas, was mir wieder ein Stück meiner Konzentration zurückgab. Der Riesenwaran blies mir kühle Luft ins Gesicht! Eigentlich war es normale, warme Luft, aber in dieser trockenen und heißen Umgebung von geschätzt vierzig Grad Umgebungstemperatur kam mir die ausgeatmete Luft des Tieres wunderbar kühl vor. Mit Mühe erhob ich mich aufrecht, dass ich auf meinen Knien stand. Mein linker Arm war gelähmt, den rechten streckte ich aus und betatschte seine Schnauze. Irritiert zog das Tier seinen Kopf zurück, doch nun hatte ich ein Ziel. Ich wollte in ihn rein, denn da drin hockte bestimmt jemand, der die Attrappe steuerte und der eine mobile Klimaanlage hatte! Ich kraxelte also gleich hinterher und griff nach dem Unterkiefer. Das machte ihn richtig wütend, er fauchte und öffnete dabei das Maul leicht. Es war groß, breit und lang, sodass ich hindurchpassen würde. Ich griff die Gelegenheit beim Schopf, drückte den Unterkiefer nach unten auf und warf mich praktisch hinein. Er war viel zu überrascht, um sofort zu reagieren. Es war ihm wohl noch nie passiert, dass ihm ein potentielles Opfer – auch wenn er es vielleicht nicht unbedingt als solches betrachtet hatte – freiwillig zwischen die Zähne stieg. Doch völlig egal wie es dem Tier ging, mir wurde wohlig. Endlich Abkühlung. Zumal dieser Rachen genauso realistisch nachgebaut worden war, wie das ganze Tier. Alles war schön feucht und voll von schleimigem Speichel und Geifer, der den Schmerz meiner sonnenverbrannten Haut angenehm linderte. Die eher dünne, fleisch-rosa Zunge des Waran betastete mich ganz interessiert an Gesicht und Schultern, was sich interessant anfühlte. Sie war geprägt von langen Rillen, die sich rau anfühlten, wenn sie mich berührten. Der gesamte Gaumen bewegte sich im langsamen Atemrythmus. Nur wo versteckte sich bloß der Typ, der das Ding steuerte? Noch mehr kühle Luft blies mir aus dem Schlund entgegen. Da musste er sein! Er verbarg sich doch tatsächlich irgendwo da hinten. Ich überlegte, dass es auch ziemlich blöde aussehen würde, wenn man im Rachen den Kopf eines Menschen sehen würde, der für die Bewegungen verantwortlich war. Das würde die schöne Illusion völlig zerstören. Logisch musste er da sein, wo man ihn nicht sehen konnte, also im Magen! Und dort war sicherlich auch die Klimaanlage und etwas Wasser zum Trinken. Ich hätte dem imaginär geglaubten Kerl zu gerne zugerufen, ich sei am verdursten und ob er mir nicht eine kleine Flasche Wasser reichen könne. Naja. Ging halt nicht. Und der Blödmann machte bisher auch leider keine Anstalten, mir etwas geben zu wollen. Na warte nur, dir werd' ich es geben, wenn ich bei dir bin! So dachte ich und grapschte mit der nicht tauben Hand nach einem Fleischlappen, an dem ich mich weiter in den Rachen des Warans hineinzog. Wasser! Ich wollte Wasser! In meiner Not drückte ich meinen Kopf nach unten, damit ich von dem sich ansammelnden Speichel trinken konnte. Das half meine Lebensgeister neu zu beleben. Meine langsame Bewegung in ihn hinein, erinnerte den perplexen Riesenwaran wieder daran zu schlucken. Völlig egal, was ich war und warum ich freiwillig jetzt in ihm war, ich war eine leicht erbeutete Mahlzeit, die er nicht verschmähte. Er hob den massigen Kopf an, als ich schon bis zur Hüfte in seinem Maul war, und nutzte die Schwerkraft. Aha. Hatte der Typ hier drin also doch erbarmen. Vielleicht konnte er auch einfach nicht nach draußen kommen, weil er festgegurtet war? Oder es war irgendwas anderes, was ihn verhinderte? Ich wusste es nicht, doch ich war dankbar, dass er ein Einsehen hatte und mich nicht draußen in der Sonne vertrocknen ließ. Wir beide – Waran und ich – waren zufrieden. Seine Zunge züngelte unentwegt weiter und betastete mich, während das Tier immer wieder schnappartig das Maul öffnete und schloss, sodass ich jedes Mal ein paar Zentimeter weiter ihn hineinrutschte. Ich gelangte mit den Kopf durch den Gaumen hindurch, der mich gurgelnd und dunkelrot empfing. Ich konnte noch überall verteilt kleine Äderchen erkennen, die aus dem Fleisch hervorstachen. Sobald ich sie berührte, was gar nicht so einfach war, spürte ich einen leichten Puls. Nicht mal jetzt kam ich auf die Idee, dass es sich um einen echten Riesenwaran handelte, sondern hielt es noch immer für die perfekte Illusion aus dem Filmstudio.

