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Kapitel VIII
Des Korporals häuslicher Herd
ОглавлениеDen ganzen Tag ist Marcelle voller Aufregung, der neuen süßen Leiden wegen. Sie rennt wie im Traum hin und her, zu einer Musik, die nur ihre Ohren hören. Sie wird mal rot, mal blaß, ihre Hand zittert, als sie das schwarze Brot schneidet und Pfannkuchen macht. Sie spricht wenig und ist nett zu ihren Brüdern und sie hat ungewöhnliche Einfälle – ihre Mutter und den Korporal zu küssen. Ihre Mutter schaut sehr verwundert auf sie, ist aber etwas misstrauisch, was das wohl bedeute.
Heimlich Liebe ist süß, aber die erste Liebe ist süßer, sie bringt stille Sicherheit mit sich und die ersten Küsse der Liebe. Seit diesem Tag hat Rohan niemals darüber gesprochen, was die Herzen der beiden bewegt. Bis zu dieser Stunde hat er niemals mehr getan, als sie in der einfachen bretonischen Weise auf beide Wangen zu küssen. Nun hatten sich ihre Lippen getroffen, ihr Zustand war besiegelt. Das Treffen mit Meister Arfoll hat in ihr etwas niedergedrückt, aber die Wolken sind bald verzogen. Im Innern ihres Herzens zweifelt sie keinen einzigen Moment, dass Rohan ein guter Christ ist, im doppelten Sinne: erstens im Glauben an Gott, zweitens an den großen Kaiser.
Marcelles Religionsausbildung war zweifach:
Ihre Mutter, eine einfache Bauersfrau, die all die Leidenschaft für Kirchengebete noch in ihrem Herzen bewahrt, alten Aberglauben und Heiligenlegenden, welche die Revolution erfolglos mit Macht aus Frankreich zu vertilgen suchte. Sie ist eine treue Dienerin jedweder Zeremonie in der kleinen Kapelle, sie fällt auf ihre Knie und betet, wann immer sie an einem Kruzifix vorüberkommt und sie glaubt einfach an die Wundertaten aller Heiligen. Sie hat die Verehrung ihrer Klasse für die Könige und für die Priester und Vikare von Kromlaix angenommen, war niemals enthusiastischer Legitimist, aber sie verabscheute die Revolution. Sie war eine fruchtbare Frau gewesen. Ihr Ehemann, des Korporals älterer Bruder, war ein Fischer, welcher im großen Sturm 1796 starb und der Korporal, der als ein gemeiner Soldat von Italien nach Hause kam, sie mit einer großen Zahl hilfloser Kinder als Witwe fand– vom ältesten Andre, der im russischen Schnee schlief, bis zum Neugeborenen – Marcelle, nicht zu sprechen von Jannick, der die meiste Sonne, noch ungeboren, in das Witwenherz brachte. Dann und dort, mit seines Bruders Kinder, die sich an Hals und Knie klammerten und seines Bruders Witwe weinend an seiner Schulter, hat Ewen Derval einen Eid geschworen, dass er niemals heiraten würde, aber ein Vater für die Vaterlosen und ein Bruder für seines Bruders Frau. Und er hat Wort gehalten. Kämpfend in vielen langen Feldzügen, diente er seinem Herrn mit der Kraft der Vergötterung, er hat jede Versuchung vorsichtig vermieden, sein hart erstrebten Lohn zu vergeuden. Er hat manchmal wirklich geglaubt ein Mittler und harter Mann zu sein. Aber die kleine Familie wollte es nicht, aber der tapfere Mann ernährte sie, als wäre es sein eigenes Blut. Zuletzt bei Austerlitz, fiel er und verlor ein Bein, sein Dienst endete und seit dieser Stunde wurde er von seinem Herrn nicht mehr gebraucht. Das Entlassungsgeld war nicht knauserig und er konnte noch seinen Dienst an seinen Kindern tun wie er es versprochen hatte. Er dachte, er könnte noch länger dem großen Schatten folgen, der durch die Welt fegt.
Abgenutzt, verwittert, holzbeinig, mit Medaillen dekoriert, das Herz voller Dankbarkeit und sein Gepäck voller Geschenke für die Kinder, so kehrte er nach Kromlaix ans Meer zurück. Und dort, ein Held, ein Wunder und ganz ein Familienvater, wurde er trotz seines Junggesellenstandes ansässig und friedlich.
