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Kapitel 1

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Klostergelübde

Bevor ich zu Ukk kam, streunte ich in einer größeren Stadt im Inland umher, in deren Nähe sich eine Abtei von Mönchen befand. Sie sah aus wie ein gotisches Monument aus, hatte hohe, schillernde Kirchenfenster, in denen sich mir unbekannte religiöse Szenen zeigten. Dass Mönche in solchem Abglanz von Schönheit und Ästhetik wohnten, fand ich ein wenig befremdlich. Meine Vorstellung von Eremiten oder Priestern mit Zölibat wurde hier jedenfalls nicht bedient. Wahrscheinlich wurde die Religion dieser Welt auch einfach nur ausgenutzt, um die Mitglieder der hiesigen kirchlichen Institutionen immer reicher und die Bevölkerung immer ärmer zu machen. Parallelen gab es überall. Ich ging dort besonders gerne umher, denn neben dem Gebäude stand – ungewöhnlich und wie Müll an die Mauer geworfen – ein herrlicher Wasserspeier. Warum er da lag, kann ich nicht sagen. Beschädigt war er jedenfalls nicht und irgendwelche anderen Mängel konnte ich nicht erkennen. Was mir sofort an ihm auffiel, war seine Größe. Er überragte die Mauer um mehr als einen Meter, und die war immerhin geschätzte acht Meter hoch. Wie viele Wasserspeier stellte auch dieser eine dämonische Monstrosität dar. Er hatte typische Fledermausflügel auf dem Rücken, einen vermenschlichten Körper, der in der Hocke saß, und eine entstellte durchdringend aussehende Fratze, die einer Mischung aus klassischem Teufel mit Hörnern, einem schweineähnlichem Wesen sowie fliehendem Schädel gleichkam. Ihr seht schon, das Ding ist nicht leicht zu beschreiben. Dann war da noch sein Mund, der einen ungewöhnlich groß angrinste und eine schöne, unnatürlich lange Zunge von gut zwei Metern heraushängen ließ, deren Spitze sich nach oben in den Himmel krümmte. Ich sah tiefer in den steinernen Schlund hinein und stellte fest, dass er hohl war und groß genug, dass ich hätte hineinklettern können. Ein perfektes Plätzchen für einen verrückten Obdachlosen wie mich in diesem fremden Land.

Ich fragte die Bewohner der Abtei nach dem Kunstwerk, von wem es stammte und warum es dort so ein liebloses Dasein fristen musste. Sie sahen mich etwas verwundert an und warfen sich gegenseitig Blicke zu. Mir wurde erklärt, dass er schon seit einhundert Jahren dort stehe und er verflucht sei. Laut einer Legende war der Schöpfer dieser steinernen Kreaturen ein begabter und hochgeschätzter Bildhauer gewesen, um dessen Können ihn jeder beneidet hatte. Im ganzen Land haute er dutzende oder hunderte dieser Skulpturen für die Kirchen, Klöster und Abteien. Sie sollten die Gläubigen beschützen und Unheil mit ihrem bloßen Aussehen fernhalten. Doch noch zu seinen Lebzeiten begannen einige der Abte die Skulturen wieder zu zerstören und sahen sie als entartet an. Das machte ihren Schöpfer derart zornig, dass er dunkle Mächte heraufbeschworen haben soll, die die Wasserspeier zum Leben erweckten. Die unheiligen Monstren hätten in den folgenden Nächten das Oberhaupt des Gotteshauses, auf dem sie platziert waren, getötet. Als Gegenleistung soll der Bildhauer selbst in eine seiner Kreaturen verwandelt worden sein. Nämlich in die, die vor uns stand. Seitdem hatte man diese Wesen in Ruhe gelassen. Doch in den folgenden Jahrhunderten zum Jahrestag des schrecklichen Ereignisses, dass man das „Priestersterben“ nannte, verschwanden immer wieder Personen und wurden nie wieder gesehen. Egal ob Mönche, Nonnen, einfaches Volk oder Kinder. Vor rund einhundert Jahren unternahm man einen Versuch, die schrecklichen Dämonen zu zerstören. Doch wie von Geisterhand waren sie immer am folgenden Jahrestag wieder zusammengesetzt und wachten über ihren Turm. Also begann man in einer Hau-Ruck-Aktion alle Speier durch andere Skulpturen zu ersetzten. Seitdem verschwand niemand mehr. Zumindest nicht in den anderen Städten. Auch in dieser Stadt verschwanden anschließend keine Menschen mehr, solange man das Monstrum nicht berührte. Jeder, der sich für es interessierte und berührt hatte, war anschließend dennoch verschwunden. Die Gewänder der Vermissten fand man immer vor dem Wasserspeier verteilt auf dem Boden. Doch die Person selbst – meistens blauäugige und naive Jungspunde, die einem Aberglauben keine Beachtung schenkten – hat man nie wieder gesehen. Ein paar glaubten gar, dass der Gargoyle in der Nacht zum Leben erwache und seine Opfer fräße. Ab da wurde ich ganz hellhörig. Eine Statue, die die Leute vertilgte? Bisher hatte die ganze Geschichte für mich an den Haaren herbeigezogen geklungen, aber dieses kleine Detail änderte meine Meinung ins Gegenteil. Jetzt glaubte und hoffte ich unbedingt, dass sie wahr sei! Und wenn es stimmte, dass der hier stehende Wasserspeier einmal der Bildhauer gewesen war, würde ich einer echten Berühmtheit gegenüberstehen. Ich war richtig euphorisch darüber und zeigte das auch.

