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2. Einordnung im Schema der Gewaltenteilungslehre und Verhältnis
zu den politischen Staatsorganen

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Die Verwaltungsgerichtsbarkeit ist Teil der Gerichtsbarkeit und als solche eindeutig in das Gewaltenteilungsschema des Grundgesetzes eingeordnet. Art. 20 Abs. 2 GG nennt die Rechtsprechung als dritte Gewalt. Das Verhältnis zur Verwaltung ist in § 1 VwGO im Sinne einer Trennung und Unabhängigkeit definiert. Wörtlich heißt es dort: „Die Verwaltungsgerichtsbarkeit wird durch unabhängige, von den Verwaltungsbehörden getrennte Gerichte ausgeübt.“ Die Verwaltungsrichterschaft rekrutiert sich auch anders als zu den Anfängen im 19. Jahrhundert überwiegend nicht mehr aus der Verwaltung.[80] Einstellungsvoraussetzung ist die mit dem Zweiten Staatsexamen nachgewiesene Befähigung zum Richteramt, bei der nicht zwischen ordentlicher und sonstiger Gerichtsbarkeit unterschieden wird.[81] Nicht selten – je nach Land – führt der Weg zur Verwaltungsgerichtsbarkeit über eine Tätigkeit als Staatsanwalt oder Richter in der ordentlichen Gerichtsbarkeit.

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Aus der Nähe betrachtet erscheint indessen die Trennung zwischen Verwaltung und Verwaltungsgerichtsbarkeit weniger hermetisch, als es die rechtlichen Grundlagen ausweisen.

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In einzelnen Ländern (Bayern) ist der regelmäßige Wechsel zwischen Verwaltung und Verwaltungsgerichtsbarkeit in den Anfangsjahren einer Richterkarriere vorgesehen. Die Dienstaufsicht über die Verwaltungsrichter ist der Exekutive zugewiesen. Hier zeigen sich übrigens noch Restspuren der unterschiedlichen Traditionen von Verwaltungsgerichtsbarkeit. In Nordrhein-Westfalen obliegt die Dienstaufsicht über alle Gerichtszweige dem Justizministerium. Anders in Bayern, wo vormals die Verwaltungsrechtspflege nach französischem Muster bestand: Dort ist die Dienstaufsicht für die Verwaltungsrichter dem Innenministerium zugewiesen.[82]

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In vielen administrativen Angelegenheiten sind die Richter an die allgemeine Verwaltung angeschlossen, beispielsweise in Fragen der Besoldung oder der Krankenversorgung (Beihilfe). Die Ausgaben für Personal und Infrastruktur der Verwaltungsgerichte werden aus dem jeweiligen Staatshaushalt auf Bundes- oder Landesebene bestritten.[83]

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Die Trennung der Gewalten wird gleichwohl durch eine Reihe von rechtlichen Weichenstellungen gesichert. So ist der rechtliche Status der Richter formal von dem der anderen Staatsbediensteten abgesetzt, um der Trennung der Gewalten Ausdruck zu verleihen und die Unabhängigkeit der Richter zu sichern. Hierzu trifft bereits Art. 98 GG Festlegungen, indem angeordnet wird, dass die Rechtsstellung der Richter durch „besonderes Bundesgesetz“ zu regeln ist. Das Deutsche Richtergesetz (DRiG) ist auf dieser Grundlage ergangen. Richter sind keine Beamte und schon gar nicht Angestellte, sondern in einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis besonderer Natur den Beamten im Wesentlichen gleichgestellt und werden in der Regel auf Lebenszeit ernannt. Eine Entlassung aus dem Richteramt ist nur in Ausnahmefällen vorgesehen. Die Tätigkeit ist rechtlich und von der faktischen Arbeitsbelastung her als Vollberuf konzipiert, die Nebentätigkeiten etwa als Lehrbeauftragter in der Ausbildung von Juristen zwar zulässt, aber keineswegs wie in der Schweiz neben einer hauptberuflichen Anwaltstätigkeit[84] ausgeübt werden könnte.

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Was das Verhältnis zu den politischen Staatsorganen angeht, so gilt auch hier der Grundsatz der Unabhängigkeit der Gerichte. Gleichwohl bestehen Berührungspunkte. So werden die Richter am BVerwG – wie alle Richter der obersten Bundesgerichte mit Ausnahme des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG)[85] – von einem durch politische Akteure besetzten Richterwahlausschuss gewählt. Für die Bundesländer gehört diesem Ausschuss kraft Amtes jeweils der für die Fachgerichtsbarkeit zuständige Minister an. Hinzu tritt die gleiche Anzahl von nach den Grundsätzen der Verhältniswahl vom Deutschen Bundestag gewählten Mitgliedern, in aller Regel Abgeordnete des Deutschen Bundestages. Den Vorsitz übernimmt der Bundesminister der Justiz, ohne Stimmrecht, allerdings mit Vetomöglichkeit.[86]