Der gute Korporal Ewen bewahrte durchaus all die Ausschweifungen und Unglauben eines militärischen Lebens, ein klarer Charakter und in einfacher Frömmigkeit der Seele, welche einfach die Charaktermerkmale der napoleonischen Veteranen ausmachen. Er hatte den Respekt vor Frauen durch die unzivilisierte Freiheit eines alten Soldaten ganz verloren und, wie wir schon sagten, glaubte er an Gott. Er ist sicher nicht was die Menschen einen guten Katholiken nennen, weil er selten oder nie zur Kirche geht und er hört die Messe nur einmal im Jahr, am Weihnachtstag zu Mitternacht. Er würde seinen alten Hut, wann immer die Angelusglocke in der Ferne erklingt, absetzen, und vermischt den Namen des Kaisers mit dem des Lieben Gottes beim Beten. Es kommen keine anrüchigen Scherze über seine Lippen. Ansonsten griff er mit der heiligen Lehre ein, mit welcher die Witwe Dervals ihre Kinder großzog, die ihnen die Liebe und Verehrung für Christus und den Heiligen anerzog und so, zur Ehre des Priesters, die Nachkommen einer gottesfürchtigen Frau ehrenwert durch das Leben gehen konnten.
Und in den langen Winternächten, wenn der Wind von der See stürmt und der Schnee draußen tief liegt, sitzen die Kinder wie eine Traube um den alten Veteran, während die Witwe in der Ecke an ihren Spinnrad sitzt und hören offenen Mundes die Geschichten des großen Mannes, der für sie von allen lebenden Männer gleich nach Gott kam. Unnötig zu sagen, dass sich die Geschichten tief ins Herz des kleinen Mädchens Marcelle einprägten. Sie ist leidenschaftlicher und ehrerbietiger, als ihre Brüder. In ihrer Kindheit hat sie gelernt, dass der Kaiser göttlich sei, sie gab ihm die Verehrung ihres Herzens, mit dem Vertrauen, das niemals erschüttert werden kann, mit einer Liebe, die niemals stirbt. Sie hörte von ihm früher, als sie von Gott wusste. Gott und er waren in ihrer Einbildung vermischt und mit jedem Gebet, welches sie sprach und jeder Traum, den sie träumte wurde der Kaiser heiliger und heiliger, in einem guten religiösem Licht.
An diesem Tag von allen ihren Tagen, vergisst sie beinahe ihr Idol im Taumel der neuen Freude. Dann und wann, wenn sie im Landhaus umherhuscht, fühlt sie sich von Rohans Armen emporgehoben und hört das Rauschen der sommerlichen See, fühlt ihr jungfräuliches, gelöstes Haar in ihr aufgewühltes Gesicht wehen. Es scheint ihr gut zu gehen und sie bewegt sich in ihrer anheimelnden bretonischen Kleidung im schwindenden Sonnenschein hin und her. Ihre hell gefärbte Frauenkleidung und ihr schneeweißes Mieder leuchten gegen die dunklen Wände im Dämmerlicht wie das Licht auf einem alten Interieur von Rembrandt. Es ist Wohn - und Speisezimmer und Küche in einem. Dort steht in allgemein üblicher Sitte der polierte Tisch mit einer aus dem Holz herausgearbeiteten Vertiefung für die Suppenterrine, mit dem Löffelgestell und dem an einem der großen schwarzen Querbalken aufgehängten Brotkorb darüber. An und auf den Querbalken hängen und stehen eine Menge Hausgeräte und Henkeltöpfe, Kerzen und Geräte, Ölkannen, Häute voll Schmalz, Zwiebelzöpfe, Sonntagsstiefel mit großen Lederriemen, einige Ziegenfelljacken und Speckseiten. In einer Ecke, nahe dem Kamin steht ein ‚lit clos’ – oder wie die Schotten es nennen ein ‚press-bed’, eine Art Alkoven, der bis zur getäfelten Decke reicht wie ein großer Kleiderschrank mit verschiebbaren Panelen, schwarz wie Ebenholz und mit altehrwürdiger Schnitzerei.
Auf der gegenüberliegenden Seite des Raumes ist ein weiteres schmales Bett. Ein großer schwarzer Topf steht in der Glut eines Torffeuers und auf seinem Deckel sind ebenfalls Glutstücken gestapelt. Alles ist sauber, frisch und hell mit den verschiedenen Gerüchen wie von frischem Linnen der Alkoven oder dem Hauch von der deutschen Pfeife des Veterans, die auf einem Sims des Kamins liegt. Ein Treppenhaus, mit uralten Schnitzereien und auch schwarz wie Ebenholz, führt in die obere Etage des Landhauses. Die Erdgeschossdielung ist durch die Hitze des ständig brennenden Feuers härter als Backsteine.