Ich wusste, wo ich die kommende Nacht verbringen würde. Jetzt musste ich allerdings erstmal schaffen, wieder an das Ungetüm heranzukommen. Dummerweise hatte ich durch mein begeistertes Verhalten Aufmerksamkeit erregt und wurde streng beobachtet. Über den Tag versuchte ich mehrmals wieder auf das Gelände zu gelangen, von dem mich die Mönche ausgeschlossen hatten. Jedes mal wurde ich erwischt und wieder nach draußen gebracht. Nach dem vierten Versuch sah man mich als Unruhestifter und wollte mich von der örtlichen polizistisch organisierten Wache abführen lassen. Ich konnte dem entgehen, weil es kein Mönch, sondern eine Nonne war, die mich entdeckt hatte. Sie wollte gerade Alarm schlagen, als ich sie zurückhielt und in ein Gespräch über irgendwelche religiösen und philosophischen Grundsatzfragen verwickelte. Ich hatte von beidem keine Ahnung, aber sie hörte mir ein paar Augenblicke zu. „Du redest dich um Kopf und Kragen, junger Wackelbure!“, lachte sie herablassend. Sie räusperte sich. „Du willst unbedingt zu diesem verfluchten Ding? Also gut! Es ist dein Leben, das du wegwirfst. Aber, bei Lux und Nox, es wäre eine Verschwendung, dich einfach gehen zu lassen.“ Sie grinste mich frech an. Zu frech für eine fromme Frau. Ich verstand nicht, was sie meinte und guckte ziemlich blöd aus der Wäsche, also räusperte sie nochmal mit Blick auf meinen Körper. Ich kapierte es immer noch nicht. Sie rollte genervt die Augen. „Bevor du sterben wirst, verlange ich nach deinem Körper.“ Ich zuckte mit den Schultern. Was? Was wollte die eigentlich? Sollte sie sich doch endlich klarer ausdrücken! „Bei den Göttern, so einfältig wie ich erwartete“, murmelte sie gut hörbar, sagte aber laut: „Ich will mit dir schlafen, du Bauer!“ Ich schluckte. Ojemine! Ich sah sie mir genauer an. Viel konnte ich natürlich durch ihre beige-braune Leinen-Kutte nicht erkennen, die sich von denen der Mönche in Nichts unterschied. Aber allein das Gesicht verriet mir, dass sie bereits über sechzig sein musste und für ihr Alter noch faltiger aussah. Zumindest auf den zweiten Blick. Ich fragte sie, ob sie an kein Gelübde gebunden sei, dass ihr Enthaltsamkeit vorhielt. Sie lachte auf. „Du kommst nicht aus unserer Weltengegend, nicht wahr, junger Kerl? Die Nonnen und Mönche unseres Glaubens sind innerhalb der Abtei an keinerlei Enthaltsamkeit gebunden. Im Gegenteil wird verlangt, jeden Tag während der Messe das heilige Ritual körperlicher Vereinigung auszuüben.“ Mit anderen Worten gab es jeden Tag eine heillose Orgie. Warum war ich nicht in diese Welt hineingeboren worden? Eine Einschränkung gab es aber doch. Sie durften weder mit dem Pöbel aus der Stadt verkehren, noch mit Personen gleichen Geschlechts oder Personen, die zehn Jahre älter oder jünger waren als sie selbst. Also doch eine ganze Menge Hürden. „Und weil du so einen netten, knackigen Hintern hast, werde ich hierüber hinwegsehen und dich ungesehen gehen lassen. Aber nur, wenn du es im Gebüsch dort hinten mit mir machst“, sagte sie und streckte ihre ekelhaft alte Hand aus, um auf eine Heckenreihe zu deuten. Ich seufzte und war fast daran, schon aufzugeben. Ich konnte mich innerlich nicht dazu überwinden, es mit dieser alten Schachtel treiben zu wollen. Doch da fasste sie mich an den Händen und zerrte mich mit Nachdruck hinüber. Es wurde … gar nicht so schlecht! Sie war zwar ausgeleiert bis zum geht nicht mehr, aber hatte Erfahrung, an die keine Prostituierte unserer Welt heranreichte. Ich überspringe diesen Teil aber jetzt und fasse zusammen: Es war interessant.

