Читать книгу Der Schatten des Schwertes - Robert Buchanan - Страница 7
Kapitel III
Rohans Kathedrale
ОглавлениеNicht weit von der Kapelle der ‚Mutter Gottes der Sicherheit’, unter den Felsen an der wilden Seeküste gelegen, steht eine Kathedrale, schöner als jede von Menschen erbaute, mit einem Dach von ewigem Azurblau, die Wände purpur, zinnoberrot, grün, gold und einem wahrhaften Mosaikboden. Die Menschen nennen ihren Haupteingang ‚Tor des St. Gildas’, aber die schöne Kathedrale selbst hat weder Namen noch Anbeter.
Bei Ebbe ist das Tor trockenen Fußes passierbar, bei Halbzeit kann man sie nur durch hüfttiefes Wasser erreichen, bei Dreiviertelwasser oder voller Flut kann sie nur von einem furchtlosen Schwimmer oder Taucher erreicht werden. Zwei gigantische Mauern aus rotem Granit ragen von der mächtigen Klippenwand hervor und kommen am Rand der See zusammen. Wo die See sie berührt, ist sie ausgehöhlt, ihre äußerste Spitze wie eine mächtige Arche, behangen mit tropfendem Moos. Betritt man sie bei Ebbe, sieht man die gewaltigen Mauern, die auf jeder Seite emporstreben, von Wind und Wasser zu phantastischen Nischen ausgehöhlt und vielfarbige marmorne Formen. Sie sind ohne Fenster, aber mit einem blauen, wolkenlosen Himmel als Dach, weit oben, wo die vorüberfliegenden Seemöwen, klein wie Schmetterlinge, im vollen Sonnenlicht schweben.
Ein dunkles, mystisches Licht fällt herab und beleuchtet den feierlichen Platz.
Es erzeugt geheimnisvolle Umrisse, aus welchem der Aberglaube Formen schafft, wie Statuen und Bildnissen von Würdenträgern mit Bischofsmützen und Mönche mit Kapuzen und düstere Gestalten der Jungfrau. Auf dem Gang aus Unkraut und groben Kies sind hier und da riesige Blöcke wie gemeißelte Grabstätten verstreut. In einsamen Nächten zu Mitternacht sitzen Robben darauf und schauen zum Mond wie schwarze Geister des Todes. Diesen Platz hat der Aberglaube gesehen und hat seine wahre Geschichte in eine Legende umgewandelt.
Tatsächlich stand hier vor undenklichen Zeiten ein großes Kloster von Hand errichtet und von einer fruchtbaren Ebene umgeben, aber die Mönche dieses Klosters waren sündhaft, brachten ihre Buhlerinnen zu dem gesegneten Platz und entweihten Gottes Namen. Aber Gott, voll SEINER Barmherzigkeit, sandte einen Heiligen – Gildas mit Namen – um diese Sündhaften zu warnen, von ihrem teuflischen Weg abzulassen, da sonst der Zorn kommt. Es war in einer eiskalten Winternacht, als Gildas das Tor erreichte, seine Glieder waren kalt und er war hungrig und durstig und er klopfte kraftlos mit seiner kalten Hand an. Zunächst waren sie beschäftigt mit ihren lauten Lustbarkeiten, so dass sie nichts hörten, er klopfte erneut und sie hörten, aber als sie sein Gesicht sahen, seine ärmliche Kleidung, seine nackten Füße, schickten sie ihn fort. Da flehte Gildas sie an, ihn hereinzulassen und ihm Obdach zu gewähren, um der heiligen Jungfrau willen. Er warnte sie auch wegen ihrer Schändlichkeiten und vor Gottes Gerechtigkeit. Noch während er sprach schlossen sie vor seiner Nase das Tor. St. Gildas erhob seine Hände zum Himmel und verfluchte sie und das Kloster, rief das Meer an, sich zu erheben, um sie und das Kloster zu vernichten.
The ‘Gate of St. Gildas’ and the Chapel of ‘Our Lady of Safety’
Obwohl die See einige Meilen entfernt war, stieg sie und kam und die Einlasspforte wurde zerstört. Die Ähnlichkeit mit einem Kloster schwand und das große Dach wurde fortgeschwemmt. Eben seit diesem Tag blieb die äußere Erscheinung als ein Beweis, dass es sich so zugetragen haben muß.
