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3. Karl Ferdinand Hommel (1722–1781)

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Karl Ferdinand Hommel verbrachte sein Leben überwiegend in Halle und Leipzig, wo er ab 1763 als Ordinarius wirkte.[153] Obgleich Hommel gerne als der „deutsche Beccaria“ bezeichnet wird, wurde sein selbst für einen Denker der Aufklärung ungewöhnlich weit gespanntes, facettenreiches Werk in der deutschen Strafrechtswissenschaft wenig beachtet, vielleicht auch, weil viele seiner Themen, etwa der Tierschutz,[154] weit über seine Zeit hinausreichen.

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Hommel besaß ein ausgeprägtes Interesse für Erkenntnistheorie und folgte dabei nicht, wie Leibniz und Wolff, einem rationalistischen Ansatz, sondern einem pragmatischen Empirismus, der auch seine Aussagen zur Begründung von Strafe durchzieht. Menschen besitzen ein natürliches Streben nach Glück und freier Entfaltung ihrer Fähigkeiten.[155] Aufgabe des Strafrechts ist es, den Menschen zu ermöglichen, ihren natürlichen Anlagen zu folgen, und das Gemeinwohl zu schützen. Strafwürdiges Unrecht darf nicht mit Sünde, also dem Verstoß gegen göttliche Gebote, verwechselt werden. Die darin angelegte Unterscheidung von Theologie und Jurisprudenz, von Kirche und Staat durchzieht fast alle rechtsphilosophischen Schriften Hommels.

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1765, also ein Jahr nach dem Erscheinen von Beccarias Schrift „Über Verbrechen und Strafen“ (s.o. Rn. 65),[156] stellt Hommel Kernelemente seines strafrechtskritischen Reformprogramms vor. Unter dem Titel „Principis cura leges“[157] fordert er in einem öffentlichen Vortrag ein Überdenken des bisherigen Strafrechts unter den Gesichtspunkten der Humanität und der Notwendigkeit der Sanktionen zur Sicherung des Gemeinwohls: „Härte schadet, übertriebene Gesetze werden lächerlich und am wenigsten gehalten“ – so fasst Hommel selbst seine zentrale Botschaft zusammen.[158] „Ein Gesetzgeber muss der menschlichen Schwachheit eingedenk sein, und die Natur der Sterblichen kennen; willst du einen Menschen Schwachheiten halber verdammen, so erinnere dich selbst, dass du Mensch bist.“[159]

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Besondere Bedeutung kommt Hommels Schrift „Über Belohnung und Strafe nach türkischen Gesetzen“ zu, die 1770 in erster und 1772 in zweiter, stark erweiterter Fassung erschien.[160] Hommel versucht darin den Nachweis zu führen, dass sich Moral und Strafe mit einem strengen Determinismus vereinbaren lassen, ja mit diesem vereint werden müssen. Der etwas merkwürdige Titel der Schrift ist dadurch zu erklären, dass zu Lebzeiten Hommels die türkische Version des Islam als in besonderer Weise fatalistisch galt. Und doch gab es in der Türkei Moral und (Straf-)Gesetze!

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Die Vorstellung, unter Zugrundelegung eines durchgehenden Determinismus sei Strafe sinnlos oder zumindest ungerecht, jedenfalls wenn man Strafe als Sühne oder gerechte Vergeltung versteht, taucht schon in der Antike auf.[161] Dennoch fand der Determinismus immer wieder Vertreter, die sich auf die Macht des Geschicks, die Allmacht Gottes und (ab der frühen Neuzeit) auf die Geltung der Naturgesetze beriefen. Hommels Determinismus wurzelt in seinem Verständnis des Christentums und der Allmacht Gottes: Wenn Gott alle Taten voraussehen kann, so stehen sie bereits fest und der Mensch vermag daran nichts zu ändern. Hommels wichtigster Gewährsmann für eine deterministische Position ist Martin Luther, dessen Schrift „De servo arbitrio“[162] er immer wieder zitiert. Um die Mitte des 18. Jahrhunderts war der deutsche Protestantismus allerdings überwiegend indeterministisch eingestellt; Christian Wolff musste auf Befehl Friedrich Wilhelms I. binnen 48 Stunden bei Strafe des Strangs Halle verlassen, nachdem dem König zugetragen worden war, Wolff sei ein Determinist.[163]

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Hommels Schrift ist zwar, wie so viele Texte der Aufklärer, nach unserem Verständnis unsystematisch und oft auch redundant, dennoch enthält sie eine originelle und gut durchdachte Verteidigung der deterministischen Position.[164] Das Gefühl von Freiheit hält Hommel für eine Illusion.[165] Nach seiner Konzeption besitzt das Strafrecht vor allem spezialpräventive Funktion. Dabei stellt er Menschen und Tiere konsequent auf eine Ebene: Strafen und Gesetze „haben bey einem Menschen eben die Bedeutung, welche bei einem Hunde der Prügel hat. … Dieser gewöhnet den Tieren Unarten ab. Wenn man ihn schläget, bekümmert man sich nicht darum, ob er frey sey oder nicht, sondern man ist böse und zornig. Was bey dem Hunde der Prügel, das sind bei vernünftigen Geistern Ermahnungen und Gesetze.“[166] Die hier vorgenommene Gleichsetzung von Menschen und Tieren bedeutete wohl schon zu Zeiten Hommels einen Tabubruch, erscheint aber bei Zugrundelegung eines durchgehenden Determinismus nur konsequent.

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Beccarias Schrift „Über Verbrechen und Strafen“ (1764, s.o. Rn. 65)) wurde von Hommel begeistert begrüßt. Er ließ eine Übersetzung anfertigen und verfasste dafür ein sehr eingehendes Vorwort, in welchem er sich in fast allen wesentlichen Punkten den Ideen des Italieners anschloss.

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Hommel war der Rechtspraxis eng verbunden. Seine kritischen Analysen der kursächsischen Gerichtspraxis veröffentlichte er unter dem Titel „Rhapsodia quaestionum in foro quotidie obvenientum“[167] Daneben publizierte Hommel, Thomasius und vielen anderen Aufklärern folgend, populäre Schriften wie die „Litteratura Iuris“[168] und die „Kleinen Plappereyen.“[169]

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1784 gab Karl Gottlob Rössig, Hommels Schwiegersohn, aus dem Nachlass die „Philosophischen Gedanken über das Criminalrecht“ heraus und versah das Werk, welches wesentliche Elemente von Hommels kriminalpolitischem Programm noch einmal zusammenfasst, mit einem ausführlichen Kommentar.[170]

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Bemerkenswert ist Hommel auch für seine Sprachkritik und seine Ironie. Seine Forderungen nach Gedankenfreiheit zeigen ihn als Vertreter der Aufklärung und Intellektuellen modernen Typs. Für heute Leser befremdlich ist ein häufig anklingender antijüdischer Unterton, der sich vor allem gegen die Gesetzesgläubigkeit der Juden richtet.[171]

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