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Kapitel VI
‚Rachel, um ihre Kinder trauernd’

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Er läuft watschelnd, seine Schultern zurückgeworfen, seine Brust drängt vorwärts und sein behäbiger Leib wird bei jedem Schritt geschüttelt. Seine Beine sind kurz und krumm, seine Arme lang und kräftig, sein Körper wirkt lang, schlaff und fett. Da ist nichts an dem Weichling Pater Rolland dran. Er kann rennen, springen und ringen mit jedem Mann von Kromlaix. Sein Gesicht hat durch das ständige der Sonne und dem Wind Ausgesetztsein nahezu Mahagonifarbe und über seinen dunkelbraunen Wangen glitzern zwei Augen, so schwarz wie Kohlen, er wirkt so komisch wie irgendein ‚ignis fatuus’. Sein Mund, mit welchem er immer wieder an seiner Pfeife zieht und aus dem ab und an eine Wolke Qualm entweicht, ist fest verschlossen. Als er vom Friedhof kommt, scheint es, er habe den Gang eines komischen Vogels, der nicht richtig laufen kann, watschelnd wie eine Krähe. Der Rock seiner schäbigen schwarzen Soutane ist abgetragen und seine kleinen Beine in ihren abgetragenen schwarzen Strümpfen zeigen an der Ferse Löcher.

Für Marcelles Onkel, dem Korporal, der die alten Soldatenvorrechte anwendet Spitznamen zu erfinden und der ein waches Auge für das Entlarven gelegentlicher Ähnlichkeiten hat, ist der Beruf in der Ordenstracht wie ein Vogel, der in der Winterszeit zu seinem Fenster fliegt, ‚der kleine Priester Gottes’ und das Rotkehlchen im Besonderen, der kleine ‚Cures au rabat rouge’. Man kann wahrlich sagen, Pater Rolland besitzt im hohen Maße zwei strenge Charaktereigenschaften – des Rotkehlchens extreme Geduld und Genügsamkeit unter besonderen Schwierigkeiten und – eine ungeheure Menge natürlicher Kampfeslust. Sein Leben ist hart und gefährlich. Er steht mit der Lerche auf, obgleich (zu seiner Ehre) er nicht einsam ins Bett geht. Er lebt in einer elenden Hütte, wo ein Engländer kaum seine Kuh hineingestellt hätte. Er ist verantwortlich, die Stunden auszurufen und bei jedem Wetter seine heilige Berufung auszuüben. Sein Essen ist schlecht und zur Krönung all seines Elends, das ‚Trinken’ auf das Land ist abscheulich! Nun, Pater Rolland ist ein heiterer Mann, ein Feinschmecker in guten Likören – ein Mann, der wahrhaftig einen guten Likör braucht, um seine Zunge zu lösen und vollständig seinen guten Humor freizusetzen. Er ist von Natur aus und instinktiv und auch der Erscheinung nach, eine Klatschbase. Wenn die Erde öde wäre und er selbst bliebe allein mit dem Feind der Menschheit, so würde er in der Gesellschaft des ‚Meister Robert’ schwatzen und trinken. Und im Angesicht Gottes, er würde in seinem Herzen keinen Groll gegen irgendeine Kreatur hegen – nicht gegen ‚Meister Robert’ oder Bonaparte. Er ist noch nicht lange Priester in Kromlaix, sein Vorgänger, dem Rohan Gwenfern so schrecklich zusetzte, wurde schon nach wenigen Jahren entlassen. Pater Rolland ist in diesem Distrikt geboren und kennt jeden Menhir, jedes Haus im Dorf und jeden Herd, viele Meilen entlang der Küste. Er spricht noch perfekt bretonisch und dem Benutzen eines gebildeten französisch blieb er nichts schuldig, besonders, wenn er sich aufregt über eine rohe Mundartsprache, zum Beispiel poeme (Gedicht), wenn pomme(Apfel) gemeint ist, couteau, ktay und chevaux, jvak. In Aufzeichnungen seiner Gespräche in einer Englischübersetzung wird es fast unmöglich seinen Eigenheiten zu folgen, und der Leser muß sich eine große Anzahl von Kehllauten vorstellen.

