Читать книгу Handbuch des Strafrechts - Robert Esser, Manuel Ladiges - Страница 161

III. Verweisung auf Einzelakte und intertemporales Strafanwendungsrecht

Оглавление

50

Unstreitiger Ausgangspunkt für die Beurteilung der Strafbarkeit ist auch hier der zur Tatzeit geltende Rechtszustand. Die nachträgliche Aufhebung oder Außervollzugsetzung eines strafbarkeitsbegründenden justiziellen oder behördlichen Einzelakts, sei es nach den §§ 111a Abs. 2, 132a Abs. 2, 306 Abs. 2, 307 Abs. 2, 309 Abs. 2, 373 StPO, den §§ 48, 49, 51 VwVfG oder den §§ 72, 73, 80 Abs. 5, 113 Abs. 1 VwGO, führt allerdings zu keiner entsprechenden Anwendung des Milderungsgebots gem. § 2 Abs. 3 StGB (bzw. § 4 Abs. 3 OWiG); vgl. dagegen oben Rn. 30. Dies gilt unabhängig von einer etwaigen Rückwirkungsfunktion der Aufhebungsentscheidung, also davon, ob sie ex tunc– oder ex nunc-Wirkung entfaltet[154]. Schon strafprozessual hätte man sonst die Schwierigkeit, dass die Verurteilung von der Zufälligkeit abhinge, ob die Aufhebung vor oder erst nach Rechtskraft des Strafurteils erfolgt. Vor allem jedoch sind es eben auch der Verwaltungsgehorsam als solcher und die Pflicht zur Einhaltung geordneter Verfahren, die hier dem strafrechtlichen Schutz unterliegen (oben Rn. 45). Ebenso unanwendbar ist § 2 Abs. 3 StGB bei nachträglicher tätergünstiger Änderung der Ermächtigungsgrundlage, die dem Einzelakt zugrundliegt. Dies erscheint zwingend, wenn man mit der h.M. davon ausgeht, dass der Hoheitsakt nicht einmal mit der materiellen Rechtslage übereinstimmen muss, die zum Zeitpunkt des Erlasses gilt (oben Rn. 43)[155]. Ein unanfechtbarer Einzelakt hat zudem gerade den Sinn, die bestehende Rechtslage (abgesehen von einigen Durchbrechungen wie §§ 49 Abs. 1, 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG) festzuschreiben[156].

51

Zur Anwendung käme § 2 Abs. 3 StGB allerdings dann, wenn die gesetzgeberische Grundentscheidung über die Vollziehbarkeit und Dringlichkeit bestimmter Einzelentscheidungen geändert würde, etwa bei Umkehrung des Regel-Ausnahme-Verhältnisses und Einführung eines allgemeinen Suspensiveffektes bei § 307 StPO oder bei Abschaffung von § 80 Abs. 2 VwGO. Bei Abschaffung gesetzlicher Folgepflichten kann nichts anderes gelten, als wenn der Gesetzgeber die Strafbarkeit ganz wegfallen ließe.

52

Bei Genehmigungen und anderen Hoheitsakten, die die Strafbarkeit ausschließen, kommen die eben aufgestellten Regeln entsprechend zur Anwendung. Die spätere Aufhebung einer Genehmigung wirkt zweifellos nicht strafbarkeitsbegründend; denn unter strafrechtlichen Aspekten muss zum Zeitpunkt des Täterhandelns klargestellt sein, ob das Handeln rechtmäßig oder unrechtmäßig ist[157]. Umgekehrt kann ein Fahren ohne Fahrerlaubnis gem. § 21 StVG nach (Wieder‑)Erlangung derselben selbstverständlich weiter bestraft werden. Dies gilt grundsätzlich für alle Tatbestände, die ein Handeln ohne Genehmigung im weiteren Sinne unter Strafe stellen, solange die Genehmigungspflichtigkeit als solche nicht durch Gesetzesänderung weggefallen ist. Wenn nämlich selbst die Genehmigungsfähigkeit keine Rolle spielen darf, weil es dem Gesetzgeber um die Einhaltung eines formellen Verfahrens mit seiner Kontroll-, aber auch Informationsfunktion geht (vgl. bereits Rn. 46), darf auch eine tatsächliche Nachholung nicht zum Strafausschluss führen[158]. Ausnahmen bei der Strafbarkeit sind lediglich dann zu machen, wenn der jeweils maßgebliche Tatbestand, wie etwa §§ 331 Abs. 3, 333 Abs. 3 StGB[159], ausdrücklich etwas anderes vorschreibt. Freilich wird die nachträgliche, insbesondere die gerichtlich erstrittene Genehmigung auch sonst für eine großzügigere Anwendung der §§ 153 ff. StPO bzw. des § 47 OWiG sprechen.

Handbuch des Strafrechts

Подняться наверх