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Die Ernennung der Bundesrichter erfolgt durch den Bundespräsidenten, wobei dies als Formalakt einzuordnen sein dürfte, bei dem der Bundespräsident über keinerlei Spielraum verfügt, etwa aus politischen Gründen die Ernennung eines vom Richterwahlausschuss gewählten Kandidaten zu verweigern. In Polen hat in jüngerer Zeit allerdings unter ähnlichen textlichen Ausgangsbedingungen eine solche politische Verweigerung seitens des Präsidenten die Gerichte beschäftigt.[87]

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Auch auf Landesebene werden in etwa der Hälfte der Länder Richter durch Richterwahlausschüsse gewählt und die Ernennung in einem gesonderten Akt durch einen politischen Einzelakteur, hier die Exekutivspitze (Ministerpräsidenten) oder von diesen Beauftragte, vollzogen.[88]

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Insgesamt wirkt das Verfahren der Richterauswahl trotz der Mitwirkung politischer Akteure (Parlamentarier, Bundespräsident, Ministerpräsident) allgemein betrachtet als in hohem Maße formalisiert und politikfern und wird auch in der praktischen Ausführung im Allgemeinen nicht als politisiert wahrgenommen. Die Unabhängigkeit der Justiz ist insoweit das prägende Merkmal dieser Staatsgewalt.[89]

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Gleichwohl besteht seit Langem eine grundsätzliche Kritik, die sich auf die Einwirkungsmöglichkeiten der Politik unter dem Aspekt der „Parteipatronage“ (Ämterpatronage) richtet, die so „schleichend und unauffällig vor sich“ geht, „dass der Bürger davon kaum etwas merkt“.[90] Das Erfordernis der Mitgliedschaft in einer politischen Partei, womöglich in der oder den Regierungsparteien, um für eine Position als Richter in Betracht zu kommen, scheint sich umgekehrt proportional zur Gerichtshierarchie zu verhalten: Wo die Besetzung des BVerfG durchgehend offen und im parteiübergreifenden Konsens – gleichwohl ohne entsprechende normative Grundlage in Verfassung oder Gesetz – zwecks Sicherung eines parteipolitischen Gleichgewichts nach einer Parteilogik erfolgt, ist auf der Ebene der sonstigen höchsten Gerichte auf Bundes- und Landesebene die Orientierung an einem parteiübergreifenden Konsens im Sinne eines Gleichgewichts offenbar weniger ausgeprägt, die Vorgaben des Art. 33 Abs. 2 GG im Hinblick auf Eignung, Befähigung und fachliche Leistung werden hier ernst genommen. Nichtsdestotrotz ist eine Bedeutung der parteipolitischen Orientierung nicht völlig auszuschließen, insofern ist dann die Mehrheit im Richterwahlausschuss maßgeblich.

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Bei den nachgeordneten Gerichten spielt die Parteimitgliedschaft für die Auswahl der Richter offenbar die geringste Rolle, wobei selbst dort erhebliche regionale Unterschiede bestehen dürften.[91] Ein Aspekt ist hier sicherlich auch, dass – mit Ausnahme des BVerfG – die Richter nicht nur auf Zeit bestellt werden, sondern unbefristet (bis zur Altersgrenze). Anders liegen die Dinge etwa in der Schweiz, wo die Wahl der Richter durch das Parlament oder das Volk auf Zeit für eine beschränkte Amtsdauer erfolgt und Richter sich entsprechend einer Wiederwahl stellen müssen: Die Richterauswahl liegt hier weitgehend in der Hand der politischen Parteien.[92]

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Ohnehin ist im Hinblick auf den (partei-)politischen Einfluss zwischen der ersten Berufung von Richtern auf Landesebene, Beförderungsentscheidungen ab bestimmten Positionen in der Gerichtshierarchie, insbesondere bei Stellen, die zugleich Aufgaben der Gerichtsverwaltung erfüllen wie etwa Präsidentenämter, und der Wahl von Bundesrichtern zu differenzieren.

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Wie immer man die Bedeutung parteipolitischer Orientierung im Einzelnen bemessen mag – es besteht jedenfalls keine offenkundige Politisierung der Gerichtsbarkeit. Für alle Gerichte vom BVerfG bis zur erstinstanzlichen Verwaltungsgerichtsbarkeit besteht die allgemeine grundsätzliche Wahrnehmung einer primären Orientierung an Recht und Gesetz und einer sachlichen Unabhängigkeit. Eine offen parteipolitische Entscheidungspraxis besteht nicht.

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Auch unter einem anderen personalen Aspekt erscheint die deutsche Verwaltungsgerichtsbarkeit als politikfern: In der ersten Reihe der politischen Funktionsträger in Deutschland finden sich nahezu keine Verwaltungsrichter.[93] Dies fällt vor allem im Abgleich mit Frankreich auf, wo die führende politische Klasse ganz überwiegend aus Absolventen der Grandes écoles[94] besteht und entsprechend etliche Angehörige des Conseil d’État zu finden sind.[95]

§ 129 Verwaltungsgerichtsbarkeit in Deutschland › II. Rollen und Funktionen der Verwaltungsgerichtsbarkeit › 3. Stellung in der Gerichtsbarkeit

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