Читать книгу Wir müssen über Rassismus sprechen - Robin J. DiAngelo - Страница 12
Wir haben ein stark vereinfachtes Verständnis von Rassismus
ОглавлениеDie letzte Herausforderung, der wir uns stellen müssen, ist unsere Definition von »rassistisch«. Man bringt uns bei, Rassisten seien schlechte Menschen, die andere wegen ihrer »Rasse« bewusst ablehnten. Das Verhalten von Rassisten sei moralisch inakzeptabel. Wenn ich sage, meine Leser und Leserinnen seien rassistisch, oder noch schlimmer, alle Weißen seien Rassisten, äußere ich damit etwas zutiefst Beleidigendes: Ich stelle ihren moralischen Charakter infrage. Wie kann ich so etwas behaupten, obwohl ich diese Leute gar nicht kenne? Viele von Ihnen haben Freunde und geliebte Menschen of Color, können demnach also kaum Rassisten sein. Da es rassistisch ist, aufgrund der »Rasse« verallgemeinernde Aussagen über Menschen zu machen, muss ich ja wohl selbst eine Rassistin sein! Lassen Sie es mich klar und deutlich sagen: Wenn wir Rassisten als Leute definieren, die aufgrund der »Rasse« eine bewusste Abneigung gegen andere hegen, dann räume ich ein, dass es beleidigend ist, Menschen, die ich gar nicht kenne, als rassistisch zu bezeichnen. Ich stimme auch zu, dass nach dieser Rassismusdefinition Leute, die gegen Rassismus sind, keine Rassisten sind. Allerdings verwende ich diese Definition des Rassismus nicht und behaupte auch nicht, dass Sie unmoralisch sind. Wenn Sie offen für meine Argumentation bleiben, werden Sie bald erkennen, dass sie sinnvoll ist.
Angesichts der hier dargelegten Herausforderungen rechne ich damit, dass Weiße beim Lesen dieses Buches zuweilen Unbehagen empfinden werden. Dieses Gefühl mag ein Zeichen sein, dass es mir gelungen ist, den Status quo, der in unseren Rassenbeziehungen herrscht, zu erschüttern. Und genau das ist mein Ziel. Der gegenwärtige Zustand ist für weiße Menschen bequem, und solange wir an dieser Bequemlichkeit festhalten, werden wir in den Beziehungen zwischen Menschen unterschiedlicher Hautfarbe keine Fortschritte machen. Entscheidend für den Fortschritt ist, wie wir mit unserem Unbehagen umgehen. Wir können es als Ausstieg nutzen – wir können dem Überbringer der Botschaft die Schuld geben und die Botschaft ignorieren. Oder wir können es als Einstieg nutzen und fragen: Warum irritiert es mich? Was würde es für mich bedeuten, wenn es wahr wäre? Wie verändert diese Sicht mein Verständnis der Rassendynamik? Wie kann mein Unbehagen dazu beitragen, mir klarzumachen, dass meine Ansichten teils auf ungeprüften Unterstellungen basieren? Ist es möglich, dass es Rassendynamiken gibt, die ich gar nicht wahrnehme, einfach weil ich weiß bin? Bin ich bereit, diese Möglichkeit in Betracht zu ziehen? Und wenn ich dazu nicht bereit bin, warum nicht?
Wer dies liest und immer noch Einwände vorbringt, warum er oder sie anders ist als andere Weiße und warum nichts von alledem auf sie oder ihn zutrifft, sollte kurz innehalten, durchatmen und die oben aufgeführten Fragen noch einmal durchgehen. Wenn wir die Empfindlichkeit Weißer durchbrechen wollen, müssen wir die Fähigkeit entwickeln, das Unbehagen auszuhalten, das Unbehagen des Nichtwissens, der Verunsicherung und der Demut in Bezug auf Rassenverhältnisse. Als Nächstes müssen wir begreifen, dass die Kräfte der Sozialisation ständig am Werk sind. Die Unfähigkeit, diese Kräfte zu erkennen, führt unweigerlich zu Widerstand und Abwehrreaktionen der weißen Fragilität. Zur Stärkung unserer diesbezüglichen Belastbarkeit, die unserer Empfindlichkeit entgegenwirkt, müssen wir über unsere gesamte Identität nachdenken – und besonders über unsere Gruppenidentität als »Rasse«. Für weiße Menschen heißt das zunächst, sich damit auseinanderzusetzen, was es bedeutet, weiß zu sein.