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Öl- und Gasimperialismus: die Sicherung der strategischen Rohstoffreserven

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Aus der Vielfalt der Erscheinungen von Krisenpotentaten, Plünderungsökonomie und weltpolizeilichem Sicherheitsimperialismus ragt allerdings ein Aspekt hervor, der über das Interesse an punktuellen Verwertungsmöglichkeiten verschiedenster Art hinausgeht; und das ist die Sicherung der strategischen Rohstoffreserven, vor allem Erdöl und Erdgas. In diesem Punkt lässt das weltdemokratische Regiment des ökonomischen Terrors am wenigsten mit sich spaßen, denn die fossilen Energieträger mit dem Erdöl an der Spitze bilden den Treibstoff der kapitalistischen Weltmaschine.

Zwar muss auch den borniertesten Akteuren des Weltsystems klar sein, dass der ungeheure Raubbau durch systembedingte permanente Wachstumsökonomie, Individualverkehr, Jets, Militärapparate und Tourismus die zu einigermaßen günstigen Bedingungen abbaubaren Lagerstätten fossiler Energie im Lauf der nächsten Jahrzehnte mit Sicherheit erschöpfen wird (entgegen allen periodisch wiederholten Entwarnungen in dieser Hinsicht). Aber auch in dieser Hinsicht gilt dem weltdemokratischen Kapitalismus umso mehr das Prinzip „nach uns die Sintflut“, und gerade deswegen hat die militärische Sicherung des Zugangs zu dieser entscheidenden Naturressource und ihres permanenten Zuflusses zu den zentralen kapitalistischen Industrien einen hohen Stellenwert für den „ideellen Gesamtimperialismus“ und seine Weltpolizei.

Das Zentrum dieses sicherheitsimperialistischen Interesses Nr. 1 liegt nach wie vor im Nahen Osten; aber zunehmend rückt auch der kaspische Raum mit seinen bis jetzt nur gering erschlossenen Lagerstätten ins Visier der weltdemokratischen Sicherheits-Strategen, zumal diese Weltregion nach dem Zusammenbruch der staatskapitalistischen Sowjetunion in die typischen Verlaufsformen von Staatszerfall, Plünderungsökonomie usw. übergegangen ist und insofern im Hinblick auf die strategischen Energiereserven ein hohes Unsicherheitsniveau, also auch „Befriedungsbedarf“ aufweist.

Es wäre allerdings verfehlt, die bisherigen Weltordnungskriege und weltpolizeilichen Interventionen seit dem Ende der bipolaren Konstellation direkt und eindimensional aus diesem energiepolitischen Interesse abzuleiten und eine ebenso umfassende wie weitreichende, einzig darauf bezogene sicherheitsimperialistische Strategie zu unterstellen, in der insbesondere die Balkan-Interventionen einen eindeutigen Status hätten. Ebenso wenig handelt es sich um einen nunmehr auf rein energiepolitische Interessen reduzierten Anschluss an die alte „Geopolitik“, die ja ihrem Wesen nach nationalimperial und territorial bestimmt war.

Vielmehr überlagern sich bei den diversen Interventionen allgemeine ökonomische, „symbolische“ (Statuieren von Exempeln) und spezifisch energiepolitische Interessen des Sicherheitsimperialismus, der überdies von großen Unklarheiten geprägt, von irrationalen Ängsten und Zwängen getrieben, also selber Moment eines blinden Weltkrisenprozesses und alles andere als ein souveräner Akteur ist.

Wichtig im Sinne des kruden, aber nicht isolierbaren energiepolitischen Interesses ist dabei nicht mehr irgendeine nationale Kontrolle über die Rohstoffgebiete vor allem im Nahen Osten und neuerdings am kaspischen Meer; diese würde ja auch gar keinen Sinn machen angesichts einer transnationalen Zerstreuung der Betriebswirtschaft über alle Räume der Kapitalverwertung. Das gilt auch für die im neu zu erschließenden kaspischen Raum agierende Erdölindustrie selbst. Durch die Bank sind dabei transnationale Ölkonzerne die wichtigsten Akteure. Soweit in diesem Zusammenhang überhaupt ein nationaler Akzent sichtbar ist, handelt es sich um das Übergewicht US-amerikanischer Muttergesellschaften, was in diesem strategischen Sektor nur der irreversiblen politisch-militärischen US-Hegemonie entspricht.

