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Kapitel X
Am Wasserfall

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„Sprich leise, es sind die ‚Kannerez-noz’(10), die singen, duck Dich, versteck Dich, damit die ‚Kannerez-noz’ uns nicht entdecken. Für ihn waschen sie ihr blutiges Linnen weiß wie Schnee und ihre Augen schauen hierher und sie singen zusammen kein irdisches Lied. Heilige Jungfrau, beschütze uns, Sohn Gottes, beschirme uns! Amen! Amen!“

Diese einfachen Worte eines alten keltischen Gebets murmelt der Wanderer, als er sich in der Nacht auf dem einsamen Weg befindet und mit furchtsamen Augen hierhin und dorthin späht. Er sieht geisterhafte Schatten seinen Pfad bestürmen bis sein Herz hüpft, als er seitlich nicht weit ein Licht im Fenster eines Landhauses sieht. Gut, mag er die Angst der furchtsamen Waschfrauen in der Nacht haben, für sie gibt es keine Zauberphantasien in der Vorstellung eines hellen, sonnigen Platzes, aber geisterhaft, einsam und furchtbar in Dunkelheit und Tod. Verurteilt ist jener, der auf diese Weise ihn in der Einsamkeit der Nacht erblickt. Es ist seine Leiche, die er mit Knochenfingern wäscht und es ist sein Waschlappen, den er auf dem sternklaren Rasen neben dem Bach zum trocknen ausbreitet und es ist sein Grabgesang, den er singt, wenn er sich über den glimmenden Strom im schattenhaften Wald oder am einsamen Strand beugt.

Nacht für Nacht sind die ‚Kannerez-noz’ geschäftig, ihre Arbeit ist nie zuende, für die lange Linie des Todes, die niemals aufhört. Manchmal in dem heimgesuchten Wald, öfter unter den schattigen Klippen, wäscht er und martert.

Und der Fischer durch seine Geschicklichkeit bei Nacht sieht ihn desöfteren in einem Rollwagen den großen Ankerplatz mit seiner Salzladung überqueren. Hier unten in Kromlaix – und gerade hier – wo die meisten Menschen sehr alt sterben, wenden sie ihr Gewerbe der verfluchten Zwangsaushebung an.

Unter dem Schatten des Menhirs, wo die Strömung dicht am ‚Tor von St. Gildas’ vorbeiführt, haben Dutzende von kromlaixer Männern dieses Klippenteil offen gesehen, welches ein Geisterdorf enthüllte mit einer Silberkirche in der Mitte von wo aus die ‚Angelosglocke’ läutete, einen Friedhof, hell mit silbernen Gräbern, ein Kalvarienberg(7), wo die Figuren nicht aus Stein waren, sondern weiße Skelette und weiter entfernt Häuser, die mit Silber gedeckt sind, mit rotem Fensterglas und mit Schatten, die sich im Innern bewegen. Im Geisterdorf liegt weißes Linnen wie Schnee verstreut und man sah – oh, Gott, mit lebenden Augen – ‚Kannerez-noz’ dicht am Ufer geduckt gehen und man hörte sie mit ihrer furchtbaren Stimme den Grabgesang des Todes singen. Es war vergeblich Jesus und die Heilige Jungfrau und alle Heiligen anzurufen. Sicher ist, dass das Leichentuch eines Mannes gewebt war und die einzige Unsicherheit bestand darin, ob er auf dem Festland oder draußen auf hoher See sterben wird.

Unweit Mutter Gwenferns Landhaus stehen Rohan und Meister Arfoll abseits im Schatten der Klippe, schauen hinunter zum Strand, betrachten still die echte Szene auf welcher der Aberglaube basiert, sehen die Waschfrauen bei Nacht. Es ist eine stille Nacht mit etwas Wind. Der Mond wird durch langsam vorüberziehende Wolken hin und wieder verdunkelt und es sind wenige Sterne zu sehen. Und unten am Strand, murmelnd und wringend, sind die Schattengestalten zu sehen, die sich über die versteckten Wasserlachen beugen und um sie herum ist weißer Glanz wie Leinentücher. Hier und dort schimmern Laternen vom Meeresgrund oder bewegen sich hierhin und dorthin von unsichtbarer Hand. Hinter diesen marmornen Gruppen mit blinkenden Lichtern liegt Kromlaix, das Mondlicht schimmert auf seinen Dächern, die rötlichen Lichter glimmen in seinen Fenstern – ähnlich einem Geisterdorf in einem Halbtraum.

