Читать книгу Fontanes Kriegsgefangenschaft - Robert Rauh - Страница 11
Fontane bewaffnet
ОглавлениеIch freute mich sehr auf diesen Ausflug, schreibt Fontane in Kriegsgefangen. Aber er hatte von Anfang an ein ungutes Gefühl. Bereits der Kutscher, ein »Knecht« der Madame Grosjean, flößte ihm wenig Vertrauen ein, am wenigsten als er versicherte: die Partie sei in einem Tag nicht zu machen. Man könne am Abend nicht nach Toul zurückkehren, sondern müsse in Vaucouleurs übernachten. Obwohl Fontane daraufhin ein starker Verdacht durch den Kopf schoss, glaubte er, dieser Person schlimmstenfalls Herr werden zu können: Fontane lud seinen Lefaucheux-Revolver und wickelte ihn derart in seine Reisedecke, dass er durch einen Griff von rechts her, in die muffartige Rolle hinein, den Kolben packen und eine »Gefechtsstellung« einnehmen konnte. Ausdrücklich betont Fontane, dass er den Revolver nicht mitgeführt habe, um etwa auf eigene Hand Frankreich mit Krieg zu überziehen. Man habe aber die Pflicht, sich gegen mauvais sujets [üble Kerle] und die Effronterien [Unverschämtheiten] des ersten besten Strolches zu schützen.[6] Dass der Revolver, den Fontane zur Notwehr mitführte, bei seiner Verhaftung zum Corpus Delicti wurde, gehört zur Ironie dieser Geschichte.
Er ging von Hand zu Hand: Revolver, Modell Lefaucheux M 1858, Fontanes Exemplar ist verschollen
Da in keinem der überlieferten Dokumente auf die Herkunft des Revolvers Bezug genommen wird, kann nur gemutmaßt werden, von wem Fontane ihn erhalten hatte. Entweder er hat den Revolver – ein französisches Modell – in Frankreich erworben. Oder bereits in Berlin. Infrage kommt ein Freund, dessen Trinkflasche er bereits bei sich trug[7] und von dem er sich schon einmal bewaffnen lassen wollte: Bernhard von Lepel. Der Offizier und Schriftsteller zählte zu seinen engsten Vertrauten. Im September 1848 fragte Fontane bei Lepel an, ob er nicht auf väterlicher Rumpelkammer eine alte aber gute Büchse habe. Fontane würde den Freund nicht einen so sonderbar klingenden Wunsch […] an’s Herz legen, wenn er sich nicht, wie immer, in Geldverlegenheiten befände. Sein Anliegen begründete Fontane mit den – von ihm ausdrücklich herbeigewünschten – Kämpfen der radikalen Demokraten während der »Septemberrevolution« von 1848.[8] Lepel, der im Revolutionsjahr 1848 die königstreuen Truppen unterstützte, lehnte den Freundschaftsdienst in gewohnt humorigem Tonfall ab: Fontane habe offenbar keine Bedenken, ihn »um eine Waffe zu bitten«, mit der er gegen seine konservative Partei fechten wolle. Und Lepel fragte, ob der Freund seine Bitte mündlich »ohne zu lachen« wiederholen könnte.[9] Ungeachtet dessen ist es umstritten, ob sich Fontane tatsächlich mit der Waffe in der Hand an den Barrikadenkämpfen beteiligt hatte.
Frappante Ähnlichkeit mit der Mark Brandenburg: Landstraße zwischen Vaucouleurs und Domrémy, 2020
In Frankreich kam der Revolver jedenfalls nicht zum Einsatz. Auch nicht, als der Kutscher einen weiteren Fahrgast auflas und der erneut misstrauisch gewordene Fontane daraufhin seine Reisedecke unwillkürlich etwas zurecht rückte. Der Fremde erwies sich jedoch als ein freundlicher, angenehmer Mann und so setzten sie plaudernd über Krieg und Frieden ihren Weg fort.
Zum Frühstück hinter der Front: Hôtel de la Providence in Vaucouleurs, Postkarte, um 1900