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Sicherheitsimperialismus

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Es erhebt sich natürlich die Frage: Wozu all der Aufwand? Warum will der „ideelle Gesamtimperialismus“ der NATO unter unanfechtbarer Führung der USA mit derart brüchiger ideologischer Legitimation unbedingt eine Welt militärisch befrieden, mit der er sowieso größtenteils territorial nichts mehr anfangen kann? Warum überlässt er die Masse der „Herausgefallenen“ nicht einfach ihrem Schicksal und ihrem dunklen Drang, in der Fortsetzung kapitalistischer Konkurrenz mit anderen Mitteln sich gegenseitig umzubringen?

Im Einzelfall kann dies durchaus auch eine Option sein. So wurde die noch mit UNO-Mandat 1993 durchgeführte Intervention in Somalia jämmerlich abgebrochen, nachdem die aus vielen UNO-Staaten bunt zusammengewürfelten Interventionstruppen in peinlich erfolglosen Gefechten mit einheimischen Clan-Milizen aufgerieben zu werden drohten und sich aus den undurchsichtigen Zusammenhängen eines bereits weit fortgeschrittenen Staatszerfalls nicht einmal andeutungsweise so etwas wie ein „politischer“ Ansprechpartner herausdestillieren ließ. Dass der damalige deutsche Verteidigungsminister Volker Rühe beim pompösen Truppenbesuch vor laufenden Kameras im Wüstensand stolperte und der Länge nach hinschlug, hatte symbolischen Charakter.

Der Rückzug war einer der kläglichsten und von unmissverständlichen Erscheinungen am Flughafen von Mogadischu begleitet: „Die Schützenpanzer der pakistanischen Blauhelme waren im Morgengrauen noch nicht abgerückt, da strömte die Menge auf das Gelände und trug in fliegender Hast Möbel, Teppiche, Elektroeinrichtungen und alles irgendwie Verwertbare fort. Die abrückenden 1500 Pakistaner, die letzten Blauhelme in Somalia, zogen sich in den Seehafen Mogadischus hinter die Linien der amerikanischen und italienischen Marinesoldaten zurück, die die Evakuierung der Blauhelme absichern. Bewaffnete Anhänger des somalischen Milizenführers Mohammed Farah Aidid vertrieben die Plünderer schließlich mit Schüssen vom Flughafen und übernahmen die Kontrolle des Geländes“ (dpa, März 1995). Das einzige Resultat der ganzen Operation bestand also darin, dass die unorganisierte Plünderungsökonomie wieder von der organisierten Bandenherrschaft abgelöst wurde.

Nicht zuletzt aus dieser Erfahrung heraus zog man die Schlussfolgerung, sich bei weltpolizeilichen Aktionen mehr auf die NATO, auf Hightech-Militär und auf gezielte Luftschläge zu konzentrieren, wie sie dann vor allem gegen Jugoslawien und im endlosen Folgekonflikt mit dem Irak zum Einsatz kamen. Damit ist allerdings der Aktionsradius der kapitalistischen Weltpolizei bereits arg reduziert: Einerseits gibt es Länder und Regionen wie Russland, China, Pakistan, Indien etc., an die man sich selbst bei kapitalistischem Befriedungsbedarf kaum heranwagen kann; andererseits hat die Somalia-Erfahrung dazu geführt, dass andere Länder und Regionen wie ganz Zentralafrika etc. als zu unbedeutend eingestuft und tatsächlich vorerst ihrem Schicksal der inneren Zerfleischung in der barbarisierten Krisenkonkurrenz überlassen wurden.

Aber der weltpolizeiliche Herrschaftsanspruch kann dennoch nicht fallengelassen werden. Es stimmt nicht, wenn Enzensberger behauptet, dass sich das Kapital und seine Gewalt-Repräsentanz „von den Kriegsschauplätzen zurückzieht“. Der Kontrollanspruch muss sich weiterhin und sogar verstärkt dort manifest äußern, wo die Einstufung von Risiko und „Interventionswert“ es zulässt; und er muss als grundsätzliche Drohung auch dem Rest der Welt gegenüber latent bleiben. Wie in kapitalistischen Verhältnissen nicht anders zu erwarten, lässt sich auch dieser „Interventionswert“ letztlich als ökonomische Bestimmung erklären.