Es ist ruhiges Niedrigwasser. Die Wasserfontainen stürzen von weit oben von dem versteckten Fluß herunter, und die Frauen und Mädchen von Kromlaix versammeln sich hier, um ihr Leinen zu waschen oder um in irdenen Krügen Wasser zu holen, während sie über das Neueste schwätzen. Bei Niedrigwasser, ob bei Tag oder Nacht, versammelt sich Alt und Jung, und so ist der Wasserfall natürlicherweise das Zentrum und Ausgangspunkt der Skandale und Gerüchte in dieser Gegend. Die Phantasie über die Kannerez kommt Meister Arfoll in den Sinn, als er die entfernte geschäftige Szenerie betrachtet.

„Es ist so, dieser Aberglaube bringt Geschichten hervor, braucht es da viel Phantasie, dass die Kannerez-noz vor Dir sind, ihre weißen Leichentücher im klaren Wasser waschen? Die Kannerez! Nicht die schönen Mädchen wie Deine Cousine Marcelle, die mit ihren weißen Füßen im warmen Sand trippelt!“

„Trotzdem, Meister Arfoll“, erwidert Rohan lachend, „es sind sehr viele dort, die würden als Kannerez passen, auch am hellen Tag. Zum Beispiel die alte Mutter Barbaik.“

Meister Arfoll lacht nicht, sieht ihn mit seinen traurigen Augen an und sagt:

„Arme Frau! Arme alte Mutter mit ihren erschöpften Gliedern und ihrem gebrochenem Herzen und dass bald noch mehr brechen wird! Ach, Rohan, es ist eine schöne Sache jung zu sein und stark und schön wie Marcelle, aber es ist eine schlimme Sache alt zu werden und verachtet wie Mutter Barbaik von der Du sprachst. Hat sie nicht einen Sohn?“

„Ja.“

„Einen einzigen Sohn?“

„Ja, Jannick – vom Sehen kennen Sie ihn, Meister Arfoll, er läuft lahm und hat einen großen Buckel auf einer Schulter und zwei Finger seiner rechten Hand sind ihm niemals gewachsen!“

„Gott war sehr gut zu ihm gewesen!“ sagt Meister Arfoll schnell.

„Gut? – Meister Arfoll!“

„Ja, zu ihm und zu seiner armen alten Mutter. Besser, Rohan, in diesen Tagen hinkend und lahm geboren zu sein oder taub und blind, als zu männlicher Stärke gewachsen zu sein. Glücklicher Jannick! Er wird niemals in den Krieg ziehen müssen! Mutter Barbaik kann ihr Kind behalten!“

Nun entsteht eine lange Pause. Beide Männer beobachten den Wasserfall und die See mit unterschiedlichen Empfindungen. Das Herz des Wanderschulmeisters ist voller furchtbarer Ruhe des Mitleids und der Selbstlosigkeit, Rohans Herz ist durch die stürmische Leidenschaft bewegt. Letztlich spricht Rohan. Er scheint nach einer langen Reihe von Überlegungen zu Schlussfolgerungen gekommen zu sein und eröffnet ein neues Thema:


the fountain

„Nach allem, mein Name wird auf der Liste stehen!“

„Kein Zweifel.“

„Und meine Nummer wird gezogen?“

„Vielleicht – aber Gott verhüte!“

Rohan wendet sein Gesicht völlig seinem Begleiter und lacht etwas wild, es ist ein Lachen ohne Freude darin, nur Verzweiflung.

„Gott verhüte? – Ich bin krank beim Hören Gottes Name in dem Zusammenhang!“

„Niemals ist man krank Gottes Name zu hören“, sagt Meister Arfoll freundlich.

