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4. Kapitel Köln/Innenstadt

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Das Leben ist voller Leid, Krankheit, Schmerz – und zu kurz ist es übrigens auch. (Woody Allen)

Genau da, wo einst das malerische Pantaleonstor als Teil einer mittelalterlichen Befestigung stand, das zusammen mit anderen Toren und Mauerabschnitten 1881 einem unseligen Abriss aus Gründen der Stadterweiterung zum Opfer fiel, steht heute die einzige altlutherische Kirche Kölns. Im Krieg wurde der schöne, neugotische Bau aus dem Jahre 1900 völlig zerstört und durch einen schmucklosen Neubau Anfang der fünfziger Jahre ersetzt.

Eine für Köln leider alltägliche Erscheinung! Andere Städte …, aber lassen wir das!

Die Kirche verfügt im Erdgeschoss über einen großen Raum, der für Gottesdienste genutzt wird, und im Obergeschoss über eine Dreizimmerwohnung, die der Pfarrer mit seiner Familie bewohnt.

In der Küche dieser Wohnung stand Doris Bassler und schnibbelte mit müden Händen an den Zutaten eines Salats. Von Zeit zu Zeit unterbrach sie ihre Arbeit, um mit ihren Händen über den Leib zu fahren. Schon seit Wochen wurde sie von Übelkeit und Erbrechen geplagt, Appetitlosigkeit und ständige Müdigkeit kamen dazu. Dazu kam ein steter Gewichtsverlust, eine Erscheinung, die sie in früheren Zeiten begrüßt hätte. Aber jetzt? Sie war kein ängstlicher Mensch, aber ihr desolater Zustand beunruhigte sie zunehmend.

Sie hatte Markus, ihrem Mann, diese Probleme bis jetzt verschwiegen, aber sie ahnte, dass ein Gang zum Arzt unausweichlich war, ein Gang, den sie höchst ungern hinter sich brachte. Ärzte waren ihr ein Gräuel. Beim Gedanken an ihren Mann nahm ihr Gesicht einen liebevollen Ausdruck an. Seit fast dreißig Jahren waren sie verheiratet und sie hatte die Verbindung mit dem jungen stürmischen Theologiestudenten nie bereut. Sie hatten sich auf einer landesweiten Protestdemo gegen die Erhöhung der Studiengebühren kennengelernt,

schnell verliebt und noch schneller geheiratet, auch wenn die Eltern zunächst mit dem bärtigen Revoluzzer, wie Vater ihn nannte, nicht einverstanden waren.

Leider blieb ihnen die Erfüllung ihres Kinderwunsches verwehrt, aber auch ohne diese Erfüllung, die ihnen als Höhepunkt ihrer Partnerschaft erschienen wäre, führten sie eine sehr harmonische Partnerschaft, eine Partnerschaft, ohne die ihr bester Freund, Monsignore Dr. Peter Diefenstein von der benachbarten Basilika St. Pantaleon, auskommen musste.

Es tat gut, einen solchen Mann zum Freund zu haben und sie pflegten diese Freundschaft über alle Konfessionsgrenzen hinweg schon seit Studienzeiten.

Doris Bassler hatte seinerzeit ihren Lehramtsabschluss in Theologie, Geschichte und Italienisch gemacht, ohne je ein Klassenzimmer betreten zu haben. Irgendwie war es nie dazu gekommen und sie fühlte sich als Frau eines Pfarrers mit all den Tätigkeiten, die das rege Gemeindeleben mit sich brachte, vollkommen ausgelastet.

Sie leerte das Brett mit den geschnittenen Tomaten, Gurken und Zwiebeln in eine Schüssel, gab Öl und Essig, Salz und Pfeffer dazu und durchmischte den Salat. Ein Blick auf die Uhr zeigte ihr, dass Markus sicher bald von seinem Besuch bei einem schwer erkrankten Gemeindemitglied zurückkehren würde.

Es schellte.

Hat Markus etwa seinen Schlüssel vergessen?

Mit schweren Schritten eilte sie zur Tür, ihr Magen regte sich wieder.