Wir sagten, daß diese Kathedrale keine Anbeter hat. Letztendlich aber hat sie zwei. In ihr sitzen Rohan und Marcelle, wenige Tage nachdem sie in der kleinen Kapelle zusammen waren. Keine Welle berührt das Licht des Fußbodens der Kathedrale, aber es ist feucht von der letzten Gezeitenflut. Die unkrautbehangenen Granitblöcke glitzern karmesinrot im Licht. Lange sitzen sie auf einen der trockenen Blöcke, dicht unter dem Hauptriff und schauen nach oben. Auf was? Auf den ‚Altar’. Weit über ihnen dehnen sich die erhabenen Abgründe der Felsen. Dicht über ihren Häuptern ist die ganze Seite des Kliffs für etwa einhundert Quadratyards ein dicker Vorhang aus Moos. Über dem Moos, von einem geheimen Platz aus, weit oben, fließen kleine Rinnsale von kristallklarem Wasser, das versprüht sich auf die weichen Moosfransen und fällt in unzähligen diamantene Tropfen herunter und hier verteilen sie sich als zahllose Perlen über ein Bett von tiefstem Smaragt. Dort tröpfelt ein Wasserfall von hellstem, filigranem Silber und wieder schimmert es wie Gold auf weichen zitternden Falten der gelben Flechten. Zwischen all diesen diamantenen Massen in glitzernden Farben ist ein Steigen und Fallen, ein Flitzen und Wechseln eines fortwährend feuchten Lichts, das abwechselnd in allen Farben des Prismas aufblitzt.
Hundert Yards darüber ist alles zerklüftet, Säulen und Architrave(2) sind zu sehen. Genau über dem Altar, wo die Diamanten des Himmels fortwährend herabrieseln, ist ein dunkler Fleck wie der Eingang zu einer Höhle.
„Ist es nicht Zeit zu gehen?“ sagt Marcelle jetzt, „stell Dir vor, die See kommt und findet uns hier, wie fürchterlich! Hoel Grallon starb so!“
Rohan lächelt, das selbstsichere Lächeln der Stärke und überlegener Klugheit.
„Hoel Grallon war ein großer Dummkopf und hätte betend vor seiner eigenen Tür stehen sollen. Schau Marcelle! Da führen schon immer zwei Wege aus meiner Kathedrale heraus, wenn Niedrigwasser ist und es nicht stürmt, kann man bei Ebbe hier drin bei dem Altar warten, es wird nicht so weit ansteigen und wenn es stürmisch ist und es stark weht, kann man dort drüben zu dem ‚Thron’ klettern“, und er zeigt zu dem schwarzen Loch über seinem Kopf, „oder eben zur höchsten Spitze des Kliffs.“
Marcelle zuckt mit den Schultern.
„Das Kliff erklettern! Man hat Hände und niemand hat Füße wie eine Fliege.“
„Letztendlich ist es leicht zum ‚Thron’ zu gelangen. Dort sind große vorstehende Kanten für die Füße und Nischen für die Hände.“
„Und wäre eben einer dort, was dann? Es ist wie das Eingangsloch zur Hölle und man kann es nicht betreten.“
Marcelle bekreuzigt sich.
„Es ist eher wie eine kleine Kapelle dort oben, nimmt man ein Licht mit und schaut sich um, es ist ganz trocken und gemütlich. Man könnte dort leben und froh sein.“
„Dann ist es eine Höhle?“
„Bereit für eine Robbendame darin zu wohnen und ihr Kleines zur Welt zu bringen.“
Rohan lacht, aber Marcelle bekreuzigt sich erneut.
„Erwähne dies nicht wieder, Rohan, es ist ein schrecklicher Ort!“
„Er ist nicht schrecklich, Marcelle, ich könnte an diesem Platz in Frieden schlafen, er ist so ruhig, so verschwiegen. Ich würde mich wie in meinem eigenen Bett zu Hause fühlen und wie die blauen Möwen, die geschäftig zu ihren Schlafplätzen kommen und die Fledermäuse, die in der Nacht ein und aus gleiten.“
„Die Fledermäuse – schrecklich! Ich bekomme eine Gänsehaut!“ Marcelle, obgleich ein Mädchen mit Courage, hat den weiblichen Abscheu gegen unsaubere und eklige Dinge. Charlotte Corday erstach den Denunzianten Marat (3), aber sie zitterte vor einer Maus.