„Gott verhüte? Was verhütet Gott? Grausamkeit, Menschenschlächterei, Schlachten, Hunger, Krankheit? Nichts von dem! ER sitzt in Ruhe, wenn ER überall ist, übergibt er die Welt den Teufeln. Oh, Meister Arfoll, Sie wissen es! Sie haben es gesehen! Und Sie haben noch Vertrauen?“

Rohan lacht erneut, beinahe verächtlich. Als er so turmhoch aufragend neben der zerbrechlichen Gestalt Meister Arfolls steht, scheint er mit seinem blonden Haar und der Löwenmähne wie ein mächtiger Riese des Nordens.

„Ich habe Vertrauen“, antwortet Meister Arfoll und sein Gesicht scheint schön im Mondlicht, „ich habe Vertrauen und ich denke, ich werde es behalten bis ich sterbe. Du hast nur einen kleinen Teil der Welt gesehen. Ich habe mehr gesehen. Du hast nichts ertragen. Ich habe alles verloren. Und ich sage Dir nun noch, mein Sohn, was ich sagen würde in Deiner Verzweiflung: Gott verhütet, dass ich an meinem Gott zweifle. Und merke Dir noch: ER erträgt diese Dinge. Es ist so, weil die Menschen in diesen Dingen unwissend bleiben. Wenn das Wissen der Menschen wächst, werden diese Dinge aufhören. Gott machte die Welt schön und Gott ist Freude, die Sündhaften sind unglücklich wie Du siehst und sie kennen Gott nicht.“

„Wer kennt ihn dann? – Nur die, die weinen?“

„Die, die ihm helfen, Rohan.“

„Wie?“

„Durch die Verwirklichung seines Gesetzes der Liebe, durch die Liebe zu allen Dingen, durch das Ertragen aller Dinge. Aber halt, mein Rohan, vielleicht ist mein Gott nicht Deiner. Meiner ist nicht der Gott des Priesters, noch der Gott Onkel Ewens, noch der Herrgott der Schlachten. ER ist die Stimme in meinem eigenen Herzen, die dem Schreien rund um mich antwortet, dort ist keine Hoffnung! Verzweiflung! Verzweiflung!“

Rohan beugt sein Haupt, aber nicht aus Respektlosigkeit. Er ist ein fähiger Schüler und er verehrt seinen Meister, aber der Geist des Zorns ist noch stark in ihm und seine Blicke sind ärgerlich. Das Blut der Gwenferns ist feurig. Die natürliche Leidenschaft und der Stolz ist bei den Menschen dieser Kultur im hohen Maße edel und unterworfen, und hier sind die Grundlagen, es bedarf nur irgendeiner unerträglichen Beleidigung oder Schmach, ihn wieder in die ursprüngliche Wut des ersten Menschen zu bringen.

„Lassen Sie mich noch einmal von der Zwangsaushebung sprechen, Meister Arfoll“, sagt er mit einer Stimme, die vor Erschütterung zittert:

„Nun ist sie wiedergekommen und der Kaiser sagt zu irgendeinem Mann, folge mir! Sagen Sie mir – ist das der Wille Gottes?“

„Ist er nicht!“

„Und ein Mann, der sich das Recht nimmt dem Kaiser zu antworten: Nein, ich werde nicht folgen, denn Deine Führung ist verflucht!“

„Es gibt kein Entkommen – der Gerufene muß gehen!“

„Aber antworten Sie, würde dieser Mann gerechtfertigt sein?“

„Vor Gott wird er.“

Rohan Gwenfern streckt seine Hände in die Luft.

