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Feindlich gesinnte Bevölkerung

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Es blieb furchtbar. Obwohl Monsieur Palazot es seinem Gefangenen am Morgen des 6. Oktober ermöglichen wollte, den Schlaf nachzuholen, blieb zum Ausruhen keine Zeit. Gegen neun Uhr, erzählt Fontane in Kriegsgefangen, kamen drei Gendarmen, um ihn nach der Festung Langres, zum Brigadegeneral zu bringen. Der Transport wurde zu einer Tortur. Weil der Bahnhof an der entgegengesetzten Seite der Stadt lag, musste Fontane – eskortiert von den Gendarmen – also die Hauptstraße der ganzen Länge nach passieren. Nachdem sich schon am Abend vorher die Nachricht seiner Verhaftung in allen Schichten der Bevölkerung verbreitet hatte, lief der Gefangene durch ein Spalier von Schaulustigen: Es war eine Art Volksfest. In Langres, wo er vier Stunden später eintraf, entwickelte sich der Marsch zum Gefängnis – das sich zu Fontanes Leidwesen auch hier am äußersten Stadtrand befand – zu einem Spießrutenlauf durch eine feindlich gesinnte Bevölkerung. Ein Phänomen, das Fontane in den nächsten Wochen auch an allen anderen Orten begleitete und das von anderen Kriegsgefangenen bestätigt wird. Adolf Genzel, ein Sergeant aus Halberstadt, berichtet in seinen Erinnerungen von der »außer Rand und Band geratenen« Bevölkerung, die in den Städten »johlend und schreiend, schimpfend und fluchend« die Gefangenentransporte vom Bahnhof zum Gefängnis begleitete. »Frauenzimmer kamen dicht an uns heran, spuckten nach uns und hielten mir drohend ihre kleinen Fäuste vor das Gesicht.« Und vor einem Gefängnis in Moulins, wo auch Fontane später Station machen wird, schien »das Geschrei und das Verlangen, uns die Köpfe abzuschlagen«, kein Ende zu nehmen.[5]

In Langres war es vor allem die Straßenjugend, die ziemlich arg hinter Fontane her war, namentlich in den engen Gassen. Auch wenn er nicht alles verstand, was sie ihm zuriefen, so hatte er doch gerade Ohr genug, um das immer wiederkehrende »pendre« [hängen] und »fusiller« [erschiessen] sehr deutlich herauszuhören. Fontane, derart bedrängt, hatte große Angst. Er spricht es in Kriegsgefangen nicht aus, sondern vermittelt seine Furcht metaphorisch, indem er sich eines alten Liedes bedient. Als er in Neufchâteau von Haus zu Haus an den Gruppen Neugieriger vorüber musste, ging ihm die Figur der »Mary Hamilton« durch den Sinn. Die altschottische Ballade »The Queen’s Mary« hatte Fontane in Walter Scotts Textsammlung »The Minstrelsy of the Scottish Border« gelesen. Sie handelt von einer Hofdame am schottischen Hof, die vom König geschwängert wird. Weil Mary das Kind getötet hat, wird sie selbst zum Tode verurteilt. Fontane zitiert die Strophe, in der sie unter Beobachtung der vor ihren Häusern stehenden Männern und Frauen die Straß’ entlang schreitet. Und ergänzt: Mary Hamilton schritt auf einen Hügel zu, um dort zu sterben. Wohin schritt ich?[6]

Ein paar Tage später wird er seine Angst vor der französischen Bevölkerung relativieren. Aber nicht in Kriegsgefangen, sondern in einem Brief an seine Frau. Die Menschen seien sehr aufgebracht gegen uns, und wenn man durch die Städte und Dörfer kommt, spürt man irgendwie eine Gefahr. Doch Fontane war – und das schreibt er nicht nur zur Beruhigung an Emilie – der Bevölkerung nicht schutzlos ausgeliefert. Nehmen die Obrigkeiten die Dinge in ihre Hand, sei alles in Ordnung. Die Erregung legt sich, und die Gerechtigkeit waltet.[7] Auch Adolf Genzel hebt »die Nothwendigkeit unserer Bedeckung« durch die begleitenden Gendarmen hervor, die es schwer genug hatten, die Gefangenen »vor der rasenden Bevölkerung« und ihren »thätlichen Angriffen« zu schützen.[8]

Fontanes Kriegsgefangenschaft

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