Mutter Agnes, wie die Nonne gerufen wurde, gab mir den Tipp, mich bis Sonnenuntergang hinter der Hecke zu verstecken. Niemand käme hierher, weil sie zu nah am Wasserspeier lag Und bei Dunkelheit könne ich mich frei auf dem Gelände bewegen. Sie verabschiedete sich, indem sie mir nochmal auf den blanken Hintern klatschte, was sie während unseres Techtelmechtels so oft getan hatte, dass er mir jetzt ganz wund war. Endlich konnte ich mich meinem steinernen Freund zuwenden. Ich fackelte nicht lange und kletterte an ihm hinauf, was dank seiner hockenden Haltung nicht sonderlich schwer war. Sobald ich auf einem der relativ waagerechten Oberschenkel stand griff nach der Zungenspitze, die ihm heraushing und die ich noch geradeso mit den Fingern erreichte. Nur zu gerne wäre ich bereits ins Maul des Wasserspeier geklettert. Doch es war außerhalb meiner Reichweite und meine Kletterkünste waren leider nicht gerade so gut, dass ich es geschafft hätte. Wahrscheinlich wäre ein Absturz mit dazugehörendem Knochenbruch die Folge gewesen. Jetzt hieß es also nur noch bis zur Nacht in der Hecke warten und alle Bewohner der Abtei endlich zu Bett gingen. Nachdem mir Mutter Agnes erzählt hatte, was sie in ihren Räumen so trieben, hörte ich ungewollt ganz genau hin und es lief mir den schaurig den Rücken hinab, als ich leises anschwellendes Gestöhne vernahm. Ich wollte auf Nummer sicher gehen und wartete noch zwei weitere Stunden nach Sonnenuntergang. Zum Glück erlebte die Stadt gerade einen sehr milden Herbst und es wurde nicht so kalt. Ich war erschöpft von der langen Warterei und den Anstrengungen und schlief ein, ohne es zu wollen.