Sie öffnete die Tür und hatte keine Ahnung, dass sich mit der jetzigen Begegnung ihr Leben für immer ändern würde.

„Ja?“

Vor der Tür stand eine verhärmte Frau, schlank, fast dürr, das lange, strähnige Haar zu einem Zopf gebunden. Sie trug ein verschlissenes Sommerkleid und ihre Hände klammerten sich an eine Louis-Vitton-Tasche, die so wenig zu ihr passte, wie eine Nerzstola zu einem Eisbär.

Ein billiger Fake aus China, durchzuckte es sie, während die Frau sie ängstlich ansah.

„Ich … ich bin Frau Mundorf, Elke Mundorf.

Doris Bassler blickte die Besucherin irritiert an. Wer ist das denn?

„Sie kennen mich nicht mehr, oder?“

Doris Bassler kramte in ihrem Gedächtnis. Irgendwo hatte sie die Frau schon mal gesehen. Aber wo?

„Ehrlich gesagt nicht. Und was kann ich für Sie tun? Oder wollen Sie zu meinem Mann?“

Die Frau versuchte sich in einem Lächeln und offenbarte ein krummes, stark pflegebedürftiges Gebiss.

„Ihr Mann, der Herr Pfarrer, hat meine Anne, das ist meine Tochter, konfirmiert. Vor zwei Jahren war das.“

„Aha.“

Doris Bassler war immer noch nicht klar, was die Frau wollte und sie hatte wenig Lust, sie hereinzubitten um das herauszufinden. Sie fühlte sich krank und die Frau war ihr wenig sympathisch.

„Probleme. Wir haben große Probleme mit Anne, und da haben wir gedacht … wir haben gedacht, mein Mann und ich, der Herr Pfarrer könnte uns vielleicht helfen. Er war doch damals so freundlich zu Anne … und zu uns.“

Unwillig gab Doris Bassler den Weg frei.

„Kommen Sie doch herein, Frau äh … Mundorf.“

Die Frau nickte erleichtert und hauchte ein Dankeswort, zögernd betrat sie die Wohnung.

„Ich störe Sie doch wohl nicht?“

Und wie!, dachte Doris Bassler, setzte aber ein Lächeln auf.

„Nein, keineswegs, bitte nehmen Sie Platz.“

Sie führte die merkwürdige Besucherin in das geschmackvoll eingerichtete Wohnzimmer und wies auf einen der bequemen Sessel.

„Kann ich Ihnen etwas anbieten?“

„Ein Glas Wasser vielleicht, wenn es keine Umstände macht.“

„Gerne.“

Doris Bassler stand auf, um kurze Zeit später mit einem Glas Wasser und einer Flasche zurückzukehren. Sie stellte es vor die Besucherin und schaute sie aufmerksam an. Ihr Unwillen und ihre Müdigkeit waren mit einem Schlag verflogen. Wenn Hilfe gebraucht wurde, war sie zur Stelle, das hatte sie in den vielen Jahren an der Seite ihres Mannes gelernt.

Die Frau nahm einen hastigen Zug aus dem Glas, nestelte nervös an ihrer gefakten Tasche herum und begann zögernd und mit leiser Stimme.

„Unsere Anne ist jetzt sechzehn Jahre alt. Vor zwei Jahren, als sie hier konfirmiert wurde, war alles mit ihr in Ordnung. Sie ging zur Realschule und hatte gute Noten, sie trieb sich nicht mit Jungs herum, half mir im Haushalt und guckte nach ihrem Bruder.“

Sie leerte das Glas in einem Zug und atmete tief ein.

„Sie müssen wissen, wir haben noch einen Sohn. Den Guido. Der ist jetzt sieben.“

Doris Bassler nickte ihr aufmunternd zu und füllte das Glas erneut.