„Dann, Sie werden sich erinnern, wann immer dieser Ruf zu mir kommen sollte, wann immer sich die blutige Hand auf meine Schulter legt und die blutigen Finger mir nach vorn zeigen, dann, und das schwöre ich jetzt, werde ich Widerstand leisten bis zum letzten Tropfen meines Blutes und mit der letzten Faser meines Fleisches, selbst wenn die ganze Welt gegen mich sein wird, sogar, was ich am meisten liebe, werde ich standhaft sein, selbst wenn der Kaiser selbst mich auffordert, ich werde ihn herausfordern. Sie mögen mich umbringen, aber sie können mich nicht zum Töten zwingen. Meister Arfoll, wenn die Zeit kommt, erinnern Sie sich an alles!“

Die Worte sprudelten wie ein Sturzbach hervor. Hätte man das Gesicht des Sprechers gesehen, es würde blutlos erschienen sein – die Lippen zusammengepresst, der Blick fest, der gesamte Ausdruck in der weißen Hitze eines leidenschaftlichen Entschlusses. Nahezu unwillkürlich bekreuzigte er sich selbst, eine Geste, der er selten folgte, aber welche er nun in der Heftigkeit seines Gefühls übernahm, als ob er Gott für seinen Schwur als Zeugen anruft. Das sieht Meister Arfoll. Die Worte scheinen wild und im Fieber gesprochen und er hatte solche rasenden Worte schon vorher gehört, aber das Ende war immer dasselbe gewesen – verzweiflungsvoller Gehorsam in ein unvermeidliches Geschick.

Einige Minuten später geben sich die Männer die Hand und Meister Arfoll geht seinen Weg durch die Klippen.

‚Gott verhüte es wirklich’, denkt er, ‚dass das Los nicht auf ihn fällt! Er ist noch ein unschuldiges Lamm, er kennt nur grüne Felder und den Atem des Friedens. Ich sehe seinen ungestümen Geist in ihm – das erste Blut einer Schlacht wird ihn in ein wildes Tier verwandeln!’

Während des Dialogs ist die Szene am Wasserfall in ihrer wachsenden Lebhaftigkeit fortgeschritten. Näher betrachtet, verliert sie viel von ihrem geheimnisvollen Zauber und wird zu einem lebendigen menschlichen Bild.

In der Mitte zwischen der Ebbe- und Flutmarkierung schimmern zahlreiche Tümpel und die Frauen schöpfen das frische Wasser aus diesen Löchern. Rund um die Tümpel, auf Brettern kniend und quer auf den Booten und manchmal eben auf einer Schindel mit ihren nackten unbedeckten Knien sind geschäftige Gruppen von Frauen und Mädchen mit ihren weißen Hauben, waschend und ihr Linnen mit Schlaghölzern schlagend, lachend und fröhlich plaudernd, kreuzfidel wie eine schwesterliche Krähenschar, welche der Mond in ihren Baumwipfeln aufgeweckt hatte. Der Strand glänzt noch in der Ebbe, bestreut mit verfilzten Schilf und schimmernden Quallen. Die Luft ist warm und gewürzt mit dem Geruch des Ozeans und jeder Luftzug trägt die Nachteulen vom Inland und die großen Mücken zum sandigen Platz der Leute. In Abständen kommt von der dunklen See der Schrei irgendeiner von der Nacht überraschten einsamen Möwe. Eine große kurzsichtige weiße Eule fliegt ungeschickt zwischen den zerklüfteten Felsen und dem Wasserfall äußerst aufgeschreckt umher und verschwindet im Dunkel, jenseits des Kliffs. Einzelne Tümpel sind dem häuslichen Gebrauch vorbehalten und an diesen sind junge Mädchen und Kinder mit irdenen Krügen und hölzernen Eimern, manche stehen zusammen, andere kommen und gehen. Zwischen den Verweilenden steht Marcelle, auf dem Kopf ihren Krug balancierend, ihr Blick geht zu den Gruppen der Frauen, die nah bei ihr im Mondlicht stehen und sich unterhalten. Sie hat keinen guten Stand in der Versammlung, in den Augen der Frauen sind es zwei Hindernisse: erstens ihre Schönheit und zweitens die Verbindung zu dem alten Korporal. In der Regel ist die Szenerie von außergewöhnlicher Lebendigkeit und Fröhlichkeit. Jede Art von öffentlichem oder privatem Interesse wird dort diskutiert und analysiert. Persönlichkeiten werden mit den Eigenheiten der Zungen geschlagen, härter als mit hölzernen Schlägeln ihrer Eigentümer, die Schwächen der Freunde und Nachbarn werden nach außen gekehrt und gut geschrubbt, inmitten einer blinden Schar von Schwätzern. Nicht einmal in der Frauenversammlung in dem großen Stück von Aristophanes war unablässigeres Geschnatter. Die losen Scherze nehmen hier ihren Platz in Anspruch, so wie bei Beranger(13). Außerdem sind dort sittsame, ehrbare Ehefrauen, demütig wie Mäuse vor ihren Ehemännern, gottesfürchtig, liebevoll, gütig. Sie schwatzen nur zusammen über die Geheimnisse ihres Frauenstandes, obgleich sie manchmal grob lachen, aber ohne zu verletzen. Und die jüngere Weiblichkeit, die zusammen steht und ihre Liebesaffären, mit viel Kichern und Flüstern, aber ohne Ungezogenheiten bespricht. Es sind liebliche Mädchen unter ihnen, aber keine so wie Marcelle. Marcelle ist vornehm wie ein ‚grande dame’ und niemals lässt sie sich zu einer Torheit herab, deshalb wird sie als hochmütig angesehen, nicht alle lieben sie, die einen mehr, die anderen weniger.

