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Was ist mit Menschen, die mehreren »Rassen« angehören?

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Durchgängig vertrete ich in diesem Buch die These, dass Rassismus äußerst komplex und nuanciert ist und wir daher unseren Lernprozess nie als abgeschlossen oder vollständig ansehen dürfen. Ein Beispiel für diese Komplexität ist allein schon die Verwendung der Kategorien »weiß« und »Menschen of Color«, die ich hier für die beiden gesellschaftlich anerkannten Gliederungen der Rassenhierarchie auf Makroebene benutze. Damit fasse ich eine große Variationsbreite in nur zwei Begriffen zusammen. Obwohl ich überzeugt bin (aus Gründen, die ich im ersten Kapitel darlege), dass es für weiße Menschen sinnvoll ist, Individualität vorübergehend zugunsten der Gruppenidentität zurückzustellen, hat ein solches Vorgehen für Menschen of Color doch völlig andere Auswirkungen. Vor allem »multirassische« Menschen geraten durch diese binären Kategorien in eine frustrierende Position zwischen allen Stühlen.[1]

Da »multirassische« Menschen Rassenkonstrukte und -grenzen infrage stellen, sehen sie sich in einer Gesellschaft, in der solche Kategorien tiefgreifende Bedeutung besitzen, mit einzigartigen Herausforderungen konfrontiert. Die herrschende Gesellschaft weist ihnen die Rassenidentität zu, mit der sie äußerlich die größte Ähnlichkeit aufweisen, die aber nicht unbedingt mit ihrem eigenen Selbstverständnis übereinstimmt. So war der Musiker Bob Marley »multirassisch«, aber die Gesellschaft nahm ihn als schwarz wahr und reagierte entsprechend auf ihn. Wenn die Identität »multirassischer« Menschen nicht eindeutig ist, sehen sie sich ständig dem Druck ausgesetzt, sich zu erklären und sich für »eine Seite zu entscheiden«. Noch komplizierter wird ihre eigene Zuordnung durch die Rassenidentität ihrer Eltern und die demographische Zusammensetzung der Gemeinde, in der sie aufwachsen. So kann ein Kind schwarz aussehen und als schwarz behandelt werden, aber überwiegend von einem weißen Elternteil aufgezogen werden und sich daher stärker als weiß identifizieren.

Die Dynamik des »als weiß Durchgehens« (passing) – also als weiß wahrgenommen zu werden – prägt die Identität einer »multirassischen« Person ebenfalls, da es ihr die Vorteile des Weißseins verschafft. Allerdings können diese Menschen auch auf Ressentiments und Ausgrenzung bei Menschen of Color stoßen, die nicht als weiß durchgehen. »Multirassische« Menschen werden möglichweise nicht als »echte« Menschen of Color oder »echte« Weiße gesehen. (Es ist anzumerken, dass dieses »Durchgehen« sich auf die Fähigkeit bezieht, als Weiße zu gelten, dass es aber keinen entsprechenden Ausdruck für die Fähigkeit gibt, als Person of Color durchzugehen. Das wirft ein Schlaglicht auf die Tatsache, dass die erwünschte Richtung in einer rassistischen Gesellschaft dahin geht, als weiß und nicht als Person of Color wahrgenommen zu werden.)

Ich werde der Komplexität »multirassischer« Identität sicher nicht gerecht werden können. Aber für die Auseinandersetzung mit weißer Fragilität biete ich »multirassischen« Menschen das Konzept der »Salienz« an. Wir alle besitzen vielfältige, sich überschneidende soziale Persönlichkeiten. Ich bin weiß, aber zugleich auch eine Cisgender-Frau mittleren Alters ohne körperliche Beeinträchtigungen. Diese Identitäten schließen sich gegenseitig nicht aus. Jede tritt in unterschiedlichen Kontexten mehr oder weniger stark in den Vordergrund. In einer Gruppe, in der ich die einzige Frau bin, ist Gender wahrscheinlich für mich das herausragende Merkmal. In einer Gruppe, in der außer Weißen nur eine Person of Color ist, ist meine »Rasse« wahrscheinlich meine herausragende Identität. Jede Person muss beim Lesen für sich entscheiden, was ihrer Erfahrung in welchem Kontext entspricht und was nicht. Ich hoffe, Einblicke zu vermitteln, warum es so schwierig ist, mit Menschen, die sich als weiß identifizieren, über »Rasse« zu sprechen und/oder bei ihnen Einsichten über die eigenen rassistischen Reaktionen im alltäglichen Umgang mit Menschen anderer Hautfarbe anzustoßen.

Wir müssen über Rassismus sprechen

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