Читать книгу Der Schatten des Schwertes - Robert Buchanan - Страница 11
Kapitel VII
Korporal Derval verteidigt seine Farben
ОглавлениеDer Sprecher dieser Frage sitzt auf einer Bank vor seiner Tür im Sonnenschein in der Hauptstraße des Dorfes. Er spielt mit seiner Hornbrille, die mit Bändern an seinen Ohren befestigt ist und er hält eine Zeitung in seiner Hand, die er gerade gelesen hat. Sein Gesicht ist so rot wie eine Hagebutte, sein gestutztes Haar ist lose, es erinnert an einen Baumstumpf mit Raureif. Seine Kleidung ist halb ländlich und halb militärisch, bestehend aus einer offenen Korporalsjacke an welcher die Schulterstücke und Verzierungen lange überlebt sind, lockere Hosen, die bis zum Knie reichen und unter dem Knie ein leichter roter Strumpf und ein alter Pantoffel, er hat nur ein Bein, das andere ist durch ein Holzbein ersetzt.
„Guten Tag, Onkel Ewen!“ sagt der Pater, besorgt die Aufmerksamkeit über die letzten Bemerkungen Meister Arfolls abzulenken, während Rohan ebenfalls grüßt und seinem Onkel die Hand gibt. Korporal Derval ist der Held vieler Kämpfe, dienstbeflissener Anbeter Bonapartes und Onkel von Rohan und Marcelle zugleich. Der Korporal, der gut bescheid weiß und Meister Arfolls Gesinnung verabscheut, ist nicht zu verwirren, so daß er, nachdem er den Schulmeister gegrüßt und die Hand geschüttelt hat, seine Frage wiederholt:
„Aber was ist das für eine neue Rachel, Meister Arfoll?“ fragt er und setzt seine Brille auf. Der wandernde Schullehrer in dieser Weise aufgefordert, zeigt Courage in seiner Meinung und antwortet:
„Ich sprach von den letzten Tagen Frankreichs, Korporal Derval, das andere war die Zwangsaushebung und da wir gerade davon sprechen, es scheint mir das beste Blut des Landes ist vergossen. Ich vergleiche unser armes Land mit Rachel, die sich um ihre Kinder grämt, die von ihr gegangen sind und untröstlich ist. Das ist alles.“
Der Veteran antwortet nicht, steht aber plötzlich auf.
„Das ist alles!“ wiederholt er mit einer Stimmer wie ein Gewitter. Als er spricht steckt er Daumen und Zeigefinger energisch in seine Westentasche, während seine rechte Hand einen Stoß in die Luft tat, dann ergreifen Daumen und Zeigefinger den Schnupftabak und gebraucht ihn kräftig mit seinen geblähten Nasenlöchern. Er wirft sich in die Brust und stampft mit seinem Holzbein auf den Boden. Wenn man ihn betrachtet kann man eine merkwürdige und komische Ähnlichkeit mit dem Kaiser feststellen. Beim flüchtigen Betrachten seiner altmodischen, abgetragenen kaiserlichen Jacke, mit seinem schwarzen Zweispitz wie der des Kaisers, mit seiner geschwellten Brust, seinen beiden langen Beinen, sieht er aus wie eine sehr schlechte und arg mitgenommene Kopie des großen Kaisers. Wie Napoleon mit einer Wellingtonnase und sechs Fuß hoch, wie - laßt uns sagen: Mr. Gomersal zu Astleys Abgang, und tatsächlich sind sehr viele Dinge an ihm ähnlich. Nur die größere Nase und sicher die Gebrechlichkeit seiner Beine weichen teilweise ab. Sieht man genauer hin, ist sein Gesicht tief bronzefarben, faltig und narbig, seine Augen sind tiefschwarz, sein Kinn und Hals gut rasiert mit vorspringenden Muskeln wie Peitschenschnüre, seine Nasenspitze scharlachrot und mit Tautropfen, seine Nasenflügel sind ausgedehnt und sehen schwarz aus, als Resultat des verschwenderischen Tabakschnupfens, welchem er verfallen ist, wie seinem großen Namensvetter ‚der kleine Korporal’. Man muß annehmen, daß er von der Ähnlichkeit mit seinem Kaiser weiß, denn er erzählt darüber und glaubt es und rühmt sich damit. Es ist der Stolz der sein Dasein erfreut. Er übernimmt die gewohnheitsmäßigen kaiserlichen Posen – Füße zusammen, Brust raus, die Hände auf dem Rücken verschränkt halten, das Haupt nachdenklich betrübt, alles im wohlbekannten Muster.
