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6. Interaktion von Verwaltungsgerichtsbarkeit und Rechtswissenschaft
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Die Interaktion von Verwaltungsgerichtsbarkeit und Rechtswissenschaft hat eine lange Tradition. Sie reicht zurück bis zu den ersten Ansätzen einer juristischen Methode im Verwaltungsrecht bei Friedrich Franz von Mayer 1857.[144] Zutreffend ist beobachtet worden, wie Verwaltungsrechtswissenschaft und Rechtsprechung in besonderem Maße aufeinander angewiesen waren, solange es keine Kodifikationen des Allgemeinen Verwaltungsrechts (VwVfG 1976) und des Verwaltungsprozessrechts (VwGO 1960) gab.[145] Für die Zeit bis 1960 bzw. 1976 ist von einer „Symbiose von praxisbezogenen Theoretikern und theoretisch denkenden Praktikern“ gesprochen worden.[146]
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Zwischen der Verwaltungsgerichtsbarkeit und der Rechtswissenschaft besteht auch heute noch ein enger Austausch. Dies umfasst sowohl personelle wie auch inhaltliche Aspekte.
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Ordentliche Professoren des Rechts können als Richter im Nebenamt wirken. Verwaltungsrichter sind vielfältig als Lehrbeauftragte oder Honorarprofessoren in der universitären Lehre engagiert. In der von Justizprüfungsämtern organisierten Staatsprüfung (Staatsexamen) sind Verwaltungsrichter und Hochschullehrer Seite an Seite tätig. Anders als in anderen Staaten[147] ist in Deutschland die forensische Tätigkeit von Universitätsprofessoren als Rechtsanwalt in Verwaltungsprozessen nicht sonderlich verbreitet. Eine Rechtsanwaltszulassung benötigen Universitätsprofessoren dabei nicht: Nach § 67 VwGO können sich die Beteiligten durch einen Rechtslehrer an einer staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschule eines Mitgliedstaates der Europäischen Union, eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz,[148] der die Befähigung zum Richteramt besitzt, als Bevollmächtigten vertreten lassen.
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Zahlreiche Verwaltungsrichter veröffentlichen in den einschlägigen Fachzeitschriften des Öffentlichen Rechts und beteiligen sich an der Kommentarliteratur, gemeinsam mit Hochschullehrern. Die Wissenschaft wiederum begleitet die Praxis durch die kritische Reflexion der Rechtsprechung und in der Kommentarliteratur. Die Wissenschaft hat den Beitrag der Verwaltungsgerichte zur verwaltungsrechtlichen Systembildung auch ausdrücklich gewürdigt.[149]
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Es bestehen also zahllose, rege, formalisierte, aber auch informelle Kontakte zwischen der Verwaltungsgerichtsbarkeit und der Rechtswissenschaft. Dies erklärt sicherlich, warum es zwischen verwaltungsgerichtlicher Praxis und Rechtswissenschaft in Deutschland keine solchen Kommunikationsprobleme gibt wie vielleicht andernorts.
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Gegenseitiges Verständnis wird gewiss auch durch die weitgehend gleiche generalistisch angelegte Ausbildung von Richtern wie Professoren bis hin zum Zweiten Staatsexamen begünstigt. Dies dürfte auch ein Unterschied zu anderen Staaten sein.[150] Allerdings darf man dabei nicht unterstellen, dass alle Hochschullehrer jedenfalls im Rahmen ihres Referendariats einmal die Verwaltungsgerichtsbarkeit von innen kennengelernt haben. Referendariat und Zweites Staatsexamen sind nämlich für die Laufbahn als Hochschullehrer gar nicht erforderlich, allerdings doch weitgehend Standard. Die Ausbildung bei der Verwaltungsgerichtsbarkeit ist indessen keine Regelstation in der Referendarausbildung mehr. Man kann dort allerdings im Rahmen der eigenen Schwerpunktsetzung eine Ausbildungsstation absolvieren. Immerhin ist aber eine Station in der Zivilgerichtsbarkeit für alle Referendare Pflicht, so dass zumindest insofern eine Begegnung mit der Richtertätigkeit erfolgt. Und nach wie vor ist die deutsche Ausbildung zum Volljuristen an der „Befähigung zum Richteramt“ (§ 5 DRiG) als Ausbildungsziel orientiert.
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Auch wenn es keine Mauern und Gräben zwischen der Verwaltungsgerichtsbarkeit und der Rechtswissenschaft gibt: Im Kern verbleiben die Akteure nüchtern besehen dann doch in ihren jeweiligen Rollen. Ein ständiger kontinuierlicher Wechsel ist nicht die Regel, die jeweiligen Funktionen und Sozialisationen bleiben gut unterscheidbar. Das mag man daran ablesen, dass in der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer als der zentralen Berufsvereinigung der Professoren des Öffentlichen Rechts praktizierende Verwaltungsrichter keine hervorgehobene Rolle spielen, weil die Zugangsvoraussetzung der Habilitation dann doch bedeutet, sich vorrangig auf den universitären Karriereweg zu begeben. Ähnlich bleiben auch die Verwaltungsrichter in ihren Berufsvereinigungen[151] letztlich unter sich, wenn auch die Rechtswissenschaft in Form von Gastbeiträgen eingeladener Hochschullehrer präsent ist.
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Das einschlägige Schrifttum jenseits der Kommentarliteratur wird in Deutschland deutlich durch die Rechtswissenschaft geprägt. Ein Werk wie das erstmals 1956 von Angehörigen des Conseil d’État herausgebrachte „Les grands arrêts de la juridiction administrative“,[152] das mehr ist als nur eine Sammlung wichtiger Entscheidungen der Verwaltungsgerichtsbarkeit ist, gibt es in Deutschland nicht.
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Auch eine planvolle und umfassende Beobachtung der Rechtsprechungsentwicklung durch die Gerichtsbarkeit selbst, wie sie in Frankreich beim Conseil d’État in der Section du rapport et des études geleistet wird,[153] hat sich in Deutschland bislang nicht entwickelt. Ansätze dafür bieten sich möglicherweise auf der Internetpräsenz der Verwaltungsgerichte.
§ 129 Verwaltungsgerichtsbarkeit in Deutschland › II. Rollen und Funktionen der Verwaltungsgerichtsbarkeit › 7. Die Rolle der Verwaltungsgerichtsbarkeit in der Entwicklung des Verwaltungsrechts