Pater Rolland überstand alle Stürme der Revolution und den Bürgerkrieg. Er ist ein Mann ohne Meinung und er erfüllte seine priesterlichen Pflichten wie Hochzeiten, Trauungen, Beichten der Kranken und Sterbenden, mit einem Blick auf seine finanziellen Anteile. Die großen Gestalten der zeitgenössischen Geschichte bewegten sich wie kämpfende Titanen über seinen Kopf, er sah sie aus weiter Ferne und diskutiert über sie mit Gleichgültigkeit. Er ist nicht aus dem Stoff aus welchen Märtyrer gemacht sind. Sein einziges Geschäft ist es mit seiner Herde zu gehen, der er immer Geduld, gutes Geschwätz und Genügsamkeit im Trinken empfiehlt. In Summe, sein geistiges Verständnis ist gering und seine pädagogischen Fertigkeiten sind befriedigend. Er ist ein guter Lateiner und exzellenter Grammatiker und es zählt zu seinem Grundvermögen einige halbe Dutzend Zeilen von Homer zitieren zu können… Anders ausgedrückt, ein wohlwollender Bauer, von der Erde genommen und mit etwas Gelerntem versehen und man hat Pater Rolland.

Als er das Kirchtor aufmacht, hält er seine beiden braunen Hände Meister Arfoll entgegen und nickt freundlich zu Rohan.

Er hat für jeden einen Gruß, ob Legitimist(9), Bonapartist oder Republikaner. Meister Arfolls Liebe zu den Rechten der Menschen entmutigt ihn nicht. Seine einzige Verweigerung und als hoffnungslose Missetäter von ihm angesehen, sind Gemeindemitglieder, die noch nicht ihren Mitgliedsbeitrag gezahlt haben, oder versuchen auf irgendeiner Weise den Nebenverdienst des Priesters zu schmälern! Mit Pater Rolland ist nicht zu spaßen. Er fordert seine Rechte aus Prinzip und dann, wenn sie bezahlt haben, entweder in Form von Geld oder Getreide, klappert es in seiner Tasche oder bewahrt es in seinem Hof auf und freut sich sofort über sie. Und dann, vielleicht schon am nächsten Tag, setzt er es in Brot und Wein oder Brandy um und verteilt es unter den Kranken und Hungrigen an seiner Tür.

„Willkommen Meister Arfoll!“ ruft der Priester, „Sie sind ein Fremder in Kromlaix geworden, denn wo waren Sie seit einem Monat geblieben, als wir ein Glas tranken und eine Pfeife zusammen rauchten? Was haben Sie gemacht? Nochmals Willkommen!“ Als er spricht strahlt sein braunes Gesicht vor Freude. Meister Arfoll erwidert freundlich die Grüße. Sie gehen ein paar Schritte nebeneinander. Plötzlich hakt der Priester ganz familiär seinen Arm unter Meister Arfolls Arm um Neuigkeiten zu begehren, während Rohan, als Riese der er ist, beiseite geht. Der Wanderer schüttelt traurig seinen Kopf.

„Neuigkeiten, Pater“, ruft er aus, „ach, da ist nichts, nun, natürlich die alten schlechten Neuigkeiten. Rotes Blut auf dem Schlachtfeld und schwarze Trauer im ganzen Land. Ich denke nicht, dass es so länger bleibt – die Geduld der Welt ist erschöpft.“

„Hm!“ murmelt der Priester, mit seinem fetten kleinen Finger im Pfeifenkopf seiner Pfeife, „die Welt scheint auf den Kopf gestellt, rechtschaffender Bruder – sie steht Kopf.“

Für den kleinen Priester scheint es seltsam, mehr ungewöhnlich als furchtbar zu sein. Er hat so viel Schrecken und Tod gesehen, daß er nichts Besonderes dabei empfindet und keinen besonderen Abscheu vor dem Krieg hat. In seinem Herzen lebt er pflichtgemäß, liebt die Weißen mehr als die Blauen, aber er würde niemals irgendjemand anstiften für die Weißen zu sterben. Er glaubt, das Beste wäre, nach der Salbung zu Hause im eigenen Bett zu sterben. Ungeachtet dessen glaubt er, daß die Kämpfe, große und kleine, Ausdruck eines ununterdrückbaren Elementes der menschlichen Natur seien. Er ist nicht politisch genug, um sich gegen jede Gewalt und im Besonderen sich gegen Blutvergießen einzusetzen.