Dabei sind zwei Dinge in Erinnerung zu rufen. Zum einen hat die Krise der dritten industriellen Revolution ja längst auch die Staaten des kapitalistischen Zentrums selbst erfasst. Zwar ist die Weltkrise dort noch nicht so weit fortgeschritten wie in den großen Räumen der Peripherie, aber durchaus bereits präsent genug, um weit gehende Handlungszwänge zu setzen. Auch im Westen schrumpft die Kaufkraft großer Massen, auch im Westen hat sich bereits ein Menschensockel von „Überflüssigen“ gebildet, auch im Westen ist letzten Endes die Reproduktionsfähigkeit des Kapitals gefährdet.

Zum andern hat die Globalisierung als Reaktion auf dieses Problem dazu geführt, dass sich die einzelnen Kapitalien betriebswirtschaftlich über den Globus zerstreuen. An die Stelle territorialer Reproduktionsräume des Kapitals treten deterritorialisierte Profit- und Produktivitäts-Inseln: weltweite betriebswirtschaftliche Wertschöpfungsketten, die quer zu den austrocknenden nationalökonomischen Territorien verlaufen. Die deterritorialisierte Betriebswirtschaft simuliert eine reproduktionsfähige Welt des Kapitals, die mit den Territorien der „Überflüssigen“ nichts mehr zu tun haben und diese doch an der Kandare halten soll.

Natürlich verteilt sich diese Betriebswirtschaft des transnationalen Kapitals mit unterschiedlicher Dichte über den Globus. In der Triade des kapitalistischen Zentrums (Japan, Nordamerika, Westeuropa) findet sich auch die größte Dichte des transnationalen Kapitals; der Löwenanteil globalisierter Wertschöpfungsketten und der dazugehörigen transnationalen Investitionen und Ströme des Finanzkapitals konzentriert sich auf diese verhältnismäßig kleinen Weltregionen, während die Dichte der Globalisierung in der Peripherie immer mehr abnimmt und gegenwärtig vor allem in Afrika nur noch als gewissermaßen homöopathische Dosis zu verzeichnen ist.

Aber Kleinvieh macht eben auch Mist. Will sagen: Je deutlicher die inneren Schranken der kapitalistischen Produktionsweise in Erscheinung treten, desto größer wird auch das Bedürfnis des transnationalen Kapitals, selbst noch die kleinste Insel von Kosten-Rentabilität, Kaufkraft und Profitmöglichkeit ausnutzen zu können. Deterritorialisierung verlangt punktuelle Omnipräsenz in allen Zonen kapitalistischer Reproduktionsfähigkeit, um überall abschöpfen zu können, wo es noch irgendetwas abzuschöpfen gibt.

Dieses punktuelle Interesse kann in den riesigen, ökonomisch größtenteils unverwertbaren Räumen der Peripherie verschiedene Formen annehmen. Noch das kleinste Rinnsal der abnehmenden Kaufkraft, und sei es eine plünderungsökonomisch vermittelte, soll auf die Mühlen des transnationalen Kapitals gelenkt werden. Dasselbe gilt für kleine und kleinste Produktivitäts-Inseln, wo sich (oft nur vorübergehend) Prozesse der Lohn Veredelung im Rahmen transnationaler Wertschöpfungsketten rechnen, auch wenn die große Masse der jeweiligen Bevölkerung unbrauchbar bleibt.

Vor allem aber müssen die Räume der Peripherie dem Kapitalismus als Rohstoffreservoirs erhalten werden; von seltenen Metallen bis hin zu den pharmakologischen Reserven der tropischen Wälder, deren Ausbeutbarkeit im Zeitwettlauf mit der kapitalistischen Vernichtung dieser Wälder garantiert bleiben soll, solange es sie noch gibt. Und schließlich besteht ein Interesse daran, die klimatische und landschaftliche Erbaulichkeit der peripheren Weltregionen, solange auch diese noch nicht kapitalistisch ruiniert ist, für einen ebenso punktuellen Tourismus der Besserverdienenden aus den Zentren (allerdings gilt auch hier: solange es sie noch gibt!) zur Verfügung zu halten.

