Читать книгу Wir müssen über Rassismus sprechen - Robin J. DiAngelo - Страница 14

Die gesellschaftliche Konstruktion von »Rasse« in den Vereinigten Staaten

Оглавление

Freiheit und Gleichheit – ungeachtet der Religion oder der Klassenzugehörigkeit – waren radikal neue Ideen, als die Vereinigten Staaten von Amerika gegründet wurden. Aber ihre Wirtschaft basierte auf der Verschleppung und Versklavung von Afrikanern, der Vertreibung und dem Genozid an indigenen Völkern und auf der Annexion mexikanischer Territorien. Zudem brachten die eintreffenden Siedler ihre eigene kulturelle Konditionierung und zutiefst verinnerlichte Herrschafts- und Unterwerfungsmuster mit.[5]

Der Widerspruch zwischen der erhabenen Gleichheitsideologie und der grausamen Wirklichkeit des Genozids, der Versklavung und der Kolonisierung musste irgendwie aufgelöst werden. Daher wandten sich Thomas Jefferson (der selbst Hunderte versklavter Menschen »besaß«) und andere an die Wissenschaft. Jefferson vermutete natürliche Unterschiede zwischen den »Rassen« und forderte die Wissenschaftler auf, sie zu finden.[6] Wenn die Wissenschaft belegen könnte, dass schwarze Menschen von Natur aus unterlegen seien (die indigenen Völker betrachtete er lediglich als kulturell mangelhaft, was sich beheben ließe), dann bestünde kein Widerspruch zwischen unseren erklärten Idealen und unserer tatsächlichen Praxis. Selbstverständlich standen hinter der Rechtfertigung von Sklaverei und Kolonisierung enorme wirtschaftliche Interessen. Die »Rassenkunde« war von diesen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Interessen getrieben, die schließlich zur Einführung kultureller Normen und gesetzlicher Regelungen führten, die Rassismus und die privilegierte Stellung der als weiß definierten Menschen legitimierten.

Anknüpfend an Arbeiten europäischer Forscher, machten sich amerikanische Wissenschaftler daher auf die Suche nach dem Beweis für die vermeintliche Unterlegenheit nicht angelsächsischer Menschengruppen. Wie stark bereits die Fragestellung die Untersuchungsergebnisse prägt, zeigt sich daran, dass die Wissenschaftler nicht etwa fragten: »Sind Schwarze (oder andere) unterlegen?« Vielmehr fragten sie: »Warum sind Schwarze (und andere) unterlegen?« So wurden die von Jefferson unterstellten Unterschiede zwischen den »Rassen« innerhalb nicht einmal eines Jahrhunderts zu einer weithin akzeptierten wissenschaftlichen »Tatsache«.[7]

Die Vorstellung »rassischer« Unterlegenheit wurde entwickelt, um Ungleichbehandlung zu rechtfertigen. Es war nicht etwa der Glaube an »rassische« Unterlegenheit, der zur Ungleichbehandlung führte. Auch nicht die Angst vor dem Andersartigen. Ta-Nehisi Coates stellt fest: »Rasse ist das Kind des Rassismus, nicht seine Mutter.«[8] Er meint, dass wir Menschen zunächst wegen ihrer Ressourcen, nicht wegen ihres Aussehens ausgebeutet haben. Zuerst kam die Ausbeutung und dann folgte die Ideologie ungleicher »Rassen«, um diese Ausbeutung zu rechtfertigen. Ebenso erklärt der Historiker Ibram X. Kendi in seinem preisgekrönten Werk Gebrandmarkt. Die wahre Geschichte des Rassismus in Amerika: »Die Nutznießer von Sklaverei, Segregation und Masseninhaftierung haben rassistische Vorstellungen produziert, wonach es sich für schwarze Menschen gehört oder wonach sie es verdienen, versklavt zu werden, nicht dort zu wohnen, wo Weiße wohnen, oder in einer Gefängniszelle zu vegetieren. Die Konsumenten dieser rassistischen Ideen wurden dazu gebracht zu glauben, dass etwas mit schwarzen Menschen nicht stimmt – nicht etwa dazu, eine Politik anzuzweifeln, die Schwarze versklavt, unterdrückt und einsperrt.«[9] Kendi argumentiert im Weiteren, wenn wir wirklich glauben, dass alle Menschen gleich seien, könne die Ungleichheit der Lebensbedingungen nur das Ergebnis systemischer Diskriminierung sein.

Wir müssen über Rassismus sprechen

Подняться наверх