Meister Arfoll fährt in einem ruhigen Ton fort:

„Ich werde Ihnen einiges erzählen, ein kleines Beispiel, aber ein Zeichen des Endes: Ich hielt mich in einem Dorf weit im Osten auf und ich betrat das Haus einer Frau, die ihre beiden Söhne im letzten Feldzug verlor und die eine Woche vorher ihren Ehemann beerdigt hatte…“

„Seine Seele ruhe in Gott!“ unterbricht der Priester und schlägt das Kreuz.

„Sie saß in einem Zustand, ins Feuer starrend und ihre Augen schienen stehen geblieben und irre zu sein. Ich berührte sie an der Schulter, aber sie bewegte sich nicht. Ich sprach zu ihr, aber sie hörte nicht. Durch vorsichtige Schritte erweckte ich sie aus ihrer Trance. Sie erhob sich mechanisch, mein Pater, öffnete ihren Schrank und setzte mir Essen und Trinken vor. Dann setzte sie sich wieder vor das Feuer und ich sah, daß ihr Haar weiß war, obwohl sie noch nicht alt war. Als ich gegessen und getrunken hatte, denn ich war sehr hungrig, sprach ich erneut zu ihr und diesmal hörte sie und ich erzählte ihr, daß ich ein Schulmeister bin und auf der Suche nach Schülern. ’Was kannst Du lehren, Meister?’ fragte sie mich unerwartet und blickte mich an. Ich antwortete freundlich, daß ich ihre Kinder lehren könne, zu schreiben und zu lesen. Sie lachte, Pater, ach! Es war ein furchtbares Lachen! ‚Gehe dann und suche sie’ schreit sie und zeigte auf die Tür, ‚und wenn Du sie in ihren Gräbern im Schnee gefunden hast, komme zurück und lehre mich die Hand zu verfluchen, die sie getötet und dort beerdigt hat. Lehre mich den Kaiser zu verfluchen, lehre mich einen Fluch der ihn stürzt! Lehre mich wie ich ihn töten und ihn ins Höllenfeuer hinabstoßen kann! Oh, meine armen Jungen, meine armen Jungen – Andre! Jaques!’ Sie schrie und warf sich auf ihre Knie und ihr Haar gerät ihr zwischen die Zähne und sie spie es aus. Mein Herz tat mir weh. Ich konnte ihr nicht helfen und ich schlich mich davon.“

Der Priester schüttelte dreimal nachdenklich sein Haupt. Er kennt solchen Kummer gut, aber es bewegt ihn doch etwas.

„Es ist schrecklich – es ist wahrhaftig schrecklich, Meister Arfoll!“

„Das ist aber nur ein Haus von Tausenden und Abertausenden. Die Flüche gehen zu Gott, werden sie nicht gehört?“

„Langsam, Meister Arfoll“, murmelt der Priester mit einem besorgten Blick rundherum, „jemand könnte Sie hören.“

„Ich habe keine Sorge“, sagt der Schulmeister, „der Kaiser mag ein großer Taktiker, ein großer Ingenieur, ein großer Soldat sein, aber er ist kein großer Mensch, er hat kein Herz. Glauben Sie mir, mein Pater, das ist der Beginn des Endes. Es ist Ihr Christus gegen den Kaiser, aber Christus wird gewinnen!“

Der kleine Pater gibt keine Antwort, solche Reden sind gefährlich, denn die Zeiten sind gefahrvoll. Er zeigt entgegenkommen:

„Trotz allem, der Kaiser könnte uns Frieden geben!“

„Könnte? Oder konnte er nicht?“ fragt der Wanderer unerwartet.

„Die ganze Welt ist gegen unser Frankreich“, antwortet der Pater.

„Die ganze Menschheit ist gegen den Kaiser“, erwidert Meister Arfoll scharf.