Die kapitalistische Weltdemokratie verlangt also von einer größtenteils unverwertbar gewordenen Welt, dass der Verwertungs- und Verwüstungsprozess dort ungestört weiterlaufen kann, wo er auch nur im Miniaturmaßstab noch möglich ist. Die Unbrauchbaren sollen sich in ihr Schicksal fügen und „standortpolitisch“ zu Billigstbedingungen um die Aufmerksamkeit der „Investoren“ betteln; „frei“ und ungehindert soll der Zugang zu den Inseln der Profitabilität in den Ozeanen des Elends sein; die guten Dinge der ansonsten unbrauchbaren Welt sollen zu Elendspreisen ohne Ende in den kapitalistischen Reproduktionskreislauf eingespeist werden oder verrotten. Auf dem Weg zum Strand sind gefälligst die Jammergestalten wegzuräumen, damit ihr Anblick das Auge der Weltdemokraten nicht beleidigt und die ausgestreckten Hände das Entspannungsvergnügen der hart arbeitenden Marktwirtschaftsmenschen nicht belästigen. Wer in einem Hungergebiet einen Delikatessenladen für die restlichen Zahlungsfähigen eröffnet, soll unbeeinträchtigt vom „Neid“ der Unbrauchbaren seinen für die Region doch allemal segensreichen Geschäften nachgehen können; und im Prinzip sollte selbst ein Warlord vom Nachbarpotentaten nicht umgebracht werden, bevor er seine Benz-Karosse bezahlt hat. Mit einem Wort: Das Interesse geht dahin, den Kapitalismus samt seiner „Marktwirtschaft-und-Demokratie“ auch dort als die einzig „gültige“ Reproduktionsform zu erhalten, wo das Kapital kein allgemeines gesellschaftliches Verhältnis mehr sein kann.

Es geht also nicht mehr um territoriale, aber um soziale, „postpolitische“ und weltpolizeiliche Kontrolle im Sinne einer Eingrenzung der katastrophalen Folgeprozesse, wie sie aus den in dichter Folge ablaufenden ökonomischen Zusammenbrüchen herauswachsen. Der Zentralbegriff für das dabei entstehende Problem heißt „Sicherheit“. Der „ideelle Gesamtimperialismus“ der NATO ist daher im wesentlichen ein Sicherheitsimperialismus: Die Sicherheit der insularen Geschäftsabläufe transnationaler Wertschöpfungsketten, Rohstofflieferungen, Geldanlagen usw. in den ansonsten unbrauchbaren Weltterritorien soll unter Ignoranz gegenüber der jeweiligen gesamtgesellschaftlichen Reproduktionsunfähigkeit gewährleistet werden.

Unerwünschte Störfaktoren dieser Sicherheit lassen sich auf einer Makro- wie auf einer Mikro-Ebene feststellen. Auf der Makroebene sind es unliebsame, „wildgewordene“, aus anderen Konstellationen übrig gebliebene oder sonst wie sich der Kontrolle etwa der internationalen Finanzinstitutionen entziehende Regimes staatlicher oder halbstaatlicher Natur, die sich in irgendeiner Weise querlegen, den freien Zugang des transnationalen Kapitals zu Naturressourcen, Restmärkten etc. verweigern oder geld- und wirtschaftspolitisch krampfhaft (und oft schon verknüpft mit plünderungsökonomischen oder rein kleptokratischen Interessen) an alten nationalökonomisch-nationalstaatlichen Regularien festhalten wollen, durch eigenmächtige binnengesellschaftliche Militäroperationen die Geschäftssicherheit gefährden, als „Unterstützer des Terrorismus“ gelten usw.

An Kandidaten für den Status des Verbrecherregimes oder Schurkenstaats in diesem weltpolizeilichen Sinne herrscht wahrlich kein Mangel. Außer dem Irak und Restjugoslawien wurden bereits der Iran, der Sudan und Libyen mit diesem Titel belehnt; Indonesien, Malaysia, die Philippinen und Mugabes Simbabwe sind zeitweilig knapp daran vorbeigeschrammt. Ein Problem bei der Somalia-Mission war wohl, dass nicht rechtzeitig und eindeutig ein Generalschurke definiert worden war.

Auf der Mikroebene handelt es sich um die zahllosen Terrorgruppen, Mafiabanden, lokalen Warlords, um die marodierenden Restbestände zerfallender Staatsapparate und ziellos gewordener Guerillaorganisationen, schließlich auch um die vielfältigen Erscheinungen individueller Massenkriminalität, wie sie aus den sozialökonomischen Krisen- und Zusammenbruchsprozessen notwendig hervorgehen.

