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Die Logik der Abspaltung und die Krise des Geschlechterverhältnisses
ОглавлениеDas aus solchen Gründungsverbrechen entstandene gesellschaftliche Zwangsverhältnis war immer gleichzeitig auch ein entsprechendes Geschlechterverhältnis: Wiederum entgegen allen aufklärerischen Legenden hat die warenproduzierende Moderne die Unterdrückung der Frau nicht gemildert oder gar dem Anspruch nach überwunden, sondern vielmehr als systematisches „Abspaltungsverhältnis“ (Roswitha Scholz) zugespitzt, was sich aus den Ursprüngen der modernen militärischen Revolution erklärt. Im Kern ist Kapitalismus nichts anderes als die Militarisierung der gesellschaftlichen Reproduktion; nicht allein im äußeren Bezug auf die ökonomischen Erfordernisse der ursprünglichen Feuerwaffenproduktion, sondern auch als quasi-militärische Formierung der gesamten Produktionsweise, in der Form von „Armeen der Arbeit“, in der Form der universellen Konkurrenz als eines permanenten ökonomischen Krieges aller gegen alle usw. Alle Momente der Reproduktion und des Lebens, die nicht in diesen Formen aufgehen, werden als „weiblich“ konnotiert, abgespalten, „inoffiziell“ gemacht, als minderwertig gesetzt und ausgegrenzt. Das Warensubjekt ist also seinem Wesen nach „männlich“ und latentes oder manifestes Gewaltsubjekt, auch wenn es partiell Frauen in sich einbegreift. Und in diesem Sinne enthält die kapitalistische Gesellschaft das Moment der Gewaltbereitschaft bis in die Poren des Alltags.
Dieser Gewaltkern des Kapitals, wie er manifest die äußere und innere Kolonisierungsgeschichte bestimmt hat, ist durch alle Formen des kapitalistischen Regimes hindurch bis heute präsent geblieben. Nicht umsonst sind die westlichen Demokratien der Gegenwart in einem historisch beispiellosen Maße militärisch aufgerüstet und mit Vernichtungskapazitäten ausgestattet, während der nach innen gerichtete ebenso beispiellose Apparat der kapitalistischen Menschenverwaltung polizeilich bis an die Zähne bewaffnet und jederzeit auf „innere Unruhen“ oder auch nur Opposition gegen kapitalistische Entscheidungsprozesse gewalttätig zu reagieren bereit ist.
Das Gewaltverhältnis, das die Menschen zu fremdbestimmter, in vieler Hinsicht irrationaler Tätigkeit zwingt, das sie aber gleichzeitig längst in ihrer eigenen bürgerlichen Subjektform mit sich herumschleppen und es selber „sind“, auch im abgespaltenen „weiblichen“ Moment der Reproduktion, ist in stummen ökonomischen und juristischen Formen erstarrt, aber auch in seiner Latenz als direkte männliche Gewalt alltäglich spürbar. Es hat sich in den kapitalistischen Zentren bloß verpuppt und (auch hinsichtlich des Geschlechterverhältnisses) mit der typisch demokratischen Karikatur von Teilhabe maskiert, die in Wahrheit nichts als eine Nötigung zur Selbstverhöhnung darstellt, während die wirklichen Entscheidungen immer schon durch den blinden Gang der Markt- und Konkurrenzprozesse vorprogrammiert sind. In den Zusammenbruchsregionen bricht der latent vorhandene Gewaltcharakter des Kapitalismus offen hervor, weil er nicht mehr juristisch, sozialstaatlich usw. kaschiert und notdürftig pazifiziert werden kann. Die Gewalt der Ökonomie und die Ökonomie der Gewalt sind nur die beiden Seiten derselben Medaille.
Noch in den gebrochensten postmodernen Formen macht sich der männlich-patriarchale und gewaltsame Charakter von Ökonomie wieder unmittelbar geltend, so domestiziert er den blauäugigen postmodernen Demokratietrommlerinnen erschienen war. Noch während die abgerüsteten (Ex-)Feministinnen der „neuen Mitte“ die vermeintliche neue Geschlechtergleichheit als kapitalistische Chancengleichheit feierten, kam in den Strukturen der globalen Plünderungsökonomie stattdessen eben jene „Verwilderung des Patriarchats“ zum Vorschein.
