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Die letzte Weltmacht an der historischen Systemgrenze

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Überwältigend ist die Hegemonie der einzigen übrig gebliebenen Supermacht USA somit im Verhältnis zu den anderen sogenannten Mächten der kapitalistischen Welt, seien es die Europäische Union (EU), Japan, das heruntergekommene und auch militärisch verlotterte Russland oder die Pseudo-Regionalmächte vom Iran bis zu Indien, Pakistan oder gar dem vermeintlichen Koloss China, dessen ungeheure Bevölkerungsmasse im umgekehrten Verhältnis zu seiner sowohl ökonomischen als auch politisch-militärischen Potenz steht. Darin zeigt sich eine grundlegende Tendenz der weltkapitalistischen Entwicklung, in der die Ungleichzeitigkeiten, Disparitäten und uneinholbaren Abstände in der Reproduktionsfähigkeit des Kapitals umso mehr zunehmen, je unwiderstehlicher sich das Kapitalverhältnis irreversibel als unmittelbares Weltverhältnis darstellt und die nationalen Grenzen in vieler Hinsicht zu verschwimmen beginnen.

Die USA sind allerdings ironischerweise nur in dem Maße zur nicht mehr einholbaren Weltmacht Nr. 1 des Kapitals geworden, wie sich die kapitalistische Produktionsweise als solche zu erschöpfen beginnt. Hatten die früheren europäischen Vormächte ihre nationalen Trümpfe in bestimmten Epochen des kapitalistischen Aufstiegs zum globalen System ausgespielt, also im Binnenraum der bürgerlichen Modernisierungsgeschichte, so ist die Hegemonie der USA bereits an den Grenzen des Kapitalismus als gesellschaftlicher Reproduktionsform angesiedelt. Insofern sind die USA am Ende des 20. Jahrhunderts nicht nur die einzige, sondern auch die letzte Weltmacht. Es ist wie im Märchen: In dem Augenblick, in dem sich der Traum erfüllt, wird er zum Alptraum und unwahr, weil sich die Brüchigkeit und geradezu die Absurdität seiner Voraussetzungen enthüllt.

Der Prozess, in dem sich der unaufhaltsame Aufstieg der USA zur einzigen und letzten Welt- und Supermacht vollzog, war gleichzeitig die Entfaltung der Krise des modernen warenproduzierenden Systems. Konnte die zweite industrielle Revolution des so genannten Fordismus (Automobilmachung, Wirtschaftswunder) in der Nachkriegsgeschichte noch eine Art „Weltentwicklungsplan“ suggerieren, so hat die dritte industrielle Revolution der Mikroelektronik das globale Entwicklungsgefälle derart verschärft, dass ganze Weltregionen aus der kapitalistischen Reproduktionsfähigkeit herauszufallen beginnen.

Gleichzeitig hat sich der sozialökonomische Krisenprozess seit den 80er Jahren bis in die Zentren des Kapitals vorangefressen. Das Ausbrennen der kapitalistischen „Arbeitssubstanz“ kann nur noch durch den Vorgriff auf real nie mehr eintreffende zukünftige Geldeinkommen und Profite kaschiert werden, also durch ausufernde globale Verschuldungsprozesse sämtlicher Wirtschaftssubjekte (Staaten, Unternehmen, Private) und durch das Aufblähen historisch beispielloser spekulativer Finanzblasen auf den Aktienmärkten. Das Recycling stets wachsender Massen von „fiktivem Kapital“ (Marx) in den Wirtschaftskreislauf hat das Abheben der Finanzmärkte von der Realökonomie zur Grundbedingung der globalen Kapitalverwertung gemacht. Das Weltkapital ist in einen Zustand der Simulation übergegangen, der die Weltgesellschaft wie nie zuvor polarisiert: Auf dem einen Pol häufen sich Massenarmut und Elend an, ökonomische Zusammenbruchsprozesse wiederholen sich in kurzen Abständen. Auf dem anderen Pol häuft sich ein ebenso astronomischer wie substanzloser Geldreichtum an, dessen Brüchigkeit auf den prekär gewordenen Charakter der kapitalistischen Produktionsweise als solcher verweist.