Ich weiß nicht wie lange ich schlief, aber irgendwann schreckte ich zuckend auf. Der Dreiviertelmond war eine ganze Strecke gewandert und ich schätze die Zeit auf ungefähr ein Uhr nachts. Ich streckte mich vorsichtig und wagte mich aus meinem Versteck. Ich musste zweimal hinschauen. Der Gargoyle war weg! Verwundert guckte ich mich um. Hatte ich mich einfach in der Stelle vertan? Man sollte die Nacht nicht unterschätzen, im Zwielicht sah vieles anders aus und man konnte oft Orte miteinander verwechseln, die am Tag völlig klar erscheinen. Ich ging zu Sicherheit nachsehen. Doch. Es war die Stelle, an der das Ungetüm noch gestanden hatte, bevor ich eingeschlafen war. In meinem Rücken ein plötzliches, tiefes Grollen. Ich bildete mir ein, einen kalten Atem über die Schulter zu spüren. Ich war von Angst gelähmt … und ich stand darauf! Ich drehte mich langsam wieder in Richtung der Hecke um. Da stand das unsagbare Biest in seiner typischen Sitzposition! Wie zum Teufel war es eigentlich in den wenigen Sekunden dahin gekommen, ohne dass ich es gemerkt hatte? Man hätte ihn immer noch für eine Statue halten können mit seinen kräftig aussehenden Schwingen und seiner muskulösen Gestalt. Jetzt bei Nacht wirkte er nochmal ganz anders auf mich. Der legendäre Bildhauer hatte unglaublich gute Arbeit geleistet! Hände und Füße waren mit Krallen versehen, bei denen man kleine Risse oder Unebenheiten erkennen konnte, die auf ein natürliches Wachstum schlossen – ganz wie bei einem echten Lebewesen. Die Muskeln an Armen und Beinen traten stark hervor. Jeder Arm war mit ungefähr zwei Metern ein wenig größer wie ich. Die Schulter war kräftig und verlieh der Kreatur ein noch bedrohlicheres Aussehen. An ein paar Stellen lediglich war die steinerne Oberfläche mit Moos bewachsen. Nur zwei Dinge hatten sich grundlegend an diesem verfluchten Ding verändert. Seine zwei Meter lange Zunge war nicht mehr ausgestreckt, sondern verbarg sich hinter einer Reihe Zähne im mächtigen Kiefer. Und die Augen waren zu lebendig, sie blickten mich interessiert und musternd an. Mir stockte der Atmen. Für gewöhnlich empfand ich Faszination, jetzt beherrschte mich leise Angst. Es war absolut teuflisch! Doch als es mich angrinste, begriff mein Verstand erst wirklich, dass es lebte und kein Steinhaufen war! Bis zuletzt hatte ich daran noch gezweifelt.

„Dass du es mir so einfach machst, finde ich ganz famos, kleiner Happen! In einhundert Jahren musste ich mich noch nie einfach nur umdrehen, um mein Opfer zu bekommen“, sagte das Biest. Er lebte! Er bewegte sich! Er sprach! „Hat es dir derart die Sprache verschlagen? Das ist nicht schlimm. Das passiert vielen, wenn sie mich sehen und bevor ich sie esse.“ Er schnaufte und sog dann Luft ein. „Irgendwelche letzten Worte?“, fragte er. Da fand ich meine Stimme wieder. „Wie heißt du?“, fragte ich und die Kreatur hielt in ihrer Bewegung inne – sie wollte mich gerade schon mit ihren langen Klauen ergreifen, deren Finger viel zu lang waren. Es betonte ihre Unnatürlichkeit. Ich wurde steinernen Blickes taxiert und er grinste so breit, wie zuvor als starre Statue. „Das ist eine seltsame Frage von jemandem, dem ich das Leben nehmen will“, meinte er und dachte einen Moment nach. „Mein Name ist Notger“, antwortete er schließlich doch noch. Ich nickte. „Notger“, wiederholte ich und fragte dann: „Bist du der verfluchte Bildhauer, der in einen Wasserspeier verwandelt wurde?“ Notger legte den Kopf schief. „Die Geschichte schon wieder? Menschen. Ihr lernt es nicht. Hör' mir zu, ich habe keine Geduld mehr, das zu erklären. Obwohl ich zugeben muss, dass du der erste seit mehreren Jahrhunderten bist, der diese Frage stellt.“ Er schwieg kurz. „Hmm. Nun gut. Um es kurz zu machen: Nein, ich bin nicht dieser ominöse Bildhauer. Und es gab ihn auch nie. Meine Geschwister und ich sind eine eigene Spezies. Aber ihr Menschen versteht das einfach nicht. Sinnlos, es wieder zu versuchen“, schüttelte er den Kopf und legte die Klauen um mich. Noch bevor er mich vom Boden anhob, rief ich laut: „Warte!