„Ich habe dort oben in der Klippe schon öfter Jannedik klettern sehen, und ich war schon nahe daran es selbst zu versuchen. Es scheint leichter als der St. Gurlan Berg zu sein. Viele arme Matrosen, die hier vor der Küste ihr Schiff verloren, hatten sich so gerettet. Wenn der Sturm auf der See tobte, fühlten sie Gottes Hand zugreifen, die sie vor dem Abgrund bewahrte, daß sie nicht fallen mögen. Gottes Hand oder der Wind, Marcelle, das ist alles eins.“
Hiernach ist es für eine Weile still. Marcelle lenkt ihre großen Augen auf den glitzernden Vorhang aus Moos und Tau, während Rohan seinen Blick auf ein Buch richtet, welches er auf seinen Knien hält. Es ist ein altes, abgegriffenes, gewöhnliches gedrucktes Buch, mit gut gewachsten Fäden gehefteten Blättern. Er liest, oder scheint zu lesen. Das Licht ist noch auf seiner Seite und Marcelle sitzt neben ihm. Und ihm sind ihr glückliches Atmen und die warme Berührung ihrer Kleidung an seinem Knie bewusst. Plötzlich wird er in seiner stillen Freude unterbrochen. Marcelle springt auf.
„Wenn wir länger hierbleiben“, sagt sie, „werde ich meine Holzschuhe und Strümpfe ausziehen müssen, ich werde meinerseits loslaufen, Rohan.“
Das Mädchen geht schnell in Richtung Tor und schaut, ob Rohan ihr folgt. Aber er bewegt sich nicht.
„Es ist noch Zeit“, sagt er und wirft einen flüchtigen Blick durch das Tor auf die See, welche sich schon vorzubereiten schien in den granitenen, gewölbten Gang zu fließen.
„Komm zurück und sei nicht ängstlich. Es ist noch eine halbe Stunde für Schuhe und Strümpfe Zeit. Du erinnerst Dich sicher wie wir gemeinsam durch das blaue Wasser wateten. Komm, Marcelle, und schau!“
Marcelle ist verwirrt. Mit einem unschlüssigen Seitenblick auf das Wasser, welches schon zu steigen scheint und dicht vor dem Tor glitzert, kommt sie langsam verstohlen zurück und setzt sich wieder an die Seite ihres Cousins. Seine Stärke und Schönheit fasziniert sie, wie jedes Mädchen an der Küste es faszinieren würde. Während sie ihre weiche braune Hand auf sein Knie legt und ihm ins Gesicht schaut, fällt sie in eine mysteriöse Erregung, einer Sehnsucht, die sie nicht versteht.
„Schau“, sagt er und zeigt zum Tor hinaus, „es scheint nicht, als ob das ganze grüne Wasser der See sich beeilt hereinzufließen und uns überflutet wie es einst vor langer Zeit das große Kloster hinwegspülte.“
Marcelle schaut sich um, für ihren eigenen Platz scheint eine Überflutung wahrlich unmöglich, aber kleine Wellen fallen und steigen schon gegen den Bogengang. Außerhalb des Gewölbes schwimmt eine grauköpfige Robbe, mit großen wehmütigen Augen schaut sie in die Kathedrale und im selben Augenblick fliegt ein Schwarm Tauben durch das Tor. Die Tauben verteilen sich im geschwinden Flug, bis sie sich über ihren Köpfen befinden und in der Dunkelheit der großen Höhle über dem Altar verschwinden.
„Laß uns gehen!“ sagt Marcelle mit schwacher Stimme. Sie ist abergläubisch und in Anspielung auf die alte Legende fühlt sie sich unbehaglich auf diesem weihevollen Platz.
„Warte noch“, antwortet Rohan, als er ihren Arm nimmt, „in einer halben Stunde, nicht eher, wird das Tor wie der Schlund eines großen Ungeheuers sein. Du erinnerst Dich an die Geschichte des großen Seeungeheuers und dem Mädchen, das an einem Felsen gekettet war und der mutige Jüngling mit Flügeln rettete sie und verwandelte das Tier in einen Fels.“
Marcelle lächelt und errötet leicht.
