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1. Belastende Einzelakte

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Unstreitig ist die Vollziehbarkeit bzw. Vollstreckbarkeit eines behördlichen oder justiziellen Einzelakts Voraussetzung für die Ahndung eines wie auch immer gearteten Verstoßes. Dies gilt nicht nur dort, wo die Vollziehbarkeit wie etwa in § 330d Abs. 1 Nr. 4 lit. c StGB, § 95 Abs. 1 Nrn. 2 und 4 AufenthaltsG oder § 146 Abs. 1 Nrn. 1 und 2 GewO[134] ausdrücklich genannt wird, sondern ganz allgemein, etwa bei § 145c StGB oder § 21 Abs. 1 StVG. Hintergrund ist, dass ansonsten das, was noch nicht vollstreckt werden kann, auf dem Umweg über die Straf- bzw. Bußgeldbewehrung vorab durchgesetzt werden könnte[135]. Über das Strafrecht würden so die verfahrensmäßigen Garantien des Verwaltungsprozessrechts etc. ausgehebelt.

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Die Rechtmäßigkeit eines Einzelakts spielt dagegen nach zutreffender h.M.[136] für die Strafbarkeit einer Zuwiderhandlung grundsätzlich keine Rolle. Die Nichtbeachtung einer durch ein amtliches Verkehrszeichen getroffenen Anordnung kann also auch dann geahndet werden, wenn die tatbestandsmäßigen Voraussetzungen des § 45 StVO für die Aufstellung nicht vorlagen. Derjenige dem seine Fahrerlaubnis rechtskräftig entzogen oder gegen den ein rechtskräftiges Fahrverbot verhängt wurde (§ 21 Abs. 1 Nr. 1 StVG) und auch derjenige dessen Führerschein nur vorübergehend amtlich verwahrt, sichergestellt oder beschlagnahmt wird (§ 21 Abs. 2 Nr. 2 StVG), darf unabhängig von der materiellen Richtigkeit der Entscheidung und seiner tatsächlichen Eignung kein Kraftfahrzeug führen[137]. Tatbestandsmäßige Ausnahmen von diesem Grundsatz sind selten, ausdrücklich wohl nur in § 113 Abs. 3 StGB und § 22 Abs. 1 S. 1 WehrStG vorgesehen. Abweichend wird auch § 4 GewaltschutzG ausgelegt, wo das Strafgericht die tatbestandlichen Voraussetzungen der Anordnung des Familiengerichts überprüfen soll, was mit verfahrensmäßigen Besonderheiten und der Entstehungsgeschichte begründet wird[138]. Rechtspolitisch wäre es freilich zu begrüßen gewesen, im Tatbestand das Attribut „rechtmäßig“ ausdrücklich aufzunehmen[139]. Das Gleiche gilt für § 145a StGB[140], allerdings dürfte der Verstoß gegen eine rechtswidrige Weisung offensichtlich nicht zur Gefährdung des Maßregelzwecks führen. Bei allen anderen Vorschriften spielt die Rechtmäßigkeit der Verfügung ebenfalls nur mittelbar eine Rolle, wenn z.B. bei den §§ 324 ff. StGB die Rechtswidrigkeit der strafbarkeitsbegründenden Anordnung damit einhergeht, dass der tatbestandlich geforderte objektive (Gefährdungs-)Erfolg ausbleibt.

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Für die generelle Relevanz der Rechtmäßigkeit der belastenden Verfügung wird zwar von der im Schrifttum verbreiteten Gegenansicht[141] geltend gemacht, dass alle staatliche Gewalt, auch Verwaltungsbehörden, an das Gesetz gebunden seien. Nur rechtmäßige Verwaltungsakte könnten als Konkretisierung des gesetzgeberischen Willens angesehen werden. Den Betroffenen sei es deshalb nicht zuzumuten, sich an einem unrichtigen Verhaltensmaßstab zu orientieren. Dem widerspricht jedoch die gesetzgeberische Wertung, dass ein Verwaltungsakt trotz Rechtswidrigkeit gem. § 43 Abs. 2 VwVfG als wirksam anzusehen ist, bei Nichtanfechtung sogar bestandskräftig wird. Nichtigkeit i.S.d. § 44 VwVfG tritt nur in absoluten Ausnahmefällen ein, die Rechtswidrigkeit müsste dem Verwaltungsakt „auf die Stirn“ geschrieben sein. Die Subsumtion eines bestimmten Lebenssachverhalts unter das Gesetz soll eben, soweit eine Behörde oder ein Gericht entscheidet, nicht durch den Bürger erfolgen. Deshalb darf der Einzelakt bei echten oder vermeintlichen Fehlentscheidungen auch nicht eigenmächtig missachtet werden. Will der Bürger sich mit der Bindungswirkung nicht abfinden, hat er kein wie auch immer geartetes Widerstandsrecht[142], ihm obliegt vielmehr eine Anfechtungslast. Die Korrektur von Einzelentscheidungen erfolgt dann mittels geordneten Verfahren, gegebenenfalls des vorläufigen Rechtsschutzes. Ausnahmen gelten nur bei ganz existenziellen Fragen, etwa einer rechtswidrigen Versagung der Aufenthaltserlaubnis[143], wo für den Zeitraum bis zur Anordnung bzw. Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung nach allgemeinen Grundsätzen der Rechtfertigungsgrund des Notstands i.S.d. § 34 StGB zur Anwendung kommen kann.

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Vom Bürger wird also bei strafbewehrten Einzelakten im Regelfall Loyalität und Gehorsam als solche gefordert: Bei all den relevanten Beispielen wird der Bürger aus seiner Position heraus quasi als „unmündig“ betrachtet, sei es, weil dieser die objektiven Gegebenheiten typischerweise nicht überblicken kann, oder weil er in eigener Sache befangen erscheint[144]. Kann z.B. der Bürger auf einer ihm (möglicherweise) unbekannten Landstraße nur schwer beurteilen, mit welcher Geschwindigkeit der kurvenreiche Streckenabschnitt gefahrlos zu bewältigen ist, wird die zuständige Behörde idealerweise mittels Verkehrszeichen eine sinnvolle Anordnung treffen, an die sich der Kraftfahrer zu halten hat (§ 41 Abs. 1 StVO). Auch kann man es dem Bürger selbstverständlich nicht überlassen, in eigener Sache zu prüfen, ob ihm das Führen von Kraftfahrzeugen (§§ 44, 69 StGB), die Berufsausübung (§ 70 StGB) oder der Weiterbetrieb einer Anlage (§ 20 BImSchG) untersagt werden sollte. Der Gesetzgeber wird den Einzelakt nur dann einer Straf- oder Bußgeldbewehrung und (gegebenenfalls vorzeitigen) Vollziehbarkeit unterwerfen, wenn das Interesse an einer verbindlichen Regelung durch Einzelanordnung situationsbedingt als höherrangig einzustufen ist als private Freiheitsinteressen. Trägt der Bürger für die sachliche Richtigkeit keine Verantwortung, ist die Forderung nach Gehorsam als Wert an sich, also eine Art „imperative“ Rechtsauffassung, damit ausnahmsweise gerechtfertigt (siehe aber Rn. 35). Der Bürger kann den Staat im Gegenzug unter Umständen sogar für Fehlentscheidungen haftbar machen, etwa bei einem Verkehrsunfall aufgrund fehlerhafter Ampelschaltung („feindliches Grün“)[145].

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