So steht sie lange im Mondlicht, schön und glücklich wie Marguerite bevor sie das Lied ‚Meine Ruh’ ist hin, mein Herz ist schwer’ lernte.

Manchmal geht es im Geschwätz der älteren Frauen um sie und sie hört eine Weile nicht hin. Diese Nacht ist lachend, schwatzend und singend genug und dies wird dann und wann durch nachdenkliche Stille unterbrochen, die zeitweise von leisem und besorgtem Flüstern gestört wird.

„Oh, mein Gott! Es ist alles wahr genug, kleine Joan, dass irgendeine von uns, unser aller Schmerz erfahren wird!“ ruft eine der Frauen.

„Es wird für Kromlaix ein schlimmer Tag sein“, sagt eine andere und schaut vom Tümpel auf, über dem sie lehnt, „unser Piarik wurde das letzte Mal genommen und er ist bis jetzt noch nicht zurückgekommen.“

„Oh, aber er lebt!“ sagt die erste Sprecherin, „ja, er lebt!“

„Es ist unser Haus, das das Glück hatte“, schreit eine besorgte Große mit grauem Haar, deren braune Arme geschäftig im gleichen Tümpel hantieren, „mein Jannick und mein Gillarm sind gegangen, ohne den Segen eines Priesters zu erhalten oder einen Freund zum Gebet für ihre Seelen zu Gott!“

Sie tut einen tiefen Seufzer, während ihr Gesicht sich im Schmerz verzieht, aber sie hat ein großes menschliches Herz, welches ihr eher brechen würde, als dass man Tränen rinnen sähe.

„Nein, etwas ist nicht wahr“,sagt das Mädchen, das sie Joan nennen, ein kleines, aber erwachsenes Mädchen, welches etwas lahm läuft, „aber die Zeit ist nicht reif und manche sagen der Kaiser selbst weiß nicht einmal seine Pläne. Es mag in einem Jahr oder in zwei Jahren sein, niemand kann es sagen, Pater Rolland erzählte der Mutter heute, als sie so besorgt um Hoel und Leon war, dass die Listen nicht so viele beinhalten. Die Männer sollen nicht für lange fort, sie sollen friedlich sein.“

„Man kann nicht verstehen, warum der Kaiser keinen Frieden macht. Ist er nicht der Befehlshaber? Wenn man Befehlshaber ist wie er, ist es leicht doch Frieden zu machen.“

Die große Frau, die vorher sprach, gibt einen wütenden Lacher von sich.

„Der Kaiser!- sagt der Teufel und alles ist gesagt, als ob der Teufel Frieden macht!“

Das ist mehr, als Marcelle hören kann.