„Ich erinnere mich“, antwortet sie.
Mehr als einmal hatte Rohan, der etwas für Mythologie und Zaubermärchen übrig hat, ihr von dem wunderbaren Mythos des Perseus und der Andromeda erzählt. Mehr als einmal sah sie sich selbst an so einem einsamen Platz und eine bezaubernde langhaarige Gestalt – vielleicht wie Rohan – flog mit großen ausgebreiteten Flügeln von dem blauen Dach über ihren Kopf herunter zu ihr. Sie trägt in ihrem Traum selbstgedrehte Holzschuhe und grobe Strümpfe und ihr dunkles Haar ist unter die Haube gebunden, Perseus trägt ebenfalls Holzschuhe und hat langes Haar und die lockere Kleidung eines bretonischen Bauern, dies ist für sie eine der lieblichsten Vorstellungen. Wenn ein Ungeheuer erschlagen werden müßte, war Rohan ganz genau so, das weiß sie, daß nur er, mit seiner unbekümmerten Kühnheit und sein unbezähmbaren Klippenklettern in Betracht kommt, wenn die Gelegenheit käme. Er könnte wirklich mit Flügeln geboren worden sein. Nun beginnt die hereindringende Flut sich mit Schaum unten auf dem Boden des gewölbten Torwegs zu brechen. Die Felsen bringen die See wie mit gezackten Zähnen zum weinen und das ganze Tor ist eine schwärzliche Silhuette gegen das grüne Wasser, es scheint wie Kopf und Schlund eines schrecklichen Ungeheuers, solches wie die griechischen Seefahrer es sahen, als sie entlang der Meerenge segelten. Solches wie der bretonische Fischer es in einer Stunde sah, als er entlang der felsigen Küste gleitete.
„Dort ist ein großes Ungeheuer“, sagt Rohan, geduckt und wartend.
„Ja, sieh nur den riesigen roten Felsen – er sieht aus wie ein Schlund.“
„Du kannst noch hierbleiben, um zu beobachten. In Kürze wird das Wasser beginnen zu peitschen und zu reißen bis der rote Schlund weiß von Schaum und das Wasser schwarz mit Unkraut ist und das Wasser darunter ist voll Schaum gespritzt und die Luft ist mit einem Brüllen wie das Bellen eines Ungeheuers angefüllt. Ich saß hier und beobachtete es, bis ich an die alte Geschichte dachte, und sie wurde Wirklichkeit und das Ungeheuer war hier, aber das war während des Sturms.“
„Du hast es beobachtet…?“
„Es packte mich bei Flut und ich mußte zitternd sitzen bleiben, dann legte sich der Sturm, aber die Flut war noch hoch. Das Wasser stand bis dicht an das Dach des Tores und wenn die Wellen schlugen, war kein Platz mehr, dass ein Vogel hätte fliegen können, es wogte dort rechts drüben gegen die Wände. Nun, ich war hungrig, wußte aber nicht was ich tun sollte. Es war vergnüglich zu sehen wie das Wasser kristallgrün entlang des Höhleneingangs schlug und zu beobachten wie es über die Felsen und Steine wogte, wo wir heute sitzen, die Robben rundherum schwimmen zu sehen und wie sie mit angstvollen Blicken versuchten einen Vorsprung zu Ausruhen zu finden. Aber all das machte mich nicht satt. Ich wartete, dann wurde es dunkel, aber die Flut war noch hoch. Es war schrecklich, die Sterne glitzerten dort drüben und die Schatten der alten Mönche schienen sich von den Wänden zu lösen. Ich fühlte Angst hierzubleiben. So legte ich meine Mütze und die Holzschuhe im Schlund der Höhle ab und glitt von Sims zu Sims hinunter und tauchte in das Wasser ein – es war dunkler als der Tod!“
„Ach!“ stößt Marcelle verängstigt aus und ergreift Rohans Arm.