Es stört den kapitalistischen Funktionszusammenhang, wenn in Lateinamerika US-Manager des transnationalen Kapitals fast schon gewohnheitsmäßig zwecks Lösegeld gekidnappt werden (dort hat sich eine regelrechte „Kidnapping-Industrie“ entwickelt), wenn jugendliche Einbrecher in der chinesischen Provinz einen deutschen Siemens-Manager samt Familie abmetzgern, wenn europäische Touristen auf den Philippinen monatelang als Geiseln von Separatisten gehalten, in Kenia von arbeitslosen Stromern ausgeraubt und vergewaltigt, in Ägypten von islamischen Fundamentalisten verbrannt und in die Luft gesprengt werden.

Das Drama der aus einem malaysischen Touristencamp von philippinischen „Moslemrebellen“ verschleppten deutschen Familie Wallert z.B. wurde zum Stoff der Regenbogenpresse und brachte selbst den vernageltsten deutschen Tourismus-Spießern aus den Provinz-Idyllen der Besserverdienenden einen Hauch von Barbarisierung der kapitalistischen Weltgesellschaft nahe. Wie bei allen anderen Krisenerscheinungen werden allerdings auch diese wieder sekundär vom kapitalistischen Bewusstsein und dem entsprechenden Geschäftssinn besetzt. Zu den Entführern auf den Philippinen pilgerten die internationalen Medien und machten eine quotenträchtige Inszenierung daraus, nicht zuletzt aus der Aufführung der Frau Wallert, die das Verhältnis von Hysterie und Verständnislosigkeit im demokratischen Hirn einer anspruchsberechtigten westlichen Urlauberin angesichts der Dritte-Welt-Realität darstellen durfte. Bei wirklichen Katastrophen werden solche Panik-Solisten, denen gar nichts fehlt, die aber ihr vorrangiges Recht auf Rettung lautstark und effektvoll inszenieren, meistens tatsächlich als erste gerettet, oft auf Kosten der stilleren Verzweiflung und der ernsthafter Verletzten. Spötter könnten sagen, dass vielleicht nicht viel daran fehlte, und die Kidnapper hätten selber die Zahlung von Lösegeld angeboten, um die Dame wieder loszuwerden, weil sie auf die Furchtbarkeit einer deutschen Mittelstandsfrau einfach nicht vorbereitet waren. Dazu passt, dass Familie Wallert ihr Abenteuer auch noch geschäftstüchtig medial vermarktet hat, wenn man einschlägigen Presseberichten trauen darf.

Solche und ähnliche Erscheinungen tauchen zunehmend im Kontext der touristischen Krisenzonen auf. Hier deutet sich allmählich ein perverser Sekundärmarkt für Abenteuertourismus an; etwa wenn junge westliche Touristen eigens in den Jemen reisen, um sich von einheimischen Clans entführen und von den jeweiligen Botschaften oder Konsulaten wieder auslösen zu lassen. Nichts ist unmöglich, was die absurde Konsumwut und Erlebnisgeilheit der geistig abgestumpften Geldverdiener angeht. Aber diese Erscheinungen bleiben sekundär. Aufs Ganze gesehen ist das wachsende Sicherheitsdefizit in den globalen Krisenregionen Sand im Getriebe des Weltsystems und die Auswirkungen schlagen negativ als Verluste und Kostenfaktoren zu Buche.