„Aber der Kaiser kämpft für Frankreich, Meister Arfoll. Ohne ihn würden die Engländer, Russen und Deutschen uns bei lebendigen Leibes auffressen.“

Den halb erstaunten, halb entrüsteten Blick Meister Arfolls sehend, fügt er hinzu:

„Gut, aber ich bin kein Politiker!“

„Sie haben Augen, um zu sehen, mein Pater. Es ist gut in Kromlaix an der See zu sein, weit weg von den marschierenden Männern, aber würden Sie hinausgehen auf die großen Straßen, würden Sie es wissen. Es ist alles im Leben der Eitelkeit eines Mannes geopfert. Wie sollte er uns Frieden geben? Sein Geschäft ist Krieg. Er erklärt nun, daß es England ist, das ihm nicht erlaubt Frieden zu machen. Er erklärt, daß sein Kampf für den Frieden sei. Er lügt, er lügt!“

„Eine harte Rede, Meister Arfoll!“

„Als er letztens durch die Straßen von Paris ritt, schrie das gemeine Volk zu ihm nach Frieden, Frieden um jeden Preis. Es war ihnen, als hätten sie zu dem großen Stein dort drüben gebetet. Er ging schweigend wie eine Marmorstatue vorüber und hörte sie nicht. Ach, Gott! Die Menschen sind erschöpft, Pater! Sie wollen ausruhen!“

„Das ist wahr“, ruft Rohan in einem entschiedenen Ton aus.

Der Pater wirft einen flüchtigen Blick auf Rohan.

„Meister Arfoll lehrte Dich in vielen Dingen, so zu denken wie er. Meister Arfoll ist ein guter Mann, entweder er denkt richtig oder falsch. Aber nimm Dich in Acht, mein Sohn, hier in Kromlaix solche heißen Reden zu führen. Was Meister Arfoll kühn sagen kann, könnte Dir Deine Freiheit kosten und vielleicht Dein Leben.“

Er erklärt nicht den Fakt, den die Mehrheit der Menschen wie Meister Arfoll als sinnlos betrachten, und er ist keineswegs verantwortlich für fremde Dinge, die er sagt oder tut. Eben, weil bonapartistische Beamte, die seine starke Kritik mit einem Lächeln hören würden, fassen ihn auf der Stelle. Und das ist nicht die einzige Instanz, die einen vernünftigen Mann registrieren und in ihm nichts als einen Narren sehen.

„Ich werde mich erinnern“, antwortet Rohan und zuckt mit seinen breiten Schultern.

„Die Menschen haben Recht, Pater Rolland!“ führt der Schulmeister fort, „der Wohlstand und der Stolz auf Frankreich sind im Geschützrauch verweht. Der Verlußt des bloßen Geldes ist das Wenigste, haben wir nicht starke Hände, um zu arbeiten? Aber wo sind die starken Hände? Die Zwangsaushebung liefert sie ans blutige Messer aus und läßt uns nur die sinnlosen Gefechte.“

„Nicht ganz alle“, antwortet der Priester lächelnd, „zum Beispiel Rohan hier hat ein Paar kräftige Fäuste und es gibt viele kühne junge Burschen neben ihm.“

Meister Arfoll blickt etwas sonderbar auf Rohan und sagt dann mit einer noch mehr als zuvor bebenden Stimme:

„Die Zwangsaushebung ist noch hungrig – das Ungeheuer schreit nach mehr menschlichem Fleisch. Dort draußen“, und er zeigt mit seiner dürren Hand ins Land, als sei diese Szene nicht weit weg, „ist ein Deserteur, oh weh, schlimmer als die Deserteure von La Bruyere, bis sie unter der wachsenden Saat liegen in einem fremden Land oder tief in der See oder unter dem Schnee. Ich sage Ihnen, Pater, Frankreich ist verlassen, es hat eine Schlange an seinem Busen genährt, es hat seine Kinder betrogen. Oh wie taub müssen sie hier draußen in Kromlaix sein, die Schreie nicht zu hören, nicht zu hören, die neue Rachel, die um ihre Kinder klagt und weint!“

Meister Arfoll hat seine Leidenschaft gesteigert und es ist schwer zu sagen wie weit er mit seiner Anklage der ‚Gottheit’ gegangen wäre, wenn nicht plötzlich der Pater seine plumpe Hand auf seinen Arm gelegt hätte und flüstert:

„Schweigen Sie!“

Meister Arfoll unterbricht jäh und hört gleich darauf eine klare helle Stimme schnell verlangend fragt:

„Wer ist diese neue Rachel, Meister Arfoll?“

Der Schatten des Schwertes

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