Die monozentrische Hegemonie der USA steht im Mittelpunkt dieser herangereiften Widersprüche des Weltkapitals. Zwar ist die politisch-militärische Überlegenheit der letzten Weltmacht nicht mehr zu übertrumpfen (und nur insofern „absolut“), aber gleichzeitig erleidet die Politik als solche, auch in ihrer Gestalt als hegemoniale Weltpolitik, einen wesentlichen Bedeutungsverlust gegenüber den weltökonomischen Prozessen, die sich auf eine qualitativ neue Weise krisenhaft verselbständigt haben; ablesbar übrigens nicht zuletzt daran, dass das politische Personal wie überall in der Welt auch in den USA im Verhältnis zur ökonomischen Funktionselite auf ein drittklassiges Niveau herabgesunken ist. Die letzte Weltmacht sieht sich mit einem inneren wie äußeren Krisenprozess konfrontiert, der die ganze Welt erfasst und seiner Natur nach durch keinerlei politisch-militärisches Potential in Schach zu halten ist.

Die früher oder später zwangsläufig zur Zerreißprobe führenden Widersprüche zwischen dem monozentrischen Weltmachtcharakter der USA und dem Krisencharakter der dritten industriellen Revolution, wie er die herrschende Produktionsweise von innen heraus zerstört, werden dabei in mehrfacher Hinsicht deutlich.

Politische Mächte können überhaupt nur auf nationalstaatlicher Grundlage existieren und sich entfalten, auch wenn es sich um einen der Herkunft seiner Bürger nach bunt gemischten Großstaat von kontinentalen Ausmaßen handelt. Dieser nationalstaatliche Charakter auch der letzten Weltmacht steht aber im Widerspruch zur transnationalen Metamorphose des Kapitals durch den Prozess der Globalisierung. In demselben Maße, wie die strukturelle Krise Massenarbeitslosigkeit und/oder große Billiglohnsektoren erzeugt, den Sozialstaat zurückfährt usw., wird die Kaufkraft auf den nationalen Binnenmärkten abgeschmolzen und das Kapital ist gezwungen, sich mit einer nie dagewesenen Dynamik betriebswirtschaftlich über die Weltmärkte zu zerstreuen, um das globale Kostengefälle optimal zu nutzen und andererseits Kaufkraft auf sich zu ziehen, wo immer es diese noch gibt auf der Welt.

Diese Transnationalisierung des Kapitals und die gleichzeitige, ebenfalls und sogar noch mehr transnational bestimmte Flucht in den neuen simulativen Finanzkapitalismus ist es aber, die dem Nationalstaat sukzessive die ökonomischen Grundlagen entzieht; und das gilt eben auch für die übrig gebliebene Supermacht USA. Auch das US-Kapital macht die transnationale Metamorphose durch und damit ungewollt den Weltmachtstaat obsolet.

Andererseits können die USA als ein trotz ihres Supermachtstatus begrenzter Nationalstaat auch nicht unmittelbar als Weltstaat agieren, der in der Lage wäre, das transnational werdende Weltsystem der kapitalistischen Krisenökonomie zu regulieren, wie bisher die Nationalstaaten ihre jeweilige Binnenökonomie reguliert hatten. So erweist sich die letzte Weltmacht als getrieben von den Zwängen und Verlaufsformen eines längst mit politischen Mitteln unbeherrschbaren Weltkrisenprozesses, auf den sie mitsamt ihrer militärisch unbesiegbaren Hightech-Armee immer nur äußerlich und letzten Endes inadäquat reagieren kann.

Dass die USA bloß die Vormacht eines unheilbar an sich selbst erkrankten und vergifteten Weltsystems sind, zeigt sich auch am Zustand ihrer eigenen Binnenökonomie unter Einschluss des Staates. Innerhalb der USA ist der abstrakte Geldreichtum nicht nur am stärksten innerhalb der westlichen Welt polarisiert, sondern auch sein Glanz am meisten von ökonomischem Talmi herrührend. Denn die USA sind heute, ganz im Gegensatz zu ihrer komfortablen und auch ökonomisch konkurrenzlosen Ausgangsposition am Ende des Zweiten Weltkriegs, das Land sowohl mit der größten Binnenverschuldung als auch der größten Außenverschuldung der Welt. Die absolute Überlegenheit ist rein auf das militärische Potential zusammengeschrumpft.