Empfindliche Störungen machen sich auch bei den maritimen Handelswegen und Versorgungsstrecken des transnationalen Kapitals bemerkbar. Denn die Plünderungsökonomie bezieht sich nicht nur darauf, dass zusammengebrochene Nationalökonomien ausgeschlachtet und als Feind definierte Ethno-Gruppen oder schlicht irgendwelche Familien und Individuen in den sozialökonomisch verödeten Regionen ausgeraubt werden. Geplündert werden auch „die Schiffe mit den Schätzen der Weltwirtschaft“ (Der Spiegel 34/2001). Es ist ein starkes Indiz für den globalen Zusammenbruchsprozess der warenproduzierenden Moderne, dass eine Erscheinung aus ihrer Frühzeit massiv zurückkehrt: die Piraterie. Im asiatischen Pazifik, im Indischen Ozean, im Arabischen Meer, im Atlantik zwischen Afrika und Südamerika „erlebt der Totenkopf eine Renaissance“ (a.a.O). Mit Macheten und Äxten wie in klassischen Zeiten, aber auch längst mit modernen Schnellbooten, Schnellfeuergewehren und sogar schweren Waffen machen die Piraten Jagd auf Frachter wie auf simple Fischerboote. Und wie bei den Warlords zu Lande hat die neue Piraterie bereits ihre legendären Gestalten hervorgebracht: „Einer der brutalsten Nachfahren der Freibeuter ist Aliasa Bungalos, der in den Gewässern der Südphilippinen als ‚Commander Alex‘ auf Jagd geht“ (a.a.O.). Erbeutet wird alles, was nicht niet- und nagelfest ist, Geld, Schmuck, Sachgüter, aber auch ganze Schiffe. Die Brutalität nimmt dabei, ebenfalls wie bei der Festland-Plünderungsökonomie, Züge von sinnlosen Bluträuschen an: „Seeräuber waren in einer Novembernacht des Jahres 1998 in Zöllneruniform auf den Frachter ‚Cheung Son' gekommen, der Hochofenschlacke von Schanghai nach Malaysia bringen sollte. Sie überwältigten und knebelten die Besatzung. Zehn Tage nachdem sie das Schiff gekapert hatten, erschlugen die Piraten ihre Gefangenen; die 23 Toten warfen sie, an Gewichte gekettet, über Bord… Doch auch die Killer überlebten das Blutbad nicht lange. Polizisten aus Südchina stießen bei einer Razzia auf Bilder der Seeräuber, die sich bei dem Massaker gegenseitig fotografiert hatten. Die Schlächter wurden hingerichtet“ (Der Spiegel, a.a.O.).

Der rapide absinkende Sicherheitsstandard auf den Weltmeeren hat nicht nur Reedereiverbände, Versicherungen und Tourismusunternehmen alarmiert. Mit zunehmender Professionalität der Piraten geht auch immer mehr wertvolles Frachtgut verloren, darunter ganze Öltanker samt Ladung, die dann auf den transnationalen Schwarzmärkten verscherbelt wird. Das besonders von Seetransporten abhängige Japan fürchtet bereits um seine Hauptversorgungsadern. Und die zunehmende Piraterie lässt sich wie ihre Schwesterunternehmen zu Lande eindeutig auf die von der Logik des Weltmarkts verursachten sozialökonomischen Zusammenbruchsprozesse zurückführen; nicht zuletzt in Südostasien, wo die sozialen Folgen der Krise von 1997/98 erst richtig einsetzen, während auf der Ebene der Finanzmärkte eine (falsche und kurzsichtige) Entwarnung gegeben wurde: „Die Piraten von heute sind Opfer und deshalb auch Resultat des Zusammenbruchs der Tigerstaaten. Die Firmenbankrotte von 1998 schlugen mit Verspätung in den Dörfern an der Küste durch; die Läden waren leer, die Ersparnisse weg - und draußen auf dem Meer wurden die Schätze der Weltwirtschaft vorbeigeschippert: Elektronik, Lebensmittel, Öl“ (der Spiegel, a.a.O.).

Nur selten taucht dieser reale Zusammenhang von Ursache und Wirkung in den westlichen Medien auf, überhaupt nie im Räsonnement der weltdemokratischen Ideologie. Wenn in Südostasien die Ersparnisse der Massen „weg“ sind, dann natürlich deswegen, weil deren finanzkapitalistische Verbrennung identisch war mit der Sanierung der westlichen „Investoren“ durch den IWF.

Egal ob Kidnapping, Ausplünderung und Ermordung von Touristen oder eben Piraterie: Im Einzelfall gibt es auf dieser Mikroebene der globalen „Unsicherheit“ gleichfalls Interventionen in Form von geheimdienstlichen Aktivitäten, Satellitenüberwachung, Einsatz von Sonderkommandos usw. So werden zunehmend detaillierte Pläne für Auslandseinsätze im Mikro-Maßstab entwickelt, die nichts mehr mit den alten nationalimperialen Strategien zu tun haben, sondern weltpolizeilichen Charakter tragen: „Die Bundeswehr plant eine neue Spezialtruppe für Einsätze an fernen Küsten. Generalinspekteur Harald Kujat will ein Regiment Marine-Infanteristen mit rund 1000 Soldaten aufstellen, ähnlich den,Ledernacken‘ der US-Marines… Für den Transport der Truppe soll die Marine zwei große Landungsschiffe … anschaffen. Sie werden Hubschrauber tragen und als schwimmende Kommandozentrale und Lazarett dienen - etwa bei der Befreiung von Touristen aus der Hand von Geiselnehmern“ (Der Spiegel 29/2001).