„Still, Yvonne Penvenn, Du hast nicht das Recht solche Dinge zu sagen und für Deine Söhne ist es besser sie sind dort, wo sie gebraucht werden, kämpfend und fluchend auf der Bühne.“

Yvonne hob ihr verhärmtes Gesicht und starrt auf die Sprecherin, aber Marcelle ließ sich nicht entmutigen.

„Du weißt gut, dass das was ich sagte wahr ist und der liebe Gott weiß, ich habe Mitleid mit Dir, aber Du solltest so etwas nicht sagen! Es sind die Engländer, die dem Kaiser verwehren Frieden zu machen.“

Alle wurden aufmerksam, Marcelle sprach als jemand, der Autorität besitzt.

„Mein Onkel Ewen sagt, der Kaiser wäre froh einzuhalten, aber die Engländer hätten alle Könige mit ihrem Gold gekauft und wollen ihn nicht dulden. Hast Du den Mann gesehen, der einen Schwarm Wespen um sich hatte und zum Markt ging und die Dünen von Traonili überquerte? So ist es auch hier. Sie können nicht den großen Kaiser verletzen, diese preußischen und englischen Wespen. Aber sie können ihm Ärger bereiten – sie können ihn davon abhalten Frieden zu schließen!“

Ein allgemeines Gemurmel der Stimmen ist die Antwort. Irgendjemand ist mit Marcelle einverstanden, viele sind anderer Meinung – jeder spricht gemäß seiner Interessen in dem Spiel.

„Aber warum ist dann der Sergeant in solcher Eile bei der Aufstellung der Liste? Geht es darum, nicht alle zu ziehen – oder nur für sechs Monate oder eine Jahr – warum sollte er solch eine Eile haben, die Namen zu bekommen? Ich für meinen Teil, verstehe das alles – der Kaiser hat einen neuen Plan in seinem Kopf und wir sollen noch vor der Ernte davon hören.“

Ein allgemeiner Seufzer folgt dieser unpopulären Prophezeihung. Als die Sprecherin geendet hat, kommt eine fast doppelt so alte kleine Frau in die Gruppe gehumpelt, in der einen Hand einen Gehstock, in der anderen einen Stab mit einem Gefäß, das sie auf einer Schindel niedersetzt und sie ringt nach Atem, sie nimmt den Stock in beide Hände und stützt ihr Kinn auf ihren Handgelenken ab. Sie begutachtet mit ihren schwarzen Augen die Sprecherin. In der Zwischenzeit antwortet das junge Mädchen, welches sie Joan nennen:

„Komme, was da wolle“, sagt sie salbungsvoll, „es gibt letztlich diesen Trost, dass der Kaiser das alles nicht will. Jeder Mann hat seine Chance und die Lose sind in Gottes Hand, das ist es.“

„Und manche können eine Kerze für die Garde in Notre Dame anzünden“, sagt eine andere, „da ist noch Hoffnung, aber den Kaiser zu tadeln ist nicht fair.“

Die das sagt ist eine junge Mutter und all ihre Kinder sind kleine Grünschnäbel, welche spät die Geborgenheit ihrer umschließenden Arme verlassen hatten. So, um was sorgt sie sich? Ihr Ehemann ist an den Dorschbänken in Neufundland fischen und so ist ihre Familie gesichert.

„Ich schreie, wenn unser armer Antonin stirbt und wie ein Blatt im Wind fällt“, sagt ein Mädchen, das noch nichts gesagt hatte und die den Krug, der zuletzt gekommenen alten Frau füllt, „aber jetzt sorge ich mich nicht, ob Gott ihn nimmt oder die Zwangsaushebung.“

Ein ergreifendes Gemurmel antwortet ihr. Die alte Frau steht unbewegt auf ihrem Stock gelehnt, als ob sie fasziniert ist.

„Wir für unseren Teil sind sicher“, ruft Joan, „ich habe nur einen Bruder und der Kaiser nimmt nicht den einzigen Sohn.“

Marcelle, die sich langsam zurückziehen will, wendet sich heftig bei dieser Aussage um:

„Es ist eine gute Sache“, schreit sie mit einem verächtlichen Lacher, „drei erwachsenen Brüder zu verlieren und keiner von ihnen war ein Feigling. Einer aus meiner Familie wird letztlich auf den Kaiser schauen. Würde ich ein Mann sein, ich würde gehen.“

Ein oder zwei Mädchen echoten diese Aussage: Es ist so leicht couragiert zu sein, wenn man selbst nicht in Gefahr ist.

