Читать книгу Fontanes Kriegsgefangenschaft - Robert Rauh - Страница 18

Hoffnung in Langres

Оглавление

Fontane wurde in Langres in ein Verhörslokal gebracht, in dem die Militärgerichtsbarkeit der Brigade ihren Sitz hatte. Bevor zwei Capitaines die Befragung vornahmen, legte der Gendarmeriewachtmeister Fontanes Papiere, darunter auch die Legitimationskarten, Briefe und Notizbücher, die man ihm in Domrémy abgenommen hatte, auf den Tisch. Fontane, der aufgrund von Schlaflosigkeit und des anstrengenden Marsches durch Langres einer Ohnmacht nahe war, bat um ein Glas Wasser. Ihm war bewusst, dass es hier auf seine Antworten sehr erheblich ankommen würde. Statt Wasser wurde ihm Wein gebracht. Fontane stürzte ihn hinunter und war nun wie neubelebt. Auch für ein Überleben gab es Hoffnung. Obwohl man erneut einen Offizier aus ihm herauspressen wollte, waren die Fragen im Gegensatz zum Verhör in Neufchâteau ruhiger, weniger feindselig. Zudem schienen Fontanes Erscheinung, seine Sprachweise und vor allem die Notizen seines Taschenbuchs die Situation zu seinen Gunsten zu wenden. Seine Zuversicht steigerte sich, nachdem er am Schluss des zehnminütigen Zwiegesprächs mit den beiden Capitaines das Wort »Kaserne« gehört zu haben glaubte. Ein Wort, das ihm angesichts seiner Lage schon halb wie Freiheit klingen musste.[9]

Fontanes Optimismus, mit einem blauen Auge davonzukommen, hatte noch einen weiteren Grund. Den er in Kriegsgefangen nicht verrät und der nur indirekt aus seiner Korrespondenz hervorgeht. Die Capitaines gestatteten dem Gefangenen, Briefe zu schreiben. Diese Chance nutzte Fontane, um seine Frau nicht nur über seine Gefangenschaft zu informieren, sondern ihr detaillierte Anweisungen zu geben, wer zu kontaktieren sei, um die französische Regierung wissen zu lassen, dass er nichts weiter als ein Schriftsteller pur et simple sei, der für sein Buch den Kriegsschauplatz bereist. Vielleicht sei es möglich, sowohl auf irgend einen einflussreichen Kirchenfürsten als auch auf den Justizminister Crémieux und Außenminister Favre einzuwirken.

Außerdem informierte er Emilie am Ende des Briefes, an Crémieux selbst eben ein Telegramm gerichtet zu haben.[10] Darin teilte Fontane dem Justizminister auf Französisch mit, ein enger Freund von Professor Lazarus und ein Autor wie er zu sein[11] – und beteuerte seine Unschuld: Er sei ein Schriftsteller und kein preußischer Offizier.[12] Sicherheitshalber wandte sich Fontane auch gleich an Lazarus, um ihn zu bitten, er möge ihn an Crémieux empfehlen und auf den Wert seiner Werke, insbesondere der Kriegsbücher von 1864 und 1866, hinweisen. Sein Metier sei die Geschichte.[13]

Während sich Fontane in Kriegsgefangen also als ein Häftling darstellt, der den lokalen Behörden ausgeliefert war und der sich für die Verteidigung ausschließlich auf seine Integrität und seine Überzeugungskraft verlassen musste, war er tatsächlich selbst schon aktiv geworden. Bereits 24 Stunden nach seiner Festnahme mobilisierte Fontane genau den Personenkreis, der sich später für ihn einsetzen würde. Was er nicht wusste: Seine Briefe an Emilie kamen in Berlin zunächst nicht an. Es bedurfte jedoch keines Anstoßes, denn die Freunde bemühten sich unaufgefordert um seine Freilassung.

Im Anschluss an das Verhör wurde er in ein graues schlossartiges Gebäude geführt und einer neuen Obhut übergeben. Monsieur Bourgaut, der den Gefangenen in Empfang nahm, plapperte fortwährend mit halblauter Stimme lange Sätze vor sich hin, die Fontane nicht verstand. Er brachte ihn in ein geräumiges, in allem übrigen aber seinen Erwartungen wenig entsprechendes Zimmer. Das breite Fenster war dicht vergittert, die Dielen zernagt oder durchgetreten, und in einem zweihandgroßen Loch des zugemauerten Kamins lagen abgenagte Knochen. Als Fontane an das Fenster trat und durch die Gitterstäbe hinunterblickte, musste er den letzten Rest der Vorstellung aufgeben, dass er sich in einer Kaserne befände. Und ein letzter Funken Hoffnung erlosch vor der Nachtruhe, als Monsieur Bourgaut noch einmal vorbeischaute, ihm den Abendtee servierte und ihn dann mit einer Hiobsbotschaft um den Schlaf brachte. Er nahm eine gewisse feierliche Haltung an und erklärte, um vieles deutlicher und akzentuierter als gewöhnlich, dass der Brigadegeneral morgen früh in Gegenwart der zivilen und militärischen Autoritäten über sein Schicksal entscheiden werde. Obwohl die letzten Worte einen ziemlich finstren Klang hatten, kam der völlig erschöpfte Fontane nicht zum Nachdenken, sondern schlief zunächst ein.

Mitten in der Nacht fuhr er auf. Der unruhigen Seele, die bis dahin vergeblich den wie tot Schlafenden gerüttelt und geschüttelt hatte, gelang es, ihn jetzt plötzlich ins Leben zurückzuholen.

Fontanes Kriegsgefangenschaft

Подняться наверх