„Zuerst dachte ich der Teufel wäre los. Ich fiel inmitten einer Schar schwarzer Kormorane, die wie toll schrien und einer stürzte herunter und fiel mich an den Beinen an, aber ich konnte ihn verjagen. Dann versuchte ich aus dem Tor zu kommen und als ich mich mit heftiger Anstrengung näherte, sah ich die große Welle gerade anschwellen und sie versperrte mir die Sicht. Als die Welle dort fiel, war dort ein Schimmer und ich konnte nun die Spitze des Gewölbes sehen. So kam ich watend der See näher, bis ich tatsächlich das Gewölbe mit meiner Hand berühren konnte, dann nahm ich meine Chance wahr und tauchte! Mon Dieu! Das waren harte Minuten! Wäre ich verkehrt geschwommen oder nicht tief genug getaucht und hätte auftauchen müssen, wäre ich gegen die gezackten Steine des Gewölbes geschmettert worden. Ich aber hielt die Luft an und versuchte vorwärts zu kommen – acht, neun, zehn Stöße unter Wasser, als ich am Ersticken war, stieg ich empor!“
„Und dann?“
„Ich schwamm auf der großen Welle vom Gewölbe nach draußen, die See lag vor mir und über meinem Haupt die Sterne. Dann dachte ich daran mich in Sicherheit zu bringen und gerade jetzt sah ich eine große Woge wie ein Berg auf mich zukommen. Ich holte tief Luft und als die Woge mich erreichte tauchte ich erneut, als ich wieder emporstieg, war sie vorüber und es war ein Geschrei der Vögel rund um das Tor von St. Gildas. Alles was ich nun zu tun hatte, war die hundert Yards in Richtung Ufer zu schwimmen, um auf der Sandbank zu landen, die sich bei der ‚Leiter von St. Triffine’ befindet.“
Das Mädchen schaut für einen Moment bewundernd auf ihren herkulesgleichen Gefährten, dann lächelte sie.
„Laß uns nun gehen“, sagt sie, „oder die See wird wieder kommen und diesmal würden wir letztendlich ertrinken.“
„Ich werde kommen.“
„Dort, die letzte Woge rollte nach rechts in die Passage. Wir müssen zuletzt noch waten.“
„Was dann? Das Wasser ist warm.“
So steht Rohan auf, zieht seine Strümpfe und Holzschuhe an, während Marcelle auf einem niedrigen Fels sitzt, wird sie langsam immer nervöser. Sie steht auf und macht ein charmantes Gesicht, als ihre kleinen weißen Füße den kalten steinigen Sand berühren. Rohan nimmt ihre Hand und sie gehen durch das Portal, in letzter Minute in welcher die Flut zu dieser Zeit angekrochen kommt. Bei jedem Schritt wird das Wasser tiefer und schon bald muß das Mädchen sich seiner Hand anvertrauen und rafft ihre Kleider über die Knie, unruhig geht sie weiter. Kein Erröten färbt ihre Wangen wie auch ihre schönen Glieder es nicht offenbaren, daß sie ängstlich ist. Sie weiß natürlich, daß sie schön ist und sie schämt sich nicht dafür. Wahre Bescheidenheit besteht nicht in der Verschleierung der Lust, wie die Natur sie bietet und vielleicht gibt es bald keine ‚Unreinheit’ mehr, beim Zeigen eines wohlgestalteten Beines oder ein gut geformter entblößter Arm. Das Höchste für Marcelle ist ihre Bescheidenheit. Gemäß dem Brauch auf dem Lande, frisiert sie ihre Locken nur dezent, welches die meisten bretonischen Mädchen nicht so machen, die ihre Haare lang genug über die Schultern fallen lassen, ihr Haar ist unter der Haube versteckt. Sogar Rohan hat sie bei all seinen späteren Begegnungen nie ohne Haube gesehen.
Sie erreichen das Portal und sind nun knietief im Wasser, aber bevor sie die vor ihnen in einigen Yards entfernte feste Wand, die mit dem Tor verbunden ist, erreichen, müssen sie noch um das Ende dieser Wand waten, um dahinter den grobkörnigen Sandstrand zu erreichen. Marcelle ist hoffnungslos. Vor ihr dehnt sich der große Ozean scheinbar grenzenlos und gefährlich aus, hier und da schimmert ein rotes Segel und folgt der Sonne. Auf jeder Seite ist die Flut gestiegen und rund um die außengelegene Wand ist es ziemlich tief.