Man könnte einwenden, der den phantastischen Verschuldungsprozess der USA tragende Zustrom von Geldkapital aus aller Welt sei eben der Tribut, den diese kapitalistische Welt ihrer Führungsmacht zollen muss. Aber es handelt sich dabei nicht um einen Tribut herkömmlicher Art, wie ihn stets besiegte oder unterlegene „Völker“ und „Nationen“ als solche entrichten mussten, sondern um einen Zustrom von transnationalem privatem Geldkapital, das als Kreditgeld eine gefährliche Forderung an die US-Ökonomie darstellt, weil es jederzeit abgezogen werden (oder durch Finanzkräche gewissermaßen „verdampfen“) und dadurch die ganze Weltmachtherrlichkeit zum Einsturz bringen kann.

Diese Gefahr betrifft nicht zuletzt den Hightech-Militärapparat selbst, der ja permanent Unsummen verschlingt und damit erst recht am Tropf des transnationalen Finanzkapitals hängt. Denn es handelt sich dabei um eine abgeleitete Finanzierung, die somit reell auf einer eigenständigen nationalökonomischen Potenz beruhen müsste, die den USA jedoch schon längst abhanden gekommen ist. Das militärische Potential für sich allein ist in seiner gewissermaßen „naturalen“ Gestalt nicht lebensfähig, da es eben wie alles in der kapitalistischen Welt durch das Nadelöhr der „Finanzierbarkeit“ hindurch muss.

Das gilt keineswegs allein für sozialstaatliche Leistungen oder die medizinische Versorgung, sondern ganz genauso für Cruise Missiles, Stealth-Bomber und Flugzeugträger. Rein ökonomisch gesehen unterscheiden sich Sozialstaat und Militärapparat nicht, in beiden Fällen ist eine vermittelte, externe Finanzierung durch staatliche Geldabschöpfung erforderlich. Und wer oder was auch immer sich durch Raketen und Fernbomber in die Knie zwingen lässt, die transnationalen Finanzmärkte gehören jedenfalls nicht dazu. Wenn also die globale Finanzblase platzt, wird die militärische Welthoheit der USA gleich mit in die Luft fliegen.

Der arrogante und militärisch muskelstrotzende Koloss der letzten Weltmacht steht auf tönernen Füßen. Aber nicht mehr deswegen, weil noch einmal ein anderer Koloss heranwachsen würde, der ihn stürzen könnte. Sondern allein aus dem Grund, dass die aller modernen Weltmacht zugrunde liegende kapitalistische Produktionsweise an ihre absolute Grenze zu stoßen beginnt. Die USA können nicht mehr an einer konkurrierenden Weltmacht scheitern, aber sie werden an ihrer eigenen Logik scheitern, und das ist die Logik des kapitalisierten Geldes. Die globale Kontrollfähigkeit der letzten Weltmacht geht zusammen mit der Pseudozivilisation des Geldes unter.

Deshalb kann es auch keinen Weltkrieg vom Typus der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts mehr geben, der daraus entstanden war, dass gleichwertige Weltmächte innerhalb eines polyzentrischen Weltsystems im Kampf um die Hegemonie aufeinander prallten. Schon in der bipolaren Struktur des Kalten Krieges war dieser Zusammenstoß durch das atomare „Gleichgewicht des Schreckens“ blockiert worden; die Sowjetunion konnte nicht in einem Weltkrieg besiegt, sondern musste ökonomisch niederkonkurriert und militärisch totgerüstet werden.

In der monozentrischen Hegemonie der letzten Weltmacht gibt es auf dieser Ebene überhaupt keine Konkurrenz mehr, also noch viel weniger das Potential für einen Weltkrieg zwischen ebenbürtigen Großmächten. Aber die transnationale Krisenkonkurrenz lässt erst recht keinen „kapitalistischen Weltfrieden“ zu (was ein Widerspruch in sich wäre), sondern setzt als ihre Fortsetzung mit anderen Mitteln neue Formen bewaffneter Zusammenstöße frei, die nicht mehr auf der Ebene der alten Großmachtkonflikte liegen und nicht mehr in deren Kategorien beschrieben werden können. In dieser neuen Weltkrisenkonstellation vollendet sich eine tiefgreifende qualitative Metamorphose des imperialen Zugriffs, die ihren Anfang schon in der bipolaren Supermachtstruktur der Nachkriegsgeschichte genommen hatte.

Weltordnungskrieg

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