Als Marcelle oder andere Schwätzer bewundernd flüstern: ‚Sieh! Könnte man nicht sagen, es sei der Kaiser selbst?’ oder ‚Gott segne uns, es könnte der Geist des ‚kleinen Korporals’ sein!’ Dann weitet sich jauchzend sein Herz und seine Nase bekommt ein noch tieferes Rot und er spreizt sich bis zur eigenen Schmerzgrenze wie ein Koloß, der mit beiden gespreizten Beinen über der Welt steht. Er sieht seine Nachbarn und seine Feinde weit unter sich wie so viele Könige und Prinzen. Er riecht die Luft des Kampfes aus weiter Ferne, wittert lebhaft kabarettistische Kampagnen. Er erinnert sich an seinen alten Ruhm wie sein Meister und weiß, daß er die weiteren Siege mit seinem Holzbein nicht beschleunigen kann. Nicht, daß er nicht ehrerbietig wäre. Er weiß wie weit er von seinem Idol entfernt ist. Er weiß, daß die Ähnlichkeit die eines Zwergs zu einem Giganten ist.
Seine Schwägerin ist eine religiöse Frau aber der unfruchtbare Wind des französischen Atheismus hat nicht sein und ihr Herz erreicht, so daß er an Gott glaubt und wenn auch nicht an die Heiligen, so gibt es doch einen einzigen Heiligen für ihn – St. Napoleon!
Trotz all seiner guten Qualitäten ist Korporal Derval ein ziemlich unbeliebter Mann in Kromlaix. Das Dorf liegt fernab vom politischen Leben und, das ist wie im Rest der Bretagne, dann ist da das Legitimistenfieber(9). Der Chefprediger des rechtschaffenden Volkes ließ Napoleon auskämpfen und dann ließen sie ihn allein. Natürlich konnte das so nicht sein, so verfluchten sie die grausame Zwangsaushebung und in ihrem Herzen auch Bonaparte. Es sind aber zu viele bonapartistische Schwärmer da, um unversehrt zu murren, die Einwohner halten ihre Zunge im Zaum, klagen im Geheimen und wünschen sich die Tage des alten Regimes zurück und vermeiden insbesondere jede Rede des alten Korporals.
„Das ist alles!“ wiederholt der Soldat ein zweites Mal, „hm und Sie, Meister Arfoll, glauben das?“
„Ich bin mir sicher, mein Korporal.“
Das Gesicht des Korporals wird so rot wie seine Nasenspitze, seine schwarzen Augen blitzen furchtbar, er nimmt grimmig seine Schnupfdose und öffnet sie erneut, nimmt eine Priese und zieht sie in seine Nase mit einem verachtenden Schnauben. Die Aktion gibt ihm Zeit die erste Bestürzung des wilden Zorns zu meistern und er antwortet höflich, aber man merkt in seiner Stimme die Erregung:
„Ihre Gründe, Meister Arfoll? Kommen Sie, Ihre Gründe?“
Der Schulmeister lächelt betrübt.
„Sie können sie mit den Augen erblicken, mein Korporal“, sagt er, „Frauen säen und ernten unsere Felder, Frauen und alte Männer über fünfzig – die Blüte ihrer Jugend ist gestorben mit der blutigen Ernte des Krieges und in kurzer Zeit wird Frankreich fallen, dafür wird es spärlich eine Hand geben das Schwert zu erheben.“
Meister Arfoll übertreibt natürlich etwas und als ob seine Behauptung widerlegt werden muß, kommen plötzlich zu des Korporals Tür vier große Jugendliche in der Blüte ihrer Gesundheit und Kraft, die Rohan mit einem Lächeln und einem Nicken begrüßt. Dies sind die vier Neffen des Korporals: Hoel, Gildas, Alain und Jannick. Der Korporal ist bestürzt wie jemand, der einer Gotteslästerung zugehört hat. Er zischt etwas Unverständliches, aber Hartes zwischen seinen Zähnen. Für den kleinen Priester ist es Zeit einzugreifen. Er zupft den alten Soldaten an seinem Ärmel und flüstert:
„Beruhigen Sie sich, Korporal! Erinnern Sie sich, es ist nur Meister Arfoll!“
Die Worte tun ihre Wirkung und die Gesichtszüge des Korporals entspannen sich etwas. Langsam wandelt sich sein unfreundliches finsteres Dreinschauen in ein grimmig verächtliches Lächeln, als er seinen Gegner prüft. Sein Blick ist höchst napoleonisch. Er begegnet den Umzuerziehenden als Bonaparte. Wäre er jetzt einen dieser Liliputaner begegnet, dann als König. Nichtsdestotrotz ist Ketzerei von sich gegeben worden, konnte nicht überhört werden und muss widerlegt werden. Der Korporal nimmt eine militärische Haltung an.