„Wehe mir!“ ruft das Mädchen in Verzweiflung, „ich sagte es voraus, Rohan.“
Rohan steht wie ein fester Stein im Wasser und lächelt bloß.
„Hab keine Angst“, antwortet er und geht näher zu ihr, „halte Deine Schürze!“
Sie gehorcht, hält ihre Schürze und Unterrock zusammen und dann, nachdem sie seine und ihre Holzschuhe und die Strümpfe, sowie das Buch, welche er gelesen hatte in den Schürzenzipfel verstaut hat, hebt er sie wie eine Feder in seine kraftvollen Arme.
„Du bist leichter, als Du zu sein scheinst“, sagte er lachend, während Marcelle mit der einen Hand ihre Schürzenzipfel zusammenhält und mit der anderen dicht seinen Nacken umschlingt. Langsam und sicher, Schritt für Schritt, watet er mit ihr durch die See, entlang der moosbehangenen Wand. Er scheint nicht in Eile zu sein, vielleicht, weil ihm seine Bürde Freude bereitet. Aber mit jedem Schritt wird es tiefer, und als er das Ende der Wand erreicht, steht das Wasser bis zu seinen Lenden.
„Wenn Du stolperst!“ sagt Marcelle.
„Ich werde nicht stolpern“, antwortet Rohan schnell.
Marcelle ist sich nicht sicher und klammert sich noch fester an ihn. Sie ist nicht ängstlich, weil Gefahr besteht, sondern weil sie die weibliche Furcht vor Nässe hat. Sie würde bei einer realen Gefahr angesichts der großen See wie eine Heldin sterben. Nun ist sie ängstlich geworden, da sie es nicht mag nassgespritzt zu werden. Die Wand ist schnell umgangen und Rohan watet mit seiner Last zum Strand, so daß er bald nur noch etwa knietief im Wasser ist. Sein Herz klopft ungewöhnlich schnell, seine Augen und Wangen brennen, der lieblichen Ladung wegen ist er im Innersten aufgewühlt, ist er erfüllt mit unbekannter Ekstase und er schmachtet im Wasser nicht auf den Schatz verzichten zu wollen, den er in seinen Händen hält.
„Rohan! Schnell! Verweile nicht!“
Da dreht er sein Gesicht das erste Mal ihr zu und siehe! Er sieht ein Zeichen, welches das helle Blut in Wallung bringt, auch auf seinen eigenen Wangen, es macht ihn zitternd, wie ein Baum unter der Last seiner Blätter. Er starrt auf seine Herrin wie auf einen Purpurstein. Halb heimlich beobachtet er sie wie eine Meerjungfrau im Seetang, ihren nackten schönen Schein, der wie Marmor im Mondschein strahlt. Rohan fühlt machtlos eine schöne Offenbarung. Und warum? Es ist nur deswegen, weil in der Erregung und den Kampf mit dem Durchkommen Marcelles Haube nach hinten gerutscht ist und ihr schwarzes Haar, gelöst aus seinem Zwang, in einem dunklen Schauer herunterfällt, Wangen und Nacken umfließt. Als Rohan seinen Blick hebt, brennt er feuerrot von einer lieblichen Schamhaftigkeit. Hatten wir es nicht gesagt, daß das Haar eines bretonischen Mädchens jungfräulich ist und nur geweiht wird durch die Augen desjenigen, der sie liebt. In Rohans Kopf dreht sich alles. Als sein Gesicht sich ihr zuwendet, brennt es wie ihr eigenes. Das geweihte Haar fällt über ihre Augen und es riecht, wie weiß er nicht, vielleicht riecht so göttliches Parfüm, die geruchlose Dinge ausstrahlen, wenn sie von der Liebe berührt werden. Der Geruch war süß in seiner Nase, während das Aufgewühlte der Berührung bis ins Blut geht. Und unter seinen Händen zittert die liebliche Gestalt, während seine Augen an dem gerötetem Gesicht hängen.
„Rohan! Schnell! Laß mich runter!“
Er bleibt auf dem trockenen Land stehen, aber immer noch hält er sie auf seinen Armen. Das süße Haar flattert zu seinen Lippen und er küßt es wild, während das Feuer in ihrem Gesicht noch heller glüht.
„Ich liebe Dich, Marcelle!“