Sie hatten gerade ihre Malzeit mit Pfannkuchen und Milch beendet. Der Korporal humpelt davon, um einen Diskussionsfeldzug mit dem Nachbarn zu beginnen. Die Zwillinge, Hoel und Gildas lehnen sich gegen die Wand, Alain raucht an der Tür und Jannick hockt am Feuer, während die Mutter noch am Tisch sitzt und in ihrer Hausfrauentracht mit ihren großen Augen grübelnd in die Glut starrt. Dann beobachtet sie ruhig Marcelle, sie ermahnt die Jungen etwas ruhiger zu sein und Jannick, ihr Ungestümer, der Spaßmacher und ihr Jüngster, macht ihr seit zwei Jahren verschiedentlich grobe Scherze.
„Was ist mit Marcelle los?“ fragt Hoel plötzlich, „sie hat seit Stunden kein Wort gesagt und starrt vor sich hin, so wie Jeanne es macht, die bei den Fo-Fouet lebt.“
Marcelle errötet, sagt aber nichts.
„Vielleicht“, deutet Gildas, der andere Zwilling, spaßhaft an, „hat sie den ‚Kourigaun’ gesehen.“
„Gott und die Heiligen seien davor!“ ruft die Witwe und bekreuzigt sich schnell. Was für die Bretonen der ‚Kourigaun’ ist, ist für die Schotten ‚banshee’, es ist ein Geist der schlechte Nachricht verkündet und vielleicht auch jemandens Tod. Er erscheint auf einsamen Wegen.
„Unsinn!“ sagt Marcelle
„Das Kind ist blaß“, sagt ihre Mutter besorgt, „sie isst zu wenig und sie arbeitet zu hart, sie ruht nicht aus wie ihr anderen, eitel wie ‚Grand Seigneurs’, wenn ihr nicht gerade Fischen seid. Dies ist ein volles Haus und die Hände zweier Frauen müssen hart arbeiten, um alles in guter Ordnung zu halten.“
Dann tritt Stille ein und Marcelle schaut dankbar zu ihrer Mutter, die ihre geheime Verfassung erriet. Die Mutter senkt den Blick und schaut in das Feuer. Die Tochter beginnt eifrig den Tisch abzuräumen.
„Das ist alles sehr gut“, sagt Jannick und streckt seine langen, noch ungestalten Glieder aus und grinst hintergründig mit seinem bartlosen Babygesicht, „das ist alles schön und gut, aber Marcelle tut ihre Hausarbeit nicht am ‚Tor von St. Gildas’.“
Marcelle erstarrt und wieder versenkt sie sich in das Tischabräumen, nun ist sie blaß statt rot. Sie sieht mit keiner freundlichen Miene zu dem Sprecher, der nur mit einem respektlosen Abwinken und einer Grimasse antwortet.
Die Küche des Korporals
„Was meint der Junge?“ erkundigt sich die Witwe.
„Er ist ein schalkhafter Knirps und ihm gehört etwas hinter die Ohren“, sagt Marcelle mit leiser Stimme. Der große Schlaks bricht in wieherndes Lachen aus.
„Hole Deinen Herzerfreuenden und laß ihn versuchen“, sagt er, „Mutter, frage sie weiter, ging sie heute ihr Leinen am ‚Tor von St. Gildas waschen? Und wenn sie ‚nein’ antwortet, frage warum sie heute dort so lange verweilte.“
Die Mutter schaut fragend zu Marcelle, die noch ganz beschäftigt ist.
„Warst Du heute dort, mein Kind?“
In der Antwort war kein Zögern.
„Ja, Mutter.“
Marcelles große ehrliche Augen richten sich nun standhaft auf ihre Mutter.
„Es war ein langer Spaziergang. Warum gingst Du so weit, mein Kind?“
„Ich ging zur ‚Leiter von St. Triffin, an der Küste, um nach Rotalgen zu sehen, es war Ebbe und ich wollte das große ‚Tor’ und das ‚Trou von Gildas’ sehen. Dann kam die Flut, Mutter, und packte mich fast und ich hatte ernsthaft zu tun, um über das ‚große Tor’ zurück zum Strand zu kommen.“
Die Witwe schüttelt den Kopf.