„Achtung!“ ruft er, als ob es an eine Rotte unerfahrener Rekruten gerichtet sei. Alle schrecken auf. Die Jugendlichen, die lässig in verschiedenen Haltungen an der Wand lehnen, stehen kerzengerade.
„Achtung! Hoel!“
„Hier!“ antwortet der Jüngling mit diesem Namen.
„Gildas!“
„Hier!“
„Alain!“
„Hier!“
„Jannick!“
„Hier!“
Alle stehen in einer Reihe wie Soldaten in Ehrerbietung ihres Vorgesetzten.
„Hört, alle von Euch, es geht Euch alle an. Achtung, während ich Meister Arfoll antworte.“
Hier dreht er sich zum Schulmeister. All sein Zorn ist gewichen und seine Stimme ist ganz klar und ruhig.
„Meister Arfoll, ich will nicht behaupten, sie hätten Gotteslästerung getrieben, sie haben genug Kummer gehabt, der die Gedanken jeden Mannes umkehrt in welcher Art und Weise auch immer und sie sind ein Lehrer und sie reisen von Dorf zu Dorf und von Gehöft zu Gehöft, durch das ganze Land. So lernt ein Mann viel, aber Sie haben noch viel zu lernen. Ich habe meine Geschichte wie Sie die Ihre. Frankreich ist nicht gefallen, es ist nicht wie Rachel, von der Sie sprechen! Es ist groß! Es ist majestätisch! Wie die Mutter der Makkabäer(12).“
Der Vergleich ist glücklich gewählt, es ist ein patriotischer und religiöser. Der kleine Priester wird freundlich und schaut zu Meister Arfoll, als er sagt:
„So, das ist die Antwort mit der man gut leben kann!“
Jeder der Jünglinge lächelt. Sie verstehen nicht die Anspielung, aber es ist wie ein Duell ausgetragen und scheint entschieden.
Rohan lächelt auch, aber zuckt mit seinen Schultern in geheimer Verachtung. Der Korporal erwartet eine Erwiderung, aber nichts kommt. Meister Arfoll steht stumm, etwas blaß, aber mit einem mitleidigen Licht auf seinem traurigen und schönen Gesicht, welches mehr als Worte aussagt. Seine Augen ruhen mit einem mitleidigem Gefühl auf dem Korporal, das ein Mann für seinen Widersacher hat, der irregeführt wurde.
Der Veteran wirft sich erneut in die Brust, seine Medaille der Ehrenlegion hervorhebend. Und wieder, diesmal aber mit einem stolzen siegerhaften Lächeln, erhebt er seine Kommandostimme:
„Achtung! Hoel, Gildas, Alain und Jannick!“
Die Jungen stehen stramm, aber Jannick der jüngste und Humorist der Familie, blinzelt Rohan zu, so, als wolle er sagen, ‚Onkel geht los!’
„Dies sind meine Jungs, sie sind meines Bruders Söhne und sind die Meinen. Sie sehen Sie. Sie sind mein, mein Bruder gab sie unter meinen Schutz und ich wurde ein Vater für sie und ihrer Schwester Marcelle. Ich nenne sie meine Söhne, sie sind alles, was ich habe in der Welt. Ich liebe sie, ich. Sie waren kleine Kinder, als ich sie nahm und wer hat sie seit dieser Stunde gefüttert? Ich. Ja, und wessen Hand hat ihnen mein Brot gegeben? Der Kaiser, der große Kaiser! Gott beschütze ihn und gib ihn den Sieg über seine Feinde!“
Als er spricht bebt seine Stimme vor Rührung, er hebt seinen Hut ehrerbietig und steht barhäuptig, das helle Licht brennt auf seinem Gesicht und dem schneeweißen Haar. Solch Vertrauen ist nicht zu begreifen, es ist ansteckend. Wie Dohlen, die zum Schreien verführt wurden, rufen die Jungen mit donnernden Stimmen:
„Es lebe der Kaiser!“
Der Veteran setzt seinen Hut wieder auf seinen Kopf und gebietet mit einer Handbewegung Ruhe.