So wurde ich von einem richtigen Reptil verschlungen und merkte es nicht. Natürlich wartete im Magen kein versteckter Typ, der das Tier steuerte. Doch soweit war ich in Gedanken schon gar nicht mehr. Ich hatte ausreichend Speichel trinken können, damit es mir wieder besser ging. Vielmehr aber wirkte das lähmende Gift. Nachdem ich durch den geräumigen Rachen bugsiert und die breite und kurze Speiseröhre im Verdauungsorgan angelangt war, verbuddelte sich der Waran wohl wieder in der Erde. Ich spürte meinen gesamten Körper nicht mehr und konnte mich entsprechend nicht bewegen. Ich wurde irgendwie in irgendeine ungemütliche Position gerückt. Ich bin mir sicher, dass sie ungemütlich war, denn ich konnte noch spüren, wie meine Beine und mein Nacken sich seltsam spannten. Unangenehm war es nicht. Wie gesagt, ich spürte nicht viel. Aber dass ich überhaupt die Spannung mitbekam, konnte nur bedeuten, dass meine Glieder unnatürlich und schmerzhaft verdreht sein mussten. Ich glaubte sogar kurz ein leises Knacken zu hören.

Ich verstand die Welt nicht mehr. Wo war denn jetzt der Kerl mit Klimaanlage und Minibar mit Wasser? Musste ich etwa noch weiter in den Darm dieses Viehs hineinkriechen? Ich konnte mich ja nicht mal mehr bewegen! Wie sollte ich das machen? Ich schimpfte und fluchte innerlich. Nun war der imaginäre Typ wieder ein Arschloch und Mutterficker, der seinen Spaß daran hatte, mich zu quälen. Sobald ich jedoch genauer drüber nachdachte, die Natürlichkeit des Warans, das lähmende Gift in meinen Adern, die sehr, sehr, sehr authentische Zunge zusammen mit dem feuchten Maul … wie bei einem Geistesblitz wurde mir jetzt bewusst, dass es sich die ganze Zeit um ein echtes Tier gehandelt hatte! Ich schalt mich einen Vollidioten, dass ich mich nicht in Position gebracht hatte, um zwischen seinen Zähnen in die trockene Landschaft herauszusehen. Aber wie konnte ich das auch? Ich war schon halb betäubt gewesen, als ich mich in den Waranenrachen geworfen hatte. Jetzt war es zu spät. Ich trauerte der verpassten Chance nach, mir beim Schluckvorgang keinen runtergeholt zu haben. Gerade bei diesem Tier hätte mir das besonders zugesagt, war es doch eins der ersten, das mir früher als Kind schon halb-feuchte Träume beschert hatte. Nur waren die Warane dort nie so groß gewesen. Noch kompakter als die echten. Nicht selten war ich selbst am Ende eines solchen Traumes zum Waran geworden, in dem ich wieder als Echse ausgespuckt wurde und selbst begann, kleine Kinder zu fressen. Wie ihr seht, ruht ein kleiner Schlemmerer auch in mir. Wäre ich als Fressmaschine geboren worden, davon war ich überzeugt, wäre ich irgendeine Echse geworden. Ich hatte keine Wahl und nicht die Möglichkeit, mich zu wenden. Seltsamerweise musste ich gerade jetzt an mein letztes Erlebnis mit dem Minotaurus denken, bei dem ich auch nicht wirklich eine Möglichkeit gehabt hatte.

Das große Schlemmen

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