„Wie konntest Du zu diesem gefährlichen Platz gelangen? Du wirst eines schönen Tages verloren gehen, wie Dein Vater. Eines Mädchens Arbeit ist zu Hause und nicht unten an der See. Ich habe in Kromlaix gelebt, als Mädchen und als Frau, seit nahezu fünfzig Jahren und ich sah niemals das ‚Tor’, ausgenommen einmal vom Boot Deines Vaters aus, als er mich mitnahm, in den verruchten Tagen, um die Heilige Messe auf See zu hören.“
Nun setzt sich die Hausfrau wieder an das Spinnrad, wo sie geschäftig zu spinnen beginnt. Sie ist eine der sparsamen tatkräftigen Frauen, für die Müßiggang der Tod bedeutet und die das Haus, das sie bewohnen in geschäftiger Arbeit in Schwung halten. Manchmal fast bienengleich in ihrer irregeleiteten Vergeudung von Energie.
„Ich will Dir erzählen“, sagt Jannick aufstehend und seine Glieder streckend, „was wir an diesem Tag sahen, als wir vom Fischen heimkamen. Wir waren mit der Flut gedriftet bis dicht an das ‚Große Tor’, näher, als man mit dem Boot segeln konnte, als Mikel Grallon, der Augen wie ein Falke hat, ausrief: ‚Schaut!’ Und wir schauten alle zum ‚Tor’. Wir waren zu weit entfernt, um Gesichter zu erkennen, aber was wir sahen, war dies: ein Mann wie ein Fischer watete bis zur Hüfte im Wasser und trug ein Mädchen in seinen Armen. Die Flut war hoch und er trug sie durch das ‚Tor’ und setzte sie am trockenen Ufer ab. Er wandte sein Gesicht dem Mädchen zu, es war Marcelle. Dann küsste der Mann das Mädchen und das Mädchen den Mann, dann trieben wir ab und sahen nichts mehr.“
Die Zwillinge lachen und schauen auf Marcelle. Sie ist nun ganz ruhig und zuckt in charmanter Gleichgültigkeit mit ihren Schultern. Jannick, irritiert durch ihre Gelassenheit, wendet sich an seine Mutter:
„Mutter, frage sie, ob sie zum ‚Tor’ allein ging!“
Bevor die Mutter die Frage gestellt hat, antwortet Marcelle selbst und schaut keck zu dem Schalk, der sie foltert.
„Nein, zu zweit gingen und kamen wir. Ich hatte Begleitung, wie Du schon erzähltest. Höre Mutter! Jannick ist ein Dummkopf und sieht Wunder, wo vernünftige Menschen nichts sehen würden. Ich fand einen Begleiter am Strand und er begleitete mich auch durch das Tor und danach, als die Flut anstieg, trug er mich wieder durch das Tor und dann – was der törichte Jannick sagte ist wahr, ich küsste ihn auf beide Wangen, als Dankeschön! Es war nur Cousin Rohan und nur durch seine Hilfe, Mutter, bin ich an diesem Tag nicht ertrunken.“
Nun gibt es ein anderes Gelächter, diesmal auf Jannicks Kosten. Marcelles Streifzüge mit Rohan sind gut bekannt und Rohans Verbindung zur Familie ist so eng, dass sie nur kleine oder gar keine Kommentare hervorrufen. Nur die Mutter schaut ernst.
„Das ist nicht wahr“, ruft Jannick ärgerlich, weil er die Lacher gegen sich hat, „als ich die Straße herunter kam, war Rohan mit dem Priester und Meister Arfoll auf der Straße und Du warst schon zu Hause, als ich hier ankam. Deshalb war der, der sie trug nicht größer als ich und er umarmte sie zu eng und zu oft, als daß es Rohan gewesen sein konnte.“
Die Witwe unterbricht scharf:
„Wer immer es war – und die Heilige Jungfrau verbietet, dass Marcelle oder jedes andere Kind von mir, Lügen zu sagen, wer immer es war, Rohan oder ein anderer, Marcelle hatte dort nicht zu wandern. Es ist kein Platz für ein Mädchen, noch für irgendjemand, nur für wahnsinnige Geschöpfe, die ihr Leben in deren Hände geben wie Rohan Gwenfern. Deshalb weiß das ganze Land die Geschichte, die vom heiligen St. Gildas kursiert und man wendet sich ab von diesem Platz. Alle Menschen wissen, dass gottlose Geister dort bei Nacht umgehen und die Seelen der Mönche, die alle zusammen am heiligen Kreuz starben. Es ist eine gottlose Stelle und eben von Rohan selbst war es falsch, sich dorthin zu wagen.“
Hier ist das Gespräch beendet. In dieser Nacht aber, als alles im Haus ganz still ist, fällt Marcelle heimlich an die Brust ihrer Mutter und erzählt ihr alles. Eigentlich wollte sie es für sich behalten, aber sie kann es innerlich nicht ertragen, die lieben fragenden Blicke, die sie mit zärtlicher mütterlicher Sorge verfolgen, zu täuschen. Die Mutter ist nicht ganz unvorbereitet, die Wahrheit zu erfahren. Es bereitet ihr sicherlich innerlich ein wenig Freude, aber Rohan Gwenfern ist nicht der Ehemann, den sie für ihre einzige Tochter ausgesucht hätte. Er ist zu exzentrisch und zu unbekümmert, ein zu sorgloser Messdiener und zu fleißiger Schüler des furchtbaren Meisters Arfoll, zu verführerisch für ihren altmodischen Geschmack. Und ganz tief im Innern neidet sie ihrer Halbschwester, solch einen Sohn zu haben. Seine körperliche Schönheit und sein zärtlicher Charakter sind ihr gut bekannt und sie kann ihn gut leiden, aber sie sieht auch seine ernüchternden Launen, sie ist ängstlich, dass es zu nichts Gutem führe.