„Aber was den einzigen Sohn betrifft“, fährt sie fort, „der Kaiser hat jetzt anders entschieden. Jeder starke Mann bekommt seine Chance, alle werden nach dem Willen des Kaisers gehen müssen, ausgenommen die Blinden und die armen Idioten. Was dann? Es lebe der Kaiser!“

Nicht eine Stimme antwortet ihr, die Frauen begutachten es in grimmiger Stille und machen Zeichen untereinander. Nur die kraftlose alte Frau, die sich auf ihren Stock stützt, wehklagt gänzlich leise, humpelt hinüber zu Marcelle und ergreift ihren Arm:

„Das ist falsch, Marcelle Derval!“

„Was ist falsch, Mutter Goron?“

„Daß der einzige Sohn gezogen wird. Das ist, was der Sergeant sagt, aber es ist falsch.“

„Du hast recht, Mutter Goron“, murmeln verschiedene Stimmen zustimmend und ärgerliche Gesichter drängen sich um Marcelle. Die alte Frau zittert wie Espenlaub und ihre dünne Stimme piepst verzweifelt:

„Ach, Gott, es kann nicht wahr sein. Der Sergeant sagt, dass niemand befreit wird – nicht einer von allen, aber das kann nicht wahr sein! Ich sprach mit dem Sergeanten und er sagte der Kaiser braucht Männer – tausende, millionen - jetzt. Es ist den Deutschen an die Gurgel zu gehen, so sieht es aus! Aber der Kaiser soll meinen Jungen nicht bekommen. Ich hatte gebetet, dass der Kaiser siegen möge, während er mir meinen Jungen lässt. Ich sagte, ich hatte gebetet für den Kaiser jede Nacht. Die anderen sind tot und sie starben jung – und ich habe nur noch Jan.“

Marcelle ist gerührt und legt ihre Hand langsam auf die der alten Frau.

„Weine nicht, Mutter Goron!“sagt sie, „der Sergeant weiß das alles auch, dass Du niemand hast außer Jan. Er wird ihn nicht in die Liste schreiben und wenn er auf der Liste steht, wird er es nicht dulden, dass er geht.“

„Mein Fluch über all dem!“ schreit die alte Frau wütend.

„Mein Jan ist groß und stark und sie nahmen immer die starken und großen. Ach sie sind arglistig, sie betrügen beim Ziehen und tun das Beste. Und der Kaiser macht sie wieder fertig. Aber sie sollen nicht meinen Jan haben!“

Mit einem mitleidigen Blick geht Marcelle weg, geht langsam zum Strand hinunter, der im Mondschein liegt, der nun heller scheint und sich wie Silber auf den Sand und die See legt. Als sie die Schatten des Dorfes erreicht, trifft sie eine dunkle Gestalt und eine leise Stimme flüstert ihren Namen:

„Marcelle!“

„Rohan!“

Sie küssen sich still im Mondlicht und dann hebt Rohan seine Hand, um den Wasserkrug zu tragen.

„Laß ihn mich tragen, er ist schwer!“

„Nein, er ist ganz leicht!“

Er besteht darauf, aber sie will es nicht dulden, dass er ihre Bürde nimmt, so folgt er ihr so.

„Du warst spät beim Wasserfall. Marcelle, die Gezeiten haben gewechselt.“

„Ja.“

Das ist alles, was sie sagen, bis sie in die Nähe der Tür des Korporals sind. Rohan ist außergewöhnlich schwermütig und schweigsam, aber bei Marcelle ist eine köstliche Freude in seiner stillen Begleitung.

„Willst Du nicht hereinkommen?“ fragt sie und stellt den Krug ab. Die Straße ist leer und sie sind ganz allein.

„Nicht heute“, antwortet Rohan.

