Читать книгу Der Schatten des Schwertes - Robert Buchanan - Страница 5
Kapitel I
In voller Sonne
Оглавление„Rohan, Rohan! Kannst Du mich nicht rufen hören? Es ist Zeit zu gehen. Komm, komm! Es erschreckt mich, zu Dir nach unten zu sehen. Willst Du nun nicht heraufkommen, Rohan?“
Die Stimme, die dies ruft verliert sich im Rauschen des Ozeans, der die blaue Weite unten erfüllt, sie klingt ab, weit unten in der Ferne, inmitten eines wirren Rauschens der Flügel und dem geschäftigen Schwatzen der kleinen neugeborenen Schnäbel.
Während die Ruferin sich schwindelnd zurückzieht, fühlt sie den Boden unter sich schwanken und die Klippen schicken sich an wie ein großes Rad überzukippen. Ein menschlicher Ruf dringt herauf, klar, aber schwach wie eine Stimme von der See, die die bemoosten Felsenklippen aus blutrotem Granit umspült.
Weit entfernt über dem Wasser versinkt die Sonne, versinkt mit einem letzten goldenen Schimmer, inmitten der geheimnisvollen Abende der stillen, ruhigen Luft und seinem gleißenden Licht, das schräg in die durchsichtige Ruhe einfällt, bis es auf die narbige und sturmgezeichnete Oberfläche der bretonischen Klippen auftrifft und jeden Winkel und jede Spalte der Klippen beleuchtet und ihrem natürlichen Rot, bis zum Karmesinrot wie tropfendes Blut, die Gipfel brennend lässt. Es läßt das gewöhnliche Gras in smaragdfarbenen Fäden und die gelben Blüten als schimmernde Sterne erleuchten. Brennend wie in einem goldenen Nebel sind die gelben Blüten des herabhängenden Ginsters. Es ergießt sich mit grellsten Strahlen auf einen nackten Felsen aus festem Stein, welcher wie ein riesiges Horn den Rand des Abgrundes überragt und um den ein Seil geschlungen und fest verknotet ist.
Nahe dem Felsenhorn steht im vollen Schein des Sonnenlichts ein junges Mädchen, das vernehmlich jemandem zuruft, der, für sie nicht sichtbar, unten an dem Seil schwingt.
Das Sonnenlicht scheint voll in ihr Gesicht und blendet sie, während eine leichte Briese von der See die Lider ihrer geblendeten Augen küsst. Nach ihrer sonnengebräunten Haut zu urteilen, scheint sie die Tochter eines Zigeunerstammes zu sein. Aber solche dunklen Merkmale wie bei ihr sind allgemein bei den keltischen Frauen der bretonischen Küste charkteristisch. Ihre großen Augen sind nicht zigeunerschwarz, sondern himmlisch grau. Diese mystische Farbe kann zart sein wie der Himmel in Freude und Liebe, aber auch dunkel wie der Tod in Wut und Zorn. Und tatsächlich, wenn jemand lange in diese schaut, erfährt er seltsame Abgründe der Liebe, der Selbstkontrolle und des Stolzes. Das Mädchen ist groß und wohlgeformt, ziemlich hager, kleine Hände und Füße, ihre Wangen etwas rosig, ihre Hände etwas weißer, ihr Gang ist elastisch, sie könnte eine geborene Lady sein. Es ist heute gerade achtzehn Jahre her, seit dem stürmischen roten Morgen, als ihr Vater mit dem größten Fang an Fischen, als Rekord der Saison, in den Hafen des kleinen Fischerdorfes einlief. Hier fand er, dass die Heilige Jungfrau, nach dem sie ihm vier stramme Söhne gab, ihm ein kleines Mädchen in sein Ehebett beschied, lang erbetet und letztlich erfüllt. Das Mädchengesicht ist noch immer schön mit der ungebrochenen Unschuld der Kindheit. Ihre Schönheit kennzeichnet geradezu ihren Schmollmund mit der lieblichen Unterlippe.
Eine Frau ist sie und doch noch ein Kind. Und in diesem Moment berührt die Sonne fast jedes Mädchens Wange, in jedem Dorf entlang dieser stürmischen Küste und scheint auf nichts Süßeres. Wie eine Königin aus früheren Zeiten hält sie einen Spinnrocken in ihrer Hand, aber nicht in königlichen Kleidern, trotzdem hübsch, sie passt besser zu einem schmucklosen, malerischen bretonischen Bauernmädchen – eine bescheidene weiße Haube, das blaue, lose fallende Kleid, welches mit hellem Saum und mit Rot abgesetzt ist, die hübsche Schürze, umkränzt mit gestickten bunten Blumen, das zierliche Mieder ist mit einem Rosenkranz und einer Medaille von ‚Unserer Lady’ geschmückt und endlich die kuriosen Holzschuhe.