Es würde absurd sein, zu behaupten, dass Marcelles Geständnis sie überraschte, denn Rohan seinerseits, achtet ihre Tochter mit mehr als vetterlicher Zuneigung. Zahllose heimliche Geschenke wie Spangen, gestickte Bänder, seidene Halstücher und anderes modisches Beiwerk, ließen sie so etwas ahnen.
Und wie es in den meisten solcher Fälle ist, hat sie abgewartet und niemals daran gedacht, dass die Gefahr zu einer Liebesbeziehung bestehen könnte. Und doch! Hier lag Amor vor ihren Augen, schlafend unter dem schneeweißen Tuch, das die Brust der Tochter bedeckt. Da sich Mutter und Tochter in wahrer Zuneigung verstehen, kommen sie bald beide zu einer Übereinkunft. Es wird beschlossen von Seiten der Mutter, dass gegenwärtig keine Notiz von den Ereignissen genommen wird und dass die ganze Familie, der Korporal im besonderen, in kompletter Ignoranz zu Rohans Gefühlen verbleibt, dass Rohan in alter gewohnter Weise im Haus empfangen wird, als wäre ein Teil der Familie und letztlich, dass nicht ein Wort Rohans Mutter zugetragen werden soll. Es wird von Marcelles Seite zugestanden, dass zu der geheimen Verlobung keine endgültige Antwort Rohan gegeben wird, dass Marcelle nicht wieder in seiner Begleitung so weit von zu Hause wandern soll oder in anderer Weise etwas zu tun, den Verdacht zu erwecken oder Ursache für einen Skandal zu sein, dass sie Rohan dazu bewegen soll zu verstehen, das Geständnis in einem Moment der Leidenschaft gemacht wurde, was in keiner Weise bindend sei und dass alles an der guten oder schlechten Meinung der Witwe und des Korporals liegt.
Natürlich ist die Witwe etwas geschockt. Konventionelle Schicklichkeit ist verletzt worden, weil zwei junge Menschen die Initiative ergriffen, anstatt sich selbst auf die Verfügung der Familie in der üblichen Art und Weise zu verlassen. Strenggenommen und in Übereinstimmung mit der Etikette, müsste Rohan einen Heiratsbitter zum Korporal schicken, der seinen Wunsch darlegt und seine Ansicht berichtet, es wäre dann die Sache des Korporals, die Witwe zu konsultieren und wenn die Witwe einverstanden ist, einfach zu erklären, ohne besondere Aufmerksamkeit den Wünschen des Mädchens in dieser Frage zu schenken, dass Rohan Gwenfern ihr zukünftiger Ehemann sei!
Eine vortreffliche Heirat, arrangiert von ihren Eltern, ist eine Heirat mit jemand, dessen Gesicht sie niemals gesehen hat und abzuschlagen für das Mädchen fast unmöglich ist. Wurde sie einmal abgeschlagen, dann war der Ruf des Mädchens ruiniert, eine Aussicht auf Heirat würde nahezu unmöglich, da ein Eheversprechen in Keuschheit zweifelhaft war.
Die Liebenden in unserem Fall sind Cousin und Cousine, die von klein auf an die Gesellschaft des Anderen gewöhnt sind, und das ist nicht weit von einem Skandal entfernt. Marcelle muß nun vorsichtig und Rohan verschwiegen sein. Die Witwe betet nun tief in ihrem Herzen, dass Marcelle mit der Zeit von ihrer Neigung zu Rohan Gwenfern kuriert wird.