„Der ‚Kleine Korporal’ vergisst keines seiner Kinder, nein, nicht eins! Er hat sich erinnert an diese Vaterlosen, hat sie gefüttert, er hat es ermöglicht, dass sie das werden, was Sie hier sehen! Sie haben gelernt für ihn zum Abend zu beten und ihre Gebete haben sich verbunden mit den Gebeten von Millionen und diese Gebete brachten den Sieg für ihn auf der weiten Erde.“
Meister Arfoll, zahm wie ein Lamm, bleibt ruhig. Eine Gelegenheit auf das wütende Feuer des Korporals zu antworten findet er unwiderstehlich. Während der Veteran pausiert, um Luft zu schöpfen, sagt der Schulmeister mit einer sanften Stimme ohne seinen Blick vom Boden zu erheben:
„Und was ist mit Ihren drei Brüdern, Korporal Derval?“
Der Hieb saß. Für einen Moment treibt dem Soldaten die Erinnerung weit weg, in ferne Landstriche, wo ohne Grabsteine auf ihren Gräbern die drei anderen Brüder schlafen, wo sie zu unterschiedlichen Zeiten fielen, zwei von ihnen im furchtbaren Schnee von Moskau. Der Veteran zittert und seine Augen blicken für einen Moment verlegen ins Haus, wo er weiß, dass dort seines Bruders Witwe sitzt. Die Mutter der anderen ist tot und diese lebt. Dann antwortet er hart:
„Ihre Seelen sind bei Gott und ihre Körper ruhen und sie starben ruhmvoll wie tapfere Männer sterben können. Ist es nicht besser so zu fallen, als den letzten Atemzug im Bett eines Feiglings auszuhauchen, zu sterben wie ein Soldat oder davonzurennen wie ein altes Weib oder ein Kind? Sie taten ihre Pflicht, Meister Arfoll – mögen wir alle es so gut machen!“
„Amen!“ sagt der kleine Priester.
„Und nun“, fährt der Bonapartist fort, „wenn der ‚Kleine Korporal’ fern dort drüben seine Schnupftabakdose hinhielte“, lässt er den Worten die Tat folgen, „und ruft ‚Korporal Derval, ich brauch noch mehr von Deinen Jungs’, sie würden lächeln – Hoel, Gildas, Alain und Jannick – sie würden alle vier lächeln! Und ich, der alte Grenadier von Cismone, Arcola und Austerlitz, ich, Sie sehen es, mit meinem Rheumatismus und meinem Holzbein, würde marschieren ihn zu treffen –rat-a-tat, rat-a-tatat schnell marschieren zu meinem Makkabäer!“
Exakt gesprochen, der Enthusiasmus der Makkabäer scheint ziemlich abgeklungen, als ein Begräbniszug, der vorüber zieht, die Unterhaltung wendet.
Hoel, Gildas und Alain rufen diesmal nicht ‚es lebe der Kaiser’ und selbst der respektlose Jannick läßt seine Zunge schweigen.
Eine andere Stimme erklingt nun enthusiastisch:
„Und ich werde mit Dir marschieren, Onkel Ewen!“ es ist Marcelles Stimme. Auf der Schwelle des Landhauses stehend mit ihren glänzenden Augen und ihren glühenden Wangen sieht sie wie ein wirklicher Makkabäer aus. Onkel Ewen wendet sich schnell und betrachtet sie mit Stolz.
„Du hättest auch ein Junge sein sollen!“ ruft er aus, bemüht seine Gefühle, die seine Brust erfüllen und seine feuchten Augen zu verbergen, „Du wirst eine der Makkabäer sein und das Biwakfeuer bewachen. Aber, mon Dieu, ich vergaß, ich Kohlkopf der ich bin, wir stehen noch auf der Straße, möchten Sie nicht eintreten, Pater Rolland?“
Nun stolziert er, klip, klap, zur Tür, steht dort, verbeugt sich mit einer für ihn ungewöhnlichen Höflichkeit, die aber üblich für die bretonischen Bauern ist. Der kleine Priester folgt mit einem freundlichen Nicken zu Meister Arfoll und die zwei verschwinden im Landhaus. Meister Arfoll steht mit Rohan mitten auf der Straße. Nach einem unschlüssigen Moment sagt er schnell mit ausgestreckter Hand:
„Treffen wir uns heute Abend bei Deiner Mutter? Ich muß nun gehen!“
Ohne irgendeine Antwort abzuwarten entfernt er sich auf der schmalen Straße, die zur See führt und lässt Rohan in der Gesellschaft seiner Cousins und gigantischen Makkabäern zurück.