“ worauf er wieder innehielt. Ich meinte einen Anflug von Verärgerung in seinen Augen, die türkis leuchteten, aufblitzen zu sehen. „Was?“, grollte er aus tiefster Kehle, wie um es zu unterstreichen. Seine gelöste Miene von eben war verschwunden und einem verachtendem Gesicht gewichen. Wer immer diese Wesen waren, eine hohe Meinung von Menschen hatten sie jedenfalls nicht. Auf der anderen Seite waren wir wohl nicht mehr als Nahrung. Und mit dem eigenen Essen habe ich persönlich auch noch nie gesprochen. „Darf ich dich um etwas bitten?“, presste ich hervor, denn sein Griff war hart und unnachgiebig und ich stellte fest, dass er trotz aller Lebendigkeit noch immer aus Stein bestand. Aber es war anders, irgendwie lebendig. Es konnte sich verformen, ohne zu brechen, ähnlich wie Lava, die ja auch nicht anderes als flüssiges Gestein ist. Im Unterschied zu Lava aber war Notger nicht heiß und verbrennend, sondern kalt wie ein typischer Stein bei Nacht. „Ich fürchte nicht. Zumindest, wenn du mich um dein Leben anflehst“, antwortete er und zog mich an sich heran. Ich schüttelte vehement den Kopf. Nein, das wollte ich nicht. „Ich bin hier, um mich von dir fressen zu lassen, weil ich hoffe, dir aus dem Rachen schauen zu dürfen.“ Da hielt der Wasserspeier plötzlich inne und seine Augen weiteten sich. Er beugte sich zu mir herab und ich spürte seinen Atem auf der Haut. Interessiert betrachtete er mich und sah mir tief in die Augen, als wolle er die Ehrlichkeit meiner Worte überprüfen. Offenbar war er von ihr überzeugt, denn er sagte: „Eine seltsame Bitte. Wie genau willst du mir den aus dem Mund sehen, wenn ich dich herunterschlucke?“ Ich erklärte ihm also lang und breit, dass er mich zwar verspeisen durfte, ich jedoch ein paar Minuten mit Kopf und Händen an seinem Gaumen bleiben wollte, bis er mich schließlich vertilgte. Während meiner Erklärung hatte er den Griff wieder gelockert und mich zuletzt sogar losgelassen. Er hörte mir aufmerksam zu und grollte zufrieden, als ich geendet war. „Ein interessantes Ding bist du. Interessantes Phänomen. Ich würde gerne deine Geschichte kennen.“ Er grinste wieder breit. „Aber dazu habe ich jetzt zu großen Hunger. Du kannst sie mir ja erzählen, wenn du in meinem Bauch bist, wo du genug Zeit und Platz haben wirst.“ Abermals ergriff er mich fest und hob mich empor, seinem Gesicht entgegen. Endlich ließ er seine lange Zunge wieder raushängen, die mich so begeisterte. „Hast du sonst noch einen Wunsch, williger Happen?“, fragte er, bevor er begann. Verlegen wandte ich den Blick kurz ab. Notger wartete. „Kannst du meine Füße auch noch verwöhnen, bevor du mich frisst?“ Jetzt hatte ich es geschafft, ihn offen zu überraschen, weil er irritiert die Brauen anhob. „Verwöhnen? Wie?“, fragte er. „Äh … also …“, druckste ich ein wenig. „Mit deiner Zunge. Das wäre ganz nett.“ Hierauf sagte der Gargoyle nichts mehr, zuckte nur mit den Achseln und hob mich hoch über sich hinaus.

Gebannt sah ich nach unten, mein Herz klopfte aufgeregt, wie es jedes mal klopfte. Die mehrere Meter lange Zunge reckte sich wie eine Schlange meinen Füßen entgegen. Obwohl aus Stein, war sie weich und warm und besaß nur die eine Falte in der Mitte. Sonst hatte sie keinerlei Unebenheiten und fühlt sich an wie glatter Gummi. Er kitzelte mich mehr mit ihr, als dass er mich wirklich verwöhnte. Ich vermute mal schwer, dass das mit seinem fehlendem Wissen um einen Fußfetisch zu tun und er keine Ahnung hatte, was ich wollte. Ich kicherte jedenfalls ziemlich blöde daher und strampelte mit den Beinen. Das wiederum fand Notger sehr lustig und fuhr dreckig lachend fort. Ich war mir sicher, dass uns die Bewohner der Abtei gehört hatten und vielleicht sogar beobachteten, aber sie hatten zu viel Furcht, irgendwelche Aufmerksamkeit zu erregen. Irgendwann bat ich um Gnade und dass er aufhören solle, nur war ihm das völlig schnurz und er machte ungehindert weiter. Dabei aber senkte er mich, von mir