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ABERMALS EIN KRIEGSBUCH Zwischen den Fronten Wellen in Warnemünde

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Es sollte ein entspannter Urlaub werden. Im Juli 1870 befand sich Theodor Fontane zur Sommerfrische an der Ostsee, bevor der Fünfzigjährige Mitte August bei der Vossischen Zeitung seine neue Stelle als Theaterkritiker antreten würde.[1] Zusammen mit seiner Frau Emilie und zwei seiner Söhne, dem dreizehnjährigen Theodor und dem sechsjährigen Friedrich, hielt er sich seit dem 12. Juli in Warnemünde auf.[2] Doch das Urlaubsidyll war von Anfang an getrübt. An der Ostseeküste tobten Sturm und Regen.[3] Und in Europa kündigte sich ein neuer Krieg an.

Die Kandidatur des katholischen Erbprinzen Leopold von Hohenzollern-Sigmaringen für die vakante spanische Krone hatte einen Konflikt zwischen Frankreich und Preußen ausgelöst, den der preußische Ministerpräsident Otto von Bismarck zu verschärfen verstand. Nachdem der preußische König Wilhelm I. die spanische Thronbewerbung seines Verwandten zurückgezogen und damit dem französischen Druck nachgegeben hatte, glaubte die französische Regierung, den diplomatischen Erfolg ausweiten zu können. Und überspannte den Bogen. Der französische Botschafter reiste in den Kurort Bad Ems und verlangte am 13. Juli auf der Kurpromenade von Wilhelm die Zusicherung, auch künftig keine Hohenzollernkandidatur in Spanien mehr zu billigen – was der preußische König entschieden ablehnte. Bismarcks Mitarbeiter Heinrich Abeken, der den König in Bad Ems begleitete, protokollierte die Vorgänge und telegrafierte den Bericht nach Berlin. Diese »Emser Depesche« wurde von Bismarck in einer gekürzten und verschärften Version an die Presse gegeben. Die Pressemeldung erweckte nun den Eindruck, der französische Botschafter sei in Bad Ems in ungebührender Weise aufgetreten und der König hätte weitere diplomatische Kontakte abgelehnt. Daraufhin sah sich der brüskierte und innenpolitisch ohnehin unter Druck stehende Kaiser Napoléon III. am 19. Juli 1870 zur Kriegserklärung an Preußen veranlasst. Eine einzige Depesche, wenn auch nichts drinsteht, kommentierte Fontane einen Monat später, wiegt ganze Berge von Literatur auf.[4] Die Kriegserklärung war der offizielle Beginn des Deutsch-Französischen Krieges, der erst im Mai 1871 mit dem Frieden von Frankfurt am Main sein Ende fand.

Ein ungeheurer Lärm brach los, dessen Wellen wir selbst in dem stillen Warnemünde verspürten, notierte Fontane später im Tagebuch.[5] Unmittelbare Auswirkungen spürten sowohl das kleine Ostseebad als auch die Fontanes selbst: Während an der Ostsee das Gerücht umging, man müsse mit dem Erscheinen von 14 [französischen] Panzerschiffen vor Warnemünde rechnen[6], nahm Fontanes ältester Sohn auf preußischer Seite am Feldzug teil. Detailliert wird der neunzehnjährige George Fontane in den folgenden Monaten den Eltern über seine Erlebnisse an der Front berichten. Am Tag der Kriegserklärung hatte George im Schnellverfahren seine letzten Prüfungen für das Offiziersexamen bestanden[7] und rückte am 26. Juli als »Seconde-Lieutnant« der preußischen Armee Richtung Westen aus. Stolz verkündete er, wahrscheinlich werde seine Division die Avantgarde bilden.[8] Weder er noch seine Eltern ahnten zu diesem Zeitpunkt, dass der Vater dem Sohn bald nach Frankreich folgen würde – als Kriegsjournalist.

Am 1. August entschieden die Fontanes, ihren Urlaub in Warnemünde abzubrechen. Emilie kehrte mit den beiden Söhnen direkt nach Berlin zurück; Fontane fuhr über Rostock nach Dobbertin, wo er seine langjährige Vertraute und Förderin Mathilde von Rohr besuchte.[9] Auch in der klösterlichen Abgeschiedenheit holten ihn die Frontnachrichten ein. Und die preußische Propaganda, die er im Hinblick auf die Mär vom nationalen Verteidigungskrieg kritiklos übernahm: Man hat nur 2 Dinge als Trost, schrieb er an Emilie, dieser Kampf wurde uns aufgedrängt, er trat als Unvermeidlichkeit an uns heran und dann zweitens die Vorstellung, 500.000 Muttersöhne haben dasselbe durchzumachen [wie ihr Sohn George].[10] Die erste Siegesnachricht traf am 5. August ein. Tags zuvor hatte ein gesamtdeutsches Heer in der Schlacht bei Weißenburg die Franzosen geschlagen. Auf deutscher Seite kamen circa siebenhundert Soldaten und Offiziere ums Leben, auf französischer über tausend. Die Nachricht löste bei Fontane zwiespältige Empfindungen aus. Mein Herz schlug […] höher, bekennt er gegenüber seiner Frau, doch könne er ein Schmerzgefühl nicht los werden. Wozu das alles? Um nichts! Blos damit Lude Napoleon festsitzt oder damit der Franzose sich ferner einbilden kann, er sei das Prachtstück der Schöpfung – um solcher Chimäre willen der Tod von Tausenden![11]



Ungeheurer Lärm in dem stillen Warnemünde: Blick auf die Strandpromenade und den Leuchtturm, Postkarte, um 1900

Fontanes Kriegsgefangenschaft

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