Davon abgesehen sind es Konsortien, die gemeinsam von transnationalen Mineralölkonzernen gebildet werden; darunter außer US-amerikanischen vor allem französische, italienische und norwegische Unternehmen - auch deutsche, aber bislang eher unter „ferner liefen“. Auf nationale Zugehörigkeiten verweisende Firmennamen sind dabei sowieso irreführend, denn die Konkurrenzverhältnisse der Konsortien im kaspischen Raum verlaufen völlig quer zu nationalen Zuordnungsverhältnissen. Das gilt auch für die Besitzverhältnisse, in denen sich wie auch sonst in der globalisierten Ökonomie des Kapitals immer weniger nationale Zugehörigkeiten ausmachen lassen: wie sich ein deutsches Unternehmen tatsächlich in japanischem, amerikanischem, französischem usw. Besitz (und umgekehrt) befinden kann, so wird auch die Exploration und Förderung des strategischen Rohstoffs Nr. 1 zunehmend von bunt gemischten und oft undurchsichtigen Konzern-Konglomeraten betrieben.

So war bei den zahlreichen Pipeline-Projekten aus dem kaspischen Raum die argentinische Gesellschaft Bridas der Hauptkonkurrent der kalifornischen Erdölfirma Unocal, was wohl kaum auf die strategische Positionierung eines „argentinischen Nationalimperialismus“ in Mittelasien hindeutet (wie es aus der Sicht der notorischen „geopolitischen“ Quacksalber eigentlich erscheinen müsste). Das Konsortium „Kazgermunai“ für die Erschließung von Ölfeldern in Kasachstan wiederum, an dem zu 42,5% die deutschen Firmen RWE-DEA Aktiengesellschaft für Mineralöl und Chemie und die Erdöl-Erdgas Gommern GmbH beteiligt sind, zu 7,5% die Weltbanktochter International Finance Corporation und zu 50% die einheimische Ölgesellschaft KazachOil, wäre ein schlechtes Beispiel für eine vermeintliche deutsch-nationalimperiale Ölstrategie - denn die KazachOil ist längst von dem kanadischen Konzern Hurricane Kumkol Munai (HKM) übernommen worden.

Angesichts der sich globalisierenden und gleichzeitig an ihre Grenzen stoßenden Ökonomie des Kapitals kommt es überhaupt nicht auf nationale Machtverhältnisse bei der Sicherung der strategischen Rohstoffreserven an; auch die USA agieren sowohl im Nahen Osten als auch im kaspischen Raum in diesem Sinne nicht als nationalimperialer Akteur, sondern eben als Haupt des globalen Sicherheitsimperialismus im Namen des „freien internationalen Zugangs“ zu den Ölreserven nach Maßgabe der Zahlungsfähigkeit. Wichtig ist einzig und allein, dass überhaupt der zentrale „Stoff“, das Lebenselixier für die destruktive kapitalistische Verbrennungskultur, weiterhin reichlich und ungehemmt, möglichst auch zu billigen Preisen fließen kann.

Wie auch in anderer Hinsicht tritt der „ideelle Gesamtimperialismus“ in der Energiepolitik als Garant für die unersättlichen Bedürfnisse der transnationalen Kapitale auf, die ihrerseits die Bedingung seiner Existenz bilden. Und wie auf allen anderen Ebenen müssen auch hinsichtlich der strategischen Rohstoffreserven die übrig gebliebenen nationalen Rivalitäten in den Hintergrund treten.

Gerade beim Poker um das kaspische Öl finden die hauptsächlichen Rangeleien auf westlicher Seite weniger zwischen unterschiedlichen „nationalen Interessen“ als vielmehr zwischen den ökonomischen und den politisch-militärischen Akteuren statt: Während vor allem die US-amerikanischen Öl-Multis aus schieren Kostengründen vehement Pipeline-Routen über russisches bzw. russisch kontrolliertes und sogar iranisches Territorium befürworten, wollen die ebenfalls hauptsächlich US-amerikanischen Strategen der sicherheitsimperialistischen Administration unbedingt ziemlich kostenträchtige und unrentable Routen über die Türkei auf den Weg bringen. Aber für diese „politische Pipeline“ finden sich vorerst keine Investoren.