unbemerkt, weiter hinab, dass meine Zehen bald seine Zähne berührten. Leise aufschreiend zuckte ich zusammen, denn diese Teufelsdinger waren verdammt scharfkantig. „Entschuldige, Happen“, meinte er und machte weiter. Irgendwann wurde ihm das mit meinen Füßen zu langweilig und er legte mich mit dem Rücken auf seinen nun waagerecht ausgestreckten, zwei Meter langen Lappen. Er ließ mich los und ich glaube, er wollte ausprobieren, ob ich nicht doch noch versuchte vor ihm zu fliehen. Nichts dergleichen unternahm ich. Kein Fluchtversuch, kein Kampf um mein Leben. Ich lag entspannt auf diesem langen Muskel, der mich erstaunlich gut halten konnte, trotz meines Gewichtes. Ich grapschte und griff alles ab und bemerkte jetzt erst perplex, dass Notgers Zunge nicht nass war. Zuerst dachte ich, ich sei einer falschen Wahrnehmung auf den Leim gegangen. Doch als ich mich auf den Bauch drehte und mein Gesicht auf das Zungenblatt drückte, musste ich feststellen, dass kein Speichel da war. Nichts. Irgendwie seltsam. Bei einem Monstermaul – egal ob aus Stein oder nicht – erwartete man immer ganz viel Sabber. Hier nicht, das war komisch. Aber ich konnte mich ganz gut damit abfinden. Ich bat darum, dass er mich längs in seine Zunge einrollte und ein wenig drückte und quetschte. Er überraschte mich, indem er mich zwischen seine Kiefer bugsierte, dabei aber aufpasste, mich nicht zu verletzten. Sein Rachen musste unglaublich geweitet sein. Hätte er jetzt einfach zugebissen, hätte er mir Beine und Kopf abgetrennt. Ich hätte es ihm zugetraut. Aber dazu war er wohl zu neugierig, ich sollte ihm ja später noch erklären, wer ich bin und warum ich das alles tat. Zum Schluss reckte er das Geschmacksorgan wieder, sodass ich auf der Zungenspitze balancierte. Er bedeutete mir, jetzt essen zu wollen und ich legte mich in entsprechende Position, sodass er mich auf einmal in seinen Gaumen hineinbeförderte. Wie von mir gewünscht, steckte ich dort fest und sah die wundervoll vom Mond dimmrig erleuchtete Nacht, von den schneidenden Zähnen Notgers umringt, die Zunge immer noch ausgestreckt. Wohlig murrte ich und versuchte mich einmal herumzudrehen, was mir sogar ganz gut gelang. Der Gargoyle jedenfalls sagte nichts. Wie auch? Und auch hier im Rachen fand ich nicht ein Tröpfchen Speichel vor. Es war zum Haare raufen! Dadurch fühlte sich alles sehr ledrig an. Ich mochte es dennoch. Ich versuchte, wieder ein wenig aus dem Rachen hervorzuklettern. Doch bekämpfte er meine Bemühungen sehr erfolgreich, indem er kräftig schluckte und ich mich dadurch sogar noch tiefer in seinem Schlund befand als zuvor. Auch das machte ihm nicht wenig Spaß und er ließ mich mehrere Male klettern, bevor er schluckte oder mich mit der anhebenden Zunge wieder zurückdrückte. Nach vier oder fünf Versuchen war es ihm genug und er verschlang mich ohne große Umschweife. Genau wie das Maul, war auch die Speiseröhre weich, trocken und dazu noch dehnbar, dass ich gut hindurchrutschte. Der Bauch des Wasserspeiers war genauso ohne irgendwelche Flüssigkeit. Ich fragte ihn, wie er mich denn verdauen wolle? „Verdauen?“, wunderte er sich. „Du wirst nicht verdaut. Wenn ich im Licht den kommenden Morgens wieder zu Stein werde, wirst du es ebenfalls. Ich absorbiere dich in dem Moment“, erklärte er mir freimütig und fuhr gleich fort: „Also, kleiner Happen! Jetzt halte deinen Teil ein und erzähl mir: Woher kommt deine selbstmörderische Neigung? Du wirst immerhin sterben, aber du nimmst es gelassen. Warum? Bist du schon einmal gefressen worden? Wie? Sag es mir!“ Seine eigentlich flüsternde, dunkle Stimme hörte sich in seinem Innern sehr viel durchdringender an. Sie klang leicht aufgeregt im Vergleich zu eben. Wie es aussah, hatte der Wasserspeier also weit mehr Neugier, als geglaubt und sein Desinteresse war nur vorgetäuscht gewesen. Also erzählte ich ihm meine Geschichte und dass ich vor ihm schon oft verschlungen worden bin.

Das große Schlemmen

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