Sie halten sich bei der Hand und sie beugt sich zu seinem Gesicht. Plötzlich fährt sie lachend zurück und sagt:

„Nach allem, dann ist die Nachricht wahr!“

„Welche Nachricht?“ fragt er und küsst sie.

„Es wird noch mehr Krieg geben. Der Kaiser ist versessen auf die Deutschen.“

Es ist, als ob die Lippen eines Leichnams ihn berühren, er weicht zurück und erschauert!

„Was ist los?“ fragt sie weich.

„Es ist nichts, nur die Nacht ist kalt. Und so soll nun noch mehr Krieg sein? Das ist eine alte Nachricht, sie überrascht nicht.“

Er versucht seine Emotionen zu unterdrücken, die ihn fast überwältigen, seine Stimme zittert aber nicht. Plötzlich und absolut das erste Mal geht dem Mädchen ein Licht auf, sie schaut in sein Gesicht, dass dieser Mann, ihr Liebster, mit den anderen gerufen werden könnte. Ein stechender Schmerz geht durch ihr Herz.

„Ach, Rohan“, sagt sie, „ich habe vergessen, was ich niemals angenommen hätte: die einzigen Söhne werden auch gezogen!“

Rohan lacht. Das Lachen hat eine große Wut in sich, welche Marcelle in ihren Empfindungen kaum bemerkt.

„Was dann?“ fragt er.

Das Mädchen lässt den Kopf hängen, noch mit ihren Händen in den seinen sagt sie leise:

„Und Du!“

Es folgte eine Pause. Rohan erschauert und antwortet nicht. Plötzlich kommt das Mädchen ganz dicht an ihn heran und legt ihre Arme um seinen Nacken, so dass er ihren Herzschlag gegen den seinen fühlen kann, küsst ihn aus eigenem Antrieb leidenschaftlich auf die Lippen.

„Mein Rohan, mein tapferer Rohan! Es ist wahr, Dein Name ist darunter und möglicherweise wirst Du gezogen und wenn es so ist, musst Du mich verlassen – Du musst weggehen und dem großen Kaiser dienen und für Frankreich kämpfen. Ich werde nichts Falsches sagen – ich bete, dass Du nicht gehen musst. Aber wenn Du gehst, werde ich nicht weinen. Ich werde tapfer sein. Es ist hart, sich den Geliebten mit jemandem zu teilen, ach ja, es ist hart, aber es ist für den Willen des großen Kaisers und was würden wir nicht dafür tun? Wenn es sein und Gottes Wille ist, werde ich nicht traurig sein. Nein, denn ich werde stolz sein!“

Sie fährt sich mit den Händen über die von Tränen feuchten Augen.

In dem Moment ruft eine Stimme von des Korporals Schwelle laut:

„Marcelle!“

Schnell küsst sie ihren Geliebten noch einmal, nimmt ihren Krug auf und entfernt sich schnell, lässt Rohan im Schatten der Straße still zurück. Er hatte ihr weder geantwortet, noch hatte er sie unterbrochen, er war zu überrascht und zu krank im Herzen. Ihr schneller Kuß schien ihm furchtbar. Nun ahnt er, wie sich ihr Fühlen voneinander entfernt hatte, wie verschieden ihre Seelen beten wie sie verschiedene Götter verehren. Und trotz allem steigt seine Liebe Welle für Welle in ihm hoch, immer stärker, bis zu einem leidenschaftlichen Exzess und dem neuen Schrecken, der ihn verfolgt, er scheint als Mann verrückt zu werden. Dennoch läuft er noch Stunden im Mondschein durch die Nacht. Manchmal das geliebte Gesicht wieder heraufbeschwörend und von der Leidenschaft sich umarmt fühlend, manchmal schaudernd, wenn er sich an all die Blindgläubigkeit und Verehrung des Herzens erinnert, welches mehr als einmal gegen sein eigenes gepresst wurde. Mehr als einmal streckt er mit einem stummen Schrei seine Hände zu Himmel:

„Ich habe es geschworen, oh mein Gott! Niemals, niemals!“

Der Schatten des Schwertes

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