„Rohan, Rohan!“
Eine vogelklare Stimme, die sich aber im Rauschen der blauen Leere nach unten verliert. Das Mädchen legt ihren Spinnrocken neben ein Paar Holzschuhe und einem breiten Hut, die auf einem Quader des Felsens liegen, nieder. Nun setzt sie sich selbst mit mutlosem Gesicht dicht an den Rand der Klippe, ergreift mit einer Hand das Seil, welches vom Horn des Felsens neben ihr hängt. Sie schaut nach unten. Auf halber Höhe im Abgrund, hängt an dem Seil eine Gestalt, bemerkt ihre Berührung des Seils und schaut mit strahlendem Gesicht lächelnd nach oben. Sie sieht für einen Moment die Gestalt unter sich frei in der Luft schweben, umgeben von einer fliegenden Wolke von Seevögeln – sie erkennt den weißen Strand weit unter sich und die rote Farbe der unkrautbewachsenen Lachen stehenden Wassers, die durch die Gezeiten entstehen und den cremeweißen Rand der glasklaren fast unbewegten See. Sie fühlt für einen Augenblick den Sonnenschein, der die Felsen schimmern lässt. Dann dreht es sich in ihrem Kopf, sie schließt ihre Augen mit einem unterdrückten Schrei. Ein helles Lachen fliegt zu ihr herauf und beruhigt sie, sie faßt wieder Mut und schaut wieder hinunter. Was für eine Tiefe! Als sie aufs Neue in die Tiefe sieht, wird es ihr wieder schwindlig und plötzlich schießt ihr ein Gedanke durch den Kopf und sie wird ganz ruhig. Sie sieht alles deutlich und klar und ihr Blick sieht nur ein Bild: Nicht die karmesinroten Klippen und Granitfelsen unter welchen sich der friedliche Ozean ausdehnt, durch das Gewirr der verflochtenen Rotalgen und den riesigen roten Wasserfarnen; nicht die einzelne ‚Needle of Gurlau’, ein riesiger, einzeln stehender Monolith aus Kalk und Stein, etwa 200 Meter draußen in der See, in den Wellen immerwährend gewaschen und über dessen Gipfel immer ein Schwarm Seevögel schwebt; nicht die einzelnen Felsgruppen, wo die großen Möwen mit ihrem schwarzgefiederten Rücken sitzen und in der Entfernung wie weiße Motten aussehen und in den Sonnenschein sehen, erschöpft vom langen Tag des Fischens; nicht die in langen Linien sitzenden grünen Kormorane, welche schläfrig nach Hause zu ihren Schlafplätzen über das purpur- und perlmuttgefärbte Wasser fliegen; nicht die Robben, die in dunkelgrünen Buchten weit unten schwimmen; sie sieht nicht das einsame Fischerboot mit den roten Segeln, das mit der Ebbe eine Meile weit in die offene See driftet. All das sieht sie für einen Augenblick wie durch ein magisches Glas, es verschwindet, aber es bleibt ein Bild – die lebende und unerschrockene Gestalt unter ihr, die lotrecht unter der Felsenspitze wie eine Ziege hängt, pendelnd in halber Höhe, mit Händen und Füßen geschäftig zu den Eiern der Seevögel sich hin und her bewegend. Dick wie Schaumflocken fliegen die kleinen Seeschwalben geschwind wie Kanonenkugeln um seinen Kopf, die Seepapageien schwirren aus ihren Höhlen (die komischen Seepapageien bohren wie Kaninchen Löcher in die Erde, bevor sie ihre Eier ablegen) und segeln geschwind und schwungvoll hunderte Yards, kommen wieder und passieren, zu ihren Höhlen zurückkehrend, erneut dicht die Ohren des Eindringlings. Ein kleiner Kormoran der grünen Sorte, segelt lautlos und ununterbrochen, sieht den Eindringling, setzt sich oben auf die Klippe, wo unzählige Vögel bereits sitzen und ihre kleinen Augen auf ihn gerichtet sind. Die Seepapageien, mit ihren verschiedenfarbigen Schnäbeln sitzen auf dem grünen Erdhügeln; die Trottellummen lieben es, überall auf Erdhügeln oder in Felsspalten ihre Eier abzulegen; die kleinen möwenartigen Seeschwalben, männliche und weibliche, sitzen wie Liebesvögel Schnabel an Schnabel auf den winzig kleinen Vorsprüngen des Felsens, unterhalb des Kletterers. Die zahllosen Vögel, die ihn umschwärmen sind von der Störung in Aufregung gebracht worden und bilden eine ‚Schneewolke’ um ihn. Die Luft ist voller Zwitschern, Flattern und Rascheln, welches einen unerfahrenen Bergsteiger zur Verzweiflung treiben würde. Als er zwischen ihnen behende gleitet, murren sie auf ihre Weise, das ist