„Aber jetzt hat sich alles geändert.“

„Wieso?“

„Wegen Samira!“

„Samira?“

„Anne hat in der Schule ein Mädchen kennengelernt. Aus dem Iran. Sie trägt ein Kopftuch und komische Kleider. Die anderen Kinder lachen sie oft aus, aber das macht ihr nichts aus. Die Eltern sind vor einem Jahr aus dem Iran geflohen, weil der Vater für eine Zeitung gearbeitet hat, kritische Kommentare über diese äh … Agatollas, oder wie das heißt, geschrieben hat. Mit der ganzen Familie sind sie geflohen, Hals über Kopf bei Nacht und Nebel. Sie sind eigentlich nicht besonders gläubig, nur die Tochter. Sie wollte ihr Kopftuch nicht ablegen, sie betet dauernd und sagt, Allah habe sie auserwählt.“

Sie brach ihre Rede ab, Tränen standen in ihren Augen. Ihre Finger fuhren fahrig über das Kleid. Sie trank hastig weiter und das Wasser rann aus ihrem Mundwinkel.

„Samira war ständig mit meiner Tochter zusammen und sie hat meiner Anne Flausen in den Kopf gesetzt. Auf einmal bestand Anne darauf, auch ein Kopftuch zu tragen und hat uns gesagt, sie wolle zum Islam konvertieren. Sie wolle einen Gebetsteppich und weigert sich in die Kirche zu gehen. Sie hat sich einen Koran gekauft, in dem sie dauernd blättert und uns Sachen vorlesen will. Sie lernt sogar Sachen auswendig. Uns nennt sie Ungläubige, die Allah strafen werde. Stellen Sie sich das vor. Vor zwei Jahren konfirmiert und jetzt zum Islam. Im Ramadan hat sie gefastet und vier Kilo abgenommen, und sie ist doch ehe schon nur Haut und Knochen. Mein Mann hat getobt und ihr den Umgang verboten, aber es hat nichts genutzt. Ständig hingen die Mädchen zusammen und haben getuschelt.

Und wenn sie nicht zusammen waren, hingen sie am Handy. Sie hat kaum noch für die Schule gelernt, keine anderen Freundinnen getroffen, Jungs spielten überhaupt keine Rolle.“

Sie seufzte laut auf.

„Dabei hat sie doch vorher für den Mark von nebenan geschwärmt, obwohl mein Mann das verboten hat. „Ist doch erst 16“, hat er gesagt, „mein kleines Mädchen.“

Schließlich hat mein Mann ihr das Handy weggenommen. Anne hat geweint, gefleht, getobt, dann hat sie es geschluckt. Ich habe aber den Verdacht, dass sie sich heimlich ein neues besorgt hat.“

„Ihr Mann ist wohl recht streng zu ihr?“

„Mein Mann? Er ist seit fünf Monaten arbeitslos. Sie haben ihn entlassen. Seitdem ist er … anders. Er ist nur noch zu Hause und er trinkt zu viel. Ja, er ist streng, aber er meint es nur gut mit Anne. Sie ist …“, sie stockte kurz, „sie war immer seine kleine Prinzessin!“

Es entstand eine kurze Pause, während Doris Bassler ihre Besucherin nachdenklich betrachtete.

„Und jetzt?“

„Jetzt ist sie weg!“

„Wer ist weg?“

„Samira! Seit einer Woche kommt sie nicht zur Schule und die Eltern haben keine Ahnung, wo sie ist. Sie waren bei der Schule, bei der Polizei, haben überall gefragt, aber keiner weiß was. Und ich habe Angst, dass Anne auch so was macht. Man kann doch dabei nicht zusehen, oder? Vielleicht kann Ihr Mann mit ihr sprechen. Den hat sie doch damals im Konfirmandenunterricht so toll gefunden. Cool sei er gewesen, hat sie damals gesagt, richtig cool. Aber das war, bevor sie mit dieser … Samira zusammen war!“

Sie schluchzte laut auf, griff nach ihrem Taschentuch und schnäuzte sich vernehmlich.

Bevor Doris Bassler antworten konnte, hörte sie, wie ein Schlüssel im Türschloss gedreht wurde.

Markus, Gott sei Dank!

Sie fühlte sich mit dieser Situation doch leicht überfordert und war froh, dass ihr Mann kam. Der würde eher wissen, was zu tun war.

Die Köln-Affäre

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