Selbstverständlich sind auch die sicherheitsimperialistischen Vorbehalte gegenüber Russland, China und dem Iran in Mittelasien nicht „geostrategisch“ im alten nationalimperialen Sinne begründet, sondern aus dem Argwohn heraus, dass diese nationalstaatlichen Akteure selber zu instabil und unberechenbar sind, um als Garanten für eine Sicherung der kaspischen Rohstoffreserven mitwirken und eingespannt werden zu können. Für alle strategischen Rohstoff-Regionen gilt: „Stabilität“ und kapitalistische „Freiheit des Zugangs“ um jeden Preis hat Priorität, egal wer sie mit welchen Mitteln unterstützt.

Im übrigen darf der Run auf den kaspischen Ölreichtum auch nicht überschätzt werden. Abgesehen von den enormen Erschließungs- und Transportkosten ist die Lagerkapazität vermutlich geringer als zunächst angenommen: „Die geschätzten Erdölreserven im Kaspischen Meer sind bei weitem nicht mit jenen in der Golfregion zu vergleichen. Der Umfang der vermuteten Vorräte liegt in der Größenordnung der Reserven in der Nordsee, vielleicht etwas darüber, also unter fünf Prozent der geschätzten Weltreserven“ (Neue Zürcher Zeitung, 14.12.1998). Die Euphorie von Mitte der 90er Jahre über eine angebliche „zweite Golfregion“ ist denn auch inzwischen weitgehend verflogen; die Pipeline-Projekte wurden großenteils nicht verwirklicht, die Ölkonzerne haben ihre Präsenz auf eine verhältnismäßig kleine Dimension zurückgefahren.

Mittelasien wird als Rohstoffregion weder im phantasmatischen „geostrategisch-nationalimperialen“ noch im realen sicherheitsimperialistischen Sinne eine Art weltstrategischen Showdown erleben. Was bleibt, ist der Stellenwert einer flankierenden Option gegenüber den weiterhin zentralen strategischen Ölreserven der Golfregion: Die langsame aber sichere Erschöpfung anderer Reserven (nicht zuletzt in der Nordsee) aufgrund des kapitalistischen Raubbaus hat bereits jetzt den Anteil des Nahen Ostens an der globalen Ölförderung trotz aller Diversifizierungsmaßnahmen des Westens derart in die Höhe getrieben (bis 2010 wird er auf 50% hochschnellen), dass der kaspische Ölreichtum längerfristig auch bei gedämpften Erwartungen als Ausweichreserve interessant bleibt.

Ob im Nahen Osten, im kaspischen Raum oder anderswo: Es ist der „ideelle Gesamtimperialismus“ des Westens, der seine gepanzerte Faust auf alle, auch auf die letzten Reserven der fossilen Energieträger dieser Erde legt. Je näher das sozialökonomische Ende der kapitalistischen Verbrennungskultur rückt und je mehr sich auch die physischen Reserven erschöpfen, desto unerbittlicher müssen die politisch-militärischen Apparate des transnationalen Kapitalismus den „ungehinderten Zugang“ noch zur letzten Ölquelle freischießen. Die fossilen Brennstoffe, an vorderster Stelle das Erdöl, sind und bleiben die energetische Basis der kapitalistischen Selbstzweck-Ökonomie; auf dem Boden dieser Produktions- und Lebensweise, im Rahmen ihres Naturverständnisses und ihrer Denkweisen gibt es keine andere Möglichkeit. Und die Welt kann sicher sein: Um die Gier nach dem versiegenden Treibstoff ihrer Weltmaschine zu befriedigen, wird die vereinigte Weltdemokratie notfalls nicht nur einzelne „Schurkenstaaten“, sondern auch halbe Kontinente in Trümmer legen.

Weltordnungskrieg

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