alles. Gelegentlich macht ein brütender Vogel, dem die Eier geplündert wurden Anstalten ihm ins Gesicht zu fliegen, so wie bei seiner ersten Bewegung auf die Vogelnester der Wachteln. Hin und wieder, wenn seine Hand in ihre Höhle fasst, schnappt ein ärgerlicher Seepapagei nach seinen Fingern und wirft in großem Zorn Federn heraus und wirbelt sie in die Luft. Die Füße des Eierräubers sind nackt, so erleiden sie manchesmal einen wahllosen Biß oder ein Schnabelpicken, aber seine einzige Antwort darauf ist ein glücklicher Lacher. Manchmal begibt er sich bewusst oder unbewusst in Gefahr, als ob er sie um des Sports willen verzehnfachen will. Es ist aufregend, ihm bei seinen kraftvollen Bewegungen inmitten des schwindelerregenden Raumes zuzusehen. Die Sonne bescheint seine Gestalt und unter seinen Füßen ist die funkelnde See. Sein Kopf ist unbedeckt, sein Haar ist völlig golden, fällt auf seine Schultern und wird öfter in sein Gesicht geweht, aber mit einer schnellen Kopfbewegung wirft er es wieder hinter sich. Der Kopf ist der eines Löwen, der Hals, das Kinn sind löwenartig und die Augen, wenn sie wie jetzt strahlen, haben den fremden, fernen und visionären Blick des Königs der Tiere. Seine Gestalt, behende wie sie ist, ist die eines Herkules. Er ist ein Gwenfern, denn ein Gwenfernmann steht nicht unter sechs Fuß in seinen Holzschuhen. Zöge er seine Kleider aus und nähme er sich eines Felsens an, er könnte wahrlich Herkules sein – so groß ist er gebaut, so mächtig sind seine Glieder. Aber auch in seiner jetzigen Tracht – der dunkelblauen Bauernkleidung, das Hemd am Hals offen mit einem buntfarbenen Halstuch und einer Hose, die an den Knien mit einem scharlachroten Band geknotet ist, sieht man seinen starken Körper.
Er versteht sein Handwerk. Ein fast volles Netz dunkler, fast erdfarbener Eier hängt gesichert an seiner Taille. Die Sonne steht tief, ihr Glanz, der auf die rotgefärbten Klippen fällt, wird schwächer. Der Eierdieb erhebt im Licht seinen Blick und sieht das dunkle Gesicht des Mädchens zwischen den über ihm herumflatternden Vögeln.
„Rohan, Rohan!“ ruft sie erneut. Er winkt mit seinem Bergsteigerstab und lächelt und ist schon im Begriff zum oberen Rand des Felsens zu klettern.
„Ich komme, Marcelle!“, ruft er. Und durch die fliegende Schneewolke kommt er langsam nach oben. Nun schwirren die Vögel nur noch um seine Füße. Teilweise unterstützt durch das Seil, teilweise durch den Haken seines Bergsteigerstabes, kommt er, sich mit Händen und Füßen festklammernd, von Sims zu Sims kletternd, ständig immer höher. Manchmal bröckelt loses Gestein unter seinen Händen oder Füßen und er schwingt sich mit seinem ganzen Gewicht über die Klippen. Für einen Moment ist er blass, nicht vor Angst, sondern aus Anstrengung, er atmet schnell. Daß es ihm nicht schwindlig ist! Seine ruhigen blauen Augen schauen mit einer gleichsamen Unbekümmertheit auf und ab, er kennt jeden Fußtritt auf seinem Weg. Langsam, beinahe mühselig, scheint er sich zu bewegen, aber sein Fortkommen ist geschwinder, als es auf der Entfernung zu sehen ist und in wenigen Minuten hat er sich auf die überhängende Felsspitze gezogen und erreicht die Spitze, ergreift das Felsenhorn mit Händen und Knien und schwingt sich selbst dicht neben dem Mädchen auf den grünen Rasen. Von hier eröffnet sich der Blick über die Klippen ins Inland. Der bewölkte Osten ist mit tiefroten Streifen gefärbt, darunter die grasbewachsenen Hügel. Die frisch gepflügten Felder und die Baumgruppen, deren Blattwerk ihre königlichen Formen verbergen, heben sich voneinander ab und bilden schöne Linien. Aber alles was er im Moment sieht ist ein sonnengebräuntes Gesicht und die hellen Augen, die liebend in seine schauen.
„Warum willst Du immer so verwegen sein, Rohan?“, fragt sie ihn in einer sanften bretonischen Mundart, „wenn das Seil gerissen wäre, wenn der Knoten aufgegangen wäre, wenn Du ohnmächtig geworden wärst! Gildas und Hoel sagen beide, dass Du töricht bist, St. Gulans Craig ist nicht das Richtige für einen Mann zum Klettern!“