In der Regel ist dieses Feld freilich zu weit, als dass es dem direkten Zugriff eines globalen Sicherheitsimperialismus ausgesetzt sein könnte. Stattdessen werden die diversen Regimes periodisch ermahnt, ihre „Sicherheitsstandards“ zu erhöhen, sie bekommen weltpolizeiliche Hilfe aller Art (z.B. Schulung von Polizeitruppen) angeboten etc. Und auch in dieser Hinsicht wird zwischen gutwilligen und weniger gutwilligen Regimes und Krisenpotentaten unterschieden, um mit Restriktionen oder Belohnungen (in erster Linie durch Kredithilfen von IWF und Weltbank) winken zu können.

Die Mikro- und die Makro-Ebene des Sicherheitsimperialismus und seiner Motive gehen ständig ineinander über; die fortschreitende Weltkrise bringt in dieser Hinsicht immer neue und überraschende Erscheinungen hervor. Tatsache ist, dass die gewünschte „Sicherheit“ letzten Endes nicht hergestellt werden kann, eben weil der ökonomische Totalitarismus der kapitalistischen Weltdemokratie selber die Ursache des allgemeinen Sicherheitsverlusts ist.

So hat sich einerseits das globalisierte Kapital zunehmend darauf eingestellt, mit den „Sicherheitsrisiken“ in einer wachsenden Zahl von Weltregionen leben zu müssen. Die punktuellen Geschäfte werden trotzdem gemacht, die vor Ort eingesetzten Manager und Angestellten samt ihren Familien haben dieses Risiko eben zu tragen. Für die meisten Länder Afrikas, Asiens und Lateinamerikas (und inzwischen auch für Osteuropa) gibt es „Sicherheits-Guides“ mit entsprechenden Verhaltensempfehlungen; oft werden auch einheimische Body-Guards angeheuert oder gleich eigene Sicherheitsdienste mitgebracht. Andererseits hat sich der politische und militärische Apparat des Sicherheitsimperialismus darauf eingestellt, einen Endloskrieg gegen die „Störpotentiale“ zu führen, der zwar nicht gewonnen werden, aber diese doch hinhaltend eindämmen kann.

Die Großinterventionen auf der Makro-Ebene staatlicher oder pseudostaatlicher Verhältnisse und Konflikte stellen nur die augenfälligste Aktivität dieses globalen Interventionismus dar. Strategisch durchkalkuliert werden dabei nur Interventionen, die in die Größenordnung von veritablen Weltordnungskriegen hineinreichen wie die Strafexpeditionen gegen die Regimes von Saddam Hussein und Milosevic. In den meisten Fällen handelt es sich eher um symbolische Aktionen, die Präsenz zeigen und das weltdemokratische Drohpotential vorführen sollen.

Dass etwa im Sudan nachgewiesenermaßen eine harmlose Arznei- und Düngemittelfabrik von US-Kampfbombern in Schutt und Asche gelegt wurde, hat deswegen so wenig Aufregung verursacht, weil es dabei gar nicht auf ein taktisches militärisches Ziel ankam, sondern nur auf die abschreckende Wirkung - und weil dieses Motiv von der weltdemokratischen Öffentlichkeit weitgehend geteilt wird. Sobald es um die „Sicherheit“ des eigenen bornierten Weltbildes geht, ist die Frage der empirischen Wahrheit gegenstandslos geworden und die „freien“ Medien erweisen sich als eine Mauer des Schweigens. Die Bevölkerungen der vom Weltmarkt überrollten Krisen- und Risikogebiete sind nicht nur Geiseln ihrer Krisenpotentaten, sondern eben auch Kanonenfutter für den westlichen Sicherheitsimperialismus, um die größeren und kleineren Machthaber Mores zu lehren und um überhaupt die gefährliche Masse der Herausgefallenen einigermaßen unter Kontrolle zu halten.

Weltordnungskrieg

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