In den prekären Sekundärökonomien am Rande des Weltmarkts, die sich inzwischen auch in den kapitalistischen Zentren breit machen, und die in der Peripherie eng mit der Plünderungsökonomie verzahnt sind, erscheint der abspaltende Charakter des modernen Geschlechterverhältnisses auch dort wieder, wo scheinbar Frauen zunehmend sozial „männlich“ und Männer durch Depravierung sozial „verweiblicht“ werden: „Das Gesamtresultat dieser unaufgehobenen, in der Zersetzung und im Gestaltwandel begriffenen Abspaltung ist prinzipiell gesehen nach wie vor eine Zurücksetzung von Frauen im Gegensatz zu Männern, gerade auch in der epochalen Krise… Dabei sind Frauen heute für ‚Geld und (Über-)leben‘ gleichermaßen zuständig. Dass Frauen nun Funktionen übernehmen, die traditionell Männersache waren, trifft nicht bloß auf,Drittweltländer‘ etwa infolge von Migrationsbewegungen zu, sondern ebenso für die hochindustrialisierten Länder. So müssen zum Beispiel alleinerziehende Mütter auch hierzulande nicht selten im Alltag Mutter und Vater zugleich sein… Dabei treibt selbst dann, wenn … die Erosion des warenproduzierenden Patriarchats sichtbar wird, der Androzentrismus als ‚psychogenetisches Unterbauphänomen‘… immer noch sein Unwesen, auch in modifizierten Leitbildern, emotionalen Befindlichkeiten und Codes, wie sie mit einer veränderten ökonomischen Lage einhergehen“ (Scholz 2000, 132 f.).
Wenn etwa Frauen fast zu 100 Prozent die diversen Selbsthilfeinitiativen in den peripheren Krisen- und Zusammenbruchsregionen tragen (vgl. Scholz, a.a.O., 125), dann geht dies nicht mit einer „politischen“ Aufwertung einher, sondern ist bloß Ausdruck der Abwertung und Auflösung des Politischen, in der die abgespaltene „Weiblichkeit“ die Kastanien aus dem Feuer holen soll. Dasselbe gilt für die Übernahme „männlicher“ ökonomischer und sozialer Funktionen durch alleinerziehende Frauen sowohl in den Zentren wie in der Peripherie: Auch in diesem Sinne gibt es keine Aufwertung des abgespaltenen „Weiblichen“, sondern die Abwertung der sozialökonomischen Reproduktion überhaupt zugunsten der unmittelbaren männlichen Gewaltmenschlichkeit. Der Mann ist jetzt kein pater familias mehr, aber eben nicht zugunsten der Frauen, sondern als völlig entwurzeltes monadisches Konkurrenzsubjekt, das als Gewaltsubjekt die absolute Grenze der modernen gesellschaftlichen Konstitution erscheinen lässt. Es sind fast ausschließlich Männer, von denen die „Armeen“ der Plünderungsökonomie gebildet werden; total verantwortungslose „Streuner“, oft noch halbe Kinder, die durch den Lauf der Kalaschnikow die ältesten Codes des warenproduzierenden Patriarchats in einem absurden Alptraum reproduzieren. Das männliche bewaffnete Kind als letzte misogyne Horrorgestalt der Moderne ist schon mehr als ein Menetekel.
Vielleicht in keinem Punkt hat sich die postmoderne „Chancen“-Ideologie so grausam blamiert wie hinsichtlich des Geschlechterverhältnisses. Die viel beschworene Individualisierung in der globalen „Risikogesellschaft“ sieht eben für Frauen und Männer durchaus verschieden aus, soweit sie sich nicht auf den Karriere-Etagen des neuen Finanzkapitalismus und seiner bizarren Sekundärformen tummeln. Der Kern des ökonomischen Subjekts der Moderne entpuppt sich als männlicher Gewalttäter wie in den frühesten Anfängen dieser Subjektform. Die prekäre „Feminisierung der Beschäftigung“ oder überhaupt der völlige Zusammenbruch der kapitalistischen Re-Produktion wird von einem postmodernen männlichen Realökonomismus anti-emanzipatorisch beantwortet durch zunehmende Gewalt gegen Frauen und Kinder, durch Vergewaltigung, Raub und Mord.