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I. Erscheinungsformen und Gesetzlichkeitsprinzip

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Während bei echten Blanketten das Zusammenlesen mit der ausfüllenden Norm dazu führt, dass der Normadressat den vorgefundenen Lebenssachverhalt vollständig unter den Gesamttatbestand subsumieren muss (oben Rn. 7, 35), wird bei Tatbeständen, soweit sie rechtsnormative Tatbestandsmerkmale enthalten, eine bestimmte (i.d.R. außerstrafrechtliche) Rechtsfolge oder ein bestimmtes Rechtsverhältnis zum Tatumstand[175]. Der Unterschied zu Merkmalen, die auf Einzelakte Bezug nehmen (oben Rn. 37), liegt darin, dass die Rechtsverhältnisse nicht durch Hoheitsakt begründet werden. Aber auch hier müssen der Straftatbestand und das Merkmal selbst den Anforderungen des Bestimmtheitsgebots in Art. 103 Abs. 2 GG genügen, nicht jedoch die Vorschriften die dem jeweils geforderten Rechtsverhältnis vorgelagert sind. So erklärt sich nebenbei, dass rechtsnormative Merkmale niemals ausdrücklich, wie es bei Blankettnormen regelmäßig der Fall ist, auf andere Gesetze verweisen.

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Beispielweise richtet sich die Fremdheit einer Sache beim Diebstahl oder der Unterschlagung gem. §§ 242, 246 StGB nach dem einschlägigen Bürgerlichen Recht. Eigentum spielt in der sozialen Wirklichkeit eine eigenständige Rolle; es tritt meist durch unmittelbare oder mittelbare Besitzverhältnisse, Urkunden, Grundbucheinträge etc. nach außen in Erscheinung. An den tatsächlichen Hintergründen des Eigentumserwerbs und den zugehörigen zivilrechtlichen Grundlagen hat der Täter regelmäßig kein Interesse; er wird sie auch faktisch nicht in Erfahrung bringen können. Entsprechend müssen die dem Rechtsverhältnis vorgelagerten Vorschriften auch nicht den Anforderungen des Art. 103 Abs. 2 GG genügen[176]. Für den Strafrichter entfällt ferner die zwingende Bindung an den Gesetzeswortlaut; eine analoge Gesetzesanwendung im Vorfeld eines rechtsnormativen Tatumstands ist also möglich, z.B. die Berücksichtigung einer Eigentumsübertragung gem. § 929 BGB im Wege des Geheißerwerbs. Alles andere wäre in der Lebenswirklichkeit auch kaum praktikabel, wenn durch unterschiedliche Anforderungen zwischen strafrechtlich geschütztem und nur zivilrechtlich anerkanntem, aber eben nicht diebes- und unterschlagungssicherem Eigentum unterschieden werden müsste. Die gleichen Grundsätze gelten für die Rechtswidrigkeit der Zueignung und die Frage, ob ein schuldrechtlicher Anspruch besteht. Die §§ 242, 246 StGB schützen den „Imperativ“ der Eigentums- und Vermögensordnung, ohne welchen den jeweiligen Tathandlungen auch nicht die Bedeutung eines sozialschädlichen Tuns zukommen würde. Ebenso ist man, wenn die Pflichtwidrigkeit bei der Untreue gem. § 266 StGB, nach zutreffender Ansicht kein Blanketttatbestand[177], davon abhängt, ob das betreute Unternehmen zu einer bestimmten nachteiligen Vermögensdisposition verpflichtet war, bei Klärung dieser zivilrechtlicher Vorfragen nicht an die Grenzen des Art. 103 Abs. 2 GG gebunden. Auch lässt sich zwecks Bestimmung des mutmaßlichen Willens einer juristischen Person an die recht unbestimmten § 43 Abs. 1 GmbHG und § 93 Abs. 1 AktG anknüpfen, ebenso wie an eine privatautonom vereinbarte Unternehmensverfassung, Gesellschafterverträge, Satzungen und Beschlüsse etc. oder den ausdrücklich formulierten Willen des Treugebers[178]. Beim Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt gem. § 266a StGB brauchen sich § 7 Abs. 1 SGB IV und die Fiktionstatbestände der § 10 Abs. 1 S. 1 AÜG, § 78a Abs. 2 BetrVG und § 16 TzBfG nicht an Art. 103 Abs. 2 GG messen lassen, da sie dem Tatumstand der Sozialversicherungspflichtigkeit eines Beschäftigungsverhältnisses nur vorgelagert sind[179]. Im Rahmen der Steuerhinterziehung gem. § 370 AO kann der Verkürzungserfolg, nach zutreffender Ansicht ein normatives Tatbestandsmerkmal[180], auch über einen Gestaltungsmissbrauch gem. § 42 AO begründet werden, obwohl diese Vorschrift sich ohne Frage nicht an Art. 103 Abs. 2 GG messen ließe[181]. Bei Fehlbewertung der Rechtslage wird der Betroffene durch das Vorsatzerfordernis (unten Rn. 62 ff.) ausreichend geschützt.

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Die vorgenannten Grundsätze führen dazu, dass auch allgemeine nichtstaatliche Regelwerke oder solche ohne Rechtssatzcharakter Bedeutung erlangen können, etwa bei der Untreue gem. § 266 StGB, wenn der Mitarbeiter im Hinblick auf die Vermögensinteressen des eigenen Unternehmens auf die Einhaltung verpflichtet wurde. Zu denken ist dabei auch an den Deutschen Corporate Governance Kodex (DCGK), welcher von einer Regierungskommission erarbeitet wurde und allgemein anerkannte Standards „guter und verantwortungsvoller Unternehmensführung“ zusammenstellt[182], oder die von der BaFin formulierten Mindestanforderungen an das Risikomanagement von Kreditinstituten (MaRisk)[183]. Die Rechtslage kann sich anders als bei Blanketten (oben Rn. 28) verfassungsrechtlich vergleichsweise problemlos auch nach ausländischem Recht bestimmen[184]. Bei den §§ 242, 246 StGB mag z.B. die Fremdheit der Sache davon abhängen, ob bei einem archäologischen Fund in Griechenland nach dortigem Zivilrecht ein Schatzregal greift, also eine Regelung, wonach herrenlose, bis zum Zeitpunkt des Fundes verborgene Sachen mit ihrem Auffinden Eigentum des Staates werden[185]. Genauso erscheint es zulässig im Rahmen von § 266 StGB bei ausländischen Kapitalgesellschaften, etwa einer englischen (irischen oder maltesischen) Limited, bei der Bestimmung der Pflichtwidrigkeit im Rahmen von § 266 StGB gemäß der Gründungs- bzw. Sitztheorie[186] auf ausländisches Gesellschaftsrecht abzustellen[187]. Auch die Hinterziehung ausländischer Steuern konnte in § 370 Abs. 6 AO unter bestimmten Voraussetzungen unter Strafe gestellt werden. Der Anerkennung ausländischer Rechtslagen sind aber durch die ordre public-Klausel des Art. 6 EGBGB (§ 328 Abs. 1 Nr. 4 ZPO und § 73 S. 1 IRG) Grenzen gesetzt[188]. Demnach ist eine Rechtsnorm eines anderen Staates nicht anzuwenden, wenn ihre Anwendung zu einem Ergebnis führen würde, das mit wesentlichen Grundsätzen des deutschen Rechts, insbesondere den Grundrechten, offensichtlich unvereinbar ist, denkbar z.B. bei fremdstaatlichen Enteignungen rassistischen oder ethnischen Hintergrunds.

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